Jeanne Marie Bouvier de la Mothe Guyon – Der Lauf der Ströme zum Meer – Die Heimkehr des Menschen zu Gott

Der Lauf der Ströme zum Meer – Die Heimkehr des Menschen zu Gott

Jeanne Marie Bouvier de la Mothe Guyon  (zw. 1713 u. 1717)

Jeanne Marie Bouvier de la Mothe Guyon

Madame Jeanne Marie Bouvier de la Mothe Guyon sieht die geistliche Lehre als Heimkehr des Menschen zu Gott. Dies ziehe immer eine innere Reinigung mit sich aber auch ein Suchen und Probieren. Madame Guyon meint, dass ein bedeutender Teil des Menschen eine natürliche Neigung zu Gott. Die Aufgabe des Priesters sei es ihrer Ansicht nach, diesem mächtigen Kriterium zu folgen und den Menschen auf seinem Veränderungsweg zu geleiten. Sie hält das Medium des Bewusstseins wesentlich für jede Veränderung.

„Es soll aber das Recht daherfluten wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender starker Strom“! (Amos 5, 24)

Gott zieht die Menschen in seine Gemeinschaft. Auf verschiedenen Wegen folgen sie ihm. Was den Weisen und Klugen verhüllt geblieben bis auf den heutigen Tag, ist aufgeschlossen worden den Einfältigen und Unmündigen: die Gerichte Gottes, die er verhängt über die Menschenkinder; die Wege, welche er die Menschen führt, die nach ihm verlangen! Was ist offener und unerforschlicher zugleich als das Meer! Was ist offenkundiger und verschlungener zugleich als der Lauf der Ströme. . . .

Ich sehe sie, diese großen Wasser! Ich sehe und höre sie, diese lauten und rauschenden Ströme. Sie fallen von den Bergen; sie reisen durch die Fluren; sie stürzen von Fels zu Fels; sie zerteilen sich, um sich wieder zu vereinen; sie verlieren sich, um bald wieder hervorzubrechen mit verstärkter Kraft; sie verfolgen rastlos ihren Lauf, bis sie endlich anlangen in dem allgemeinen Meer…

Das ist der Lauf der Menschen, die zu Gott heimkehren. Wenn ein Mensch von Gott nach der ersten Reinigung berührt ist, wenn er seine Sünden bekannt hat und bereut, schenkt Gott ihm einen sicheren inneren Zug, nun völlig zu ihm zurückkehren und sich mit ihm zu vereinigen, „in Christus“ zu sein. Er fühlt nun, dass er nicht für die Amüsements und Bagatellen der Welt geschaffen ist, sondern dass er einen Mittelpunkt und ein Ziel hat, wohin er zurückkehren muss, und ohne das er niemals die wahre Ruhe finden kann (Psalm 42, 2).

Diese Sehnsucht ist mit sehr starker Macht in den Menschen gelegt, in manchen mehr, in anderen weniger, gemäß dem Plan Gottes. Alle aber haben eine liebenswürdige Ungeduld, sich zu reinigen und jedes nötige Mittel zu ergreifen, um zu ihrer Quelle, zu ihrem Ursprung zurückzukehren. Sie sind Flüssen zu vergleichen, die, nachdem sie aus ihren Quellen hervorgegangen sind, in ununterbrochenem Lauf eilen, um sich in das Meer zu stürzen. Von all diesen Flüssen fließen die einen bedächtig und langsam, andere wieder mit größerer Eile. Aber es gibt auch Bäche und Flüsse, die mit furchterregendem Ungestüm dahinstürzen und die nichts aufhalten kann. Alle Lasten, die man ihnen zu tragen geben könnte und alle Dämme, die man baut, um ihren Lauf zu hindern, dienen zu nichts, als ihre Wildheit zu verdoppeln.

So ist es mit den von Gott berührten Menschen. Die einen gehen langsam der Vollendung entgegen und erreichen das Meer gar nicht oder sehr spät. Sie begnügen sich damit, sich in einen sehr großen und mächtigen Fluss zu verlieren, der sie mit sich in das Meer trägt. Andere eilen schneller und zielstrebiger als die ersten. Sie nehmen eine Menge kleiner Flüsse in sich auf und führen sie mit. Aber sie sind noch langsam und träge im Vergleich mit den dritten, die mit solcher Gewalt fortstürzen, dass sie kaum einmal für irgendeinen Zweck taugen. Man wagt weder, auf ihnen Kahn zu fahren, noch vertraut man ihnen irgendwelche Handelsgüter an, es sei denn nur streckenweise und nur zu gewissen Zeiten. Dies ist ein närrisches, verwegenes Wasser, das an die Felsen schlägt, mit schrecklichem Getöse dahinbraust und sich von nichts aufhalten lässt. Die zweite Art von Gewässern dagegen ist viel gefälliger und nützlicher: ihre bedächtige Würde gefällt, und sie sind mit Gütern ganz beladen, denn man kann auf ihnen ohne Furcht und Gefahr fahren.

Mit Hilfe der Gnade wird es möglich und nötig sein, diese drei Kräfte der verschiedenen Personen unter den drei Bildern, die ich eben vorangestellt habe, zu erkennen. Wir beginnen bei dem ersten, um glücklich mit dem letzten zu schließen.

I. Der aktive Lichtweg – Die wirkende Betrachtung

Diese erste Art von Menschen sind solche, die sich nach ihrer Bekehrung der Betrachtung (Bibel-Meditation) und den Werken der Nächstenliebe widmen. Sie sind streng gegen sich selbst, aber mehr äußerlich. Sie sind bemüht, sich Stück um Stück zu reinigen und gewisse offensichtliche Sünden zu vermeiden. Sie arbeiten gemäß ihrer kleinen Kraft, um weiter zu kommen, aber schwach und mit geringem Erfolg.

Da ihre Quelle nicht überreichlich fließt, lässt jede Dürre sie gewissermaßen austrocknen. Es gibt Zeiten, besonders in Trockenperioden, wo sie ganz versiegen. Sie hören zwar nicht auf, der Quelle zu entspringen, aber sie fließen so schwach, dass man es kaum wahrnehmen kann. Diese Flüsse tragen keine oder nur wenige Güter. Und wenn es nötig wird, dass man ihnen etwas aufbürdet, muss man durch Künstliches der Natur nachhelfen und Mittel finden, sie zu vergrößern, sei es durch Bau von Stauwerken oder durch das Zusammenlegen mehrerer gleichgearteter Flüsse: vereint zusammen haben sie durch die gegenseitige Ergänzung genug Wasser, wenigstens kleinere Boote zu tragen. Wenn sie auch nicht selbst ins Meer gelangen, so münden sie doch in einen der Mutterflüsse, von denen wir noch sprechen werden.

Diese Menschen sind gewöhnlich zu wenig um ihr Inneres bemüht. Sie wirken nach außen und betreiben kaum mehr als die Betrachtung und holen aus Bibel, Gebet und Gottesdienst nur für sich selbst die nötige Kraft. Auch sind sie großen Aufgaben nicht gewachsen. Sie führen gewöhnlich keine Güter mit sich, d.h., sie haben nichts für andere von Gott, und er kann sie auch höchstens dazu gebrauchen, kleinere Boote zu tragen, d.h., für einige Werke der leiblichen Barmherzigkeit. Auch zu diesen muss ihnen die Fähigkeit verliehen werden, es müssen ihnen entweder sinnliche Gnaden wie Dankbarkeit und Freude geschenkt werden, oder aber sie müssen mit ähnlichen Menschen in geistlichen Vereinen oder Bewegungen verbunden werden, wo sie in dieser Gemeinschaft zusammen es nicht unterlassen, die eine oder andere Last zu tragen, zwar nicht ins Meer, welches Gott ist, zu welchem sie in diesem Leben nie gelangen, wohl aber in einen der herrschenden Ströme.

Es ist aber nicht so, dass diese Seelen nicht auch auf diesem Weg das Heil erlangen. Es sind dort sogar eine ganze Anzahl vortrefflicher Menschen, die den Weg der Tugend gehen, aber nicht weiterschreiten. Gott gibt ihnen das Licht, was sie brauchen. Und sie sind von solcher geistlicher Schönheit, dass sie von allen bewundert werden, die ihr geistliches Leben auf die gewöhnliche Weise führen. Es gibt aber auch einige, die am Ende ihres Lebens vom Licht des Leidens empfangen, gemäß ihrer Treue, die sie auf ihrem Weg erwiesen haben. Gewöhnlich aber treten sie nie aus sich selbst heraus. Alle ihre Gnaden und ihr Licht, weil diese von erschaffener Art und ihrem Aufnahmevermögen entsprechend sind, werden unterschieden, wahrgenommen und begleitet von Wallungen der Inbrunst (Glut). Je mehr aber diese Lichter unterschieden, aufgenommen und von Inbrunst begleitet sind, desto mehr hängen sich diese Menschen daran, und sie finden daher in diesem Leben nicht das Größere, sondern begnügen sich mit den Gaben.

Im günstigsten Fall üben diese Menschen die Uneigennützigkeit aus. Sie unternehmen tausend heilige Unternehmungen und tausend Tugenden mit großen Praktiken, um Gott näher zu kommen, um sich in der Gegenwart Gottes zu erhalten. Dies alles jedoch geschieht auf Grund ihrer eigenen Anstrengungen, unterstützt und gefördert durch die Gnade. In diesen Menschen scheint das eigene Wirken das Wirken Gottes zu überwiegen, und Gottes Wirken verhält sich zu ihrem eigenen nur nachhelfend und verstärkend.

Ich glaube, wenn jemand diese Menschen zu einem höheren Gebet führen wollte, es würde ihm misslingen. Erstens deshalb, weil diese Menschen nichts Übernatürliches erhalten, es sei denn nach dem Maß ihrer Anstrengungen. Wenn man ihnen diese nimmt, so hemmt man auch den Strom der Gnaden. Sie sind den Pumpen gleich, die nur Wasser geben, solange man sie in Bewegung setzt. Als zweites kommt dazu, dass ihnen eine große Leichtigkeit zu vernünfteln eigen ist, eine Fertigkeit, sich mit eigenen Kräften zu helfen, ein immer starker Tätigkeitsdrang, eine große Findigkeit, immer neue Hilfen zur Vervollkommnung herauszufinden. In eine der Dürrezeiten haben sie aber Ängstlichkeit, diese Hilfen wieder zu verlieren und eine Ungeduld, ihre Fehler loszuwerden.

Ebbe und Flut wechseln fort und fort in diesen Menschen. Einmal stehen sie in der Wundermacht Gottes, ein andermal scheinen sie gar kein Leben mehr in sich zu haben. Und diejenigen, die eben noch flogen, beginnen zu kriechen. Nie ist ihr Gang gleichmäßig, ihre Hochstimmung von Dauer. Da ihr Gebet hauptsächlich aus ihrer eigenen Kraft kommt, also aktiv ist, so braucht nur diese Kraft einmal nachzulassen (durch schwindende Aktivität oder Nachlassen der Mitwirkung Gottes): sofort fallen sie in Missmut oder Verzagtheit oder sie zermartern sich in Selbstvorwürfen und Anstrengungen, um das aus eigener Kraft wieder zu finden, was sie verloren zu haben scheinen. Sie haben niemals jene heitere Meeresstille, jenen tiefen Frieden, jene „Ruhe des Volkes Gottes“ (Hebr. 4, 9+ 10), deren andere Menschen selbst mitten in Zerstreuungen sich erfreuen. Im Gegenteil, sie ereifern sich über solche Zerstreuungen, sie zerarbeiten sich, um sie loszuwerden und hören nicht auf, darüber zu wehklagen. Gewöhnlich sind sie voller Skrupel und stehen in der Gefahr, sich in den Irrungen ihrer Wege ganz und gar zu verlieren, es sei denn, dass sie mit einem besonders starken Geist begabt sind.

Diese Menschen darf man daher nicht zum passiven Gebet anhalten. Man würde sie damit rettungslos zugrunde richten, wenn man ihnen ihre Aktivität, ihr einziges Mittel, Gott näherzukommen, nimmt. Man denke sich einen Menschen, der eine Reise machen will, der aber weder Reisewagen noch Pferde hat, und der deshalb zu Fuß gehen muss: wenn man ihm nun auch noch die Füße raubt, ist er ganz außerstande, sich fortzubewegen. So auch jene Menschen: wenn man ihnen ihre Wirksamkeiten nimmt, die ihnen statt der Füße dienen, so werden sie nicht weiterkommen können. Das ist, wie ich meine, der Grund der Missverständnisse, die zwischen frommen Menschen auftauchen, die auf den inneren Wegen gehen. Diejenigen, die das passive Gebet üben, möchten in ihrer Begeisterung über das Gute, was ihnen daraus zufließt, alle anderen auf diesem Wege gehen sehen. Die anderen dagegen, die die verstandesmäßige Betrachtung verlangen, dass jedermann sich auf diese beschränken solle, was doch ein unaussprechlicher Verlust und Schaden wäre. Was soll man tun? Man soll sich in der Mitte halten und herausfinden, ob ein Mensch für den einen oder den anderen Weg taugt.

Der erfahrene Seelsorger wird diese erste Gruppe von Menschen leicht erkennen können an ihrer Widerspenstigkeit, an ihrem Unvermögen, sich ruhig zu verhalten und sich durch Gottes Geist führen zu lassen, auch an der Menge der Schwächen und Gebrechen, worin sie fallen, ohne sie zu sehen oder sie zu erkennen.

Wenn es Menschen von besonderer menschlicher Klugheit und Verstand sind, erkennt man sie an einer gewissen Gewandtheit, sich selbst und anderen ihre Mängel zu verbergen, an der Voreingenommenheit für ihre eigenen Meinungen und schließlich an einer Menge von Fehlern, die leichter wahrgenommen als ausgesprochen werden können.

Soll man solche Menschen denn ihr ganzes Leben lang in der natürlichen und vernunftmäßigen Strebsamkeit lassen? Ich möchte glauben, dass ein erfahrener Seelsorger (wenn sie so glücklich sind, einen solchen zu finden) es nicht unterlassen wird, ihnen weiterzuhelfen.

Unzählige Menschen, die nicht glauben für etwas anderes geeignet zu sein, als für die Betrachtung, würden bis zur höchsten Stufe der Vollkommenheit voranschreiten, wenn sie einen Seelsorger anträfen, der selbst so weit gekommen ist. Er würde ihnen unendlich nützen, indem er sie voranschreiten ließe soweit es nur immer in Gottes Plan ist, weder der Gnade voreilend noch zögernd, ihr zu folgen, sondern mit ihr Hand in Hand arbeitend, dass sich die Menschen ihrem Einfluss umso williger fügen. Ein Seelsorger der gewöhnlichen Art hemmt dagegen die Menschen, hindert ihr Fortschreiten und endet damit, sie sich selber zuzueignen.

Der erfahrene Seelsorger wird diese seine Pflegebefohlenen nach und nach daran gewöhnen, weniger zu vernünfteln und dafür desto mehr zu lieben. Er wird ihren verstandesmäßigen Eifer nach und nach bremsen und an seine Stelle die wahre Hingabe und Zuneigung zu Gott setzen. Wenn er dann wahrnimmt, dass diese Menschen allmählich einfältiger werden, dass sich die Sucht, nach verstandesmäßiger Erbauung verliert und dass es ihnen wichtiger wird, zu lieben statt zu grübeln, so dient ihm das als Zeichen dass diese Menschen im Begriff sind, vom rein Natürlichen zum Geistlichen (Übernatürlichen) zu gelangen.

Hier ist jedoch zu bemerken, dass in dem Falle, wenn die verstandesmäßige Erbauung aus bloßer Schwäche unterlassen wird, so dass diese Menschen gar nicht lieben, sondern sich einem dumpfen Hinbrüten hingeben, der Seelsorger sie wieder zu den ersten Übungen anleiten muss. Wenn das nicht auf dem Wege das Verstandes gelingt, dann doch durch die Geneigtheit des Willens. Denn diejenigen, die unter dem Einfluss der Gnade anfangen, trocken und dürre zu werden, sind keinesfalls umso unvollkommener, je trockener und dürrer sie erscheinen. Sie fühlen sich vielmehr getrieben, in die Mit-Kreuzigung ihres Ichs einzuwilligen und dem vermissten Licht mit erhöhter Hingabe zuzustreben. Man muss ihnen daher zur Hilfe kommen und sie anhalten, sich mehr mit dem Willen hinzugeben, als sich mit klugen Gedanken anzufüllen. Man darf nicht dulden, dass sie sich der Ruhe hingeben, sondern man muss sie eilen lassen, natürlich nur nach dem ihnen gegebenen Maß des Vermögens, bis es Gott gefällt, ihre Arbeit zu erleichtern und ihren mühseligen Gang zu beschleunigen, indem er ihnen etwa einen helfenden Freund entgegensendet, der sie stützt, oder um in unserem Bild zu bleiben, bis dieses kleine schwache Bächlein jenen graderen Fluss oder mächtigen Strom findet, der es in sein Flussbett aufnimmt und es mit sich fortreißt bis zum Meer.

Ich weiß nicht, warum man so heftig schreit gegen Bücher über das geistliche Wachstum und Personen, die über das innere Leben schreiben oder reden. Ich behaupte, dass weder diese noch jene Schaden anrichten können, es sei denn für solche Menschen, die mutwillig verlorengehen wollen. Solchen aber würde nicht nur dieses, sondern alles andere zum Schaden gereichen. Sie gleichen den Spinnen, welche sogar aus den Blumen Gift saugen. Was aber die Demütigen und nach der Vollkommenheit strebenden Menschen betrifft: ihnen kann das Gelesene oder Gehörte um so weniger schaden, als es unmöglich ist, dass ein Mensch (wie bei der Bibel) ohne geistliche Erleuchtung diese Dinge begreifen oder benutzen kann.

Wenn es an diesem geistlichen Verständnis fehlt, so mag man lesen, was man will: man wird keine richtige Vorstellung von diesen Zuständen gewinnen, weil sie übernatürlich, geistlich sind und nicht unter die natürliche Vorstellungskraft fallen, wohl aber unter die Erfahrung. Selbst, wenn ein Leser, ohne es zu verstehen, sich Ausdrücke merkt und, um als ein „Eingeweihter“ zu erscheinen, sich ihrer bedient, würde der erfahrene Seelsorger durch Frage und Antwort den Betrug bald merken. Dazu kommt noch, dass diese geistliche Erfahrung viele andere voraussetzt und, dass die Vollkommenheit mit dem inneren Fortschreiten gleichen Schritt hält. Das heißt nicht, dass Menschen, die im inneren Leben vorangeschritten sind, keine Gebrechen mehr an sich haben könnten, die größer scheinen als die Fehler derer, die den Weg erst begonnen haben. Aber diese Mängel sind weder gleich in ihrem Wesen noch in ihrer Qualität.

Der zweite Grund, weshalb ich sage, dass diese Bücher keinen Schaden anrichten können, ist dieser: in ihnen wird, wie z.B. in der Bergpredigt und den anderen Reden Jesu, von so vielen Toden geredet, die man erleiden, so vielen Absagen, die man vollziehen, so vielen Dingen, die man überwinden oder kreuzigen muss, dass der Mensch in sich niemals Stärke genug haben wird, sich auf das alles einzulassen, wenn sein Inneres nicht aufrichtig ist. Und gesetzt, er unternähme es doch, so würden allein seine Übungen schon ihn zu dem Ergebnis seiner Betrachtung verhelfen, dass man nämlich in die Mitkreuzigung bewusst eingehe. Der ganze Unterschied besteht darin, dass ein solcher Mensch nicht aus einem göttlichen, sondern nur aus einem tugendhaften Grund handeln würde.

Und das kann der erfahrene Seelsorger leicht feststellen.

Deshalb sollte ein Mensch sich niemals selber führen, aber auch nicht fürchten, einen allzu erleuchteten Seelsorger zu haben. Es hieße sich selbst zu betrügen, wenn man einen weniger strengen suchen wollte. Es ist Feigheit, dem Geist Gottes Schranken setzen zu wollen, indem man seine eigene Vervollkommnung auf dieses oder jenes Teilziel beschränkt. Ich folgere daraus, man sollte immer den geistlichsten Seelsorger erwählen. Ein solcher wird dir helfen, wo du auch immer stehst. Auch wenn du nichts Übernatürliches zu erwarten wagst: Gott wird dir durch diesen seinen geliebten Diener gewähren, was dir selbst direkt nicht gewährt worden wäre.

Was aber diejenigen Seelsorger anbelangt, die die Menschen sich selber aussuchen, und die nach ihrer eigenen und nicht nach Gottes Weise führen, die seiner Gnade Schranken setzen wollen, und das Fortschreiten des Menschen begrenzen, die nur einen, von ihnen selbst festgelegten Weg kennen und verlangen, dass alle Welt nur diesen Weg geben soll: die Schäden, welche sie den Menschen zufügen, sind ohne Heilmittel. Sie halten die Menschen an, ihr ganzes Leben hindurch Dinge zu tun, die Gott hindern, sich ihnen bis ins Unendliche mitzuteilen. Welche Rechenschaft werden sie geben müssen für ihre Seelsorge an diesen Menschen! Wenn sie kein Licht haben, sie weiter zu führen, warum lassen sie sie nicht gehen und andere fortgeschrittenere Seelsorger suchen? Sie sollten genug Liebe haben, um dies selbst zu empfehlen. Es dünkt mich, man müsse in dem geistlichen Leben so vorgehen, wie man es in der Schule macht. Man lässt die Schüler nicht immerfort in derselben Klasse sitzen. Man lässt sie in die höheren Klassen aufsteigen, und die Lehrer der unteren Klassen maßen sich nicht an, Philosophie zu unterrichten.

O menschliche Wissenschaften, ihr seid so gering und trotzdem unterlässt man es nicht, bei euch so viel Sorgfalt anzuwenden! O geheime und göttliche Wissenschaft, du bist so groß und notwendig, und dennoch versäumt man dich, man beschränkt dich, engt dich ein, man tut dir Gewalt an! Wird es denn nie eine Schule des Gebets geben? Doch was sage ich: eben weil man sein Schulstudium daraus machen wollte, hat man alles verdorben. Man hat dem Geist Gottes Maß und Regel geben wollen, während er sich mitteilen will „ohne alles Maß“.

Es gibt keinen Menschen, der nicht beten könnte, der es nicht könnte und sollte. Selbst die rohesten und abgestumpftesten Menschen können beten. Ich kenne solche, die eine unüberwindliche Unfähigkeit zum Gebet zu haben schienen, die deshalb schon alle Hoffnung, es sich anzueignen, aufgegeben hatten und nach einem Ansatz dazu sofort wieder aufhörten. Als sie sich an mich wandten, nötigte ich sie, im Gebet fortzufahren (Psalm 103), ungeachtet ihres Widerwillens und des geringen Nutzens, den sie davon verspürten. Sie hielten sich nämlich für völlig unfähig zu solchen geistlichen Übungen. Diese Unfähigkeit verschwand aber, und sie gelangten nach einigen Jahren sogar zu einer sehr erhabenen Stufe des eingegossenen Gebetes.

Wenn die gleichen Menschen einen der oben beschriebenen Seelsorger angetroffen und ihm bekannt hätten, dass sie seit mehreren Jahren das Gebet geübt haben, ohne in der Betrachtung und Vollkommenheit vorangekommen oder von der Liebe Gottes entzündet worden zu sein: sie hätten ohne Zweifel die Versicherung vernommen, dass solches ein Beweis sei, Gott habe sie nicht zu so hohen Dingen berufen.

Arme, ohnmächtige Menschen! Ihr seid tauglich, den Willen Gottes zu tun, und wenn ihr treu seid, werdet ihr bessere Beter, als jene großen Vernünftler, die mehr Studien über das Gebet betreiben, als zu beten.
Ich sage sogar, die armen verkannten Menschen, die so ohnmächtig und untüchtig zum Gebet zu sein scheinen, sind gerade am empfänglichsten für die Beschauung, wenn sie nicht ermüden, an die Tür zu klopfen und in Geduld und Demut zu warten, bis sie ihnen geöffnet wird. Jene großen Vernünftler, jene starken Verstandesmenschen, die sich kaum einen Augenblick in der Stille vor Gott zu erhalten vermögen, deren Reichtum so sehr bewundert wird, deren Redegewandtheit nie versiegt die so perfekt Rechenschaft zu geben wissen von ihrem Gebet und jedem seiner Bestandteile, die jeden beliebigen Stoff scharfsinnig betrachten können, die sich nach bestimmter Regel und Ordnung und mit Methode geistlich aufbauen: die werden nicht weiter gelangen, so zufrieden sie auch mit sich und mit ihren Lichtern sind. Nach zehn- und zwanzigjähriger Übung werden sie noch immer auf demselben Punkt stehen. Ob man uns am Ende auch noch nach Schulmethode lehren will, wie man die Liebe Gottes lieben müsse? Bedarf es einer Vorschrift, wenn es gilt, ein armes Geschöpf zu lieben? Sind nicht gerade hier die Einfältigsten die Besten? Gerade so ist es mit der göttlichen Liebe, freilich in einem höheren Sinn.

Darum, du Seelsorger: wenn dir ein Mensch, der im Gebet unerfahren ist, mitteilt, ihn diese hohe Übung zu lehren, lehre zu lieben! Lehre ihn, sich blindlings in die Arme der Liebe zu stürzen, und bald wird er Meister der allererhabensten Wissenschaft sein. Auch wenn er von Natur keine Anlage zu lieben hat: lass ihn lieben so gut er es kann. Lass ihn in Geduld warten bis die Liebe selbst ihn das lieben lehrt nach ihrer Weise, nicht nach der deinen. Für die Anfänger sind kurze, einfache, die Vernunft wenig, aber das Herz um so mehr ansprechende Inhalte die geeignetsten. Die solide Wahrheit, das Licht der Heiligen Schrift und die Stunden des Gebetes, in denen sie verarbeitet werden, bringt ihnen ebenso viel ein, wie die Betrachtung. Aber die Gebetszeiten sollen ausgenutzt werden, recht viel zu lieben.

II. Der passive Lichtweg – Gaben das Geistes, Gnadenwirkungen und Kräfte

Die zweite Gruppe von Menschen gleicht jenen gerader Flüssen, die langsam, ernst dahinfließen, mit Pracht und Majestät. Ihr Lauf ist bedächtig und in bestimmter Ordnung. Reich beladene Schiffe schwimmen auf ihnen auf der ganzer Weite ihres Weges. Das Meer könnten sie wohl allein erreichen, aber wegen der Langsamkeit und Gemächlichkeit ihres Laufes gelangen sie nur recht spät oder überhaupt nicht dorthin, denn die Meisten begnügen sich damit, sich in anderen, größeren Flüssen zu verlieren oder in einen Meeresarm oder See auszufließen. Vor allen anderen sind sie geeignet, dem Güter- und Warenverkehr zur Verfügung zu stehen. Sie dulden es, durch Schleusen gestaut oder abgeleitet und in andere Richtung gebracht zu werden. So sind diejenigen Menschen, die den passiven Lichtweg gehen. Ihre Quelle sprudelt reichlich und in Überfluss. Sie sind beladen mit Gaben, Gnaden und himmlischen Gütern. Sie sind die Bewunderung ihres Jahrhunderts. Viele Heilige, die am kirchlichen Himmel wie Sterne erster Größe funkeln, sind über diesen Grad nie hinausgelangt.

Diese Menschen sind von zweierlei Art. Die einen haben angefangen mit dem gewöhnlichen Weg, sind aber später in passive Beschauung hinübergezogen worden durch die Güte Gottes, der sich über ihre dürre, unfruchtbare und vergebliche Arbeit erbarmte oder auch ihre ernste Treue belohnte.

Die anderen werden gleichsam auf einen Schlag in Besitz genommen. Sie werden ergriffen im Herzen selber und fühlten sich in Liebe entbrannt, ohne den Gegenstand ihrer Liebe recht zu erkennen. Denn das ist der Unterschied zwischen der göttlichen und der menschlichen Liebe, dass die letztere die Erkenntnis des Gegenstandes voraussetzt, denn dieser ist sinnlicher Art. Nur von den Sinnen kann er erfasst werden. Und das ist nicht möglich, wenn er sich den Sinnen nicht darstellt. Die Augen sehen und dass Herz liebt. So verhält es sich nicht mit der göttlichen Liebe. Es ist nicht nötig, dass Gott von Menschenherzen zuvor erkannt wird, denn er ist ja Grund und Ziel des Herzens. Er nimmt es in Besitz wie im Sturm, und das Herz kann sich seiner nicht erwehren. Es lodert auf in einem Augenblick. Blitze auf Blitze treffen es, blenden es, entzünden es und führen es davon.

Nichts ist so leuchtend, so brennend, als diese Menschen. Die Seelsorger sind entzückt, sie unter ihrer Führung zu haben. Und da die Bemühungen dieser Menschen nicht bis zum Wesen vordringen, so gelangen sie bald zu dem Grad der Vollkommenheit, welchen ihr augenblicklicher geistlicher Stand zulässt. Denn, da Gott von ihnen im Augenblick keine so tiefgreifende Reinigung verlangt, wie von den Menschen der nachfolgenden Ordnung, so sind ihre Mängel bald verblasst und ihre Fehler wie verwaschen.

Diese Menschen erscheinen allen, die kein göttliches Unterscheidungsvermögen haben, wesentlich herrlicher und größer als die folgenden. Denn sie gelangen dem Äußeren nach zu einer leuchtenden Vollkommenheit, da Gott ihre natürliche Empfänglichkeit, ihr Fassungsvermögen, bis zu einem bewundernswürdigen Umfang erweitert. Sie haben erstaunliche Erfahrungen der Gegenwart Gottes: Gott kommt ihrem Fassungsvermögen entgegen und erhöht es. Dennoch verlieren diese Menschen sich selbst nie, und Gott zieht sie nicht (gegen ihren Willen) aus ihrem eigenen Sein heraus, um sie in sich selbst zu versenken.

Diese Menschen sind die Bewunderung und das Erstaunen der Menschen. Gott gibt ihnen Gaben über Gaben, Gnaden über Gnaden, Licht über Licht, Gesichte, Offenbarungen, innere Worte. Sie werden verzückt, entrückt, dahingerissen. Es scheint, als ob Gott keine andere Sorge habe, als nur diese Menschen zu bereichern und zu verschönern, ihnen seine Geheimnisse mitzuteilen. Alle Süßigkeiten sind nur für sie.

Das heißt nicht, als ob sie nicht schwere Kreuze zu tragen hätten und starke Versuchungen zu überwinden. Aber diese sind wie Schatten, die nur dazu dienen, den Glanz ihrer Tugenden zu erhöhen. Die Versuchungen werden mit Nachdruck abgeschlagen, ihre Kreuze tragen sie mit Kraft. Sie wünschten sogar davon noch mehr. Sie sind ganz Feuer und Flamme, ganz Sehnsucht, ganz Liebe. Sie haben einen Heldenmut, der bereit ist, das Allerschwerste auf sich zu nehmen.

Sie sind für ihre Zeit ein Zeichen, für ihr Jahrhundert ein Wunder. Auch bedient sich Gott ihrer, um wirkliche Wunder zu tun. Es scheint so, dass sie nur etwas zu erbitten brauchen, und es wird ihnen sofort gegeben. Es scheint so, als wenn Gott seine Lust daran hat, ihr Verlangen zu erfüllen und ihren Willen zu tun. Auch gehen sie weit in die Mitkreuzigung ein. Ihr Ernst ist entschieden, ihre Strenge ehrfurchtserregend, bei den einen mehr, bei den andere weniger, denn es gibt in jedem Stande Stufen, und nicht alle, die in einem Stande stehen, gelangen zu dessen höchster Stufe.

Der Seelsorger kann diese Menschen fördern oder ihnen sehr helfen. Wenn er aber ihren Weg nicht erkennt, wird er ihren Weg entweder bekämpfen und ihnen viel Not machen, wie es der heiligen Theresia geschah, oder, was weit schlimmer ist, er wird sie bewundern, und es sie merken lassen, wie sehr er sie bewundert. Dadurch nehmen sie um so mehr Schaden, denn dadurch kommt es, dass sie sich zu sehr und zu lange mit sich selbst beschäftigen und bei den Gaben stehen bleiben, statt, dass diese ihnen nur dienen, zum Geber zu gelangen.

Die Absicht Gottes, weshalb er ihnen seine Gnaden mit solcher Verschwendung zuteilt, ist die, dass sie umso leichter und schneller zu ihm geleitet werden möchten. Sie aber gebrauchen sie zu einem ganz anderen Zweck. Sie bleiben dabei stehen, sie betrachten sie, sie bespiegeln sich in ihnen, sie schreiben sie sich selber zu. Daraus entspringt nichts als Eitelkeit, Selbstachtung, Geringschätzung anderer Menschen im Vergleich zu sich selber, ja auch Verlust und Verderben des inneren Lebens.

Diese Menschen sind an und für sich bewundernswert. Auch können sie manchmal mit einer besonderen Gnade imstande sein, andere sehr zu fördern. Besonders dann, wenn sie einst selber besondere Sünder gewesen sind. Gewöhnlich sind sie aber weniger geschickt zur Leitung als diejenigen, von denen wir noch sprechen werden. Weil sie nämlich stark in Gott sind und auf einer erhabenen Stufe stehen, verabscheuen sie die Sünde und zugleich mit ihr leider auch den Sünder. Sind sie zur Aufsicht und zur Leitung berufen, so sind sie hart und streng. Sie haben nicht jene Art des mütterlichen Mitleids für die Sünder. Vielmehr entsetzen sie sich und ereifern sich über das Elend, das man ihnen enthüllt, weil sie es persönlich kaum kennen gelernt haben. Sie verlangen, dass die anderen ebenso fest und stark sein sollen, wie sie sich selber fühlen. Sie zeigen ihnen aber nicht, wie sie nach und nach zu dieser Festigkeit gelangen können. Werden ihnen Menschen anvertraut, die sich gerade in einem vielleicht nur vorübergehenden Zustand der Ermattung befinden, so können sie ihnen nicht ihrem geistlichen Wachstum gemäß nach dem Plan Gottes helfen, ja, sie verwirren sie vielleicht und machen sie irre an sich selbst.

Sie haben Mühe, mit unvollkommeneren Menschen ins Gespräch zu kommen, ziehen ihre Einsamkeit vor, und ihr Weg hat alle Unbequemlichkeiten der Liebe.

Hört man solche Menschen reden, und man hat nicht göttliche Erleuchtung so könnte man denken, dass sie auf demselben Weg mit der folgenden letzten Gruppe sind, ja schon weitergekommen waren als diese. Sie reden ganz die Sprache dieses dritten Weges. Sie bedienen sich derselben Ausdrücke vom Sterben, vom Verlassen, vom Verlieren usw. und es ist wahr, auch sie sterben, verlieren und verlassen, jedoch auf ihre Weise. Denn oft werden ihnen während des inneren Gebets die Kräfte gehemmt und gelähmt. Sie verlieren die Fähigkeit, sie zu gebrauchen und mitzuwirken. Denn alles, was sie empfangen, empfangen sie passiv. Und deshalb ist ihr Stand ein Stand des Leidens, jedoch im Licht, in Liebe, in Kraft. Wenn man die Dinge näher untersucht und mit ihnen sich tiefer einlässt, so wird man finden, dass ihr Wille vortrefflich, ja selbst bewunderungswürdig ist.

Ihre Wünsche sind sehr groß und erhaben. So dringen sie in die Vollkommenheit ein, soweit sie es nur vermögen. Sie sind gelöst und lieben die Armut. Dennoch ruhen sie noch in der Eigenheit und werden selbst, was ihre Tugenden betrifft, immer in der Eigenheit bleiben, jedoch auf eine so zarte Weise, dass nur das göttliche Auge es noch wahrnimmt.

Die meisten Heiligen, deren Leben so bewundert wird, sind auf diesem Weg geführt worden. Diese Menschen sind so mit Gütern beladen, dass sie nur langsam vorwärts kommen. Was soll man an diesen Menschen tun? Werden sie nie über diesen Weg hinauskommen? Nie ohne ein Wunder der Güte Gottes! Nie ohne Führung durch wahrhaft göttliche Leitung, die diese Menschen lenkt, weder den sie überströmenden Gnaden zu widerstehen, noch auf sie mit Selbstgefälligkeit zurückzublicken, im Gegenteil, über sie hinwegzueilen, ohne sich auch nur einen Augenblick bei ihnen aufzuhalten. Denn dieses Verweilen hemmt, und die Hemmung kann leicht ins Stocken übergehen.

Der Seelsorger muss diesen Menschen zu erkennen geben, dass es noch einen anderen und sichereren Weg für sie gibt, den Weg des dunklen Glaubens (2. Kor. 5, 7), dass Gott ihnen jene Gnaden nur um ihrer Schwachheit willen zuteilt. Der Seelsorger muss sie anleiten, vom Sinnfälligen zum Übersinnlichen voranzuschreiten, von dem Wahrgenommenen und Wahrnehmbaren zu den Tiefen und Dunkelheiten des Glaubens.

Er muss sie merken lassen, dass er nicht viel von allen jenen Lichtern und Gnaden hält. Er darf nicht zulassen, da sie darüber schreiben, es sei denn, da jemand auf seinem Weg so fortgeschritten und zu Kenntnissen gekommen ist, die anderen zu wissen nötig wären. Und auch dann ist es besser, wenn er nicht schreibt. Was es auch mit diesen Erkenntnissen auf sich hat, man muss auf solche Dinge nicht bauen, sondern lediglich auf Gott. Es ist gut, Absichten Gottes zu erkennen und an ihrer Ausführung zu arbeiten. Aber nur Gott gebührt es, die Mittel darzureichen und was geschehen soll, zur Ausführung zu bringen. Nur auf diese Weise ist man nämlich sicher, dass man sich nicht selbst betrügt.

Es ist unnötig unterscheiden zu wollen, ob diese Dinge von Gott seien oder menschlich, weil man sowieso über sie hinweggehen soll. Sind sie von Gott, so werden sie durch seine Vorsehung in Erfüllung gehen, der wir uns überlassen haben. Sind sie nicht von ihm, sondern aus dem Eigenen, so werden wir wenigstens nicht betrogen sein, da wir uns nicht dabei aufhielten.

Menschen dieses Weges wird es weit schwerer, in den Weg des Glaubens einzugehen, als denen des ersten. Gewöhnlich gehen sie auch niemals dort ein, es sei denn, dass Gott eine außergewöhnliche Absicht hat und sie zur Führung für andere bestimmt. Weil nämlich das, was sie haben, so groß und so stark durch Gott ist und sie sich dessen gewiss sind, weil sie sogar das, was sie vorhergesagt haben, in Erfüllung gehen sahen; so glauben sie nicht, das es etwas Größeres in der Kirche Gottes geben könnte. Darum bleiben sie daran kleben. Diese Menschen sind klug, schlau und voller Eifer, ja fast zu erfüllt mit Feuereifer gegen die Schwachen und die Sünder. Es wird ihnen nicht oft vorkommen, einen falschen Schritt zu tun, so sicher sind sie sich ihres Weges. Was sie aber wollen, das wollen sie sehr unvollkommen und sehr heftig. 0 Gott, wie viele geistlich Eigengeprägte gibt es doch, die nach außen so tugendhaft aussehen, die aber keinen hohen Grad der Erleuchtung haben, aber große Fehler und gefährliche Gebrechen für die Sehenden! Denn die Menschen dieses Weges betrachten das als Tugend, was denen des nächsten Weges als Fehler erscheint. Doch ihnen selbst bleibt das verborgen, und sie fassen es nicht einmal, wenn man darüber redet.

Diese Menschen sind fest in ihren Meinungen, und weil ihre Gnade groß und stark ist, halten sie umso sicherer daran fest. Ihr Gehorsam ist geregelt und abgemessen, und große Klugheit leitet ihre Maßnahmen. Kurz, sie selbst sind stark und lebendig in Gott, obgleich sie den Anschein haben, als wären sie allem abgestorben. Was ihr eigenes Wirken betrifft, sind sie ihm auch tatsächlich gestorben, denn sie empfangen die Lichter passiv. Nicht mit Christus gestorben sind sie, was den tiefsten Grund betrifft.

Diese Menschen haben auch die innere Stille (Psalm 62, 2), den köstlichen Frieden (Psalm 119, 165), gewisse Erfahrungen der Gegenwart Gottes (Matth. 17, 4), die sie wahrnehmen und gut darüber reden können. Aber sie haben nicht jenen geheimen Hang, nichts zu sein, der den Menschen des dritten Wegs eigen ist.

Auch sie vermeinen zwar, zu diesem Nichts gelangt, „Mit Christus gestorben“, zu sein, da sie ihre Niedrigkeit wahrgenommen haben vor der unermesslichen Größe Gottes. Aber all dies ist mehr eine Empfindung des Nichts, die selbst noch wieder in den Tod eingehen muss. Man hat das Gefühl des Nichts, aber man hat nicht die Wirklichkeit. Eben das Bewusstsein dieser Wirklichkeit dient dem Menschen noch als Stütze und muss wegfallen, um wirklich in die Mitkreuzigung einzugehen. So gefallen sich jene Menschen daher auch in diesem Stande. Mehr, als in jedem anderen, denn er erscheint dem Bewußsein sicherer, und sie wissen das gut.

Diese Menschen gelangen gewöhnlich nicht eher zu Gott, als bei ihrem Tode, wenige Erwählte ausgenommen, die etwa dazu bestimmt sind, hell brennende Lichter in der Kirche zu sein. Oder sie sind berufen, auf eine außergewöhnliche Weise geheiligt und vollendet zu werden, indem sie von Gott allmählich aller Schätze und Zierden, mit denen sie sonst geprangt haben, entkleidet werden. Da aber wohl nur wenige den Mut haben, nach so langem Besitz so großer Güter verlieren zu wollen, so kann Gott dies ihnen auch nicht zumuten, und sie kommen leider über diesen Weg nicht hinaus, es sei denn, dass Gott die Absicht hat, dass sie gerade diese von den „vielen Wohnungen im Vaterhause“ bewohnen sollen und keine andere, oder das die Schuld an den Seelsorgern liegt, die ihre Pflegebefohlenen für ganz und gar aus der Gnade herausgefallen halten, wenn sie so herrliche Gaben und Kräfte wieder verlieren. Überlassen wir den Grund und die Ursache dem unerforschlichen Ratschluss Gottes! Manche von diesen Menschen haben nicht diese Gnadengaben, sondern nur eine gewaltige und geheime Kraft, eine geheime Liebe, sanft und still, allgemein und nachdrücklich, die ihre Vollkommenheit und ihr Leben vollenden. Diese Menschen sind geschickt, ihre Fehler zu verbergen und zu bemänteln, sie geben ihnen immer eine Färbung oder einen Vorwand.

Die Prüfungen der jetzt beschriebenen Menschen sind ebenso außerordentlich wie ihr Stand. Sie kommen vom Teufel. Obwohl diese Prüfungen extrem heftig sind und auch allen anderen ebenso zu sein scheinen wie diejenigen, über die wir noch reden werden, so dienen auch diese ihnen noch zur Stütze. Sie sind dem Teufel ausgesetzt, der sie mit aller Macht sichtet, so viel er kann, aber sie werden ganz und hell bewahrt trotz der entsetzlichen Angriffe, womit die bösen Geister sie bestürmen. Es bedarf eines sehr großen Lichtes, um die geheime Stütze wahrzunehmen, die in einem so schrecklichen Zustand noch vorhanden ist, aber die Erfahrung lässt sie erkennen.

III. Der Nachtweg – Der nackte Glaube

„Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben von deinem ganzen Herzen und von deiner ganzen Seele und von deinem ganzen Gemüt! Dies ist das erste und größte Gebot“. (Matth. 22, 37-38)

Was sollen wir von den Menschen des dritten Weges sagen? Sie sind wie die Ströme, die vom Kamm der Gebirge herabstürzen. Sie brechen aus Gott selbst hervor und ruhen keinen Augenblick, bis sie sich wieder in ihn verloren haben. Nichts hemmt sie. Sie sind mit nichts beladen. Sie sind ganz nackt und brausen mit einer Schnelligkeit fort, die auch dem Beherztesten Angst einjagt. Diese Sturzbäche eilen ohne Ordnung und Maß hierhin und dorthin, durch alle Begrenzungen hindurch. Ohne sich an ihr eigenes Flussbett zu binden, suchen sie sich überall einen Durchbruch zu schaffen. Ja, sie haben gar kein eigenes Flussbett wie die anderen, noch folgt ihr Wasser bestimmten Regeln. Man sieht sie sich ohne Aufenthalt ihren eigenen Weg bahnen. Sie zerschellen am Felsen. Sie stürzen tosend den Abhang hinab, werden gebrochen, aufgelöst in Schaum und Gischt. Aber durch das Fallen gewinnen sie nur neue Stärke. Infolge des Erdreichs, das sie in ihrem schnellen Lauf mit sich fortreißen, wird ihr Wasser manchmal trübe. Zu Zeiten verlieren sie sich in Schluchten und Abgründen. Man sieht sie nicht mehr und glaubt, sie seien für immer verschwunden. Plötzlich brechen sie neu hervor, aber nur, um bald in noch tiefere, finstere Schluchten zu stürzen. Bis sie endlich nach langem Irrweg, auf dem sie häufig zergeißelt und zerschellt worden waren, sich mehrmals verloren und wiederfanden, das Meer erreichen und sich in ihm verlieren, um sich nie wieder zu finden. Und hier ist es, wo dieser Strom, der noch ebenso arm und gering, so unnütz und von allen Gütern entblößt gewesen war, auf eine wunderbare Weise bereichert wird. Denn jetzt ist er reich, nicht mit eigenem Reichtum wie die anderen Flüsse, um nur einige Seltenheiten oder eine gewisse Menge von Gütern.

Mit sich zu führen, sondern er ist reich mit den ganzen Reichtümern des Meeres selber. Nun trägt er auf seinem Rücken die allergrößten und mit den kostbarsten Schätzen der Welt beladenen Schiffe. Es ist das Meer, das sie trägt, und zugleich ist er es, denn seitdem er sich in das Meer verloren hat, ist er nur noch eins mit dem Meer. Es muss allerdings bemerkt werden, dass dieser mit dem Meer vereinte Strom keineswegs sein Wesen einbüßt obwohl er so verlorengegangen und verwandelt worden ist, dass man ihn nicht wieder erkennt. Er ist noch immer, wer er war. Obgleich er sich in das Meer gemengt und verloren hat, so gilt dies doch nicht vom Wesen des Stromes, es betrifft nur seine Beschaffenheit. Nur diese letztere geht verloren, weil er die Beschaffenheit des Meerwassers so sehr annimmt, dass man nicht weiterhin unterscheiden kann, was ihm selbst gehört. Ja, je tiefer er sich in das Meer einsenkt und je länger er darin verweilt, desto mehr verliert er die eigene Beschaffenheit, um die des Meeres anzunehmen. Wozu ist dieser arme Strom nun geschickt und tauglich? Sein Aufnahmevermögen ist grenzenlos, weil es dasselbe des Meeres ist. Seine Reichtümer sind unermesslich, obwohl er davon keine aus sich selbst besitzt. Es sind die Reichtümer des Meeres. Nun ist er reich genug, um die ganze Erde zu bereichern. O Glückseligkeit des Selbstverlierens: wer vermag sie zu beschreiben und wer den Gewinn, den dieser unnütze zu nichts brauchbare Strom gewonnen hat, der noch jüngst verachtet und gefürchtet wurde, dem niemand auch nur den ärmlichsten Kahn anzuvertrauen wagte, weil er, der sich selbst nicht zu erhalten taugte, in die Abgründe, worin er sich verlor, unvermeidlich auch diesen hinabgerissen hatte. Was sagt ihr zu dem Los dieses wilden Wassers, ihr großen und stattlichen Flüsse, die ihr mit solcher Majestät dahinreist, die ihr die Freude und Bewunderung der Völker seid, die ihr frohlockt über die Menge der Güter, die auf eurem Rücken fortgeführt werden?

Das Los dieses armen Stromes, auf den ihr herabgesehen habt, wenn nicht mit Verachtung so doch mit Mitleid, wie hat es sich gewendet! Der, der noch jüngst unnütz schien und gänzlich unbrauchbar zu jedem gemeinnützigen Zweck, was hat er heute für Möglichkeiten? Oder, besser gesagt: was könnte er heute nicht tun? Was ist, was ihm noch mangelt? Ihr seid jetzt seine dienenden Mägde! Ihr geht, ihm seine Schätze zu entnehmen, ihr kommt, ihm neue zuzutragen.

Bevor wir jedoch von der Seligkeit eines in Gott so verlorenen Menschen reden, müssen wir von den Anfängen dieses Weges berichten und ihn durch seine vielen Abstufungen verfolgen.
Wenn also die Seele von Gott ausgegangen ist, hat sie auch eine unstillbare Sehnsucht, in ihn zurückzukehren. Gott ist ihr Urgrund, Gott ist aber auch ihr Endziel. Ihr Lauf wäre unaufhörlich, wenn er nicht durch die Sünde und stetige Untreue unterbrochen, gehindert, oder ganz und gar gehemmt würde. Hieraus entspringt eben das immerwährende Treiben und Schwanken des Menschenherzens, das keine Ruhe finden kann, bis es wieder eingegangen ist in seinen Urgrund, in sein Zentrum, welches Gott ist, „auf das Gott sei alles in allem“. Ähnlich wie das Feuer, wenn es seiner Sphäre entrückt ist, in unaufhörlicher Aktion ist, und nicht eher wieder zur Ruhe gelangt, bis es jene Sphäre wieder gefunden hat; wenn dann, Kraft eines natürlichen Wunders, dieses Element, das an und für sich selbst so aktiv ist, dass es jeden Körper durch seine Wirksamkeit verzehrt, dann sofort zu wirken aufhört um in der vollkommensten Ruhe zu verharren.

O ihr sehnsüchtigen Menschen, die ihr in diesem Leben die Ruhe sucht, glaubt fest, dass ihr sie nirgends finden werdet, als in Gott. Setzt alles dran, wieder in ihn einzugehen, und all eure Sehnsucht und euer Drängen, all eure Neigungen, Anhänglichkeiten und Ängstlichkeiten werden sich beschwichtigt fühlen in der Einheit der Ruhe.

Je näher das Feuer seinem Zentrum kommt, desto mehr vermindert sich seine Unruhe, wenn auch die Schnelligkeit, womit er solches zu erreichen strebt, zunimmt. Soweit es kein Hindernis zurückhält, schwingt es sich empor mit unglaublicher, in jedem Augenblick wachsender Schnelligkeit. Aber im gleichen Maße, wie die Schnelligkeit wächst, mindert sich die Wirksamkeit. Genau so verhält es sich mit der Seele. Sobald nur die Sünde sie nicht aufhält, eilt sie unaufhaltsam und unermüdlich, um Gott wieder zu finden. Wenn sie also sündlos wäre, was sich freilich nicht denken lässt, würde sie ganz schnell wieder zu ihm gelangen. Je näher sie Gott käme, desto beschleunigter würde ihr Lauf sein, aber eben dieser beschleunigte Lauf würde zugleich immer ruhiger werden. Die Ruhe würde wachsen, wie die Schnelligkeit wächst. So würde der Lauf den Frieden erhöhen und der Friede würde den Lauf beschleunigen.

Das, was den Menschen treibt und trübt, ist einzig und allein die Sünde. Es sind die Mängel und Gebrechen, die ihm im Lauf eine Weile hemmen und hindern, mehr oder weniger, je nach der Größe der Fehler. Unter diesen Umständen wird sich der Mensch seiner eigenen Aktivität bewusst. Es ist wie beim Feuer, wenn es, während es zu seiner Sphäre emporsteigt, auf irgendein Hindernis stößt, auf Holz oder Stroh etwa, sofort seine vorige Aktivität wieder aufnimmt, um solches Hindernis, das sich vor sein Zentrum eindrängt, zu verzehren. Je größer das Hindernis wäre, desto vervielfacht wäre seine Wirksamkeit. Wäre es ein Holzklotz, so würde es einer kräftigeren und anhaltenderen Wirksamkeit bedürfen, ihn zu verbrennen. Wäre es ein Bündel Stroh: im Augenblick würde es verzehrt sein und den Flug des Feuers nicht länger hemmen. So ein Hindernis würde nur dazu dienen, seine Kraft zu steigern, und es würde mit erhöhter Schnelligkeit seinem Ziel zueilen, nachdem es alle Hindernisse verzehrt hätte. Neue Hindernisse könnten es zwar in seinem Flug aufhalten, verzögern und hemmen. Um das Emporsteigen der Flamme zu hindern, braucht man nur fortzufahren, frisches Holz über sie zusammen zu häufen. Dann wird sie dauernd am Boden kriechen, statt sich emporzuschwingen zu ihrem Zentrum.

Gerade so verhält es sich mit den Menschen. Sie fühlen sich von Natur von Gott angezogen. Unaufhaltsam würden sie zu ihm eilen und keinen Augenblick nachlassen in ihrem Lauf, wenn nicht die Hindernisse wären, die ihnen in den Weg treten. Diese Hindernisse sind die Sünden und die Fehler, die ihre Rückkehr zu Gott umso länger verzögern, je größer sie sind, und je schwerer es den Menschen wird, sie loszulassen und zu überwinden. So würde ein Mensch, der unaufhörlich sündigt, auch dauernd in seinem Lauf aufgehalten werden. Wenn er dann in einer Todsünde stirbt, könnte er nicht zu seinem Ziel gelangen, da sein Lauf durch den zeitlichen Tod abgebrochen und alles beendet ist. Andere Menschen kommen vorwärts, oft schneller oder langsamer, je nachdem die Hindernisse, die sie sich selbst bereiten, stärker oder schwächer sind.

So müssten Menschen, die niemals eine Todsünde begangen haben, demnach eigentlich viel weiter kommen, als die anderen. Gewöhnlich ist das auch der Fall. Manchmal aber scheint es, als ob Gott sich darin gefiele, das Übermaß an Sünde zu überbieten, durch ein Übermaß seines Erbarmens.

Die Ursache hiervon kann in dem Menschen liegen. Es kann sein, dass Menschen, die keine ganz groben Sünden begangen haben, auf eine ungebührliche Weise von sich selbst eingenommen sind in ihrer eigenen Gerechtigkeit, und dass sie einen allzu großen Wert auf die eine oder andere ihrer eigenen Tugenden legen. Sind sie z.B. Jungfrauen, so vergöttern sie ihre Reinheit, und ebenso handeln sie in anderen Dingen. Dieses kleben an sich selbst, diese Selbstachtung und Selbstbespiegelung, diese ungebührliche Liebe der eigenen Gerechtigkeit ist ein Hindernis, das weit schwerer zu beseitigen ist, als die größten Sünden. Bei Sünden, die an und für sich selbst hässlich sind, hat man sowieso keine Anhänglichkeit daran, jedoch hat man sie leicht an dem gleißenden Scheine der eigenen Gerechtigkeit. Gott aber, der die Freiheit seiner Geschöpfe keineswegs einschränkt, lässt diese Menschen sich ergötzen an ihrer Helligkeit, während er selbst ein Wohlgefallen daran findet, die Elendsten und Bedauernswürdigsten von ihrem Schlamm zu reinigen.

Um dies zu erreichen, entzündet er in ihnen ein dermaßen scharfes und durchdringendes Feuer, dass die allergrößten Gebrechen schneller durch dessen Wirksamkeit verzehrt werden, als die leichtesten Hindernisse durch ein leichteres Feuer. Es scheint, als ob Gott seine Freude daran habe, gerade diese sündigen Seelen zum Thron seiner Liebe zu berufen, damit deutlich wird, dass es ihm ein leichtes sei, solchen entstellten Menschen ihre ursprüngliche Herrlichkeit wiederzugeben, ja, sie sogar schöner und glänzender darzustellen als solche, die nie so besudelt wurden. Diese Menschen, die in Sünde gelebt hatten, und für die ich eigentlich hier schreibe, da die Starken des Arztes nicht bedürfen, werden von einem so gewaltigen Feuer ergriffen, dass jene Hindernisse und Widerstände fast augenblicklich von ihm verzehrt werden. Ihre Kraft wird umso mächtiger, je länger sie gebunden gewesen waren und je schwerer es ihnen geworden war, hemmende Widerstände zu überwinden. Wohl werden die sich Emporschwingenden noch oft in ihrem Fluge aufgehalten durch die Überreste und Nachwehen ihrer früheren schlechten Angewohnheiten. Aber jenes Feuer verzehrt diese augenblicklich und eilt weiter, und das wieder und wieder, so, dass es am Ende keinen Widerstand mehr findet.

Es lodert mächtiger empor nach jedem überwundenen Hindernis. Es wird ihm immer leichter, diese Widerstände zu überwältigen. Was ihm noch in den Weg zu treten wagt, sind nichts als Strohhalme, die nur dienen, die Heftigkeit das Brandes zu verdoppeln.

1. Gott im Herzensgrund

Nach dem bisher Gesagten wird es nicht schwer sein, die Menschen dieses dritten Weges zu begreifen. Zuerst wollen wir sie in ihren früheren Zuständen beobachten, danach sie durch alle Abstufungen des dunklen Weges, den sie geführt werden, begleiten.

Gott, der diese Menschen von Ewigkeit her dazu berufen hat, sie auf eine wunderbare Weise in diesem Leben schon in sich aufzunehmen (was diejenigen, die ein gewöhnliches geistliches Leben führen, kaum begreifen können), beginnt damit, dass er sie in ihrem Inneren seine Ferne empfinden lässt.

Sobald sie der Ferne dessen, der ihr höchstes und einziges Gut sein soll, gewahr werden, so erwacht in ihnen jene Sehnsucht, zu ihm zurückzukehren, der von Anfang an in ihrer Seele gewesen ist, durch die Sünde aber verdrängt worden war. Sofort empfindet der Mensch die höchste Reue über seine Sünde. Außerdem erfüllt das Gefühl der Ferne von ihrem Urgrund sie mit Sorge und Unruhe.

Die Qual dieser Unruhe treibt sie dazu, sich nach Heilmitteln umzusehen, um zu einem Zustand zu gelangen, dessen Möglichkeit sie ahnt, ohne jedoch zu wissen, auf welchem Weg er zu erreichen sei.

Einige dieser Menschen, weil sie nicht unterwiesen worden sind, dass man Gott in dem eigenen Grunde suchen und ihn dort erwarten müsse (Joh. 17, 23 und Gal. 2, 20), ohne jemals aus dieser Ruhe wegzurennen, ergeben sich der Betrachtung und suchen denjenigen draußen, den sie doch nirgend anderswo als im Inneren finden werden. Diese Betrachtung, zu der sie gewöhnlich wenig taugen (weil Gott, der anderes mit ihnen vorhat, nicht zulässt, dass sie darin Hilfe finden), dient nur, ihr Verlangen zu vermehren, denn ihre Wunde ist im Herzen, sie aber wollen die Hilfe draußen suchen. Dadurch beschönigen sie ihre Übel nur, statt sie zu hellen. Lange zerarbeiten sie sich mit dieser Übung, und ihre Arbeit dient nur, sie immer mehr abzustumpfen. Wenn nicht Gott, der sich besonders um sie kümmert, ihnen jemanden zuführt, der ihnen zu erkennen gibt, dass sie sich täuschen, so werden sie ihre Zeit und ihre Mühe verlieren. Aber Gott, der den Ernst ihres Willens sieht, lässt sie den Beistand finden, dessen sie bedürfen, wäre es auch nur im Vorübergehen und auch nur wenige Tage. Solcher Beistand wird nicht von ihnen aufgesucht, obgleich sie wohl empfinden, was ihnen fehlt, ohne allerdings das Heilmittel zu erraten. Durch eine bloße Fügung Gottes finden sie, ohne zu suchen. Denn, weil sie wahre Kinder Gottes sind, so lässt Gott sie finden, was sie brauchen, wie es scheint ganz zufällig und auf keinem ungewöhnlichen Weg.

Sobald nun diese Menschen davon unterrichtet wurden, dass sie unmöglich auf dem von ihnen eingeschlagenen Wege weiterkommen, weil ihre Wunde im Inneren ist und sie das Äußere heilen wollen, sobald man sie nur bewogen hat, in ihr Inneres zurückzukehren und in des Herzens Grund zu suchen, was sie vergebens außen suchten, so erfahren diese von Sehnsucht nach Gott erfüllten Menschen zu ihrem Erstaunen, zu ihrer Überraschung und zu ihrem Entzücken, dass Jesus Christus in ihnen wohnt, dass sie den Schatz, den sie in der Ferne suchen, in sich tragen. Sie sind voller Freude über ihre neue Entdeckung. Sie frohlocken in ihrer neuen Freiheit. Sie sind ganz erstaunt, dass das innere Gebet sie keine Mühe mehr kostet, und dies umso mehr, als sie sich in ihrem Inneren konzentrieren, sich einsenken und verlieren, je mehr sie sich dem reißenden Strom der Liebe hingeben. Nun möchten sie gerne immer auf diese Weise lieben, sich selbst verlieren in ihrem Grunde, in Christus.

Aber auch das, so schön es auch scheinen mag, kann der Seele nicht genügen, weil sie zum reinen Glauben berufen ist. Es wird sie nur antreiben, weiter ihrem Ziel zuzustreben, das sie noch nicht recht kennt. So ein Mensch ist fortan nur Brand und Liebe. Er glaubt, bereits im Paradies zu sein. Und weil das, was er empfindet, unendlich schöner ist als alles auf der Erde, so lässt er diese ohne Mühe los (Luk. 14, 33).

Er würde der ganzen Welt entsagen, um nur einen Augenblick lang in seinem Inneren das, was er jetzt erfährt, zu genießen.

Nun merkt dieser Mensch, dass sein Gebet gleichsam immerwährend wird. Seine Liebe wächst von Tag zu Tag. Sie wird stündlich so brennend, dass er es kaum ertragen mag. Auch seine Sinne werden ganz auf diesen inneren Grund gezogen. Die Einkehr bemächtigt sich seiner ganz und gar, so, dass er fast untauglich zu irdischen Geschäften wird. Alles, was er angreift, entgleitet wieder seinen Handeln, ohne dass er es selbst merkt. Er möchte nichts als lieben, und dabei möglichst nicht unterbrochen werden. Da der Mensch in diesem Stande noch nicht stark genug ist, durch Unterhaltungen nicht zerstreut zu werden, so flieht er diese und fürchtet sie. Am liebsten wäre er in der Wüste oder in der Einöde, um nur immerfort bei Jesus Christus zu sein. In seinem Inneren hat er einen Führer, der ihm nicht gestattet, an irgendeinem anderen Ding sich zu freuen, und der ihn keinen Fehler begehen lässt, ohne dass dadurch sein Gewissen stark belastet wird. Er empfindet dies durch seine Kälte als ein wirkliches Vergehen.

Diese Entfremdungen Gottes von dem Menschen, der doch alles aufgegeben hat, diese Kälte das Geliebten ist ihm schrecklicher, als die allerstrengsten Züchtigungen. Er wird bestraft um eines unnützen Blickes willen, um eines unzeitigen Wortes willen. Es scheint, als habe Gott nichts anderes zu tun, als diesen Menschen zu züchtigen und zurechtzuweisen, und Gottes ganzes Augenmerk sei darauf gerichtet, ihn zu vervollkommnen. Der Mensch ist dann ganz erstaunt darüber, und andere sind es mit ihm, dass er auf diesem Wege in einem Monat, ja, an einem Tage sogar gründlicher umgewandelt worden ist, als auf den früheren Wegen in mehreren Jahren.

O großer Schmelzer, das macht, dass du ihn so oft in deine Zucht genommen hast und deine Gluten den Diamanten fließen lassen wie Wachs! Der Mensch ist nun mit allen Arten der Abtötung bekannt, ohne dass er jemals davon hätte reden hören. Ist er im Begriff, etwas zu genießen, was ihm schmeckt, so fühlt er sich wie von einer unsichtbaren Hand zurückgehalten. Geht er im Garten spazieren, so vermag er nichts zu unterscheiden: die Bäume blühen nicht, die Blumen duften nicht für ihn. Es scheint, als habe Gott Wächter über alle seine Sinne gesetzt. Jetzt kann er mit dem Propheten sprechen: „Dass sein Weg mit Dornen versperrt und ein Gehege um ihn gezogen sei, wodurch er seinen Weg nicht finden könne“. Versucht er es, einen freieren Flug zu nehmen, so versagen ihm die Schwingen, und er sinkt ohnmächtig zurück.

Jetzt, besonders am Anfang, möchte er sich aufreiben durch Kasteiungen und Bußübungen. Er scheint nicht mehr an der Erde zu haften, so gänzlich fühlt er sich von ihr abgelöst. Seine Worte sind nur Glut und Flamme.
Gott hat noch eine andere Weise, die Menschen, die auf dieser Stufe stehen, zu züchtigen. Er bedient sich ihrer aber nur dann, wenn der Mensch auf seinem Wege weiter vorgerückt ist. Diese Weise besteht darin, dass eben dann, wenn der Mensch gefallen ist, Gott sich ihm zu fühlen gibt auf eine noch mächtigere und lieblichere Weise. Dann möchte der Mensch vor Beschämung versinken. Die allerschärfste Züchtigung würde ihm weniger peinlich sein als diese unverdiente, nicht zu ertragende Güte seines Gottes.

Der Mensch ist jetzt so voll von dem, was er empfindet, dass er es aller Welt kundtun möchte. Er möchte die ganze Welt in Brand stecken, mit der Flamme, die ihn selbst verzehrt. Seine Gefühle sind so lebendig, so rein und so entblößt von aller Eigenliebe, dass der Seelsorger, der ihn reden hört und etwa auf diesen Wegen weniger geübt ist, glauben müsste, er stehe bereits auf dem Gipfel der Vollkommenheit. In diesem Zustand wird er durchblitzt von Bildern und Gedanken, die er mit bewundernswürdiger Leichtigkeit niederschreibt. Es ist nur Empfundenes, was er schreibt, tief und lauter lebendig Empfundenes. Vernünfteleien sind nicht darin, nur Liebe, brennende, unendliche Liebe.

Den ganzen Tag über fühlt der Mensch sich hingenommen und umfangen von einer göttlichen Kraft, die ihn durchdringt und verzehrt. Die Augen fallen ihm ganz von selber zu. Er hat Mühe, sie offen zu halten. Er möchte blind, taub und stumm sein, um nur nicht gestört zu werden in seiner Freude. Er ist wie die Trunkenen, die derart vom Wein eingenommen sind, dass sie nicht wissen, was sie tun, noch Herr ihrer selbst sind. Wollen sie in diesem Zustande lesen, so fällt ihnen das Buch aus den Händen, und eine Zelle genügt ihnen. Kaum vermögen sie während eines ganzen Tages auch nur eine Seite zu lesen, so fleißig sie auch damit beschäftigt sein mögen. Aber sie verstehen auch nicht, was sie lesen, sie denken nicht einmal daran, sondern es bedarf nur eines Wortes von Gott, nur das Aufschlagens eines Gotteswortes, um jenen geheimen Zug zu wecken, der sie hinnimmt und fortreißt, so dass die Liebe ihnen Mund und Augen zuschließt.

Daher kommt es, dass diese Menschen auch kein mündliches Gebet tun können. Sie sind außerstande, die Gebete auszusprechen. Ein „Vater Unser“ würde sie eine Stunde hinhalten. Ein Mensch, der nicht gewöhnt ist an ähnliche Erscheinungen, weiß nicht, was er davon halten soll. Er hat nichts Ähnliches gesehen, nie davon reden hören, er begreift nicht, warum er nicht beten kann. Trotzdem kann er nicht der Macht widerstehen, die ihn von sich selbst wegführt. Er kann nicht fürchten, damit Übles zu tun. Auch macht ihm solches keinen Kummer. Er, der ihn festhält, gestattet ihm nicht zu zweifeln, dass er es sei, der ihn bindet, noch kann der Mensch sich seiner erwehren. Denn sobald er sich Gewalt antun will zu beten, fühlt er, dass derjenige, der ihn besitzt, ihm den Mund verschließt und ihn mit sanfter Gewalt still zum Schweigen nötigt.

Freilich ist es nicht so, dass das Geschöpf nicht widerstehen könnte und mit großer Anstrengung doch spricht. Aber, auch abgesehen von dem Zwang, den man sich antut, verliert man durch solche Anstrengungen den Frieden und wird ganz welk und trocken. Darum soll sich der Mensch Gottes Willen fügen und nicht seinem eigenen folgen. Sollte ein weniger erfahrener Seelsorger ihn auf dieser Stufe zum mündlichen Gebet zwingen, so würde er ihn nicht nur ohne allen Nutzen quälen, sondern ihm auch einen unersetzlichen Schaden zufügen.
Nun empfindet der Mensch ein so heftiges Verlangen zu leiden, dass er davon ganz matt und sterbend wird. Er möchte die Sünden der ganzen Welt zahlen und Gott Genüge leisten (Kol. 1, 24). Von jetzt ab wird es ihm schwer zu beichten und Absolution zu gewinnen, weil die Liebe ihm nicht erlaubt, seine Pein abkürzen zu wollen.

Der Mensch glaubt in diesem Zustand, in dem inneren Stillschweigen zu sein, weil sein Wirken so leise, leicht und ruhig ist, dass er seiner selbst nicht gewahr wird. Er glaubt, zum Gipfel der Vollkommenheit gelangt zu sein. Er sieht nicht ein, dass irgendetwas für ihn in dieser Welt sinnvoll sei, als sich dauernd des erworbenen Gutes zu freuen. Dieser Zustand dauert lange. Er wächst und steigert sich. Auch gibt es Menschen, die nie über dies hinauskommen und zeitlebens darin beharren. Das ist natürlich kein Grund, dass sie nicht unter den Heiligen glänzen sollten und die Bewunderung der Menschen sind. Allerdings fehlt es auch nicht an kurzen und vorübergehenden Trockenheiten auch in diesem Stand, die jedoch diese Menschen nicht aus ihrem Stand fallen lassen, sondern nur dienen, sie zu fördern.

Auch diese so brennenden und nach Gott verlangenden Menschen fangen am Ende an, sich ruhig niederzulassen in diesem Stand. Unmerklich verliert sich jene liebende Wirksamkeit, die sie antrieb, ihrem Urgrund immer kräftiger zuzustreben. Sie lassen sich an ihrer Freude genügen und bilden sich ein, die Freude sei Gott selber. Ein solches Ausruhen aber und ein solcher Stillstand würde diesen Menschen zum unersetzlichen Schaden gereichen, wenn nicht Gott nach seiner unendlichen Güte sie schnellstens aus diesem Stand herauszöge, um sie übergehen zu lassen in den folgenden Stand.

Ehe jedoch hiervon die Rede sein kann, müssen zuerst die Unvollkommenheiten dieses Standes dargestellt werden.

2. Die Verwöhnung

Der Mensch, der sich in dem beschriebenen Stand befindet, kann freilich in demselben weiterkommen. Er kommt auch weiter, indem er von Liebe zu Liebe, von Kreuz zu Kreuz eilt. Aber er gefällt sich oft dabei und ist so sehr der Sucht ausgesetzt, alles was er hat, sich selbst zuzuschreiben, dass er nur fortschleicht im Schneckengang, obgleich es ihm selbst und anderen so erscheint, er fliege mit Adlersflug. Der Fluss fließt hier noch auf ebenem Grund und hat den Abhang noch nicht gefunden, dessen er bedarf, um hinabzustürzen und mit nie wieder zu hemmendem Lauf fortzuschießen.

Gebrechen des Menschen in diesem Grade sind eine gewisse Selbstgefälligkeit, die verborgener und tiefer verwurzelt ist als diejenige, die er schon hatte, ehe die Gaben und Gnaden Gottes ihm mitgeteilt wurden. Dazu kommt eine geheime Geringschätzung aller anderen, die nicht seines Weges sind, auch eine Leichtigkeit, an deren Mängeln sich zu ärgern, eine Art des Johanneseifers, der Feuer vom Himmel fallen lassen möchte auf diese Samariter. Dazu kommt ein gewisses Vertrauen dieses Menschen auf seine Seligkeit und seine Tugend, so dass es scheint, er halte sich bereits für sündlos, ein geheimer Stolz.

Daher ist er sehr empfindlich, wenn man ihn auf einen Fehler aufmerksam macht. Diese Menschen möchten gern dafür gehalten werden, dass sie nicht mehr fehlen können. Sie betrachten sich als Eigentümer der göttlichen Gaben und gebrauchen sie, als wären sie wirklich Eigentum. Im Hochgefühl ihrer Kräfte vergessen sie ihre Schwachheit und Dürftigkeit, so dass sie das Misstrauen gegen sich selbst verlieren und sich nicht scheuen, sich den Versuchungen auszusetzen. Übrigens ist ihre Erscheinung gesetzt und gesammelt, und ihr Inwendiges spiegelt sich ab in ihrem Äußeren. Wiewohl nun diese Fehler und manche andere den Personen dieses Grades wirklich eigen sind, bleibt dies ihnen verborgen. Es scheint sogar, als seien sie demütiger als andere, weil ihre Demut konzentrierter und deshalb wahrnehmbarer ist. Aber auch diese Fehler werden schon zu seiner Zeit bemerkbar und fühlbar werden.

Da die Gnade, welche diese Menschen so wichtig in ihrem Inneren fühlen, ihnen ein Beweis zu sein scheint, dass nichts für sie zu fürchten sei, so erkühnen sie sich zu reden, ohne dass Gott sie schon dazu berufen hat. Sie möchten der ganzen Welt Mitteilen, was sie empfinden. Es ist wahr, dass sie einiges Gute wirken in den anderen, denn ihre Flammenworte entzünden aller Herzen auf die sie treffen. Wenn man davon absieht, dass sie Größeres und Herrlicheres wirken würden, wenn sie auf der Stufe ständen, wo Gott gebietet, auszuschütten was man hat, so ist doch zu bedenken, dass, da ihre Gnade noch nicht in der Fülle ist, sie von ihrem Notwendigen geben und nicht von ihrem Überfluss.

Daraus entsteht, dass sie am Ende gar vertrocknen, gleich den Schalen oder Becken, die unter einem Springbrunnen stehen. Der Brunnen ist es, der aus seiner Fülle gibt, die Schalen aber ergießen sich nur aus der Fülle des Brunnens. Wenn nun jemand den Brunnen verstopft oder ableitet, und die Schalen trotzdem nicht ablassen sich zu ergießen, so werden sie bald austrocknen aus Mangel an neuem Zufluss. Das ist es, was den Menschen dieses Grades begegnet. Sie wollen nicht ablassen, ihre Wasser auszuschütten, und erst zu spät werden sie inne, dass das Wasser, was sie haben, nur für sie selbst ausreichte, und dass sie eben noch nicht auf der Stufe der Mitteilung stehen, denn sie stehen nicht in der Quelle. Man kann sie auch mit jenen Kristallfläschchen vergleichen, die mit einem überaus wohlriechenden, aber auch überaus flüchtigen Parfüm gefüllt sind. Durch den wunderbaren Geruch angelockt, hört man nicht auf, sie zu öffnen und ihre Düfte verströmen zu lassen. Ehe man sich versieht, sind sie dann auch erschöpft, und man bedauert zu spät, dass man nicht sparsamer mit dem kostbaren Inhalt umgegangen ist.

Auf dieser Stufe nimmt man leicht das eine für das andere, d.h. die Mitte für das Ende: und da die Dauer dieses Standes für manche Menschen sich sehr hinauszögert, manche auch ihr Leben lang nicht über ihn hinauskommen, so nimmt man diesen Stand am Ende für den Stand der Vollendung. Selbst die Seelsorger, wenn sie nicht alle Stände und Wege durchschritten haben, glauben leicht, dass dieser Mensch in der Vollendung steht, wovon er jedoch noch unendlich weit entfernt ist. Sie glauben es umso leichter, als sie den Menschen alle nur erdenklichen Tugenden üben sehen mit einer wunderbaren Stärke.

Er überwindet sich selbst ohne Mühe. Er bringt Opfer dar über Opfer. Es wird ihm nichts zu schwer, weil „die Liebe stark ist wie der Tod“. Die Tugenden scheinen einem solchen Menschen mühelos gekommen zu sein. Auch achtet er ihrer nicht und denkt meist nicht einmal daran, dass er sie besitzt. Er ist in einer unermesslichen allgemeinen Liebe ganz und gar befangen, ohne um das Warum und Weshalb des Liebens sich zu kümmern. Fragt man ihn, was er den ganzen langen Tag mache, wird er sagen, dass er liebe. Fragt man, was denn der Grund und die Ursache sei, warum er liebt, weiß er es nicht und erkennt es nicht. Alles was er weiß ist, dass er liebt und dass er vor Verlangen brennt, für das zu leiden, was er liebt.

Fragt man: ist es denn vielleicht das Anschauen des leidenden Geliebten, das ihn treibt, auch für ihn leiden zu wollen? „Ach nein“, wird er sprechen, „das alles kam mir niemals in den Sinn“. „Ist es denn etwa das Verlangen, dir die Tugenden aneignen zu wollen, die du an ihm wahrnimmst?§ „Ich kann nicht sagen, dass es dies wäre.“ „Ist es etwa die Schönheit des Herrn, die dir dein Herz entführt?“ „Mein Blick ruht nicht auf dieser Schönheit.“ „Und worauf denn?“ „Was weiß ich? Was fragst du mich? Dies eine weiß ich nur und fühle ich, dass ich im Herzen eine tiefe Wunde trage, dass ich in meiner Unruhe ruhe.”

Der Mensch glaubt nun, alles gewonnen und alles vollendet zu haben. Obgleich er noch voller Fehler ist, wie oben beschrieben, und darüber hinaus noch voller anderer und gefährlicher Gebrechen, die erst fühlbar werden auf der nächsten Stufe, (wenn sie auch dann noch schwer zu beschreiben sind), so beruhigt er sich doch in der Vollkommenheit, die er glaubt errungen zu haben. Indem er bei den Mitteln stehenbleibt, die er für den Endzweck nimmt, würde er für immer daran kleben bleiben, wenn nicht Gott diesen Strom, der bis dahin wie ein ruhiger See auf der Höhe das Gebirges gewesen ist, den Abhang des Berges finden ließe, von wo er sofort hinunterstürzt und nur um so reißender fortschießt, je tiefer der Fall gewesen ist, den er getan hat.

Hier scheint, dass der Mensch dieses Grades, sogar einer der am weitesten vorangekommenen ist, sich angewöhnt hat, seine Gebrechen vor sich und anderen zu verbergen. Er findet Entschuldigungen für sie und Ausreden. Er wird sie nicht mit Offenherzigkeit eingestehen, nicht aus Bosheit, sondern aus Vorliebe für seine eigene Vortrefflichkeit und aus einem hier nach und nach zur Natur gewordenen gleisnerischen Schein, wohinter er sich selbst versteckt. Diese Fehler, die andere Menschen nicht im geringsten stören, rauben ihm allen Frieden. Er quält sich ihrethalben bis zum Äußersten. Er ist eifrig, sie loszuwerden. Aber unter diesen Fehlern machen ihm diejenigen am meisten Not, die den Leuten in die Augen fallen. Um so willkommener sind ihm die Klagen, die Gott in diesem Zustande über ihn ausschüttet, und er schlürft sie geradezu in langen Zügen ein. Aber auch diese dienen nur, seine Eigenliebe zu erhöhen. Er liebäugelt damit und bespiegelt sich im Selbstgespräch. Er frohlockt über die Ungewöhnlichkeit seiner Wege. Er gefällt sich insgeheim darin, sich den Leuten zu zeigen. Er richtet den Nächsten mit Strenge.

Er macht ein gewaltiges Aufheben um Vergehungen, die keine sind. Er befleißigt sich mehr denn je der äußeren Haltung, und seine Demut gewinnt etwas Angenommenes und Gesuchtes. Zu solchen Mängeln gesellen sich noch tausend Eigenheiten in den Andachtsübungen. z.B. zieht er das Gebet den Familienpflichten vor und wird dadurch zur Ursache, dass diejenigen, mit denen er lebt, sich vielfältig versündigen.

Dies Letztere hat extreme Folgen. Der Mensch, angezogen auf eine so mächtige und anmutige Weise, möchte gern dauernd allein sein und die Beschauung üben. In der Tat verweilt er all zu lange darin, länger, als es sein äußerer und innerer Zustand gestatten. Daraus entspringen in Bezug auf die tausenderlei Verdrießlichkeiten des Alltages unzählige Vergehungen. Wesentliche Pflichten werden versäumt. So erschöpft die überlang fortgesetzte Übung der Seele.

Ihre liebende Federkraft lässt nach. Es folgen Dürren und Trockenheiten, welche, weil man sich nicht in Gottes Ordnung befindet, nur schaden, statt zu fördern. Daraus entstehen zweierlei Ungehörigkeiten: die eine, dass man in der Einsamkeit und im Gebet verharrt, solange man sich deren nur noch irgendwie fähig fühlt. Die andere, dass, wenn einem nun die Fittiche sinken und die liebende Kraft erschöpft ist, in den Zeiten der Leere und Dürre, einem alle Hilfsquellen fehlen. Man hat Mühe, sich überhaupt nur dem Gebet zu widmen. Man verkürzt die Frist, die man sonst darauf verwendet hat. Man geht manchmal weg, um sich mit den äußeren Dingen zu zerstreuen. Man wird matt, mutlos und missmutig. Schon glaubt man, alles verloren zu haben, obwohl man keinen Fleiß scheut, die Gegenwart und Freundlichkeit Gottes zurückzurufen.

Hätte so ein Mensch sich gewöhnt, ein gleichmäßiges Leben zu führen, und nicht mehr zu tun in den Zeiten das Überflusses, als in denen der Dürre, so würde er allem genügen. So aber wird er dem Nächsten lästig, zu dessen Schwäche herabzulassen er sich nicht überwinden kann. Er schweigt, wo er reden sollte, und schwatzt, wo es besser wäre zu schweigen. Eine Frau zum Beispiel macht sich Bedenken daraus, ihrem Mann zu gefallen, ihn zu unterhalten, mit ihm spazieren zu gehen und sich mit ihm zu ergötzen, während sie keinen Anstand nimmt, mit Leuten ihrer Stimmung und Sinnesart stundenlang zu plaudern.

Man muss seine Pflichten erfüllen, von welcher Art sie auch seien, und wie viel es auch kostet, selbst dann, wenn es uns zweifelhaft erscheint, ob wir nicht etwa darin fehlen. Diese Art zu handeln wird uns unendlich fördern; freilich nicht in dem Sinn, worin wir es nehmen, doch insofern wir dadurch in Selbstverleugnung geübt werden. Unser Herr selbst gibt uns zu erkennen, wie mehr diese Art der Aufopferung ihm gefällt, indem er uns mitten in diesem Alltagsleben besucht und mit seinen Gnaden überschüttet. Ich habe eine Frau gekannt, die aus Gefälligkeit ihrem Mann zuliebe mit ihm Karten spielte, und währenddessen so wichtige und innere Erfahrungen der Gegenwart Gottes machte, wie sie sie kaum jemals während des inbrünstigsten Gebetes erfahren hatte. Dasselbe erfuhr sie, so oft sie das tat, was ihr Mann von ihr haben wollte, gleichgültig welchen großen Widerwillen sie dagegen spürte. Entzog sie sich aber seinen Wünschen, um etwas zu tun, was ihrer Meinung nach besser war, so wurde sie augenblicklich gewahr, dass sie aus ihrem Stand und aus Gottes Ordnung heraustrat. Trotzdem ist sie oft wieder in denselben Fehler gefallen, als ihr Hang zur Einkehr und die Vortrefflichkeit das Gebetes (das freilich unter anderen Umständen jenem sogenannten Zeitvertreib unendlich vorzuziehen wäre) die Seele unmerklich fortzog und sie die Außenwelt über dem Inwendigen vergessen ließ. So etwas bestaunen dann die Leute als ein Merkmal besonderer Helligkeit, was eigentlich doch nur Tadel verdient.

Werden die Menschen jedoch zum Stand des reinen Glaubens berufen, so stellen sich ähnliche Missgriffe bei ihnen immer seltener und vorübergehender ein, indem Gott, der sie in seine Ordnung führen will, die Mangelhaftigkeit eines solchen Verhaltens ihnen zu erkennen gibt. Und das ist der Unterschied zwischen einem zum dunklen Glauben berufenen Menschen und einem anderen, dass der letztere ohne Mühe in seinen Andachten beharrt. Man würde ihm das Leben rauben, wenn man ihn herauszöge aus seiner ruhigen Freude über die Liebe Gottes. Der andersberufene Mensch dagegen findet keine Ruhe, er habe denn zuvor seine Pflichten erfüllt. Gibt er sich doch dieser Freude hin, gegen das innere Mahnen, das er fühlt, aus der Ruhe herauszutreten, so ist dies eine Untreue, die ihn in Not bringt.

Es geschieht auch, dass ein solcher Mensch durch diese Mitkreuzigung und diesen inneren Widerstreit sich nur noch stärker zu der inneren Ruhe hingezogen fühlt, denn es ist ja den Menschen eigen, im Streit zu erstarken und gerade das noch heftiger zu begehren, was ihm vorenthalten wird.

Diese Not, die Ruhe nicht mit Freuden genießen zu können, dient eben dazu, die Ruhe zu vermehren und macht, dass man sich während der alltäglichen Beschäftigung selber auf eine so mächtige Weise von Gott angezogen fühlt, dass es scheint, als habe man zwei Seelen und zweierlei Unterhaltungen zugleich in sich, und die des Inwendigen unendlich stärker sei, als die in der Außenwelt. Versucht aber die Seele, ihre schuldigen Pflichten abzubrechen, um sich dem inneren Gebet zu widmen, so findet sie gar nichts, und ihr innerer Zug verliert sich.

Ich rede hier nicht von dem Gebet, was man sich einmal zur Pflicht gemacht hat, und das man nicht unterlassen darf, es sei denn aus gänzlicher Ohnmacht. Ich rede von jener inneren Übung, die man gern zu einer immerwährenden erheben möchte, und zu der man sich durch den Reiz der Einkehr hingezogen fühlt. Ebenso wenig rede ich von Beschäftigungen und Zerstreuungen nach eigener Wahl, sondern nur von denen, welche die irdischen Verhältnisse unerlässlich von uns fordern. Hat man Zeit übrig, nachdem man die letzteren erledigt hat, so widme man sich dem Gebet, und man wird sich bestimmt dadurch gefördert fühlen. Auch sollte man sich nicht unter dem Vorwand der Berufspflicht mit nicht notwendigen Geschäften beladen. Die Liebe des Ehegatten, der Kinder und der Haushalt könnten sich leicht in das Notwendige einmischen.

Das Verlangen, eine angefangene Arbeit zu vollenden, dies und ähnliches wird leicht von einem Menschen unterschieden werden können, der sich selbst nicht schmeichelt. Auch ist dies weniger gefährlich.
Wenn die innere Sammlung sehr stark ist, so verfällt der Mensch gewöhnlich nicht in diesen Fehler, wohl aber in den Entgegengesetzten, dem Zug zur Zurückgezogenheit zu sehr nachzugeben. Tritt dagegen eine Dürre ein, so überlädt sich der Mensch gern mit Geschafften, um nur der Not enthoben zu sein, die das Gebet den Sinnen bereitet. Man muss aber fest stehen und in den Stunden der Dürre ebenso pünktlich sein wie in den Stunden der Fülle.

Ich kenne jemanden, der gerade dann, wenn die innere Übung ihm am peinlichsten war, am längsten darin verharrte, indem er sich gegen die Pein selber stählte. Die Not ist so groß, die Sinne und der Verstand leiden so schrecklich, wenn man sich zwingen will, sich mit Gott zu beschäftigen zu einer Zeit, wo er seine freundlichen Gnaden entzogen hat, dass der Mensch sich lieber den allerschärfsten Bußübungen unterwerfen möchte, als der Anstrengung, die es kostet, ohne die allergeringste Stütze in der Nähe Gottes auszuhalten. Die von mir erwähnte Person hat diesen Zustand oft stundenlang ertragen. Ihre Sinne knirschten und ihr Verstand ergrimmte. Sie aber hielt aus und ihr Inneres wurde mächtig gefördert. Da jedoch nicht alle gleich mutig und kräftig sind, sondern Schwächere leicht Schaden nehmen könnten, rate ich, die innere Gebetsübung weder zu vermindern, noch zu vermehren, wenn auch die Stimmungen schwanken.

Diese so peinlichen und merklichen Trockenzeiten, die unter den weniger Erleuchteten für sehr furchtbare Zustände und für die schrecklichsten unter allen göttlichen Prüfungen gehalten werden, gehören nur diesem ersten Grad des Glaubensweges an und werden oft lediglich durch die Erschöpfung verursacht. Trotzdem glauben diejenigen, die sie hinter sich haben, schon mitgekreuzigt und gestorben zu sein und schreiben und reden davon wie von dem allerschrecklichsten Durchbruch im geistlichen Leben. Sie haben ja auch nicht die Erfahrung des Gegenteils.

Oft hat auch der Mensch dann nicht den Mut, weiter vorwärtszudringen, obgleich dies nur wenig Mühe kosten würde. Der Mensch ist in diesen Nöten, die freilich einem verzehrenden Feuer gleichen, allerdings von Gott verlassen, der ihm seinen wahrnehmbaren Beistand entzieht. Aber es sind eigentlich nur die Sinne, die diesen Brand verursachen. Diesen, gewohnt zu wirken, zu sehen, zu harren und zu schmecken, sind solche Beraubungen gänzlich ungewohnt und außerstande, irgendwo anders etwas Futter für die Seele zu finden. Der Mensch freilich ist in der trostlosesten Verzweiflung. In allen solchen Leiden behaupten sich aber immer noch seine Lebens- und Liebeskraft, und wenn er nur den Mut hat auszuhalten, so wird ihm diese Pein reichlich vergolten werden. Auch wird sie nicht von langer Dauer sein. Tatsächlich würden auch die Kräfte der Seele in diesem Zustand ausreichen, eine solche Last der Qual auf die Dauer zu ertragen. Der Mensch würde wieder zurückgehen, um Nahrung zu suchen oder gar vielleicht alles aufgeben.

Daher säumt unser lieber Herr nicht, sich wieder zu offenbaren. Er kehrt zurück, meist noch ehe das Gebet zu Ende ist. Und wenn nicht vor Beendigung des Gebetes, so doch sicherlich noch vor dem Ende des Tages, gewöhnlich auf eine umso erfahrbarere Weise. Es scheint, dass es ihm leid tue, dass er den Menschen, den vielgeliebten, so leiden ließ, oder da er ihm mit Zinsen bezahlen wolle, was dieser ihm zuliebe gelitten hat. Wenn dieser Zustand mehrere Tage andauert, so meint der Mensch, die große Freude nicht ertragen zu können. Er ruft den geliebten Herrn mit Worten der Anbetung an. Er nennt ihn freundlich und furchtbar zugleich. Er fragt, ob er ihn nur verwundet habe, um ihn sterben zu lassen. Aber dieser große Liebhaber lächelt nur und kommt, um in seine Wunden einen so kostbaren Balsam zu gießen, dass er mit Freuden ähnliche neue Wunden empfangen um nur aufs Neue eine so herrliche Heilung zu erfahren, die ihn nicht nur gesund macht, sondern ihn auch ausstattet mit einer nie geahnten Fülle von Gesundheit und Lebenskraft.

Bis hierher ist jedoch alles nur Spiel gewesen, woran der Mensch sich leicht gewöhnen könnte, wenn der göttliche Freund nicht sein Betragen ändern würde. Ihr Gott liebenden Menschen, die ihr wehklagt über die Flüchtigkeit seiner Gegenwart, ihr wisset nicht, dass alles bisherige gegenüber dem, was folgen soll, nur wie Spiel und Neckerei gewesen ist, Proben und Prüfungen. Bald werden die Stunden seines Ausbleibens zu Tagen werden, zu Wochen, Monaten und Jahren. Ihr müsst lernen, edelmütiger zu sein auf eigene Kosten. Ihr müsst den Herrn, euren Bräutigam, kommen und gehen lassen, auch wenn ihr kein Wort sagen könnt.

Ich meine sie zu sehen, diese jungen bräutlichen Seelen. Sie glauben zu vergehen vor Leid, wenn der göttliche Bräutigam sie verlässt, wäre es auch nur für eine ganz kurze Weile. Sie weinen über ein etwa dreitägiges Ausbleiben, als wenn er schon gestorben wäre, und sie erwehren sich seines Weggangs, solange sie das nur können. Die Liebe scheint groß und stark. Aber sie ist es keineswegs. Es ist nur das Vergnügen, das sie daran finden, den Bräutigam zu sehen. Das lässt sie um seine Entfremdung weinen. Es ist nur ihre eigene Freude, die sie begehren. Wenn sie sich nämlich um die Freude das Bräutigams kümmern würden, so würden sie ebenso zufrieden sein mit der Freude, die er getrennt von ihnen hat, wenn er woanders weilt, als sie zufrieden waren mit dem, was er an ihrer Seite hatte. So ist es also nur eine eigennützige Liebe, obwohl sie den Menschen nicht als eine solche erscheint.

Im Gegenteil glaubt der Mensch, den göttlichen Freund nur zu lieben, weil dieser liebenswürdig ist. Es ist wahr, ihr armen Menschen, dass ihr ihn nur liebt, weil er liebenswürdig ist. Doch genau genommen liebt ihr ihn doch nur um des Vergnügens willen, das ihr an seiner Liebenswürdigkeit findet. Ihr sagt jedoch, ihr möchtet für den Freund leiden. Sicher möchtet ihr für ihn leiden, wenn er nur Zeuge und Gefährte eurer Leiden ist. Ihr verlangt keinen Lohn, wie ihr sagt. Ich will das zugeben. Aber ihr wollt doch, dass er von euren Leiden wisse, dass sie nach seinem Willen sind, dass er zustimmt. Kann auch etwas gerechter sein als zu wollen, dass der, für den man leidet, es wisse, es für richtig halte und damit zufrieden ist?

O wie fern seid ihr noch vom Ziel! Glaubt fest, dieser göttliche eifersüchtige Liebhaber wird euch die Freude nicht genießen lassen, die ihr darin empfindet, dass er eure Schmerzen registriert. Ihr werdet leiden müssen, während er so tut, als sehe er es nicht oder als wäre es ihm gleichgültig.

Verlangen, dass der göttliche Geliebte unsere Leiden mit Wohlwollen aufnimmt, hieße zu viel verlangen. Welche Martern würde man nicht um dieses Preises willen mit Freuden erdulden, wenn man weiß, dass der göttliche Geliebte die Qualen sieht und ein Wohlgefallen daran findet! Nein, zu seelisch ist die Freude dieses Bewusstseins, als dass ein edelmütiges Herz ihrer begehren könnte. Dennoch fürchte ich, möchten auch die fortgeschrittensten Menschen dieses Standes schwerlich bis zu dieser Höhe gelangen.

Leiden, ohne dass der göttliche Geliebte es weiß, leiden, während er uns zu verschmähen und sich von dem, was wir ausstehen, um ihm zu gefallen, wegzuwenden scheint, leiden, während er nur Ekel an allem bezeugt, womit wir sonst ihn zu entzücken pflegten, ihn dies alles mit Kälte und Entfremdung betrachten sehen, was wir auch beginnen mögen, um ihm Freude zu machen, und dennoch nicht aufhören, dasselbe zu tun; sehen, dass, je eifriger wir ihn verfolgen, er uns nur um so flüchtiger enteilt, sich alles nehmen zu lassen ohne eine Klage, alles, was er uns früher als Beweise seiner Liebe gegeben hat und was man glaubt, durch die Liebe, die Treue und das Leiden bezahlt zu haben, nicht nur ohne Klage diese Beraubung zu sehen, sondern auch zu sehen, dass andere mit dem uns Geraubten bereichert werden, und dann trotzdem nicht ablassen, fortwährend alles zu tun, was den im Augenblick abwesenden göttlichen Freund erfreuen könnte, nicht aufhören, ihm nachzulaufen, und wenn man in Selbstvergessenheit einen Augenblick still gestanden und Zeit verloren hat, durch verdoppelte Eile das wieder ersetzt, geradeaus voranzugehen in seinem Lauf, ohne die Abgründe zu scheuen, in die man stürzen könnte, ohne den Staub und Schlamm zu achten, womit man sich beschmutzen und besudeln könnte, nicht darauf achten, ob man fällt und wiederum fällt und tausendmal fällt, unzählige Male wieder aufraffen, bis man endlich, ganz und gar erschöpft und kraftlos liegen bleibt und verschmachtet, ohne dass der „Allzustrenge“ auch nur einmal sich umwendet und uns mit einem Blick der Liebe erquicken würde: Dies alles gehört nicht zu diesem Grade, es gehört zu dem, welcher folgt.

Ich wiederhole es, dass die bisher beschriebene Wegstrecke von großer Länge ist, es wäre denn, dass es Gott gefiele, aus besonderem Plan diese zu verkürzen und dem Menschen schneller zu seinem Ziel zu verhelfen. Viele gelangen, wie gesagt, niemals über diesen Grad hinaus.

3. Die Entwöhnung

Jener Strom stand, solange er den Abhang nicht gefunden hatte, ruhig auf dem Scheitel des Berges. Er ließ es sich wohl sein in der Stille und in dem Frieden seines Standes, dachte nicht daran, in das Tal hinabzusteigen. Da diese Wasser des Himmels aber keinen Abfluss hatten, fingen sie infolge ihrer Ruhe an zu stocken, zu stinken und zu faulen. Denn das ist der Unterschied zwischen den stehenden und fließenden Wassern, dass die ersten (wenn nicht vom Meer die Rede ist oder von den großen Seen, die ihm gleichen) mit der Zeit anfangen, anrüchig zu werden, und dass die Ruhe ihnen zum Verderben gereicht. Dagegen bleiben die fliegenden Wasser frisch und gesund, und je schneller sie fortschießen, desto vollkommener bleiben sie erhalten.

Wie schon gesagt, verleiht Gott, sobald er dem Menschen die Gabe des geschenkten Glaubens verliehen hat, zugleich einen Trieb, ihm als dem Zentrum des Lebens unablässig zuzustreben. Aber dieser untreue, obgleich sich für treu haltende Mensch, erstickt durch seine Ruhe den Drang zu laufen. Er würde überhaupt nicht vorwärts kommen, wenn nicht Gott den eingeschlafenen Trieb zu laufen wieder weckte, indem er den Menschen den Abhang das Berges finden lässt, von dem er nicht umhin kann, sich hinabzustürzen, er mag wollen oder nicht. Der erste Verlust ist die Stille, die er doch für immer zu besitzen geglaubt hatte. Seine sonst so ruhigen Wasser fangen an zu rauschen. Bald bemächtigt sich seiner Wellen eine wirbelnde Bewegung. Sie wallen, rennen und stürzen.

Wenn der Strom seinen Zustand erkennen würde und um das wüsste, was ihm bevorsteht, er würde versuchen, innezuhalten und zu seiner Ruhe zurückzukehren. Das ist jedoch unmöglich. Der Abhang ist nun einmal gefunden. Das Naturgesetz gebietet. Es gilt, sich in die Tiefe zu stürzen. Doch ist hier noch nicht von den Abgründen, von dem Verlorenwerden in den Finsternissen die Rede. Der Strom ist fortwährend sichtbar. Während der Dauer dieses Grades verliert er sich nicht. Er trübt sich, fällt und stürzt. Welle drängt auf Welle, und Strudel braust auf Strudel. Aber er geht nicht verloren.

Während seines Falles trifft er hier und da auf ebenere Strecken, wo es ihm vergönnt ist, sich ein wenig zu erholen. Er gefällt sich in der Klarheit seiner Wasser. Er sieht, dass sein Fallen und Stürzen, dass das Brechen seiner Wogen am Felsen nur gedient hat, ihn zu reinigen und zu läutern. Er fühlt sich befreit von allen jenen Strudeln und Wirbeln und glaubt sogar, schon für immer die Ruhe gefunden zu haben. Er fühlt sich getröstet über die überstandenen Beschwerden, indem er einsieht, dass ohne diese heilsame Erschütterung seine stockigen Gewässer Gefahr gelaufen wären, ganz und gar zu verderben. Schon hat sich der üble Geruch verloren, der von ihnen ausgehaucht wurde, solange sie auf den Bergen standen. Das sie aufs Neue stichig werden könnten, fürchtet er nicht, denn er steht jetzt nicht still, sondern fährt fort, sanft auf dem silbernen Sande hinzurieseln, während die Blumen, die an seinen Ufern stehen, sich in den klaren Wellen widerspiegeln. So glaubt der allzu sichere Strom nun, von jetzt an geborgen zu sein und seinen Lauf in Frieden zu vollenden. Aber, o armer Strom, wie sehr betrügst du dich! Wie erschrickst du, wenn du wahrnimmst, dass deine Wellen wieder anfangen zu wirbeln und zu strudeln. Wie entsetzt du dich, wenn du an einem neuen Absturz ankommst, und zwar an einem viel schrofferen und gefährlicheren als den ersten. Wohl graut es dir vor dem jähen Fall. Trotzdem musst du hinunter in die finstere Tiefe.

Von Fels zu Fels stürzt die zerstäubte Flut, und die Kraft deiner Wasser spritzt umher. Schon von Ferne hört man das Donnern deines Sturzes, und wer es wagt, sich deinem Flussbett zu nahen, den kommen Schwindel an und Furcht und Grauen. Du aber gibst dich von nun an für immer verloren. Nicht scheint es dir möglich zu sein, dass deine Wasser jemals wieder gesammelt werden könnten, und du noch einmal wieder zu deiner früheren Herrlichkeit zurückkehren könntest. Aber auch diesmal irrst du, geplagter Strom.

Du bist noch nicht verloren, nein! Aber das Ziel deiner Glückseligkeit ist noch fern. Es bedarf noch anderer Stürze und Brechungen, noch anderer Reinigungen und Läuterungen, bevor du hoffen darfst, an den Fuß des Berges zu gelangen und fortan auf ebenem Boden deinen Lauf in Frieden zu vollenden.

Nachdem der Mensch vielleicht jahrelang in dem oben beschriebenen ruhigen Zustand gewesen war, hatte er schon geglaubt, auf dessen ewige Dauer mit Sicherheit rechnen zu können. Er glaubte es um so eher, als alle seine Leidenschaften tot zu sein schienen und dagegen alle Tugenden in ihrem ganzen Umfang sein Eigentum geworden zu sein schienen. Wie groß ist dann doch das Befremden dieses Menschen, wenn er wahrnimmt, statt höher zu steigen, oder wenigstens auf gleicher Höhe sich zu erhalten, seine Flügel ihm zu sinken beginnen und sich in ihm ein Zug nach unten meldet. Er ist ganz bestürzt zu fühlen, dass sein Herz wieder einen Hang zu Dingen bekommt, die er längst verlassen hatte. Diese gemütliche Stille, die er lange genossen hatte, fängt an, sich zu verlieren. Zerstreuungen bestürmen ihn in ganzen Schwärmen. Eine drängt die andere, und der geängstigte Mensch kann sich ihrer nur mit Mühe erwehren. Auf seinem Weg findet er nichts als Steine, Dürren, Trockenheiten, Verlassenheit. Das Gebet wird ihm zum Ekel. Seine Leidenschaften, die er schon für tot gehalten hatte, die aber nur eingeschlafen waren, erwachen von neuem.

Über diese nie geahnte Verwandlung ist der Mensch ganz bestürzt. Er möchte sich wieder erheben zu seiner vorigen Höhe. Wenigstens möchte er nicht tiefer sinken. Aber das geht nicht. Der Hang des Berges ist gefunden und der Mensch muss hinab! Er tut sein Bestes, um wieder aufzustehen von all seinen Fällen. Er zerarbeitet sich, um sich festzuhalten an irgendeiner Andachtsübung oder Aufopferung. Er verdoppelt seine Bußübungen. Er strengt sich an, den verlorenen Frieden wieder zu schmecken. Er sucht die Einsamkeit, die ihm jetzt nur Grauen bereitet. Er wendet sich an Gott, der ihn zu verschmähen scheint. Er flüchtet zu den Geschöpfen. Aber auch an ihnen findet er keinen Geschmack mehr. Immer tiefer zieht ihn jener unerklärliche Zug. Er tut das

Böse, was er doch verabscheut, das Gute dagegen, das er in seinem Innersten wünscht, erregt ihm nur Widerwillen und Ekel.

Schon glaubt dieser geängstigte Mensch, den göttlichen Geliebten für immer verloren zu haben, als er diesen plötzlich wieder in den Blick bekommt. Er ist höchst überrascht durch seine Erscheinung. Er traut seinen Augen kaum. Er fürchtet, das geliebte Bild wieder zerfließen zu sehen gleich einer täuschenden Traumgestalt. Doch nein: er ist es! Er ist es wirklich. Wer beschreibt nun das Entzücken seines liebenden Herzens. Er fühlt sich umso glücklicher, als er bemerkt, dass der Herr ihm neue Güter mitgebracht hat: eine größere Reinheit, ein größeres Misstrauen gegen sich selbst. Jetzt verlangt er nicht mehr stillzustehen, wie das erste Mal. Er läuft unaufhaltsam, jedoch mit einem ruhigen gehaltenen Lauf, denn er fürchtet sich, von neuem seinen Frieden zu trüben. Er ist besorgt, aufs Neue den Schatz einzubüßen, der ihm so kostbar ist, und umso kostbarer, je schmerzhafter sein Verlust gewesen ist. Er fürchtet, dem göttlichen Geliebten zu Missfallen, und dass er noch einmal weggehen könnte. Er ist eifrig bemüht, diesmal getreuer zu sein, und wacht über sich mit größter Aufmerksamkeit.

Aber auch diese Ruhe wird mit der Zeit gefährlich. Der Mensch überlässt sich derselben nach und nach mit all zu großer Sicherheit und wird täglich sorgloser und träger. Er schwelgt in ihrem Genuss und flieht die Gesellschaft und die täglichen Aufgaben, um ihm ohne Störungen nachhängen zu können. Jede Unterbrechung seiner Einsamkeit kommt ihm wie eine Beraubung vor, die man an seinem inneren Leben begeht. So ist er denn noch ebenso begehrlich und ebenso unersättlich, wie früher. Ja er ist umso eigensüchtiger, je zarter das ist, was er empfindet und je empfänglicher durch die erlittenen Martern sein inneres Vermögen geworden ist. Auf solche Weise lässt er sich einwiegen und kommt, ohne es zu merken, in einen neuen Stand der Ruhe.

Es bedarf neuer Stürme, um ihn auch aus diesem zu reißen.
Er geht leise und gelassen seines Weges, als plötzlich ein neuer Abhang sich ihm auftut, steiler und drohender als der vorige. Er erschrickt. Er tritt zurück. Umsonst: Es gilt zu fallen! Und immer tiefer zu fallen! Von Fels zu Fels, von Schlund zu Abgrund! Mit Entsetzen wird der Mensch inne, dass er nicht nur den Geschmack an den mündlichen Gebeten, sondern auch am inneren Gebet verliert. Er muss sich die äußerste Gewalt antun, um darin auszuhalten. Auf jedem Schritt findet er nur das Kreuz. Was ihm vormals Leben brachte, das bringt ihm jetzt den Tod.

Er spürt in seinem Inneren keinen Frieden mehr, sondern stattdessen ein Wogen und Strudeln, einerseits durch die Leidenschaften erregt, die umso heftiger auflodern, je gänzlicher sie erloschen schienen, andererseits durch die Kreuze in der Außenwelt, die sich in dem Maße verdoppeln, wie der Mensch schwächer wird, sie zu ertragen. Er wappnet sich mit Geduld. Er weint. Er stöhnt. Er trauert. Er beklagt sich gegen den himmlischen Bräutigam, dass er ihn so ganz verlassen hat. Aber seine Klagen werden nicht gehört. Alles gereicht ihm zum Sterben und zum Tod, fühlt sich zu allem Guten zu träge und zu verdrossen. Zu dem Bösen aber wird er hingezogen, durch einen inneren Zug, der ihm Grauen macht vor sich selbst.

Er gleicht der Taube Noahs, der, als sie nichts auf der Erde gefunden hatte, wo sie sich niederlassen konnte, nichts blieb, als zur Arche zurückzukehren. Sie flattert um das Fenster der Arche. Sie gurrt und ächzt, und hört nicht auf zu gurren und zu ächzen, bis der Erzvater Noah sich ihrer erbarmt, das Fenster öffnet und sie wieder in seinem Kasten aufnimmt. 0 diese wunderbaren Wege Gottes, voller Erbarmen und Liebe! Nur deshalb wird der Mensch von Gott so geführt und nicht anders, dass er mit umso größerer Schnelligkeit laufen lerne. Gott verbirgt sich, auf dass man ihn umso sehnlicher suche. Er flieht, dass man ihn um so eifriger verfolge. Er lässt den Menschen anscheinend fallen, damit er die Freude habe, ihm aufzuhelfen und ihn zu stützen. Ihr kräftigen und starken Menschen, die ihr nie diese Zurückhaltung des göttlichen Geliebten, diese Eifersucht Gottes, diesen verborgenen Gott erfahren habt, die dem Menschen, der sie bestanden hat, so heilsam dünken, aber im Augenblick der Not so schrecklich erscheinen. Ihr, die ihr von der Gegenwart Gottes und seinem ununterbrochenen Besitz berauscht bliebt oder höchstens nur auf so kurze Zeit seiner beraubt worden seid, dass ihr durch ein langes und schmerzliches Ausbleiben die Glückseligkeit seiner Gegenwart nie recht schätzen gelernt habt, ihr habt nie eure eigene Schwäche recht erfahren, noch wie sehr ihr Gotteshilfe dauernd nötig habt. Was aber jene so hart geprüfte Menschen betrifft, sie fangen an, sich nicht mehr auf sich selbst zu stützen, sie stützen sich einzig und allein nur noch auf Gott. Je herber ihnen die Strenge des Freundes erschien, desto wünschenswerter erscheint ihnen seine Gnade.

Diesen Menschen fehlen oft infolge der Abschwächung aller ihrer Kräfte und weil ihre Sinne keine Stützen mehr haben. Viele Fehltritte beschämen sie dermaßen, dass sie sich gern vor ihrem göttlichen Freund verbergen würden, wenn sie es könnten. Gerade während solcher Augenblicke der tiefsten Beschämung pflegt es zu geschehen, dass der göttliche Geliebte ihnen für einen Augenblick sein Antlitz zeigt. Er streckt ihnen das Zepter seiner Gnade entgegen, wie es einst Ahasverus der Esther tat, damit sie nicht sterbe. Aber dieser Liebesbeweis verursacht nur, dass sich die Beschämung vermehrt. Man möchte vor Schmerz vergehen, dass man dem Geliebten habe Missfallen können. Ein andermal lässt Gott den Menschen durch seine Strenge empfinden, wie mehr ihn seine Untreue betrübt. Gewiss, wenn es möglich wäre, dass Menschen in Staub verfielen, hier würde es geschehen. Was möchten sie nicht tun, um das Unrecht wieder gutzumachen, was sie Gott angetan haben? Und was, um das zu ersetzen, was sie dem Nächsten getan. Es ist wirklich ein Bild des Jammers, so einen zerknirschten Liebenden zu sehen, dem es begegnet ist, seinen Freund zur Flucht zu zwingen. Er lässt nicht nach, ihm nachzulaufen. Aber je schneller er läuft, desto schneller entflieht ihm Gott. Wenn er einmal stillsteht, so ist es nur für einen Moment, damit der Mensch wieder zu Atem kommt. Er schöpft dann auch Atem aber nur kurz. Diese Augenblicke der Erholung werden mit jedem Mal flüchtiger und kürzer.

Dieser leidende Mensch sieht dann wohl ein, dass es ans Sterben geht. Er findet das Leben nirgends. Es wird ihm alles zum Kreuz. Nur Tod: das Gebet, das Lesen, die Unterhaltung, alles ist tot. Es gibt dann nichts mehr, woran er etwas Geschmack finden könnte: nicht an den Tugendübungen noch an den Werken der Liebe, noch an der Krankenpflege, noch an irgendetwas anderem, an dem fromme Menschen sich erfreuen können. Er verliert das alles oder vielmehr, es stirbt ihm ab.

Er tut es mit so großer Mühe und mit so großem Widerwillen, dass es ihm nur Tod bedeutet. Zuletzt aber, nachdem er vortrefflich, aber auch vergeblich gekämpft hat, nach einer langen Reihe von Mühsalen und auch von Ruhezeiten, von Tod und Leben, beginnt er einzusehen, dass der Stand das Todes ihm nützlicher sei, als der Stand das Lebens. Denn durch jede Entäußerung, durch jedes Loslassen ist er nur mehr gereinigt worden, und bei jeder Neuerfahrung der Gegenwart Gottes, war diese tiefer als vorher. Er überlässt sich daher von nun an freiwillig dem Tode. Er gibt Gott völlige Freiheit, zu gehen und zu kommen, wie es ihm gefällt. Er erkennt nun, dass es eine fehlerhafte Eigensucht ist, Gott zurückhalten zu wollen. Er ist innegeworden, wie viel und wie wenig er vertragen kann. Er verliert nach und nach jede eigene Genusssucht und wird dadurch zu einem neuen Stand vorbereitet.

Der nächste Stand bildet nun die dritte Stufe des dunklen Glaubensweges. Er umfasst das Verlieren oder Verlorensein der Seele, ihre Bestattung und Verwesung. Die zweite Stufe, die soeben besprochen wurde, endet mit dem mystischen Tod, und reicht nicht weiter.

4. Die Enteignung

Man sieht zuweilen Sterbende, die, wenn man sie bereits verschieden glaubt, noch einmal oder zweimal gleichsam neu aufleben, bis sie endlich wirklich verscheiden: wie eine Lampe, die kein Öl mehr hat, ganz nahe dem Erlöschen noch einmal oder zweimal aufflackert, dann aber umso schneller erlischt. So wirft auch der in den letzten Zügen liegende Mensch noch einige Strahlen, die aber nur Monate dauern. Es ist umsonst, sich des Sterbens erwehren zu wollen, das lebensnotwendige Öl ist versiegt. Die Sonne der Gerechtigkeit hat das Mark des Seelischen dermaßen ausgedorrt, dass ihm nichts mehr übrig bleibt als zu sterben (Hebr. 4, 12).

Diese liebenswürdige Sonne, was hat sie wohl zu tun, als mit der Strenge ihres Brandes dieses seelische Wesen ganz und gar aufzuzehren. Und doch meint der Mensch, lauter Eis zu sein. Gott macht, dass die Not, die er erduldet, ihn die Natur seiner Qualen nicht erkennen lässt. Solange die Sonne sich hinter Wolken verbarg und mit abgedämpftem Licht auf ihn einwirkte, empfand er deren Hitze und meinte zu brennen, während er jedoch nur Bang von ihr erwärmt wurde. Nun aber, wo ihre Strahlen senkrecht auf ihn Niederschienen, fühlt sich der Mensch verdorrt und vertrocknet, ohne auch nur die Wärme zu spüren.

O du erbarmende und doch grausame Liebe! Lässt du dich nur darum lieben, dass du die Liebenden so täuschen magst? Du verwundest, verbirgst dein Geschoss und zwingst die Verwundeten, dir zu folgen! Du ziehst sie dir nach und zeigst dich ihnen, und wenn sie meinen, dich in Besitz zu nehmen, bist du wieder weg. Wenn das Seelische verschmachtet und in den letzten Zügen liegt, wenn es an dem Punkt angelangt ist, den Atem auszuhauchen, zeigst du dich einen Augenblick, damit das Leben wiederkehre, damit es sich wieder und wieder mit umso größerem Schmerz verlieren kann (Luk. 2, 35).

Du bist ein strenger Liebender! Warum ein so langsamer Tod? Warum Wein dem Herzen geben, das schon aufgehört hat zu schlagen? Warum das Leben wiedergeben, nur um es aufs Neue zu nehmen? Das ist also das Spiel, das du mit denen spielst, die dich Lieben. Du verwundest bis in den Tod. Und wenn du den Kranken nahe am Verscheiden siehst, heilst du seine Wunden, um ihm aufs Neue welche zu schlagen. Ach, andere sterben nur einmal. Jene Peiniger, von denen wir in der Geschichte der Christenverfolgungen lesen, verlängerten wohl das Leben und mit ihm die Marter der Märtyrer.

Aber sie ließen sich daran genügen, dass sie es am Ende doch nur einmal verloren. Du aber, unermüdlicher als jene, raubst es tausend- und tausendmal und gibst es ebenso oft zurück (1. Kor. 15, 31).

O Leben, das man nicht ohne so viele Tode gewinnen kann! 0 Tod, dessen man nicht habhaft werden kann ohne den Verlust so vieler Leben! Sicher wirst du am Ende der Meister des Lebens werden. Wird dann aber die Reinigung des Herzens vollendet sein? Wird der Mensch im Augenblick der Mitkreuzigung in den Stand der Ruhe und das Friedens eingehen? Nein, es ist etwas anderes, das ihm bevorsteht, und etwas viel Schwereres. Auch begraben muss er werden (Rom. 6, 4), auch in die Verwesung übergehen, auch in Staub und Asche zerfallen.

Die verwesenden Leiber wissen nichts von ihrer Verwesung. Ob auch die Menschen in diesem Zustande nicht mehr leiden? Ihr irrt Freunde, wenn ihr damit rechnet. Es verhält sich mit der Seele anders als mit dem Leib. Sie fährt fort zu empfinden und zu leiden und das Begräbnis und die Verwesung und das Nichts sind ihr noch unendlich empfindlicher als ihr das Sterben gewesen war.

Dieser Stand des Sterbens ist in der Regel von sehr langer Dauer, er kann 20 und 30 Jahre dauern, wenn nicht Gott etwas Besonderes mit diesen Menschen beabsichtigt. Wenn ich schon gesagt habe, da nur wenige über die ersten Stufen hinauskommen, so kommen noch viel weniger über diese Stufe hinaus.

Es ist nicht selten, das sehr heilige Menschen, Menschen, die wie die Engel gelebt haben, in schrecklicher Not sterben, nicht anders, als würden sie an ihrer Seligkeit verzweifeln. Das befremdet die Leute, und sie sind verlegen wegen der Ursache. Die Ursache ist folgende: Sie sind verstorben, während sie sich auf dieser Stufe des mystischen Todes befanden. Gott, der ihren Lauf beschleunigen wollte, bevor sie ihr Ende erreichten, verdoppelte zu diesem Zweck ihre Leiden, wie es unter anderen auch Tauler erfuhr.

Man muss sagen, dass, wenn diese Sterbenden wirklich Heilige gewesen sind, man sie als solche ansehen muss, die gemäß ihrem Stand und Inhalt ihres geistlichen Standes vollendet worden sind. Natürlich können sie gar wohl Heilige gewesen sein, ohne dass sie über diese Stufe hinausgekommen wären. Es sind viele von der Kirche selig und heiliggesprochen worden, welche erst sterbend diesen Weg betreten hatten, ja, viele von ihnen haben diesen Grad nicht einmal erreicht. Wenn mir daher Menschen begegnen, die sich ihres schnellen Laufes rühmen, so kann ich nicht anders, als ihnen zu sagen, dass sie sich täuschen. Sie mögen vollendet sein, ich will es zugeben, in irgendeinem der vorbereitenden Stände. Was aber diesen hier anbelangt: in Wahrheit ist es nicht so leicht, ihn zu durchlaufen.

Eben darum sollten auch Menschen, die in der Gegenwart Gottes sterben, und die sich auf der ersten Stufe des reinen Glaubensweges befinden, keinen Ratschlägen folgen, die nur für die höheren Stufen gelten. Man mag es Gott überlassen, die Seele zu entblößen. Er wird es schon tun zu seiner Zeit als Herr und Meister. Der Mensch muss dann nur darauf achten, abzusagen und loszulassen und das Sterben nicht zu verzögern.

Wenn man sich aber aus eigener Kraft und eigenem Wunsch heraus entblößen will, hieße das, alles zu verscherzen, und einen göttlichen Stand herabzusetzen auf eine sehr gewöhnliche und geringe Stufe. Tatsächlich gibt es Menschen, die, nachdem sie von der Entblößung der Seele gehört oder gelesen haben, sofort eigenmächtig sich an solche Arbeit machen und darüber niemals weiterkommen. Sie entäußern sich wohl ihrer selbst, aber dennoch bekleidet sie Gott nicht wieder mit sich selbst. Es ist nämlich zu bemerken, dass Gott, wenn er die Seelen entblößt, es nur tut, um sie wieder zu bekleiden. Er macht nur arm, um reich zu machen. Insgeheim ersetzt er alles, was er den Menschen raubt, aus seiner eigenen Fülle. Das widerfährt den Menschen nicht, die sich selbst entblößen.

Sie verlieren — auch aus eigener Schuld — die Gaben Gottes, aber sie gelangen darum nicht zum Besitz Gottes selber. Man kann auf dieser Stufe nicht genug tun, sein Seelenleben zu entblößen, auszuleeren, arm zu machen und töten zu lassen. Was man auch tun wollte, um sich selbst zu stützen, es gereicht einem alles zu unersetzlichem Schaden. Es heißt das, ein Leben zu fristen, dessen man doch verlustig gehen soll. Man denke an jene Lampe. Ihr sagt, ihr wollt sie ausgehen lassen, ohne sie gerade selbst auszulöschen. Ihr braucht nur aufzuhören, Öl zuzugießen, und sie wird schon ausgehen, ganz von selber. Wenn ihr aber fortfahrt, sie mit Öl zu versorgen, so wird sie niemals erlöschen. So verhält es sich mit dem seelischen Wesen und Leben. „Wer seiner Seele Leben verliert, der wird es finden“. Wenn man seinen Zustand zu erleichtern sucht, wenn man sich nicht geduldig entkleiden, verleugnen und entblößen lässt, welcherlei Nahrung man auch seiner Seele erlaubt, man wird ihren Tod in dem Maß verzögern, mit dem man ihr Futter zumisst. Erwehre dich nicht des Todes, und du wirst leben durch den Tod. Man denke an einen Menschen, der ins Wasser gefallen ist und Gefahr läuft, zu ertrinken. Er überarbeitet sich, um sich über Wasser zu halten. Er bleibt auch oben, solange er es kann. Er fristet sein Leben, solange er noch Kraft hat.

Sobald aber seine Kräfte nachlassen, sinkt er unter und ertrinkt. Genau so verhält es sich mit diesen Menschen. Sie wollen ihre Seele retten. Sie kämpfen gegen das Untergehen, solange sie nur können. Erst wenn die eigene Kraft gänzlich erschöpft ist, verscheiden sie. Gott, den ihr Zustand jammert, und der ihre Mitkreuzigung beschleunigen möchte, lähmt ihnen die Hände, womit sie sich festhielten, und zwingt sie dadurch, zugrunde zu gehen. Wohl ruft und schreit die wehleidige untergehende Seele, aber es ist keine Erhörung. Kein Erbarmen haben ist unter diesen Umständen die größte Barmherzigkeit.

O ihr Seelsorger, steht in diesem geheimnisvollen Werk Gott bei. Hütet euch, diesen Menschen hilf zu leisten. Genau so, wie es euch nicht erlaubt ist, ihr Sterben zu beschleunigen, indem ihr sie selbst unter das Wasser drückt, so ist es euch auch nicht erlaubt, die Hand auszustrecken, um sie herauszuziehen. Raubt ihnen vielmehr jede Stütze. Lasst euch nicht durch ihre Klagen erweichen. Werdet eisern gegen sie, wie der Himmel eisern gegen sie geworden ist, und wenn ihr sie nun erstorben seht, begrabt nicht den Leib. Die Liebe wird ihn auf ihre Weise zu begraben wissen. Das Begrabenwerden und das zu Staubwerden: beides wird zu seiner Zeit und Stunde erfolgen. Die Kreuze folgen, die Kreuze mehren sich. Und je stärker sie sich mehren, mehrt sich auch die Unfähigkeit, so, dass es dem Menschen scheint, er müsse erliegen. Was ihm in diesem Zustand die größte Qual bereitet, ist dies, dass ihm jede Verstärkung der Not die Folge eines Fehltritts zu sein scheint, den er begangen zu haben glaubt. Er meint, selbst zur Verschlimmerung seines Zustandes beigetragen zu haben.

Allmählich gerät er in einen Zustand der Unempfindlichkeit. Er fängt an, sich an die Not zu gewöhnen, von seiner Ohnmacht und Untauglichkeit überzeugt zu werden, und an sich selbst zu verzweifeln (Röm. 7, 18). Er ist sogar zufrieden, dass er all seiner empfangenen Gnaden beraubt wird, und es scheint, dass Gott ihm alles zu Recht abgenommen hat. Er gibt die Hoffnung auf, diese Gnaden jemals wieder zu besitzen.

Wenn er einen anderen begnadeten Menschen erblickt, so verdoppelt das seine Not, und er fühlt sich in die Tiefe seines Nichts versenkt. Er möchte dem anderen nacheifern. Da aber seine Bestrebungen erfolglos sind, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als nur sich in das Sterben und in die Mitkreuzigung hinzugeben. Jetzt könnte er mit der Schrift sprechen: „Was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und was ich besorgt habe, hat mich getroffen“. Was ist das, spricht er, Gott verlieren? Ihn verlieren für immer, ohne Hoffnung, ihn wiederzufinden? Der Liebe beraubt werden für Zeit und Ewigkeit! Den nicht mehr lieben zu können, der das Urbild aller Liebenswürdigkeit ist! War es nicht genug, göttlicher Geliebter, dass du dein Geschöpf verstoßen hast, dass du dein Angesicht auf immer von ihm abgewandt hast?

Muss ihm auch noch die Liebe genommen werden? Muss es auch noch verlieren, womit allein es noch lebte, und das für immer? … Allerdings ist es nur eine Vorstellung des Menschen, dass er die Liebe verloren habe. Im Grunde hat er nie mächtiger und reiner geliebt als eben jetzt. Er hat nur die Lebhaftigkeit, nur die empfindbare Kraft der Liebe verloren, nicht aber die Liebe selbst.

O nein! Vielmehr hat er nie inniger geliebt als gerade jetzt. Er kann es nur nicht glauben, der Ärmste. Und doch wäre es so leicht, es einzusehen. Denn das Herz kann nicht existieren ohne Liebe. Wenn er nun Gott nicht liebte, so müsste er etwas anderes lieben. Aber gerade davon ist er himmelweit entfernt. Es ist ihm unmöglich, an irgendetwas anderem einige Freude zu finden, es mag sein, was es wolle.

Nicht, als ob seine Sinne sich nicht zu den Geschöpfen neigten! Ja, gerade das ist sein großes Leiden, weil er die Empörung der Leidenschaften und seine unwillkürlichen Vergehungen als schreckliche Schandflecke betrachtet, die ihm den Hass des göttlichen Bräutigams zuziehen.

Er möchte sich waschen, sich bleichen sich reinigen, aber er hat sich kaum gewaschen, als er sich schon wieder einbildet, zurückgefallen zu sein in einen noch ärgeren und zäheren Schlamm als den, aus dem er sich soeben herausgearbeitet hatte. Der Ärmste sieht nicht, dass bloß sein allzu schnelles Laufen daran schuld ist, dass er sich beschmutzt, dass er sich dreckig macht, dass er so oft strauchelt und fällt, dass aber eben die Liebe ihn mit solcher Macht fortreißt und seinen Fortgang dermaßen beflügelt, dass er nicht acht auf diese Dinge haben kann, worüber er fällt und strauchelt. Er ist dadurch aber so beschämt, in so einem Zustand laufen zu müssen, dass er kaum weiß, wohin er sich wenden soll. Er geht einher mit ganz zerrissenen Kleidern. Er läuft und rennt so schnell, dass ihm im fliegenden Lauf ein Gewand nach dem anderen entfällt.

Sein himmlischer Bräutigam hilft ihm aus zwei Ursachen, sich zu entkleiden und zu entblättern. Einmal, weil er seine Kleidung beschmutzt hat, seine schöne, zierliche Kleidung, durch jene eitle Selbstgefälligkeit, und weil er sich die Gaben Gottes angeeignet hat, durch so viele selbstsüchtige Rückblicke auf sich selbst; zum anderen, weil er durch die Last der Kleidung in seinem Lauf aufgehalten würde. Selbst die Furcht, so viele Kleinodien zu verlieren, würde ihn dazu bewegen, langsamer zu laufen. Armer Liebender, was ist aus dir geworden! Der du früher die Lust deines himmlischen Bräutigams warst, welcher alles daran setzte, dich zu schmücken und zu verschönen: wie gehst du jetzt einher, so nackt und bloß, so abgerissen und armselig, dass du weder dich selbst anzusehen wagst noch vor ihm dich sehen zu lassen. Alle Leute, die dich früher gesehen haben, die dich so sehr bewunderten in deiner Schöne und in deinem Schmuck, sind ganz erstaunt, dich so zerlumpt zu finden. Sie glauben, dass du die allerschweresten Verbrechen begangen haben musst, denn nur diese könnten den himmlischen Bräutigam bewogen haben, dich zu verlassen. Sie ahnen nicht, dass dieser eifersüchtige Bräutigam, der den Menschen nur um seiner selbst willen liebt, sobald er wahrgenommen hatte, dass seine Braut sich nur mit ihren Zierden beschäftigte, dass sie sich in ihnen bewunderte und bespiegelte, dass sie anfing, mit sich selbst zu liebäugeln, dass sie manchmal aufhörte, den Bräutigam anzublicken, um nur sich selbst zu betrachten, dass die Liebe, die sie auf sich selbst vergeudete, der Liebe zu dem Bräutigam Abbruch tat, dass er nur deshalb sie entblößte und ihr alle Reize und Zierden vor ihren Augen verschwinden ließ.

Wenn der Mensch in der Fülle seiner Güter sich befindet, hat er ein Vergnügen daran, sich selbst zu betrachten. Er sieht an sich selbst Liebreize, die seine Liebe sich selbst zuwenden und Gott entziehen. So ein Tor! Er sieht nicht, dass er nur mit der Schönheit des Bräutigams schön ist, und dass, wenn dieser sie ihm wieder raubt, er so hässlich werden würde, dass es ihn vor sich selber grauen würde. Er versäumt es, dem Bräutigam zu folgen auf seinen Wegen durch die Wüste, durch die Felder und Wälder. Er fürchtet, seine Farben zu verderben, seine schönen weißen Kleider zu bestaunen und seine Kleinodien und Geschmeide zu verlieren.

O eifersüchtige Liebe, wie wohl tust du, diesem eitlen Menschen zu begegnen, ihm das zu nehmen, was du ihm gegeben hast, damit er lernt, wer er sei, damit er, nunmehr ganz nackt und bloß, durch nichts mehr in seinem Lauf gehindert werde.

A) Die Entzierung

Unser lieber Herr fängt also an, den Menschen nach und nach zu entblößen. Zuerst nimmt er ihm alle seine Gnadengaben, Gnaden und die Pfänder seiner Liebe, das sind gleichsam die Kleinodien, womit er ihn geschmückt hatte. Darauf nimmt er ihm alle Leichtigkeit und Fertigkeit, das Gute zu tun, das sind gleichsam seine Kleider. Schließlich nimmt er ihm auch die Schönheit seines Angesichts, das sind die göttlichen Tugenden, die er von nun an außerstande ist, auf eine wirksame Weise zu üben. Das sind die drei Stufen der Entblößung, die dem wahren Mitgekreuzigt sein vorangehen. Der erste Grad der Entblößung ist der, dass den Menschen die Geistesgaben, Gnaden und Pfänder der Liebe Gottes genommen werden, ja auch die empfindbare und wahrnehmbare Liebe. Er empfindet, dass er davon nach und nach entkleidet wird. Er sieht, dass der himmlische Bräutigam nach und nach alles zurücknimmt, was er ihm an Kleinodien gegeben hatte. Darüber ist der Mensch nicht wenig betrübt. Jedoch weniger über den Verlust solcher Kostbarkeiten, als vielmehr darüber, dass sich der göttliche Geliebte zurückzieht. Denn der Mensch meint, dass Gott böse auf ihn sei, und dass er darum ihm alles wegnimmt, was er ihm gegeben hat. Natürlich sieht er ein, wie viel Missbrauch er damit getrieben hatte, und dass er sich all zu sehr in diesen Verzierungen gefallen hatte.

Auch ist er so voll Scham darüber, dass er vor Beschämung vergehen möchte. So lässt er Gott tun, was dieser will, und wagt nicht zu fragen, warum er ihm das wieder nimmt, was er einmal gegeben hat. Er blickt in tiefem Stillschweigen zu ihm empor, jedoch auf eine so klägliche Weise, das Gott daraus sofort sehen kann, wie sehr sein Verfahren den Menschen schmerzt.

Dieses Stillschweigen ist aber noch nicht so tief wie später. Es wird noch durch Tränen und Schluchzen unterbrochen. Aber eben diese Ausbrüche seines Schmerzes betrüben den Freund aufs Neue. Der Mensch scheint auf solche Weise Gottes Härte anzuklagen. Er scheint nicht zu begreifen, dass er verdient hat, so behandelt zu werden, und dass es nur deshalb geschieht, damit der Mensch außer Stand gesetzt wird, des himmlischen Freundes Güter fernerhin zu missbrauchen. So bemerkt der Mensch bald seinen Missgriff und sein Versehen. Er eilt, dem himmlischen Freund zu beteuern, dass er sich um seine Gaben wenig bekümmert, wenn er nur aufhört, mit ihm zu zürnen. Er bezeugt dem Herrn, dass er nur darum weine, weil er das Unglück gehabt hat, ihm zu missfallen. Und es ist tatsächlich war, dass in diesem Augenblick das Missfallen des göttlichen Geliebten ihm so empfindlich ist, dass er nicht mehr an die verlorenen Schätze denkt, sondern nur an die Trauer des Freundes. Er sucht Gott zu besänftigen durch seine Demütigung, seine Hingabe und seine Klagen. Auch das ist dem himmlischen Freund nicht ganz recht. Er schont aber seine Schwäche, und lässt es ihn einstweilen nicht merken.

Nachdem er den Menschen eine Weile zagen und zappeln lassen musste, stellt er sich so, als sei er nun besänftigt. Trocknet ihm selbst die Tränen und tröstet ihn. Wer beschreibt die Freude, das Übermaß von Seligkeit, das der Mensch wegen der ihm wieder zugewendeten Liebe Gottes empfindet. Zwar gibt Gott ihm die zurückgenommenen Pfänder nicht wieder, aber danach fragt der Mensch nicht. Er ist froh, nur wieder angeschaut, getröstet und geliebt zu werden von dem Vielgeliebten. Da jedoch jeder Genuss des Augenblicks vergangene Entbehrungen gewöhnlich vergessen lässt, so verliert sich der Mensch ganz und gar bei dem wiedergefundenen Freund. Er gedenkt nicht mehr des überstandenen Jammers, sondern schwelgt in den neuen Erweisen seiner Liebe, so, dass der Bräutigam genötigt wird, sich ihm mit Gewalt zu entreißen und ihn sofort noch weiter aller Gnaden zu entblößen. Es muss bemerkt werden, dass Gott dem Menschen seine Schätze nur allmählich raubt: Das eine Kleinod diesmal, das andere ein andermal.

Je schwächer der Mensch ist, desto langwieriger ist seine Entblößung. Je stärker er ist, desto früher kann es geschehen, indem Gott die Kräftigeren auch schärfer und weniger schonend behandelt. Wie hart auch diese Entblößung sei, sie beschränkt sich doch nur auf das Überflüssige und Entbehrliche, auf die Gnadengaben, Gnaden und Pfänder. Auf das Wesentliche erstreckt sie sich in dieser Zeit noch nicht. Aber auch das geschieht nur nach und nach gemäß der Schwäche des Menschen. Diese Führung Gottes ist so Bewunderungswürdig, sie fließt aus einer so unergründlichen Liebe des Schöpfers für sein Geschöpf, dass man selbst Gegenstand dieser Liebe gewesen sein muss, um sie nur einigermaßen zu ermessen. Der Mensch ist so erfüllt von sich selbst, er ist so durchwachsen und durchwurzelt von der Eigenliebe, dass er verloren ginge, wenn Gott nicht so mit ihm verführe.

Man möchte fragen: wenn die Gnadengaben Gottes dem Menschen so gefährlich sind, warum werden sie ihm dann erst gegeben? Sie werden ihm gegeben, um ihn von der Sünde loszureißen, um ihn zu erretten von dem Ankleben an die Geschöpfe, um ihn zurückzuziehen zu dem, der diese kostbaren Gaben spendet. Aber eben diese Gnadengaben, womit Gott den Menschen beschenkt, um ihn abzulösen von den Geschöpfen und von sich selbst und um ihn dahin zu bringen, dass er wenigstens aus Dankbarkeit den Geber liebt, eben diese dienen dem armseligen Geschöpf nur zum neuen Fallstrick. Die Eigenliebe ist so tief gewurzelt in der Kreatur, dass die Gaben ihr nur neue Nahrung geben. Der Mensch, der sich in ihnen bespiegelt, entdeckt neue Liebreize in sich, die er früher nicht wahrgenommen hatte. Er vertieft sich darin. Er klebt an sich selbst. Er eignet sich zu, was Gottes ist. Er wird verwöhnt durch die Vertraulichkeit, deren der Hocherhabene ihn würdigt. Er vergisst die Sklaverei, woraus Gott ihn gerissen hat. Sicher könnte Gott den Menschen von dieser Erbkrankheit seiner Natur erlösen, wie er ihn von seinem begehrlichen Grunde befreien könnte. Er tut es nicht, aus Gründen, die nur ihm bekannt sind.

Der auf solche Weise der göttlichen Gnadengaben beraubte Mensch verliert ein wenig von seiner Eigenliebe. Er fängt an einzusehen, dass er nicht so reich sei, wie er es sich eingebildet hatte, und dass seine Reichtümer nicht ihm selbst gehörten, sondern dem Freund. Er wird inne, dass er dieselben missbraucht hat und willigt ein, dass Gott sie zurücknimmt und behält.

„Ich werde reich sein“, spricht er, „in Kraft und Reichtum meines Freundes. Mag er sie behalten. Es wird alle Zeit die Gemeinschaft der Güter unter uns sein, und er wenigstens wird sie nicht verlieren“. Der Mensch ist am Ende ganz zufrieden damit, dass er diese Ketten und Spangen und Ringe und Kleinodien verloren hat. Er fühlt sich nicht mehr so belastet und kann in der Zukunft seinen Weg umso schneller beenden. Er gewöhnt sich an diese Entblößung.

Er sieht ein, dass diese ihm nützlich und heilsam gewesen ist. Er kümmert sich nun nicht weiter darum. Nun putzt er sich mit seiner eigenen Kleidung auf, so gut er es kann. Und da er sich schön vorkommt, so lebt er in der Hoffnung, dass er auch mit seinen angeborenen Annehmlichkeiten und in der eigenen Kleidung dem Bräutigam gefallen werde, wie es ja geschehen war, ehe er ihn noch mit seinen Gaben geziert hatte.

B) Die Enthüllung

Der Mensch hat sich mit dem erlittenen Verlust abgefunden. Schon überlässt er sich der Hoffnung, dass keine weiteren Opfer von ihm verlangt werden, als er mit Schrecken wahrnimmt, dass sein himmlischer Geliebter noch schonungsloser und noch gewalttätiger anfängt, ihn nun auch seiner Kleider zu berauben. O Ärmster, was soll nun werden? Jetzt widerfährt ihm noch Schlimmeres als bisher. Was ihm bis heute genommen wurde, war nur das Überflüssige. Jetzt aber sollst du entbehren, was ohne Verletzung des Anstandes nicht entbehrt werden kann (Joh. 19, 23).

Deshalb wehrt sich auch der arme Geängstigte dieser neuen Entblößung aus allen Kräften. Er macht dem Bräutigam Vorhaltungen, dass ihm das selbst zur Schmach gereichen werde. „Wehe mir“, spricht er, „ich habe alle deine Gaben und Geschenke hingeben müssen. Ich musste alle Pfänder deiner Liebe zurückgeben. Ich habe die Freude der Liebe selbst verloren. Nur die Tugend war mir geblieben und die Freude und die Leichtigkeit, sie zu üben.

Ich übte mich in den Liebeswerken. Ich kümmerte mich um den Nächsten. Ich habe fleißig gebetet, obwohl du mir deine spürbaren Gnaden entzogen hattest. Ich kann mich nicht entschließen, dies alles aufzugeben. Ich war wenigstens noch meinem Stande entsprechend gekleidet. Man betrachtete mich in der Welt immer noch als deine Braut. Wenn ich nun auch noch meiner Kleider beraubt werde, so wird man mich als eine Verworfene ansehen, und ich werde dir selbst zum Vorwurf gereichen …“. Trotzdem, Unglücklicher, wirst du dich auch in diesen Verlust fügen müssen. Immer noch kennst du dich selbst viel zu wenig. Eben deine Kleider dienen dazu, deine wahre Gestalt dir selbst zu verhüllen. Auch wähnst du, sie seien dein Eigentum, und du könntest ganz nach eigenem Belieben dich ihrer bedienen. Darum lass nur auch diese fahren…

Aber ich hatte sie mir doch mit so großer Anstrengung erworben. Du selbst hattest sie mir zum Lohn der Arbeiten gegeben, die ich für dich bestanden hatte … du musst sie doch hergeben!

So wird nun der Mensch entblättert und seiner Verhüllungen beraubt, der einen nach der anderen. Alles wird jetzt wieder weggenommen, woran er vormals seine Freude gefunden hatte: die Almosen, die Krankenpflege, die Bußübungen, der Gottesdienst, ja das Gebet selber. Und er empfindet nicht nur Widerwillen und Ekel dagegen, er spürt sogar eine völlige Untüchtigkeit, ein unüberwindliches Unvermögen, diese Dinge zu tun. Alle seine eigene Kraft hat ihn verlassen, die Kraft des Leibes, die Kraft der Seele. Ihm bleibt nur noch die Erinnerung an die frühere. Ihm bleibt eine wehmütige Erinnerung an seine verlorenen Tugenden. Aber auch die wird ihm genommen. Es war die letzte Hülle, womit er sich bedeckte.

Der Mensch wagt es nicht mehr, sich zu beklagen. Allmählich sieht er ein, dass ihm auch diesmal wiederfährt, was ihm gebührt. Er begreift, dass ihm gar nichts gehört, sondern alles dem Bräutigam. Er fängt an, ein Misstrauen gegen sich selbst zu schöpfen. Er verliert allmählich jene tief verwurzelte Vorliebe für sich selbst.

Aber er hasst sich noch nicht (Joh. 12, 25 und Luk. 14, 26), denn er ist schön, obgleich entblättert. Von Zeit zu Zeit sieht er mit kläglichem Blick den Freund. Aber er wagt kein Wort zu sprechen. Er fürchtet, seinen Unwillen zu erregen. Es scheint ihm gering zu sein, so enthüllt und entblößt zu sein, wenn nur der himmlische Bräutigam nicht zürnte, und er sich nicht unwürdig gemacht hätte, seine hochzeitlichen Kleider zu tragen. Schon ist seine Beschämung unendlich. Er wagt weder vor dem Freunde zu erscheinen, noch vor den Leuten. Er möchte sich verstecken im Mittelpunkt der Erde. Umsonst.

Er muss hervor. Er muss zur Schau gestellt werden der Erde wie dem Himmel. Die Leute staunen. Sie fangen an, ihn weniger zu achten. „Ist das der Mensch“, sprechen sie, „der noch vor kurzem die Bewunderung der Menschen und Engel war? Seht doch, wie er herabgefallen ist von seiner Höhe aus“! Dieser arme Verlassene hört sehr genau, was die Leute sagen. Es geht ihm umso tiefer ins Herz, als er sich bewusst ist, dass er es wirklich verdient habe, so vom Bräutigam preisgegeben zu werden. Noch eine Weile hegt er die Hoffnung, dass wenigstens das eine oder andere verhüllende Gewand ihm wiedergegeben wird, dass wenigstens irgendein alter Lumpen ihm zugeworfen werde, um sich zu bedecken.

Aber er hofft vergebens. Es ist gerade die Liebe, die unergründliche Barmherzigkeit des göttlichen Freunds, die ihn daran hindert, den leisen Wunsch des Liebenden zu gewahren. Er weiß, dass der Mensch in seinem Inneren nur so gefördert werden kann, dass er nur durch die äußerste Entblößung von der grundverderblichen Eigenliebe geheilt werden kann. Um mit Gott eins zu werden, ist es notwendig, dass auch der letzte Keim der Eigenliebe in ihm getilgt werde. Darum macht sich der Bräutigam bereits daran, noch strenger und herber mit ihm zu verfahren.

C. Nun lebe nicht mehr ich.

a) Die Entschönung

Es war nur der Anfang, dass der Mensch seiner Zierden beraubt wurde und seiner Kleidung. Auch seine Schönheit muss er noch verlieren, um so hässlich wie seine Sünde zu werden. Bisher waren ihm nur die außerordentlichen Gnadengaben und Gnaden genommen worden, danach die Kraft und Fähigkeit zum Guten. Er hat jede lobwürdige Wirksamkeit verloren, das Vermögen zu Bußübungen, zu Liebeswerken, zur Armenpflege. Nur die göttlichen Tugenden waren ihm geblieben.

Jetzt soll er auch diese verlieren. Natürlich nur, was den Gebrauch anbelangt, denn in der Wirklichkeit prägen sie sich nur umso tiefer in die Seele ein. Er verliert die Tugend als Tugend, aber nur, um sie in Jesus Christus wiederzufinden. Dieser vormals so demütige Mensch sieht sich auf einmal stolz und übermütig. Dieser so geduldige Mensch, der sich auch das Härteste gefallen ließ, von dem man auch das Äußerste verlangen konnte, wird gewahr, dass er jetzt gar nichts vertragen kann. Er kann die Zügel seiner Sinne nicht mehr halten. Er gerät in Zorn und in Wut. Er überwirft sich mit den Geschöpfen. Er könnte mit der Braut des Hohen Liedes klagen: „Dass die Hüter, die in der Stadt umgehen, ihn gefunden und ihn wundgeschlagen haben“.

Es ist zu bemerken, dass diejenigen, die sich in diesem Stand befinden, keineswegs einen freiwilligen Fehltritt begehen. Gott lässt sie zwar gewöhnlich einen solchen Abgrund des Verderbens in ihrem Inneren erkennen, dass sie mit Hiob sprechen möchten: „Ach, dass du mich in der Hölle verbergen würdest, bis dass das Ungestüm seines Zornes sich legte“. Aber Gott lässt nicht zu, dass dieser Mensch in eine wirkliche Sünde fällt. Und das ist so wahr, dass, wenn er sich auch als das verworfenste aller Geschöpfe vorkommt, er trotzdem, wenn er beichten soll, keinen einzigen Fehltritt anzuführen weiß, sondern sich damit begnügen muss zu klagen, dass er voller Jammer sei und in seinen Neigungen und Trieben einen beständigen Kampf spüre. Es dient zu Gottes Verherrlichung, dass er dem Menschen zwar die Verdorbenheit seines Grundes offenbart, ihn aber nicht in irgendeine wirkliche Sünde fallen lässt.

Was seinem Schmerz eine so schneidende Schärfe gibt, ist dies, dass er sich gleichsam erdrückt fühlt von Gottes Reinheit, und dass dem Menschen wegen des unermesslichen Abstandes zwischen der Reinheit des aller vollkommensten Wesens und der Unreinheit des sündigen alten Adams, die kleinsten Sonnenstäubchen der eigenen Unvollkommenheit als ungeheure Sünden erscheinen. Er sieht, dass er ganz klar und lauter aus den Händen Gottes hervorgegangen war, dass er aber nicht nur durch die Sünde Adams getrübt worden ist, sondern er sich auch selber unzähliger wirklicher Vergehen schuldig gemacht hat. Darüber empfindet er eine unaussprechliche Beschämung. Wenn aber die Menschen ihn verachten, so geschieht das nicht, als ob sie irgendeine namhafte Unart oder Untugend an ihm wahrgenommen hätten. Es geschieht nur, weil sie ihn nicht mehr tun sehen, was er sonst mit so großer Treue und Wärme zu tun pflegte. Sie glauben daher, er sei aus seinem Stande herausgefallen, wobei sie sich dann freilich sehr irren.

Dieser Mensch begeht also nicht die Fehler, die er zu begehen wähnt. Er ist vielmehr niemals in seinem Grunde lauterer gewesen. Da die Sinne und die Kräfte aber jeder Stütze beraubt sind, so schweifen sie umher wie in der Irre. Der Lauf zum Ziel wird dem Menschen in diesem Stand dermaßen beschleunigt und beflügelt, dass nicht zu verwundern ist, wenn er, der an sich selbst nicht einmal denkt, wenig auf die Unebenheiten des Weges acht hat. So kommt es dann vor, dass er anstößt und strauchelt und fällt. Er beschmutzt sich auch wohl mit dem Staub und Kot, in den er fällt.

Aber Gott behütet ihn, dass er sich nicht verletzt. Natürlich erschrickt er über seinen Fall. Er schämt sich seiner Unvorsichtigkeit wie der schreiensten Untreue. Er streckt die Hände aus nach dem Geliebten. Obwohl dieser ihn mit seiner unsichtbaren Hand stützt, so hütet er sich, dies auf eine wahrnehmbare Weise zu tun. Seine Absicht ist, dass der Mensch durch das Fallen und seine vergeblichen Bemühungen, sich wieder aufzuhelfen, zur Erkenntnis seiner eigenen Untüchtigkeit gelangen soll. Er sucht sich auch wieder aufzuraffen. Jedoch umsonst! Ohnmächtig und kraftlos sinkt er zurück. Er verzagt am Ende an sich selbst. Er lässt ab von den vergeblichen Bestrebungen. Er entsagt aller Hoffnung. Er möchte mit Hiob sprechen: „Was soll ich harren? Und wer achtet auf mein Hoffen? Hinunter in die Hölle muss er fahren, und meine Hoffnung wird zu Staub“!

Hier endlich fängt der Mensch an, sich wirklich kennen zu lernen, und infolgedessen auch sich aufrichtig zu hassen. Das würde nicht geschehen, wenn unser Herr ihn nicht empfinden und einsehen ließe, wer er eigentlich ist. Alle Einsichten, die man sich von seinem Inneren erwirbt durch all die Lichter der früheren Stände, reichen lange nicht hin, den Menschen dahin zu bringen, sich selbst zu hassen. „Wer seine Seele lieb hat“, steht geschrieben, „der wird sie verlieren, wer sie aber hasset, der wird sie retten“. Nur die Erfahrungen, die der Mensch gemacht hat, und die ihm so schwer erschienen, vermochten den bodenlosen Abgrund seines Elends aufzudecken. Kein anderer Weg hilft da zur wahren Reinigung. Er reinigt höchstens auf der Oberfläche. Der Grund hingegen bleibt unberührt von ihm. Gerade der Grund ist es, in dem die Unreinigkeit sich verbarg, ohne dass sie bis jetzt aus diesem ihrem letzten Zufluchtsort und Versteck hätte herausgepresst und hinausgetrieben werden können.

Diese urgründliche Unreinheit, die Wirkung der Eigensucht und Eigenliebe ist es, die der große Läuterer und Schmelzer jetzt in den Tiefen des Gemütes aufsucht und durch gewaltiges Pressen und Drücken den Unrat hervorzutreten nötigt. Nehmt einen mit Schmutz übersättigten Schwamm, wascht ihn, so viel ihr wollt, und ihr werdet nur sein Äußeres reinigen. Den Grund werdet ihr nicht eher säubern, als bis ihr durch kräftiges zusammendrücken den verborgenen Schmutz herauspresst. So wird es euch leicht werden, ihn vollends zu säubern. Genau so verfährt Gott mit den Menschen. Er presst ihn zusammen auf eine ihm freilich äußerst unangenehme und schmerzhafte Weise. So nur aber wird das hervortreten, was in seinem Inneren verborgen gewesen war.

Der Mensch erschrickt über diesen ungeheuren Unrat. Es wird ihm übel von dem Anblick und von dem Geruch. Er kann nicht glauben, dass das alles ihm angehört habe. Er hatte gemeint, es sei ihm von außen gekommen. Aber er irrte. Es war vorhanden, und er sah es nicht. Jetzt erst spürt er den Unrat, wo er glücklich ist, davon erlöst zu werden. Wer an einem Geschwür leidet, spürt keinen Ekel daran, bis es geöffnet wurde. Jetzt wird ihm allerdings wegen des hervorquellenden Eiters angst und bange. Er sollte sich beglückwünschen zu diesem Übelwerden. Es war der nicht sichtbar gewordene Eiter, der ihm gefährlich werden konnte, es war der verborgene, der, wenn er unberührt geblieben wäre, sich tiefer in Mark und Knochen eingefressen hätte und auch Gutes mit zerstört hätte.

So ist also dieser dunkle und schmerzhafte Weg der einzige, auf welchem der Mensch von der Wurzel her gereinigt werden kann. Auf jedem anderen würde er unrein bleiben, so sauber er auch nach außen scheinen würde. Darum ist es wichtig, dass Gott ihm zu erkennen gibt, was die eigentliche Gestalt seines Inneren ist.

Diese entblößende Gnade greift hauptsachlich die allergeheimsten und verborgendsten Schäden an, gewisse Lieblingseigenheiten, die die Natur sorgsam nährt und pflegt, und die den Menschen nicht als Fehler vorkommen, sondern vielmehr als Tugenden, so dass, wenn man sie verliert, man Tugenden zu verlieren scheint.

Denn die wahre und wesentliche Tugend wird nur auf Kosten der gemachten eigenen Tugend erworben. Sie wird nur durch die Versuchungen zum Gegensatz erworben, wie geschrieben steht: „Wer nicht versucht wurde, was mag der Großes wissen“! Je mehr Anhänglichkeit wir an irgendeine Tugend haben, desto mehr werden wir in Beziehung auf sie geprüft. Die Mängel der anderen Wege erscheinen jetzt deutlicher als Mängel. Diejenigen aber, die Gott aufdeckt und austilgt aus dem Innersten des Herzens, würden bei den anderen für Vollkommenheiten gelten. In der Tat zeichnen die anderen sich aus durch eine hervorleuchtende Weisheit, durch einen Verstand, der alles fasst und einsieht, durch einen Heldenmut, der getrost ist, auch das Äußerste zu wagen. Jene dagegen sind nichts, wissen nichts, haben nichts. Da ist nichts als Schwachheit, Ohnmacht, Unvermögen. Nicht die kleinste Eigenheit wird ihnen gelassen. Auch sind sie weit davon entfernt, nachdem sie einmal alles verloren haben, aufs Neue nach etwas Eigenem zu trachten, oder sich an irgendetwas zu hängen. Woran sollten sie sich auch hängen, sie, die so unrein und unschön sind.

Die begnadetsten unter diesen Menschen sind der Welt gewöhnlich ein Dorn im Auge. Es wird ihnen von allen Seiten widersprochen und entgegengearbeitet. Was die anderen tun, wird sehr bewundert. Sie dagegen scheinen alles zu verderben, was sie unternehmen. Nichts gelingt ihnen. Nichts können sie den Leuten recht machen. Sie ergeben sich aber bald in diese Lage. Sie haben endlich eingesehen, dass alles Gute nirgends als in Gott sei, alles Böse nirgends als in ihnen selbst.

Niemand weiß und niemand glaubt, als wer es erfahren hat, wessen die Natur fähig sei, wenn man sie sich selbst überlässt. Gewiss hat die heilige Katharina nicht übertrieben, wenn sie schrieb, dass unser eigenes, sich selbst überlassenes Wesen schwärzer und schlimmer sei, als selbst das Reich der Finsternis.

Wie kann es dann verwundern, wenn der durch so harte Mittel zur Selbsterkenntnis gelangte Mensch sein eigenes ich mehr hasst, als den argen selbst. Erst jetzt hat er Augen, um seine eigene Hässlichkeit zu sehen. Er weiß; nur Böses von sich selber zu reden. Es wundert ihn nicht, dass der Bräutigam ihn verlassen hat, es wundert ihn vielmehr, dass Gott ihn nur einen Augenblick habe lieben können.

Er kann es nicht einmal ahnen, dass der schmerzlich vermisste himmlische Freund eben jetzt ihn am innigsten liebe, und dass er nur deshalb vor ihm fliehe, um ihn zu einem desto schnelleren Lauf zu ermuntern, dass er ihn nur deshalb alles und sich beschmutzen lasse, um ihn desto gründlicher reinigen zu können. Wenn man das Eisen in das Feuer bringt, um es zu säubern und von Rost zu befreien, so scheint es wohl sich anfangs zu beschmutzen und zu schwärzen. Aber, nachdem es ganz durchglüht worden ist, freut man sich seiner Reinheit und Blankheit.

Der himmlische Freund lässt den Liebenden sein Unvermögen erproben, damit er aufhört, sich auf die eigene Kraft zu stützen, und sich von ihm allein tragen lässt. Denn so sehr er sich in seinem Lauf auch anstrengt, so glich sein Gang doch immer nur dem wankenden Tritt eines Kindes. Ist er aber in Gott und wird von Gott getragen, so verwandelt das Kindergetrappel sich in den Gang der Sonne, die, obwohl sie zu ruhen scheint, zu jedem Zeitpunkt unermessliche Räume durchwandert.

Auch jetzt noch sieht der ganz und gar entblößte Mensch manche seiner Bekannten wunderbar prangend mit den Zierden, die ihm selbst genommen worden sind. Mit Ehrerbietung betrachtet er diese geliebten Bräute Christi, und wagt kaum ihnen zu nahen. Er bewundert sie in dem Geschmeide, das auch einst sein eigenes war. Aber es fällt ihm nicht ein, es wieder haben zu wollen. Er achtet sich dessen für unwert. Er würde fürchten, es zu entweihen, wenn er mit so unreinen Händen es auch nur berührte.

Es freut ihn zu finden, dass, wenn schon er selbst dem Geliebten verleidet worden ist, es trotzdem an anderen nicht fehlt, an denen er seine Freude hat. Er ist für immer geheilt von jeder Eifersucht des ersten Brautstandes, wo er den Bräutigam für immer für sich allein hätte behalten mögen. Im Gegenteil, er ist froh, dass er ihn nicht ansieht, ihn, dessen Anblick ihm nur Ekel und Abscheu verursachen würde, und dass er seine Lust an den anderen und würdigeren hat. Er preist sich glücklich die Liebe seines Gottes gewonnen zu haben, und gönnt ihnen von Herzen gern die Unterpfänder, die er selbst vorher besessen hatte.

Während er sich selbst gegenüber diesen begünstigten Menschen so klein und gering vorkommt, und diese ihm als Könige erscheinen, hat er keine Vorempfindung von der Herrlichkeit, die gerade aus seiner Entblößung, seinem Sterben und Verwesen für ihn erwachsen wird. Denn der Freund entblößt ihn einzig und allein deshalb, um ihn zu bekleiden mit sich selbst, wie der heilige Paulus uns ermahnt „anzuziehen Jesus Christus“. Er tötet ihn, um selbst sein Leben zu sein, wie geschrieben steht: „Sind wir mit Christus gestorben, so werden wir auch mit ihm auferstehen“. Er vernichtet ihn, um ihn umzugestalten in sein Bild, wie es verheißen worden ist, dass wir sollen „ähnlich werden seinem verklärten Leib, nach der Macht, womit er alle Dinge sich untertänig machen kann“.

Man darf daher nicht glauben, dass dieser so hart geprüfte Mensch, über dessen Haupt alle Wetter zusammenzuschlagen scheinen, in diesem seinem läuternden und reinigenden Stande wirklich von Gott verlassen sei. In Wirklichkeit ist er nie kräftiger von ihm unterstützt worden. Es ist nur die Natur, die für eine Weile sich selbst überlassen wurde, und die alle diese Verheerungen anrichtet, ohne dass die Seele teil daran hat.

Diese trostlose Braut, während sie hierhin und dorthin rennt, um dem Geliebten zu folgen, kann es freilich nicht verhindern, vielfältig bestaunt und bespritzt zu werden. Sie ritzt sich wohl auch in den Dornenhecken, die an ihrem Wege sind. Sie ermattet so sehr, dass man jeden Augenblick erwartet, sie niedersinken und verscheiden zu sehen. Die größte Barmherzigkeit, welche der Freund unter solchen Umständen ihr erzeigen kann, ist die, dass er unerbittlich ist und sie sich zu Tode rennen lässt je eher je lieber. Manchmal wendet er sich ihr zu, und so oft er wahrnimmt, dass sie im Begriff sei, sich selbst aufzugeben und sich einem gefährlichen Ausruhen zu überlassen, besucht er sie mit einem liebenden Blick. Jeder solche Blick dient dazu, sie neu zu entzünden und neu zu beflügeln, allerdings auch ihren sterbenden Zustand zu verlängern. Daher werden auch diese Blicke immer seltener, und die Besuche des Freundes immer flüchtiger, bis sie endlich, zur Zeit und Stunde, die ihm die rechte zu sein scheint, ganz und gar aufhören. Und jetzt ist der Rest ihrer wirkenden Kräfte erschöpft. Sie sinkt. Sie geht unter. Aber nur, um unter einem anderen Pol und über einer anderen Hemisphäre wieder aufzugehen.

b) Mit Christus gestorben

Nachdem der Mensch alles verloren hat, soll er nun auch noch sich selbst verlieren, indem er gänzlich verzagt, an den Geschöpfen und an sich selbst. Das Gebet bereitet ihm während dieses Standes sehr viel Not. Da er den Gebrauch seiner Kräfte verloren hat, da darüber hinaus ein gewisser innerer, in den Tiefen seines Grundes verborgener, unaussprechlicher Friede, der ihm zur letzten Stütze diente, von Gott genommen worden ist, so irrt er umher wie ein Waisenkind, das jemanden sucht, der ihm Nahrung reichen möge. Und er findet keinen.

Es kommt ihm vor, als ob er die Gabe des Gebetes überall verloren hätte. Es ist ihm zumute wie solchen, die das Gebet niemals besaßen. Der Unterschied ist nur, dass diese durch das Entbehren eines Gutes, dessen Wert sie nicht zu würdigen wissen, nicht im Geringsten gerührt werden, während er dessen Verlust auf das Schmerzlichste empfindet. Abgestoßen von dem Ort, wo er sonst jederzeit Trost und Stärkung gefunden hatte, fühlt sich dieser der Mitkreuzigung entgegeneilende Mensch versucht, zu den Geschöpfen zu flüchten.

Es kann ihm passieren, in einer Art von Verzweiflung, sich auf die Dinge zurückzuwerfen, woran er früher das größte Wohlgefallen gefunden hatte. Er ist jedoch fern davon, ihnen einigen Geschmack abgewinnen zu können. Vielmehr trifft er darin eine solche Bitterkeit, dass er sich eiligst wieder von ihnen zurückzieht, und nichts davonträgt, als das schmerzliche Gefühl seiner Untreue.

Die Einbildungskraft ist ganz und gar verwildert und taumelt umher gleich einem Betrunkenen. Die drei Kräfte der Seele verlieren nach und nach alles Leben. Der Verstand verfinstert sich. Die Erkenntnis verblasst. Der Wille verliert alle Spannung. Nichts aber wird dem Menschen schwerer und peinlicher aufzugeben, als dieses verborgene Etwas, dass ihm umso unentbehrlicher und wesentlicher vorkommt, je zarter und köstlicher es ihm gewesen ist. Er würde eher alles andere aufgeben, wenn nur dieses unbeschreibliche Etwas ihm bliebe. Da er noch nicht zur Unmittelbarkeit gelangt ist, so glaubt er untergehen zu müssen, wenn alles und jedes Mittel ihm genommen wird, zumal dieses letzte und edelste Mittel, dass ihm das Gut zu sein scheint, dem er bis jetzt zustrebte und der Preis aller seiner Mühen. Was ist es denn, das der Mensch durch so viele Kämpfe und Anstrengungen zu gewinnen meint, wenn nicht dieses Zeugnis im Grunde, da er ein Kind Gottes sei? Die Blüte und Frucht aller Gottseligkeit ist eben diese innere Gewissheit.

Trotzdem muss auch dieses noch verlorengehen. Hilflos und stützlos muss der Mensch der Empfindung seines Jammers und Elends preisgegeben bleiben. Und gerade das ist es, was einzig und völlig das Sterben des Menschen bewirkt. Bliebe ihm dieses verborgene Etwas, das das Leben der Seele ausmacht, so würde er nicht sterben. Auch wenn zugleich mit jener Stütze die Empfindung seines Zustandes ihn verlassen würde, würde er sich noch halten können und nicht sterben. Er weiß und begreift es gut, dass er, um zu seinem Ziel zu gelangen, durch langwierige und schauervolle Finsternisse tappen müsse, da er alles verlieren müsse, was ihm Geschmack und Empfindung verursacht, so zart es auch gewesen ist. Er erträgt daher auch mit Kraft deren Beraubung besonders dann, wenn es ihm sonst nicht an Erleuchtung und Einsicht fehlt. Jedoch auch jeden im innersten kaum wahrnehmbaren Widerhall zu verlieren, vor Schwäche umzusinken, in den Staub und Kot zu fallen, hierein kann der Mensch nicht willigen, weil er nie darin einwilligen darf. Hier ist es, wo die Vernunft sich verliert und sich Schauder und Schrecken des Todes des Menschen bemächtigen, der nur noch zu leben scheint, um seinen Tod zu fühlen.

Der Mensch muss sehr treu sein in diesem nackten und schweren Zustand, damit die Sinne sich nicht freiwillig zu den Geschöpfen neigen und in ihnen die Erholung und Zerstreuung suchen, die sie begehren. Nur von einem freiwilligen und selbst erwählten Hinneigen der Sinne ist hier die Rede. Denn was die Tötung und das bewusste Aufmerken auf sich selbst anbelangt, so ist der Mensch deren jetzt nicht fähig. Je mehr er getötet worden ist, in dem Sinne nämlich, worin die weniger Geübten das Töten sehen, desto mehr Hang hat er zum Gegenteil, ohne dessen gewahr zu werden. Er ist ähnlich dem seiner Sinne Beraubten, der ziellos und bewusstlos umherwandert. Wollt ihr nun seine Zügel zu straff anziehen, so wäre das nicht nur vergeblich, sondern es würde auch diese Richtung des Gemüts, auch das äußerliche, das wirkliche Sterben, verzögern und hindern.

Darum soll den Sinnen nicht erlaubt werden, auf eine strafbare oder die Vervollkommnung hindernde Weise sich zu erleichtern. Dagegen kann ihnen gestattet werden, sich dann und wann an unschuldigen Dingen zu erholen. Denn weil sie nicht schaffen können, was im Inneren gewirkt wird, so könnte die Gesundheit, die Geisteskraft, das Innere selbst gefährdet werden, wenn man sie in all zu großem Zwang halten wollte. Man muss das als eine Zucht der Anfänger ansehen, worüber man hinaus ist, und nicht allzu streng sein in der Gestaltung des Harmlosen und Erlaubten.

Das gilt allerdings nur für die Stufe, von der wir reden. Denn wenn der Mensch sich ähnliches in den Tagen seiner ersten Erleuchtung und seiner ersten Liebe erlauben würde, so wäre das übel. Unser lieber Herr weiß schon sehr gut die Menschen so zu leiten und zu führen, wie es ihnen in ihrem jeweiligen Stand dient. In den Anfängen zügelt und züchtigt er die Sinne nämlich so, dass er ihnen nicht die geringste Freiheit gestattet. Wenn sie auch nur irgendetwas wollen, sofort wird es ihnen entrissen. Ein Blick, ein Wort, die geringste Befriedigung verursacht unendliche Leiden.

Das geschieht, damit die Sinne aus ihrer mangelhaften Wirksamkeit herausgezogen und gezwungen werden, sich zu dem Inwendigen zu kehren. Indem sie der Außenwelt entwöhnt werden, fühlen sie sich im Inneren auf eine so freudenvolle Weise gebunden, dass sie sich für den Verlust aller äußeren Dinge überschwänglich entschädigt halten. Wenn sie aber für den Dienst des Inwendigen genügend gereinigt sind, wenn sie sozusagen eingeschult wurden, wenn nun die Zeit gekommen ist, wo der Mensch durch die gerade entgegengesetzte Richtung aus sich selbst herausgezogen werden soll, gestattet Gott, das sie von dem inwendigen gleichsam abgestoßenen Sinne sich wieder nach außen wenden und sich überwiegend wieder nach außen neigen. Dem Menschen selbst erscheint dies ein Rückfall in die vorige Unart und Unreinigkeit zu sein. Das ist es aber unter den jetzigen Umständen keineswegs. Wer den Sinnen mit Gewalt eine andere Richtung zu geben versuchte, würde hier Gottes Arbeit stören und das Werk seiner vollendeten Reinigung nicht fördern, sondern verzögern.

Dass es bei einer solchen Wendung nach außen an mancherlei Versehen nicht fehlen wird, lässt sich erraten. Jedoch die Beschämung, die der Mensch darüber empfindet, und die Treue, womit er diese benutzt, hilft gerade den Aschenhaufen zu bilden, auf welchem er, wie einst Hiob, ganz und gar verwest. „Denen, die nur Gott lieben, muss alles zum Besten dienen“. Hier ist es auch, wo man den letzten schwachen Rest der Achtung verliert, den die Leute bis jetzt einem noch erzeigten. Sie sehen das Elend mit Verhöhnung an und sagen: „Ist das nicht derjenige, den wir noch vor kurzem so sehr bewunderten? Wie ist er doch so entstellt worden und so unscheinbar!“ Er aber antwortet und spricht: „Seht mich nicht an, dass ich so schwarz bin, es ist die Sonne der Liebe, die mich so sehr verbrannt hat“. Und jetzt tritt er mit einem Mal über in den jammervollsten aller Stände, in den des Begräbnisses, der Verwesung und gänzlichen „Vernichtung“.

c) Mit Christus begraben – Begräbnis — Verwesung — „Vernichtung”

Der Strom, nachdem er einmal aus seiner Quelle hervorgebrochen ist und den Abhang des heimatlichen Berges gefunden hat, hat nie aufgehört zu fallen und zu stürzen. Er ist von Fels zu Fels gestürzt, von Zacke zu Zacke.
Er hat sich an der Felswand gebrochen. Er ist mehr als einmal zu Schaum und Dunst zerstoben. Immer wieder haben seine Wasser sich jedoch aufs Neue gesammelt. Er hat seinen Lauf fortgesetzt. Man hat ihn über Stock und Stein fließen sehen, durch Bruch und Moor und Röhricht. Jetzt aber fängt er an, sich den Blicken zu entziehen. Man sieht ihn nicht mehr. Man hört nur noch sein Brausen in der finsteren Tiefe. Er ist in einen Schlund gestürzt und fährt nun fort, sich einen Weg unter der Erde zu bahnen. Noch einmal bricht er hervor, kommt aber nur zutage, um sich bald wieder in einen noch tieferen Schlund zu stürzen, und aus diesem in noch tiefere und grauenvollere, bis er nach der langen Irrfahrt und Drangsal wohl gestäubt und gegeißelt, aber auch rein, geklärt und von aller Unsauberkeit geläutert, sich in das Meer ergießt, in dessen Unermesslichkeit er sich verliert, ohne sich jemals wiederzufinden.

Nachdem der Mensch so schmerzlich und so lange zwischen Leben und Tod gerungen hat, verscheidet er endlich in den Armen der Liebe. Aber er weiß nicht, dass diese Arme ihn umfangen. Sofort erlischt in ihm auch die leiseste Lebensregung. Wunsch, Zug, Hang, Begier, Widerwille, Abneigung: es ist alles aus für ihn. Wohl war das alles schon in den früheren Zuständen in ihm auf das äußerste abgeschwächt. Die Schwächung ging über in gänzliches Erschlaffen, in dem Maß, wie der Mensch seinem Ziel näher kam. Immer jedoch war dies sterbende, mit dem Tode ringende Leben noch Leben. Und wo das Leben ist, da ist die Hoffnung. Auch dem Menschen war noch ein leises Hoffen geblieben, dass, wenn er aus so vielen Ohnmachten wieder aufgekommen sein wird, er sich vielleicht auch noch von diesen seinen letzten Zügen erholen wird.

Er irrt. Es ist aus mit dem Leben. Es ist aus mit dem Hoffen. Der Strom wird verschlungen von dem Abgrund. Man sieht ihn nicht mehr. Es ist der dunkle, schauervolle Stand des Mystischen Todes, den die Seele jetzt beschreitet. Genau so aber, wie jeder frühere Stand seine Stufen hat, so auch hier. Genau so, wie jene ihren Anfang, ihren Fortgang und ihre Vollendung haben, so auch dieser. Es ist mit dem natürlichen Menschen noch nicht alles vorbei, wenn er gestorben ist. Er muss auch noch begraben werden. Er muss in die Verwesung übergehen. Er muss zu Staub zerfallen. So ist es auch mit dem inwendigen Menschen. Auch seiner warten Begräbnis, Verwesung, Vernichtung. Und eben das sind die drei Stufen des mystischen Todes. Der Mensch, nachdem er gestorben und bevor er begraben worden ist, verweilt gewissermaßen noch unter den Lebenden. Er trägt noch menschliche Gestalt, obgleich die Züge, deren man sich sonst erfreute, jetzt nur Grauen verursachen.

So behält auch der Mensch in den Anfängen seines jetzigen Standes noch einige Züge dessen, was er vormals gewesen ist. Wie in dem verblichenen Leichnam noch einige, erst nach und nach erlöschende Lebenswärme übrig ist, so bleibt auch dem Menschen noch ein gewisser Eindruck von Gott. Einige blasse Erinnerungen sind ihm übrig an die Seligkeit, die er früher genossen hat, wenn er Andachtsübungen verrichtete, wenn er betete, wenn er Werke der Liebe tat. Er versucht, sich wie damals zu erheben. Es ist umsonst!

Die abgespannten Kräfte versagen ihm den Dienst. Er bleibt starr, stumm und unbeweglich. Die Leute, die ihn schon länger mit Geringschätzung behandelten, fangen an, ein Grauen vor ihm zu bekommen. Sie beobachten jedoch noch einige Pflichten des Anstandes ihm gegenüber. Sie machen Anstalten, ihm „die letzte Ehre zu erweisen“, wie man zu sagen pflegt.

Es ist höchste Zeit. Denn schon beginnen die Spuren der Verwesung sich einzustellen. Die Züge werden immer entstellter, die Gestalt immer schauerlicher. So eilt man dann, ihn wegzuschaffen. Man begräbt ihn. Sie häufen Erde über das Grab. Sie treten ihn mit Füßen oder gehen gleichgültig vorüber. Das also ist das Los des so Hochbegnadeten und so teuer erkauften Menschen: verscharrt zu werden mit vollem Bewusstsein in dem engen, schmalen Behälter, abgeschlossen zu werden von dem Anblick das Lichtes und dem Umgang mit den Lebenden, allein zu sein mit sich selbst und mit den Schrecknissen der Hölle!

O des schauderhaften Zustandes! Der Mensch jedoch, obwohl von Grauen durchdrungen, ergibt sich in sein Verhängnis. Er begreift, dass das Grab der einzige Aufenthaltsort sei, der in seinem jetzigen Stand sich für ihn schickt (Röm. 6, 4), da er in Zukunft weder für die Kreaturen tauge, noch die Kreatur für ihn (Gal. 6, 14).

Er ist es wohl zufrieden, dass er dem Anblick der Lebendigen entzogen worden ist. Er würde froh sein, hoffen zu dürfen, auch dem Anblick dessen entzogen zu werden, dessen helles Auge auch die Nacht der Gräber durchdringt.

Denn immer grauenvoller wird die Gestalt des Menschen, und immer entsetzlicher sein Zustand. Der alte Adam fängt endlich an, in Fäulnis überzugehen und in Verwesung. Die alten Schäden brechen auf. Die verdorbenen Säfte geraten in Gärung. Der Mensch kann in dem Modergeruch und in den Gräueln der Verwesung nicht aushalten.

Möchte doch wenigstens jetzt sein göttlicher Geliebter nicht an ihn denken! Möchte der Hauch seiner Verwesung nicht bis zum Himmel steigen. Möchte sein Anblick nicht Ekel und Grauen erwecken dem, den er vormals liebte! Jedoch, der Mensch muss es schon ertragen! Er muss geschehen lassen, was nicht in seiner Macht steht.

Das geheimnisvolle Werk seiner Auflösung rückt indessen unaufhaltsam fort.

Schon ist der alte Mensch zerstört. Das Band, das die Elemente zusammengebunden hielt, ist gelöst. Er sinkt zusammen. Er zerfällt in Staub. Der Herbst ist jetzt überstanden. Dem alten Adam ist sein Recht geschehen. Er musste in den Tod. Er ist untergegangen mit allen seinen bösen Gelüsten (Röm. 6, 6).

Die Verwesung ist vollendet. Jener Modergeruch ist nicht mehr. Der Mensch ist übergegangen in den Zustand gänzlicher Unempfindsamkeit. Er ist gleichgültig geworden gegen die Welt, gegen sich selbst, gegen Gott. Er liebt nicht mehr und hasst nicht mehr. Er leidet nicht und freut sich nicht. Er tut nichts Gutes, nichts Böses. Er tut gar nichts. Er hat nichts. Er will nichts. Er isst nichts. Er steht in dem Stande der Vernichtung.

Die Treue des Menschen in diesem Stand besteht darin, dass er sich bestatten, begraben, auf sich treten lässt, ohne sich dagegen zu sträuben (von Feinden oder von Freunden, wie Jesus), dass er den Modergeruch in der Grube ertrage, und der Verwesung sich preisgebe nach dem ganzen Umfang des göttlichen Willens, ohne dass er sucht, seiner gänzlichen Zerstörung ein Hindernis in den Weg legen zu wollen. Es fehlt nicht an Menschen, die durch Balsam und Spezereien eingebildeter guter Werke ihre Verwesung aufzuhalten und durch die Wohlgerüche unzeitiger Andachtsübungen dem Modergeruch zu steuern suchen. Tut es nicht, ihr Teuren! Lasst Gott gewähren! Glaubt fest, dass in eben dem Maße, worin „euer irdischer Mensch verwest, der himmlische Mensch Kraft gewinnt, sich zu entwickeln und zu entfalten“.

Auch die Seelsorger müssen merken, dass es nicht gut ist, den Menschen, die auf dieser Stufe stehen, geistlichen Beistand zu leisten, es sei denn, dass sie von Natur schwach und nur wenig kräftig sind. Denn solche müssen allerdings gestützt werden, sie könnten sonst verlorengehen durch die durchdringende Not der Vernichtung. Denn diese Not dringt einem in die Knochen. Die übrigen sind mehr äußerlich und greifen weniger tief ein. Was aber die starken Menschen anbelangt, je weniger diese gestützt und gestärkt werden, desto schneller werden sie vernichtet und vollendet. Darum habt kein unzeitiges Mitleid mit ihnen.

Es blieb im Moderstaub ein Keim zurück, aus welchem der neue Mensch erwachsen sollte, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewig lebt.

O Leben, du bist des Todes Meister geworden. „O Tod, wo ist nun dein Stachel? Hölle, wo ist jetzt dein Sieg“? Auf ewig ist jetzt geborgen der da glaubte, für immer verloren zu sein. Sterbend hat er das Leben gewonnen, und im Nichts das All, im Kreuz die Auferstehung!

5. Mit Christus auferstanden – Wiederbelebung — Einigung — Leben in Gott

Nachdem der Strom sich endlich in das Meer ergossen hat, unterscheidet er sich noch eine zeitlang auf eine wahrnehmbare Weise von dem Meer. Die Farbe seiner Gewässer ist eine andere, die Bewegungen seiner Wellen anders. So behält auch der Mensch, nachdem er in Gott aufgenommen worden ist, anfangs noch eine gewisse Eigentümlichkeit. Allmählich aber verliert er alles, was er Eigenes hatte, und wird eins mit Gott (Joh. 17, 21).

Jener Leib, der infolge Auflösung seiner Bestandteile in Staub und Asche zerfiel, ist noch immer Staub und Asche, also etwas für sich selbst Bestehendes. Wenn aber jemand die Asche verschlingen würde, so würde nichts Selbständiges mehr von ihr übrig sein, sie würde ein und dasselbe mit dem werden, der sie genommen. Der Mensch, so sehr er auch abgetötet und vernichtet worden ist, hat noch immer seine Eigentümlichkeit behalten und hat sie nie verloren. Nicht früher, als in ihrem jetzigen Stand, wird der Mensch wahrhaft aus sich selbst herausgezogen.

Alles was ihm bisher widerfahren ist, widerfuhr ihm in der der Kreatur eigentümlichen Empfänglichkeit. Hier aber wird die Kreatur aus der ihr eigenen Empfänglichkeit herausgezogen, um eine grenzenlose Empfänglichkeit in Gott selber zu empfangen. Genau so, wie der in das Meer ausgeflossene Strom das eigene Sein verliert, um das Sein das Meeres anzunehmen. Genau so, wie er aus sich selbst herausgezogen wird, um sich in dem Meer zu verlieren, so verliert auch der Mensch das Irdisch-Menschliche, um sich in das Göttliche zu verlieren, das von nun an sein Sein und Element wird, nicht auf irdische, sondern auf geheimnisvolle Weise (1. Kor. 15, 36; 1. Kor. 15, 50; Phil. 3, 21).

In diesem Stand wird an dem Menschen das Geheimnis des Hesekiel erfüllt, wenn er auf dem Feld voller Totengebeine weissagt: „Siehe, es rauschte im Gefilde und regte sich, und die Gebeine kommen wieder zusammen, ein jegliches zu den seinen“. Und wie er weiter weissagt und spricht: „Mache dich auf, Wind, aus den vier Himmelsgegenden, und blase diese Getöteten an, damit sie wieder lebendig werden. Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig, und sie richteten sich auf ihre Füße“. Auch Jesaja hat auf diese geistige Wiederbelebung hingedeutet, wenn er spricht: „Das Volk, das in Finsternis saß, sieht ein großes Licht, und die in des Todes Schatten saßen, besucht der Aufgang aus der Höhe“. Das ist es auch, was Christus uns verheißen hat, wenn er spricht: „Wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde, und ist schon jetzt, wo alle, die in den Gräbern sind, werden meine Stimme hören, und werden auferstehen zur Auferstehung eines ewigen Lebens“.

Ihr Menschen, die ihr aus dem Grab hervorgeht, ihr nehmt in eurem Inneren einen Lebenskeim wahr, der bis dahin euch verborgen geblieben ist. Ihr werdet mit Erstaunen inne, dass eine geheimnisvolle Kraft sich euer bemächtigt. Siehe, es regt sich in der Asche. Die dürren Gebeine rühren sich, und aus dem Staub ergrünt neues Leben…

Er schaut sich um, der erstaunte Mensch, und er findet sich in einem ganz neuen Land. Er weiß nicht, ob er wacht oder träumt. Er wähnt, dass der Strahl, der ihn umleuchtet, durch irgendeinen Riss seines Grabes, etwa durch irgendeine Spalte seines Sarges eingedrungen sei in seine dunkle Behausung. Aber er wird bald von der Wahrheit überführt. Er empfindet, dass diese unbekannte Kraft ihn immer übermächtiger überwältigt, ihn immer inniger durchdringt. Er fühlt im Innersten, dass ihm ein neues Leben gegeben sei, das nicht verloren werden könne, ohne durch die allerschwärzeste und kaum denkbare Untreue. Aber dieses neue Leben ist nicht, wie vormals. Es ist „das Leben in Gott“.

Es ist ein vollkommenes Leben. Er „lebt nicht mehr“, er wirkt nicht mehr durch sich selbst (Hebr. 4, 10), sondern „Christus lebt”, handelt und wirkt „in ihm“. Und dieses Leben, Handeln und Wirken wächst fort und fort. So das er vollkommen wird mit Gottes Vollkommenheit, reich mit seinen Reichtümern, liebend mit seiner Liebe.

Der Mensch begreift nun, dass was er vormals gehabt hat, so groß es ihm auch erschienen war, in seinem eigenen Besitz gewesen war. Aber jetzt besitzt er nichts mehr, sondern er wird besessen. Er lebt nicht mehr in dem eigenen Leben, sondern mit dem Leben Gottes, der der Urgrund allen Lebens ist, und damit auch der Urgrund aller Güter. Welchen Gewinn hat er nicht davongetragen für alle seine Verluste! Das Erschaffene hat er hingegeben für das Unerschaffene, das Nichts für alles! Alles ist ihm gegeben, nicht in sich, sondern in Gott, nicht, dass es von ihm besessen wird, sondern, dass es von Gott besessen wird. Seine Reichtümer sind unermesslich. Sie sind Gott selbst. Er ist sein Teil. Er sieht sein Empfängnisvermögen sich erweitern mit jedem Tage. Er breitet sich in jeder Hinsicht bis in das Unermessliche aus. Alle seine Tugenden werden ihm wiedergegeben, jedoch in Gott.

Aber ebenso, wie der Mensch nur nach und nach und stufenweise entblößt worden ist, so wird er auch nur nach und nach wieder bereichert und wieder belebt. Je mehr er sich in Gott verliert, desto größer wird seine Empfänglichkeit. Er ist jenem Strom ähnlich, der in eben dem Maße, worin er sich tiefer in das Meer verliert, immer mehr sich erweitert und verbreitet, so dass er zuletzt unermesslich wird, da er keine anderen Grenzen mehr kennt, als die des Meeres selbst, dessen sämtliche Eigenschaften er teilt. Auf gleiche Weise wird auch der Mensch unbegrenzt und unermesslich. Er hat alles Mittelbare verloren, denn er steht nun am Ziel.

Dieses göttliche Leben wird dem Menschen ganz natürlich. Wie er sich selbst nicht mehr fühlt, noch sieht, noch kennt, so sieht er nichts von Gott, er begreift nichts von ihm, er unterscheidet nichts in ihm. Es gibt keine Liebe mehr, keine Erkenntnisse, keine Lichter. Gott scheint ihm nicht mehr wie vormals etwas von ihm Fernes, sondern er weiß nur dies: dass Gott sei, und dass er selbst nicht mehr sei, dass er nur noch lebt und besteht in ihm (Gal. 2, 20). Hier ist das Gebet Tat. Und die Tat ist Gebet (Joh. 15, 7). Alles gilt dem Menschen gleich und einerlei, weil alles ihm auf gleiche Weise Gott ist. Darum sind von nun an auch alle Unterschiede der Handlungen aufgehoben (Joh. 5, 19 und 15, 5).

Die unbedeutendste Handlung gilt gleich viel der erhabendsten, so fern sie nur in der Ordnung Gottes ist, und aus der göttlichen Anregung entsprang. Anders freilich verhielte es sich, wenn es eine Handlung der eigenen Wahl wäre, was jedoch bei diesen Menschen nicht statt hätte, ohne dass sie eine Untreue begingen und aus Gott heraustraten. Alles aber, was aus der göttlichen Anregung entspringt, ist ein und dasselbe, und dieses eine ist aus Gott. Und der Mensch wirkt auf göttliche Weise, nicht aus Beachten, Aufmerken oder Nachdenken, sondern infolge seines Standes. Auch ist es ihm gleichgültig, ob er auf diese Weise oder auf eine andere existiert, an diesem Ort oder an einem anderen sich aufhält, es ist dem Menschen einerlei, und er lässt sich von Gott bewegen, wie auf natürlichem Wege, er ist beweglich in Gottes Hand.

In der Tat wird dem Menschen dieses übernatürliche Leben, wie schon gesagt, natürlich. Und er handelt, als ob er seiner Natur nach handelt. Er folgt, wohin er sich gezogen fühlt, ohne sich um irgendetwas zu kümmern, ohne irgendetwas zu bedenken, zu wollen und zu wählen. Er sorgt nicht um sich, ebenso wenig um sein Äußeres, als um sein Inneres.

Denn auch an das Innere denkt er nicht mehr. Er spricht nicht mehr davon. Er unterscheidet es nicht mehr. Es gibt kein Inneres mehr für ihn. Es gibt weiter keine Regel mehr davon, weder von der Einkehr, noch von der Auskehr, weder von der Sammlung, noch von der Zerstreuung. Der Mensch ist nicht mehr im Inneren, er ist in Gott. Er hat es nicht mehr nötig, sich zurückzuziehen und einzuschließen in seinem Grunde. Er glaubt nicht mehr, Gott dort zu finden. Er sucht ihn dort so wenig wie anderswo, genau so, als ob jemand im Meer wäre, und ganz durchdrungen vom Meer: inwendig und auswendig, oben und unten ist das Meer. Es gilt nicht das hier, noch das dort.

Es gilt zu bleiben, wo und wie man sei. So gibt sich der Mensch auch gar keine Mühe, irgendetwas zu suchen oder zu machen. Er bleibt wie er ist, und das genügt. Was tut er aber dann? Nichts, und abermals nichts, und ewig nichts. Er tut, was man ihn tun macht. Er leidet, was man ihn leiden macht, sein Friede ist unwandelbar, aber ganz natürlich. Er ist ihm, man möchte sagen, zur Natur geworden. Was aber ist es, dass diesen Menschen von einem anderen, der noch im Menschlichen befangen ist, unterscheidet? Das ist es, dass Gott es ist, der ihn wirken lässt, ohne dass er es weiß, während früher die Natur es war, die wirkte. Er tut weder das Böse, noch das Gute, wie es scheint, sondern er lebt still, ruhig, zufrieden, und wirkt mit Leichtigkeit und Behändigkeit das, was man ihn auch wirken lässt. Gott selbst ist jetzt sein Seelsorger. Denn in den Tagen seiner Verluste hat er allen Willen an Gott verloren, so dass er jetzt durchaus keinen Eigenwillen mehr hat. Fragt ihn, was er will, und er wird es euch nicht sagen können. Er kann nicht mehr wählen. Alle Begehrlichkeit ist ihm genommen. Die Welt ist ihm gekreuzigt, und er der Welt. Denn, weil er im All ist, und im Zentrum, so verliert das Herz alle Neigung, Strebsamkeit und Wirksamkeit, wie es auch allen Widerwillen verliert, und alle Widerspenstigkeit. Der Strom im Meer hat keinen eigenen Hang mehr. Er schlägt keine Wellen mehr. Er ist in die Ruhe Gottes eingegangen und am Ziel.

Aber, was ist denn die Genügsamkeit, die diesen Menschen so ganz ausfüllt und ihm so überschwänglich genügt? Was für eine andere soll es denn sein, als die Genügsamkeit des Glückseligen und Allgenügsamen selber, die allgemeine, unermessliche, über alles Wissen und Begreifen erhabene. Gefühle, Geschmäcke, Gewichte, besondere Ansichten sind dem Menschen genommen. Er wird weder von der Liebe berührt, noch von der Erkenntnis, noch vom Verständnis. Jenes etwas, das ihn früher beschäftigte, ohne ihn zu beschäftigen, ist jetzt nicht mehr. Es blieb dem Menschen nichts übrig, als das Nichts.

Aber diese Unempfindlichkeit ist eine ganz andere, als jene des Todes, des Grabes, der Verwesung. Damals war sie eine Beraubung des Lebens und jeder Lebensregung, ein Ekel, eine Scheidung, ein Unvermögen des Sterbenden und eine Gefühllosigkeit des Toten. Jetzt dagegen ist sie eine Erhebung über alle diese Dinge, die ihm nichts raubt, sondern ihm alles unnütz macht. Ein Toter ist aller Lebensverrichtungen unfähig infolge der Abspannung, die dem Sterbenden oder der Todesstarre eigen sind. Ist er aber auferstanden in Herrlichkeit, so ist er voll Leben ohne die Mittel, durch den Gebrauch der Sinne sich das Leben zu erhalten, erhaben über die Mittel durch den in ihm lebendig gewordenen Keim der Unsterblichkeit, empfindet er nicht, was ihn belebt, wo er in der Fülle das Lebens steht.

Solange wir noch einen Geschmack an Gott haben, er sei so schwach wie er wolle, solange wir noch Wechsel des Verlangens und der Befriedigung empfinden, der Einsenkung und Entfremdung, des Genusses und der Entbehrung, solange stehen wir noch nicht auf dieser Stufe, sondern auf einer anderen. Denn hier kann Gott nicht mehr geschmeckt, empfunden, gesehen werden, da wir nicht mehr wir sind, sondern er es ist, er, der aufgehört hat, sich zu unterscheiden: „Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus in mir“. Wenn jemand an einer unüberwindlichen Abscheu vor einer Speise litt und doch ohne sie leben könnte, so würde er zuerst jenen Widerwillen spüren, danach das Unvermögen zu essen. Aber er würde keine Fülle oder Sättigung fühlen. Der Mensch hat jedoch jetzt weder Hang noch Geschmack an etwas. Im Stande das Todes und des Grabes war das zwar auch der Fall. Aber nicht auf die gleiche Weise.

Dort entsprang es aus Ekel und Unvermögen. Hier dagegen ist es eine Folge der Fülle und des Überflusses. Angenommen, jemand könnte von der Luft leben, so würde er erfüllt sein, ohne seine Fülle zu empfinden oder zu wissen, woher sie ihm gekommen sei. Er würde weder leer zu nennen sein noch unvermögend, Speise zu sich zu nehmen. Aber er würde der Speise nicht bedürfen infolge jener Fülle, ohne dass er wüsste, wie die Luft, die von allen seinen Poren eingesogen würde, ihn mit solcher Gleichmäßigkeit durchdringe.

Gott selbst ist dem wieder lebendig gewordenen Menschen jene Luft, die ihm natürlich und notwendig ist, um sein neues Leben zu erhalten, und er empfindet ihn ebenso wenig, als wir die Luft empfinden, die wir atmen. Trotzdem ist er erfüllt, und es fehlt ihm nichts. Daher hört auch alle Begehrlichkeit auf.

Der Friede ist so groß, wenn auch anderer Art, als in den früheren Standen. In dem vorangegangenen Stand war es eine Art von lebloser Ruhe, eine Grabesstille, die gewissermaßen durch die Arbeit der Verwesung und Zerstörung getrübt wurde. Danach, als der Mensch Staub und Asche geworden war, war er freilich auch im Frieden, aber es war ein unfruchtbarer Friede, ohne Trost, Genuss und Leben. Es war ein Friede, dem Frieden eines Toten zu vergleichen, der von den Wellen des empörten Meeres umhergeworfen wurde. Er würde freilich von den Stürmen nichts wissen, noch vom wogenden Meer. Er würde weder das eine fürchten, noch das andere. Aber dies nur deshalb, weil das Leben ihm mangelte und die Empfindung. Hier aber sieht der Mensch sich hinausgehoben über die Stürme und über das Meer. Er sieht, wie von der Höhe eines unzugänglichen Felsens herab, die Fluten in der Tiefe wühlen, ohne ihre Wut zu fürchten. Oder, wenn man es so lieber will, er gleicht dem, welchem gegeben ist, auf dem Grunde des Meeres zu hausen und zu wohnen. Der Grund bleibt ruhig, wie sehr es auch auf der Oberfläche stürmen mag. Die Sinne mögen leiden, aber der Grund bleibt derselbe, weil der, der ihn besitzt, wechsellos und unwandelbar ist: „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil“.

All das setzt voraus, dass der Mensch treu bleibt. Denn auf welcher Stufe er auch steht, so kann er doch allezeit von ihr herabsinken und zurückfallen in sich selbst. Bewahrt er die Treue, so wird er fortschreiten in Gott, unablässig und unaufhaltsam. Nehmen wir an, das Meer sei grundlos, und es fiele jemand hinein. Er würde bis in das Unendliche fallen. Er würde nie den Grund erreichen und würde, je tiefer er in den Ozean hinuntertaucht, desto mehr von dessen Schätzen entdecken. So verhält es sich auch mit dem Menschen in Gott.

Was hat aber der Mensch zu tun, um diesem Stand treu zu bleiben? Nichts. Und noch weniger als nichts. Er soll sich besitzen, lenken, leiten lassen ohne den geringsten Widerstand. „Die sich vom Geist Gottes leiten lassen, das sind Gottes Kinder“. Er soll beharren in der ihm nun zur Natur gewordenen Einfachheit und Stille. Er soll die Anregungen erwarten und sie von Gott entgegennehmen, ohne etwas hinzu oder davon wegzutun. Er soll sich führen lassen zu allem, ohne Vorsicht, Einsicht und Rücksicht, dem Zuge folgend, von dem er sich gezogen weiß, ohne an das zu denken, was etwa besser oder vorzüglicher sein möchte, sondern sich ganz Gott überlassen, wie er sich früher hat gehen lassen, als er noch den Naturantrieben folgte (Matth. 10, 19-20).

Er soll unwandelbar in dem steten, gleichmäßigen Zustand bleiben, in den Gott ihn versetzt hat und sich nicht aufs Neue einer unruhigen Wirksamkeit ergeben. Vielmehr soll er Gott die Sorge überlassen, die Gelegenheiten zu fügen und den Erfolg herbeizuführen. Und das alles nicht vermöge eines bewussten Aktes der Überlassung oder der Selbsthingabe, wie er es früher gemacht hat, sondern vermöge und infolge seines Standes (1. Joh. 3, 6-9).

Wenn auch die geringste eigene Wirksamkeit die Treue des Menschen auf dieser Stufe verletzen und seinen Stand gefährden würde, so ist es doch nicht so, dass er innerhalb dieses Standes überall nicht wirken soll. Er soll nur nicht anders wirken, als vermöge des lebendigen Christus, der in ihm wohnt. Seinem Zug und Antrieb folgend, wird er seine Pflichten bestimmt vollkommener erfüllen als früher. Er wird reden, schreiben, handeln, die Geschäfte betreiben, perfekter und erfolgreicher als jemals, wo er noch alles auf seine Weise betrieb und nicht nach der Weise Gottes.

Auch in diesem Zustand gibt es außerordentliche Dinge. Aber auch diese entströmen dem Menschen, als wären sie ihm ganz natürlich. Er verrichtet die göttlichsten und wunderbarsten Taten, als seien es die gewöhnlichsten Handlungen des alltäglichsten Lebens. Er sieht die Zukunft wie die Gegenwart und spricht davon wie von Neuigkeiten des Tages. Er übt eine unumschränkte Gewalt über die Dämonen, ja selbst über die Gemüter der ihm anvertrauten Personen. Alles dies ist jedoch außer ihm. Er tut es, ohne daran zu denken. Eigentlich ist nicht er es, der es tut. Es ist Christus in ihm, der ihn belebt der diese Dinge in ihm und durch ihn wirkt. Der Mensch redet nicht von seinem Stand. Er kann nicht davon reden, weil er ihn nicht sieht. Wenn er schweigt, ist es nicht Zurückhaltung. Weil er nämlich von allem Eigenen los ist, so hat auch aller Rückhalt ein Ende. Auch ist es nicht aus seiner Eitelkeit, denn auch das hat aufgehört.

Auch Mangel an Einsicht oder hinlänglicher Erleuchtung ist es nicht, wie ab und zu in den früheren Ständen. Er redet nicht, weil das, was er hat, ohne es zu haben, dermaßen lauter, rein und einfach ist, dass kein Ausdruck ihm entspricht. Dies hindert natürlich nicht, dass der Mensch nicht über tausenderlei Dinge sprechen könnte, welche zu den Zufälligkeiten dieses Standes gehören, ohne dessen Grund zu berühren. Diese Zufälligkeiten sind gleichsam die Brosamen, die von dem ewigen Hochzeitsmahl abfallen, dass der Mensch in diesem Stande zu genießen anfängt. Es sind sprühende Funken, die auf eine verborgene Quelle des Lichtes und der Flamme schließen lassen. Aber von seinem Urgrund und Endpunkt zu reden, fällt dem Menschen nicht ein. Er mag nicht davon reden und kann es auch nicht, da er gerade nur so viel davon weiß, wie Gott ihm für den Augenblick mitteilen will, wenn er sich dazu gedrungen fühlt, darüber zu reden und zu schreiben.

Gibt es denn in diesem Stande keine Fehler mehr? Oder, wenn es doch welche gibt: werden sie etwa von dem neugeborenen Menschen nicht wahrgenommen? Es gibt allerdings welche! Der Mensch begeht Fehler, und er kennt sie besser als jemals, besonders am Anfang des neuen Lebens. Jedoch sind sie wesentlich schwächer und feiner als früher. Auch macht sich der Mensch ihrethalben keinen Kummer. Er hat sich mit seinen Fehlern Gott überlassen. Er gibt sich keine Mühe, die Fehler loszuwerden. Er spürt wohl, wenn er eine Untreue verschuldet oder einen Fehler begeht, dass ein leichtes Gewölk am Horizont aufsteigt. Aber das Gewölk sinkt, und der Staub schlägt sich nieder, ohne dass der Mensch etwas tun könnte, ihn zu zerstreuen oder sich davon zu säubern. Was er auch zu solchem Zweck tun würde, es wäre nicht nur vergeblich, es würde nur dazu dienen, die Unlauterkeit zu vermehren. Und bald würde der Mensch innewerden, dass die letztere Verdunklung noch schlimmer sei, als die Erste. Hier ist von keiner Rückkehr die Rede, denn wo Rückkehr stattfindet, da war Entfernung. Ist man jedoch einmal in Gott, so darf man nur in ihm bleiben (Joh. 15, 4).

Jene zarten Wolken, die sich in der mittleren Luftregion erheben, würden durch den Wind hin und her getrieben, aber schwerlich niedergeschlagen werden. Man muss es der Sonne überlassen, sie zu zerstreuen. Vor ihren Strahlen werden sie umso schneller verschwinden, je zarter sie sind.

O, wenn der Mensch genug Glauben hat, um sich niemals mehr selbst zu betrachten. Welchen Fortschritt würde er machen! Seine eigenen Blicke sind wie gewisse kleine Sträucher: Gebüsche, die in das Meer reichen, und die verhindern, dass man hineinfällt, solange ihre Stütze dauert. Wenn die Zweige sehr schwach sind, halten sie den Blick des Körpers auf, aber nicht die Seele, höchstens für Augenblicke. Wenn aber durch merkbaren Unglauben der Mensch sich willentlich und für längere Zeit selbst betrachtet, wird er für ebensolange Zeit aufgehalten, wie sein Blick dauert, und sein Verlust wird sehr groß sein.

Die Fehler dieses Standes sind flüchtige Emotionen und Rückblicke auf sich selbst, die den Menschen allerdings hemmen und stören, wenn auch nur auf Momente. Auch sind es leichte Wallungen der Leidenschaftlichkeit, die im gleichen Augenblick geboren werden und sterben, gleichsam leichte Windstöße, die über das stille Meer hinübergleiten und seine Oberfläche spielend kräuseln. Jedoch lassen die Windstöße ab, und das Meer steht wieder spiegelglatt und ruhig. Der Mensch ist „vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“. Sobald er nur aus seinem Grabe hervorgegangen ist, findet er sich, ohne es zu wissen, wie es damit zugegangen ist und ohne im Geringsten daran gedacht zu haben, mit allen Neigungen und Regungen Jesu Christi bekleidet. Dies nicht infolge selbstbewusster Vorsätze oder dazu angestellter Übungen, sondern vermöge seines Standes (1. Joh. 3, 9).

Er findet doch alles bei sich vor, sooft und sobald er dessen nur bedarf, ohne dass er daran denkt. Es ist so, als ob jemand einen verborgenen Schatz besitzt, den er vergessen hat und ihn nun zufällig findet, gerade in dem Augenblick, wo er ihn braucht (Luk. 12, 11-12).

Der Mensch ist erstaunt, dass er in seinem Inneren, ohne über die Stände Jesu Christi und über ihre Neigungen und über ihre Tugenden nachgedacht zu haben, die bei ihm „im zehnten, zwanzigsten oder dreißigsten Jahre hervorgeleuchtet haben“ möchten, solche alle in seinem Inneren ausgeprägt sind, kraft seines Standes, in den Jesus Christus ihn versetzt hat (Hes. 36, Vers 27).

Der Mensch bemerkt, dass fast alles sich in ihm gestaltet, ganz von selbst und mit solcher Leichtigkeit, als sei es von jeher natürlich gewesen.
Er „verkündet die Tugenden Jesu Christi“. Das äußert sich bereits schon gleich am Anfang, wenn der Mensch den Weg des dunklen Glaubens betritt. Obgleich er während seines ganzen Weges keine differenzierten Ansichten der Einzelheiten von Gottes Natur gehabt hat, so spürt er trotzdem ein Verlangen, derselben gleichgestaltet zu werden. Er sehnt sich nach der Kleinheit, nach der Bedürfnislosigkeit, nach dem Kreuz. Er will „die Gemeinschaft seiner Leiden erkennen lernen“ (Phil. 3, 10).

Diese Sehnsucht verliert sich. Es bleibt jedoch ein geheimes Hinneigen zu diesen Zuständen, das von Tag zu Tag tiefer und einfacher, inniger und verborgener wird. Wer dagegen Hang, Neigung, Bestreben sagt, mag es noch so zart sein, der erinnert an etwas, das man als Besitz hat, und das außerhalb von uns ist. Hier aber machen die Neigungen Jesu Christi den Stand des Menschen aus. Sie sind ihm eigen, wohnen in ihm gleichsam natürlich. Sie sind ihm nicht von außen angepasst oder angehängt worden. Nein! Sie sind dem Menschen wahres Sein und eigentliches Leben. Jesus Christus selber übt die aus diesem Menschen hervorgehenden Tugenden, ohne aus sich herauszugehen, und der Mensch übt sie mit ihm und in ihm, ohne aus ihm herauszugehen (Joh. 5, 19).

Nicht wie etwas Unterschiedenes, was er kennt, sich vornimmt, oder ausübt, sondern wie etwas, das ihm das Natürlichste vom Natürlichen ist. Wie das Atemholen ganz natürlich und nach Maß der Bedürfnisse erfolgt, ohne das der Atmende an sich oder an das Atmen denkt, so verhält es sich mit den Neigungen Jesu Christi auf dieser Stufe. Dieser Zustand steigert sich in dem Maß, wie der Mensch in ihn umgestaltet und mit ihm eins wird.

Jetzt also ist Gott allein der Schatz des Menschen, nicht seine Gaben. Ein Schatz, aus dem er nach Bedarf schöpft, ohne Maß und ohne Ende, ohne dass er jemals abnimmt oder versiegt. Von nun an ist der Mensch wahrhaftig mit Jesus Christus bekleidet. Unser Herr Jesus Christus ist es eigentlich, der in dem Menschen redet, handelt, sich offenbart. Er ist das Prinzip, das ihn bewegt. Deshalb bereitet die Zukunft hier keine Unruhe mehr: sein Herz erweitert sich täglich durch neues Fassungsvermögen. Er hat keine Neigung mehr, weder für die Aktion, noch für die Zurückhaltung, wohl aber, dass er sein muss wozu Jesus ihn jeden Augenblick macht.

Da die Fortschritte des Menschen von nun an ins Unendliche gehen, so überlasse ich es denen, die es aus eigener Erfahrung kennen, sie zu beschreiben. Mir persönlich mangelt es an Licht in Bezug auf die ferneren Stufen, da meine Seele noch nicht weit genug in Gott eingedrungen ist, um sie zu erkennen und zu unterscheiden. Dieses nur sei mir erlaubt zu sagen, dass es nicht so leicht ist, in Gott anzulangen, und dass die Reise zu ihm nicht so schnell zurückgelegt wird, wie manche zu glauben scheinen.

Mir wenigstens ist klar geworden, dass auch die gottseligsten und erleuchtetsten Menschen nicht selten die Vollendung des empfangenden Standes der Lichter und der Liebe für das Ende des ganzen Standes halten, während dies doch weiter nichts ist, als dessen Anfang.

Und das ist der Grund, weshalb diese Menschen nicht weiter fortschreiten, sich nicht ganz entblößen zu lassen, oder um dies zu früh zu tun.

Solange man noch Geschmack an einer Gebetsübung findet, wird man sie nicht aufgeben, wenn sich nicht der Geschmack daran verliert mit einer gewissen Mühe und Not, sie zu verrichten. Denn das völlige Unvermögen zu erwarten heiß Wunder zu erwarten. Gott hilft diesen bestimmten Menschen, die kein Licht über die Entblößung haben und die nicht darin verharren könnten: er lässt sie in seiner absoluten Autorität das tun, was sie nicht kennen.

Es muss bemerkt werden, dass es auf dem Weg des Lichtes und der empfangenden Liebe dürre Zeiten, Trockenheiten, Nöte und Langeweile gibt. Aber sie sind alle nicht von langer Dauer und nicht von der Intensität wie diejenigen, die ich auf dem Weg des dunklen Glaubens beschrieben habe. Deshalb sollte man sich hüten, dass man sich nicht falsch einstuft. In jedem Fall muss es der Seelsorger entscheiden. Glückselig der Mensch, der nicht ins Experimentieren kommt!

Gibt es denn in diesem Stande keine Kreuze mehr? Da der Mensch mit der Stärke Gottes selber stark geworden ist, so legt Gott ihm allerdings Kreuze auf, und zwar mehr Kreuze und schwerere als jemals. Aber er trägt sie auf göttliche Weise. Früher hat ihn das Kreuz entzückt. Er hegte es und pflegte es. Jetzt denkt er kaum daran. Er lässt es kommen und gehen. Das Kreuz wird ihm zu Gott wie alles Übrige. Aber das vermindert das Gefühl des Leidens keineswegs, wohl aber hindert es die Verfinsterung, das Störende und das Zerstreuende desselben. Auch sind die Kreuze eigentlich keine Kreuze mehr, sie sind Gott.

Sie heiligen die Seele nicht mehr, sie vergöttlichen sie (2. Petr. 1, 4).

In den anderen Ständen ist das Kreuztragen Tugend und steigert, wie sich die Stände steigern. Hier aber ist es für den Menschen Gott, wie alles für ihn Gott ist, was ihm von Zeit zu Zeit gegeben wird. Das Äußere dieser Personen ist völlig normal, und es wird an ihnen nichts Außergewöhnliches wahrgenommen. Je mehr sie gefördert werden, desto freier werden sie, so dass auch die Leute sich bisweilen an ihnen ärgern. Wer sie wirklich sind und wie sie stehen, kann nur der ermessen, dem das Verständnis dafür aufgeschlossen wurde. In diesem Stand ist keine Täuschung zu befürchten, weil alles, was man sieht, ohne es zu sehen, in Gott gesehen wird. Gesichte, Offenbarungen, Entzückungen, Dahingerissenwerden und Verwandlungen gibt es hier nicht mehr. Dies alles gehört nicht in diesen Stand, der über diese Dinge weit hinausragt. Es ist ein einfältiger, lauterer und nackter Weg, wo alles nur in Gott gesehen wird, so wie Gott es sieht und mit Gottes Augen.

Der Strom ist zu seinem Ziel gelangt. Er ist zurückgeflossen in das heimatliche Meer. Er schlägt keine Wellen mehr. Er trennt keine Ufer mehr. Er breitet sich beliebig aus, zwanglos und fessellos in den schrankenlosen Weiten des Meeres. Er steigt mit dem Meer und sinkt mit ihm. Er bewegt sich mit dem Meer und ruht mit ihm. Er teilt die

Tiefe und Fülle des Meeres. Er teilt seine Unergründlichkeit, Unermesslichkeit und Unerschöpflichkeit. Glückseliger Strom! Dich selbst hast du verloren und alles gewonnen. Das eigne Streben nach dem Selbstbestehen und nach dem eigenen Vergnügen gabst du auf und kehrtest zu deinem Urgrund zurück und wurdest eins mit ihm!

Schlusszeilen der Verfasserin an ihren Seelsorger:

Es ist mir nicht vergönnt weiterzuschreiben, da alles weitere mir ermangelt. Ich fürchte, dass ich zu viel aus meinen natürlichen Einsichten geschöpft habe. Ihr, ehrwürdiger Vater, werdet das leicht unterscheiden können. Es ist mir hinterher eingefallen, dass der Antrieb, den ich zum Schreiben empfunden habe, doch vielleicht mehr aus der Natur entsprungen sein könnte, als aus der Gnade. Auch will ich es lieber gleich eingestehen und zugleich freimütig erklären, dass ich gegen das Ende einige Fehler gemacht habe, weil ich gewisse Aufschlüsse, die mir während des Gebetes über diesen Stand gegeben wurden, im Sinn behielt, während ich sie doch hätte loslassen müssen. Außerdem habe ich dem Stand, in dem ich mich im Augenblick befinde, nicht unterscheiden können, was natürlich oder göttlich ist, was Gottes ist oder mein eigen. Ich bitte Gott, es euch erkennen zu lassen.

Das Geschriebene habe ich nicht wieder nachlesen können und bin häufig unterbrochen worden. Bei Sinnunterbrechungen habe ich wohl ein oder zwei Zeilen, öfters aber nur die letzten Worte nachgelesen und dann weitergeschrieben. Ich weiß nicht, ob ich damit eurer Absicht gemäß gehandelt habe. Es ist mir dies jedoch nur einige Male passiert, und später habe ich nichts weiter nachgelesen. Auch habe ich mich nicht darum gekümmert, ob von jedem einzelnen Stand auch alles gesagt worden ist, was etwa davon hätte gesagt werden können, auch nicht, ob ich mir ab und zu eine Wiederholung habe zuschulden kommen lassen. Ich überlasse dies alles eurer Prüfung und bitte Gott, dass er euch erleuchten möge, damit ihr das Wahre von dem Irrtum unterscheiden mögt und das, was etwa meine Eigenliebe eingemischt haben mag, von dem, was seinem Licht entflossen.

Zweiter Teil

Der Strom im Meer – Das Menschenleben in Gott

I. Freiheit

Der Strom, nachdem er in das Meer geflossen ist, hat keine Fesseln mehr. Kein Flussbett engt ihn ein, keine Ufer zwingen ihn. Er breitet sich nach allen Seiten hin aus und teilt die Fülle und die Freiheit des unermesslichen Meeres selbst.

Nicht eher, als bis der Mensch in Gott eingegangen ist, wird ihm die wahrhaftige Freiheit gegeben. Nicht jene angebliche Freiheit, die sich los glaubt von jeder Übung der Pflicht, und die eher eine Beraubung der Freiheit genannt zu werden verdient. Nein! Die Freiheit, deren der mit Christus wieder auferstandene Mensch teilhaftig wird, ist anderer Art. Sie ist die Freiheit Gottes selbst. Sie hat Fähigkeit und Leichtigkeit, alles und jedes zu tun, was in der Ordnung Gottes und gemäß seines Standes ist. Und er tut es umso williger, je länger er die wahre Freiheit noch nicht hatte, und je schwerer ihm das gefallen war.

Ich begreife es nicht, dass Menschen sich für auferstanden und vergöttlicht halten, die ihr ganzes Leben hindurch im Unvermögen und im Verlust aller Dinge beharren. Die Handlungen eines Auferstandenen sind Handlungen des Lebens, und wenn der Mensch nach seiner vermeintlichen Auferstehung trotzdem noch ohne Leben bleibt, so sage ich, dass er tot und begraben sei, aber nicht auferstanden. Der wirklich Auferstandene verrichtet dieselben Handlungen, die er früher vor allen seinen Verlusten verrichtet hat. Und er verrichtet sie ohne Schwierigkeit, denn er tut, was Gott tut, in Gott. Hat nicht Lazarus nach seiner Wiedererweckung alle Lebenshandlungen verrichtet wie früher? Hat nicht Christus nach seiner Auferstehung sogar essen und mit den Menschen Umgang pflegen wollen? Was von ihnen gegolten hat, gilt noch heute. Darum wiederhole, dass diejenigen, die wähnen, sie seien in Gott, und trotzdem sich noch in Zwang fühlen und nicht frei leben können, noch keineswegs auferstanden sind. Wären sie es wirklich, so wäre alles ihnen hundertfältig wiedergegeben (2. Kor. 5, 17. Matth. 19, 29).

Hiob, ein Spiegel des ganzen geistlichen Lebens, kann uns dies lehren. Ich sehe, wie Gott ihn nach und nach von allem entblößt, was er ihm so reichlich gegeben hatte. Er nimmt ihm zuerst seine Güter, das sind die geistlichen Gaben und Gnaden, darauf die Kinder, das sind die guten Werke, die wir geübt haben, alsdann die Gesundheit, das ist der Empfindbare Besitz der natürlichen und geistlichen Tugenden. Danach lässt er ihn gleichsam verwesen auf seinem Aschenhaufen. Er macht ihn zu einem Gegenstand der Verachtung und des Abscheus. Es scheint sogar, als ob dieser heilige Mensch sich mancher Fehler schuldig mache, dass es ihm an Ergebung mangelt, und dass er sich seiner Frömmigkeit und Unsträflichkeit überhebe. Seine Freunde dagegen betrachten ihn als einen solchen, der wegen seiner Verbrechen mit Recht bestraft wird. So bleibt nun kein gesunder Fleck, wie es scheint, weder an seinem Leib noch an seiner Seele. Aber er glaubt, dass sein Erlöser lebt. Und ihm geschieht, wie er geglaubt hat.

Nachdem er noch bei lebendigem Leibe in die Verwesung übergegangen ist, als kaum noch die Haut ihm die entfleischten Knochen bedeckte, als er einem noch atmenden Leichnam gleicht, wendet sich schnell sein Los, und es wird ihm dreifach wiedergegeben, was er verloren hatte: die Güter, die Kinder, die Gesundheit und das Leben. Dasselbe widerfährt dem auferstandenen Menschen (Röm. 6, 4).

Nicht nur die Güter, die er für immer verloren geachtet hat, werden ihm wiedergegeben, sondern er wird auch ausgestattet mit einer nie geahnten Fertigkeit, sie zu gebrauchen, ohne Zwang und Ängstlichkeit, ohne dass er fürchten muss sich damit zu verunreinigen, oder sich daran zu hängen, oder sie sich anzueignen, wie es früher geschehen war. Er gebraucht die Dinge, als ob er sie nicht gebrauchte, „haben, als hätten wir nicht“. Er tut, was er tut, in Gott und auf göttliche Weise. Und dies eben ist die wahre Freiheit und das wahrhaftige Leben. Heißt das etwa frei sein, wenn man sich von allen Seiten beschränkt fühlt, eingezwängt von außen, unvermögend im Inneren? Nein! „So der Sohn euch frei macht, so seid ihr recht frei“!

Hier ist es auch, wo das apostolische Leben beginnt.

Fühlst du dich berufen zu lehren, zu strafen, zu trösten, dich mitzuteilen, mündlich oder schriftlich? Gehorche dem Rufenden! Folge blindlings! Sorge nicht um deine Unbeholfenheit und Unberedsamkeit. Es wird dir zustreben in unerschöpflicher Fülle, ohne Vorbereitung und Vorarbeit, zu der Stunde, da du seiner bedarfst. Meinst du, es sei nicht auch zu dir gesagt, was zu den Jüngern gesagt war: „Sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zur Stunde gegeben werden, was ihr braucht. Es wird niemand der Weisheit widerstehen können, die aus euch redet; denn nicht ihr seid die Redenden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet“.

Diese Stufe wird erst sehr spät erklommen, und nicht eher, ehe man zuvor die Äußerste Verlassenheit und sein peinlichstes Unvermögen empfunden hat. Je größer dies jedoch gewesen ist, desto größer ist in der Folge auch die Freiheit. Niemand soll es wagen, diesen Stand auf eigenen Antrieb hin zu betreten. Ist nicht Gott der Rufende, so wird er weder andere noch sich selbst fördern. Wenn der Geist des Vaters ihn leitet und nicht der eigene, so werden die erstaunlichsten Bekehrungen folgen. Er wird erfahren, was es bedeutet, wenn Christus spricht: „Wer an mich glaubt, von dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen!“

In diesem Stande kann der Mensch die Tugend nicht als Tugend üben. Er kann sie nicht einmal wahrnehmen und unterscheiden. Ihm sind die Tugenden sozusagen alltäglich und ganz natürlich geworden, so dass er sie wie er die Geschäfte des leiblichen Lebens verrichtet, ohne daran zu denken und ohne sich erst dafür vorzubereiten. Wenn er jemanden sieht, der mit großer Demut von sich redet oder der Übungen der Selbsterniedrigung tut, so verwundert er sich wohl, dass ihm nicht eingefallen war, ähnliches zu tun. Er erwacht wie aus einer Art Schlafsucht. Wollte er aber jetzt sich auf ähnliche Weise erniedrigen, so würde er sofort darüber zurechtgewiesen werden, auch würde es ihm gar nicht einmal gelingen. Einerseits, weil der Stand der Vernichtung, durch welchen er gegangen ist, ihn über alle Demut hinaus setzt, denn um sich erniedrigen zu können, muss man wenigstens etwas sein, und das Nichts kann zu keiner tieferen Stufe hinuntersteigen; andererseits, weil der Stand, in dem er steht, ihn über diese wie auch über andere Tugenden hinausgehoben hat durch die Umgestaltung in das Bild Gottes, so, dass diese Art des Unvermögens sowohl aus seiner Vernichtung entspringt, als aus seiner Erhöhung.

Eben darum sind diese Menschen im Äußeren ganz normal und haben nichts, was sie von anderen unterscheidet, es wäre denn das, dass sie überaus harmlos und einfältig sind und keinem Menschen zu nahe treten. Ihr Äußeres aber hat nichts Besonderes. Daher sind sie auch sehr wenig bekannt. Und eben das hilft ihnen, ihren Stand zu bewahren. Sie leben in der allertiefsten Ruhe und sorgen und bekümmern sich um nichts in der Welt, es möge sein, was es wolle.

In sich tragen sie eine unendliche, jedoch unfühlbare Freude, die daraus entspringt, dass sie nichts fürchten, nichts verlangen, nichts wollen. Doch kann gar nichts ihre Ruhe trüben und ihre Freude vermindern. David hat das erfahren, wenn er spricht: „Deine Frommen, o Herr, sind wie die Leute, die außer sich sind vor Freude“. Wer vor Freude außer sich ist, weiß nichts von sich. Er weiß auch von seiner Freude nichts, weil er entrückt ist seinem gewöhnlichen Anschauungs- und Empfindungskreis.

Der Mensch dieses Standes ist eigentlich dauernd außer sich, da er von Gott herausgezogen worden ist aus sich selbst. Er befindet sich in einer immerwährenden Entzückung. Aber diese Entzückung ist für ihn kein gespannter oder peinlicher Zustand, weil Gott seine Empfänglichkeit bis ins Unendliche ausgeweitet hat. Wenn die Entzückungen der niederen Stufen mit dem Verlust der Sinne einhergehen, so ist dies der Mangelhaftigkeit des entrückten Menschen zuzuschreiben, so sehr auch so etwas von den Leuten bewundert wird.

Da nämlich Gott die Menschen gleichsam aus sich selbst herauszieht, um sie in sich zu versenken, sie aber weder rein noch stark genug sind, um Gott zu ertragen, so muss entweder Gott aufhören, sie zu ziehen, so, dass die Entzückung ein Ende hat, oder die Natur muss unterliegen und sterben, wovon es an Beispielen nicht fehlt. Hier jedoch ist die Entzückung von Dauer und nicht vorübergehend.

Kein Wechsel ist in ihr von Überspannung und Abspannung, denn Gott hat den Menschen dermaßen gereinigt und gekräftigt, dass er stark genug ist, eine so übernatürliche Erhebung zu ertragen. Er wird aus sich selbst herausgezogen, um in die Abgründe Gottes versenkt und verloren zu werden. Die Schranken weichen. Die Enge wird Weite. Das Unvollkommene wird verschlungen von dem Vollkommenen, das Dürftige und Arme von der unermesslichen und allgenügsamen Fülle.

Seliges Nichts: wie herrlich endest du! Entblößung, Verlassenheit, Vernichtung, ihr Schrecken und Schauder des mystischen Todes. Wie überschwänglich werdet ihr vergolten! O Mensch, welcher Gewinn ist dir für alle deine Verluste zugefallen! Hattest du das ahnen können, als du in der Asche vermodertest, das eben, was dir Grauen macht, dir dienen musste, zu einer Herrlichkeit zu gelangen, die keinen Ausdruck duldet? Ein Engel hätte es dir sagen können, und du hättest es nicht geglaubt! So lerne aus eigener Erfahrung, wie gut es sei, Gott zu vertrauen, und dass alle, die auf ihn hoffen, nicht zuschanden werden.

Sich selbst rückhaltlos aufgeben und unbedingt sich Gott überlassen, was kann dem Menschen Heilsameres widerfahren als dies? Welche Fortschritte würde er machen, welche Quälereien sich selbst ersparen, wenn er Gott von Anfang an ganz gewähren ließe! Aber leider! Man will sich Gott nicht ganz überlassen! Man will sich nicht vor ihm niederwerfen. Auch diejenigen, die behaupten, es getan zu haben und sich in ihrer „Ganzhingabe“ ganz sicher sind, begnügen sich, den Schein zu erhaschen, während das Wirkliche ihnen entfloh.

Sicher wollen sie sich Gott überlassen, aber nur, wenn es nichts kostet, wenn Fleisch und Blut sich nicht allzu sehr dagegen empören. Sie wollen mit Gott handeln. Sie wollen sich mit ihm um die Hälfte einigen. Sie wollen sich ihm übergeben, jedoch mit Vorbehalt und Bedingungen. Nein, das ist nicht die Überlassung, die es gilt! Die wahre, rechte Überlassung, die der Schlüssel des ganzen Inneren ist, behält sich nichts vor, gar nichts: nicht Tod noch Leben, noch Vollkommenheit, noch Seligkeit, noch Paradies, noch Hölle.

„Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde, wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten…“ „Wer nicht absagt allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein“.

O ihr Teuren, werft euch mit gebeugtem Haupt und verschlossenen Augen blindlings hinein in diese große Liebe Gottes. Voller Vertrauen wandelt auf diesem stürmischen Meer, durch das Wort Jesu gestützt, der verheißen hat zu suchen, was verloren ist und zu sorgen für alle, die sich ihm überlassen. Solltet ihr aber sinken, wie der heilige Petrus sank, so glaubt fest, dass nur die Schwachheit eures Glaubens daran schuld sei, und dass der Herr euch bei der Hand nimmt und wieder heraufholt.

Ach wenn wir Glauben hätten auch nur wie ein Senfkorn! Das Wasser würde uns nicht nass machen, das Feuer uns nicht brennen, kein Blick uns verzehren, Löwen würden Lämmer werden, und Leoparden und Tiger gleich zahmen Hündlein und uns die Hände lecken. Was seufzt du, verzagter Mensch? Was hindert dich, dich ganz hinzugeben? Hast du Angst, du möchtest ganz verlorengehen? Was wäre es denn so großes, wenn du verlorengingest? Allerdings wirst du verlorengehen, wenn du stark genug bist, dich an Gott zu überlassen. Aber du wirst verlorengehen in ihm.

O glückseliger Verlust! So spreche ich noch einmal und möchte es noch tausendmal sprechen. 0, dass ich doch die ganze Welt überreden könnte zu dieser Hingabe! Und warum predigen unsere Prediger uns etwas anderes? Warum nicht allein die Überlassung an Gott und außer ihr nichts anderes?

II. Friede

In dem jetzigen Stand gleicht der Mensch einem Felsen im Meer, der in unerforschlichen Tiefen gründet, unbeweglich und unerschütterlich steht, wenig auf die Stürme achtet, die um seine Klippen wüten, und die Meereswogen, die sich zu seinen Füßen brechen.

Er ist dermaßen erhaben über alle Dinge, gerade durch den Verlust aller Dinge, dass nichts, weder im Himmel noch auf der Erde imstande ist, ihn aus seiner Höhe herabzuziehen (Ps. 73, 25).

Auch die Sündigkeit der Kreatur gleitet an ihm vorüber und kann seine Reinheit nicht im Geringsten trüben (1. Joh. 3, 6-9).

Denn diese Reinheit ist nach der vollkommenen Vernichtung alles Eigenen keine andere, als die Reinheit Gottes selber. Der Mensch befindet sich daher jetzt auch in einer völligen Unwissenheit des Bösen, sowie in einer Art von Unvermögen, das Böse zu tun. „Wer in ihm bleibt, sündigt nicht, ja, er kann nicht sündigen“. Obgleich nun nicht angenommen werden darf, dass er überall aus einem so erhabenen Stand nicht wieder herausfallen könnte, so geschieht dies doch nicht. Die gänzliche Vernichtung des Menschen gestattet solches nicht, denn sie ließ ihm keine Eigenheit übrig. Es ist aber nur die Eigenheit, die die Sünde hervorruft; denn wer nicht mehr ist, kann nicht mehr sündigen. Er ist der Sünde gestorben (Röm. 6, 6-11).

Der Friede des Menschen ist jetzt so unveränderlich und unwandelbar, dass nichts auf Erden und nichts in der Hölle imstande ist, ihn auch nur einen Augenblick zu trüben. Die Sinne allerdings sind nach wie vor leidensfähig. Sie können dermaßen angegriffen und geängstigt werden, dass sie winseln und weinen wie kleine Kinder. Fragt man aber den Leidenden, was ihm fehlt, oder untersucht er sich selbst, so wird er in seinem Zentrum oder Herzen eine solche Fülle der Glückseligkeit inne, dass er weder sich selbst noch anderen einräumen könnte, dass er leide. Sodann findet eine so gänzliche und vollendete Scheidung des Geistlichen und Seelischen statt, dass diese zusammenleben wie Fremde, die sich nicht kennen. Die allergrausamsten Martern stören nicht im Geringsten den Frieden, die Ruhe, die Unbeweglichkeit und Heiterkeit des Herzens. Genau so wie die Glückseligkeit des Herzens und sein göttlicher Stand keineswegs die Leidensfähigkeit des Menschen hindern. Keine Vermischung zwischen diesen beiden findet statt und keine Vermengung. Der so umgewandelte und der göttlichen Natur teilhaftige Mensch bringt es nicht fertig, auch nur das Allergeringste sich selbst zuzuschreiben oder von sich selbst zu behaupten und zu bejahen. Er steckt in einer vollendeten Verneinung und Selbstverleugnung.

Daher kommt auch seine Unvermögen, Ausdrücke und Redensarten zu finden, womit man so einen Stand beschreiben oder begreiflich machen möchte. Aber auch Gott kann der Mensch diese Dinge ebenso wenig zuschreiben, als sich selbst. Umgestaltet in ihn und eins geworden mit ihm, sieht er die Dinge nicht mehr in Gott. Er unterscheidet das einzelne nicht mehr in Gott, alles ist ihm Gott und nur Gott ist ihm alles. Das Himmlische, das Irdische, die materielle Welt, der menschliche Geist, es ist alles vor ihm verschwunden. Er sieht nur noch Gott und außer Gott weder sich selbst noch etwas anderes. Darum wäre es ihm auch ganz gleich, ob er die ganze Ewigkeit durch unter Teufeln oder unter Engeln wäre. Für ihn sind die Teufel ebenso wenig vorhanden wie alles übrige (Psalm 139, 8-12). Ihm ist es unmöglich, ein erschaffenes Wesen zu sehen außer dem unerschaffenen. Das Unerschaffene allein ist alles und in allem. Er sieht Gott ebenso gut im Bösen wie im Erzengel, obgleich in verschiedenem Sinn.

Der Mensch ist in Gott verloren, sein Wandel ist mit Christus verborgen in Gott, wie St. Paulus lehrt. Er ist eingegangen in Gott, wie jener Strom in das Meer, so, dass er nicht mehr von ihm unterschieden werden kann. Der Strom hat Ebbe und Flut mit dem Meer, nicht aus eigener Wahl, sondern vermöge seines Standes. Denn, seitdem das Meer seine dürftigen und beschränkten Wasser in sich aufgenommen hat, sind dem Strom die Eigenschaften und Zustände des Meeres sämtlich mitgeteilt worden. Trotzdem hat er sein Wesen nicht so sehr verloren, dass ihn Gott nicht wieder aus dem Meer hervorziehen könnte, wenn er wollte. Aber er will es nicht. So hat auch der in Gottes Bild umgestaltete Mensch sein kreatürliches Wesen nicht so sehr eingebüßt, dass Gott ihn nicht wieder aus seinem Schoß ausstoßen könnte, wenn er wollte. Aber er will es nicht. Und so handelt dieses Geschöpf hinfort nicht auf kreatürliche sondern auf göttliche Weise.

Man könnte einwenden, dass auf diese Weise dem Menschen die Freiheit genommen würde. Aber nein. Er hat die erschaffene Freiheit zwar verloren durch völlig freie Hingabe. Aber er hat dafür die unerschaffene Freiheit des allein wahren, freien Wesens erhalten, das keine Grenzen, Schranken oder Begrenzungen kennt. In seinem jetzigen Zustand fühlt sich der Mensch so frei und weit, dass ihm der ganze Erdkreis nur wie ein Sonnenstäubchen erscheint, von dem er niemals umschlossen und umschränkt werden könnte. Er ist jetzt frei, alles zu tun und nichts zu tun. Es gibt keinen Stand, der ihm nicht angenehm sei, keine Lage, in die er sich nicht fügen könnte. Er ist überall an seinem rechten Platz, denn überall ist Gott.

0 Stand aller Stände. Wer vermag dich zu beschreiben? Und wer in dir steht, hätte der wohl zu sorgen oder zu fürchten? Schreibt nicht Paulus: „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst? Oder Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr oder Schwert? In dem allem überwinden wir weit um dessentwillen, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ Welch ein Wort! Dieses Wort schlägt mit Sicherheit jeden Zweifel nieder. Worauf beruht denn diese eine schöne Gewissheit, heiliger Apostel?

Sie ruht einzig auf der Treue Gottes, das ist aus seinem Wort. Meine Freunde, ihr lest schon seit so vielen Jahren die Briefe dieses großen Gottesboten, dieses Meisters der geheimen Gottesweisheit. Aber versteht ihr auch, was ihr lest? Glaubt mir, das gesamte geistliche Leben ist in den Briefen des heiligen Paulus beschrieben, von seinen Anfängen, seinem Fortschreiten und seinem Ende. Auch unser göttliches übernatürliches Leben steht darin geschrieben. Aber es bleibt verschlossen und versiegelt für den gewöhnlichen Leser. Dem aber das Verständnis geöffnet worden ist, der sieht alles so klar darin, wie im Licht des Mittags.

Ach das doch die Menschen, denen es so schwer wird, sich Gott zu überlassen, die Glückseligkeit dieses Standes nur einen Augenblick erfahren könnten! Sie würden eingestehen, dass, so rau auch die Bahn ist, die zu ihm ein einziger Tag eines solchen Lebens lange Jahre voll Mühseligkeiten überschwänglich vergelten kann. Freilich sind die Wege, auf welchen Gott zu einem so hohen Ziel führt, ganz anders, als man es sich vorstellt. Er baut, indem er niederreißt und gibt Leben, indem er in den Tod führt.

O, dass ich reden dürfte und könnte von den verborgenen und seltsamen Wegen, auf denen man hierher geführt wird. Aber stille! Die Menschen können es doch nicht fassen (Matth. 19, 11)!

Wer den Weg geht, versteht mich! Man braucht hier keine besonderen Zeiten noch Orte. Jede Zeit ist recht und gut und jeder Ort bequem und passend. Die Mittel sind nun unnütz geworden. Sie liegen in weiter Ferne hinter uns. Wer ans Ziel gelangt ist, hat weiter nichts zu suchen.

Hier ist alles Gott. Gott ist überall und in allem. So ist auch der vergottete Mensch überall und in allen derselbe. Seine Hoffnung ist Gott. Seine Freude ist Gott. Sein Gebet ist Gott. Immer dasselbe, immer und ununterbrochen. Sein Gebet ist inhaltslos, ununterbrochen, formlos. Dies ist der Stand des Menschen. Er betet allezeit, allezeit! Und sollte auch manchmal ein Strahl der Herrlichkeit Gottes durch die Kräfte und die Sinne blitzen, so bleibt der Grund davon unbetroffen. Er bleibt immer derselbe. Es ist dem Menschen völlig gleich, ob er in der Einöde sei, oder unter den Menschen, ob er der Bande des Leibes entledigt sei, oder ihn noch weiter mit sich herumtragen muss. Er ist schon hier vereinigt mit dem Vielgeliebten. Und nicht nur vereinigt, er ist selbst umgestaltet und verwandelt in das Bild des Herrn, den Gegenstand seiner Liebe, so, dass er überall nicht weiter an das Lieben denkt. Er liebt Gott mit seiner Liebe, die Gott selbst ist. Die Liebe ist der Stand der Seele.

III. Entwerdung

Es fällt mir ein Gleichnis ein, das vielleicht dazu dient, diese so einfachen und den Sinnen so fernliegenden Zustande zu erläutern. Es ist das Weizenkörnlein, das verarbeitet werden soll zum Brot für die Tafel des Königs. Zu solchem Zweck muss es zuerst wohl geworfelt und durchsiebt werden, auf dass es von allem Unrat verschieden werde. Dieses deutet auf die vorläufige Bekehrung der Seele und ihre Scheidung von der Sünde hin. Danach wird das so gereinigte und gesonderte Korn vermahlen und verrieben auf der Mühle, durch die Trübsale nämlich, durch Kreuze, durch Krankheiten usw. Nachdem es vermahlen und in Mehl verwandelt worden ist, muss es wieder tüchtig gesiebt, gebeutelt werden, damit von ihm abgesondert wird nicht der Unrat, der nicht mehr vorhanden ist, sondern das Gröbere, die Kleie der Eigensucht und Eigenliebe, also dass nichts übrigbleibt als die Blüte des Mehls, das Zarteste und Feinste, das allein tauglich ist für den Tisch des Königs bereitet zu werden. Es wird zu dem Zweck wohl geknetet und verliert durch solche Behandlung nicht wenig von seiner vorigen Weiße und Schönheit, was noch mehr der Fall ist, wenn es nun zu einem unscheinbaren Teig verarbeitet, und noch mehr, wenn es der Glut das Feuers preisgegeben wird. Doch zuletzt ist es gar geworden und wird nun dem König vorgelegt, der sich dann mit ihm vereinigt, nicht nur durch die Berührung, sondern auch durch den Genuss, indem er es isst, verdaut und vernichtet. So geht es am Schluss in des Königs Fleisch und Blut über. Mit Verlust der eigenen Existenz wird es in die Substanz des Königs verwandelt.

So scheint mir der erhabene Stand, von dem wir reden, einigermaßen versinnbildlicht. Es ist der Stand der Verklärung in das Bild Jesu, wo die Seele nach so unzähligen Verfehlungen, Sichtungen, Läuterungen und Reinigungen am Ende nicht nur in das Bild des Herrn umgestaltet, sondern nach dem Verlust aller Eigenheit der göttlichen Natur teilhaftig wird, mit ihm eins.

Dieser Stand ist wenig bekannt, darum lässt sich auch nicht von ihm reden. Aber, o Stand des Lebens, wie ist der Pfad, der zu dir führt, so schmal und eng! 0 Liebe, lauterer als alle Liebe! Denn du bist Gott selbst. 0 Liebe, unermessliche unabhängige, die nicht verengt oder versehrt werden kann, weder durch den Tod, noch durch die Sünde, durch keinen Grimm und Zorn der ewig hassenden Mächte!

Trotzdem scheinen gerade diese Menschen, wie schon gesagt, zu den normalsten und gewöhnlichsten zu gehören. In ihrem Äußeren ist nichts, was sie hervorhebt, nur eine unbegrenzte Freiheit, die sogar solchen Menschen zum Ärgernis gereicht, die beschränkt und noch eingeengt in sich selbst sind und ohne Besseres zu ahnen, als was sie besitzen, denn alles, was sie nicht besitzen, für verwerflich halten. Aber die Freiheit, die sie in diesen so schlichten und einfältigen Menschen verdammen, ist eine unvergleichlich erhabenere Heiligkeit, als alles, was sie für heilig halten. In diesem Sinne muss es gedeutet werden, wenn der Prediger Salomo sagt: „Dass des Mannes Untugend mehr wert sei, als Frauentugend“. Denn die scheinbaren Fehler dieser Männerseelen, die allein den Männernamen zu führen verdienen, sind allerdings den Verdiensten jener weiblichen Gemüter vorzuziehen, die das Gute, wofür sie zu brennen vorgeben, auf eine so matte und laue Weise üben. Sie sind nicht heiß noch kalt. Es konnten ja die Werke, die sie verrichten, keinen höheren Wert haben, als der Urgrund, aus dem sie entspringen, der, wenn auch erhöht und veredelt, doch immer nur der eines schwachen Geschöpfes ist.

Jene in der göttlichen Einheit vollendeten Menschen dagegen handeln in Gott, und damit aus einem Urgrund von grenzenloser Vortrefflichkeit. So sind auch ihre unscheinbarsten Handlungen Gott angenehmer als die heroischen Taten der anderen, welche so groß erscheinen vor den Menschen.

Darum suchen auch die Menschen dieses Grades nichts, und geben sich auch nicht die geringste Mühe irgendetwas Großes zu leisten. Sie begnügen sich zu sein, was sie eben sind in jedem Augenblick. Maria, die Hochbegnadete, was tat sie auf der Erde nach der Auffahrt ihres Sohnes? Beschäftigte sie sich mit Weissagen, Seelen zu bekehren, Teufel auszutreiben oder große Taten zu tun? Ich bezeuge euch, ein solcher Mensch tut mehr für die Bekehrung eines ganzen Königreichs, ohne etwas zu tun, als 500 Prediger, die nicht in diesem Stande stehen. Maria, indem sie nichts tat, hat mehr für die Kirche getan als alle Apostel zusammen. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob Gott nicht ab und zu etwas zulässt, so, dass solche Menschen auch offenbar werden.

O ja! Zeitweise werden ihnen viele Menschen zugewiesen, denen sie aus dem in ihnen lebenden Urgrund mitteilen, damit diese hingehen und nun ihrerseits aufs Neue andere Menschen für Christus gewinnen. Das geschieht aber ohne ihr Zutun, ohne alles Drängen und Treiben ihrerseits, allein durch Gottes Führung.

Wenn man wüsste wie Gott gerade durch diese Menschen verherrlicht wird, die nicht selten ein Fegefeuer für die Welt sind, man würde erstaunen und sich zugleich im Höchstmaß freuen. Denn gerade diese sind es, die Gott verherrlichen, ohne im Geringsten an seine Verherrlichung zu denken, auf die einzige seiner würdigen Weise. Denn weil Gott selbst in ihnen als Gott wirkt, so schöpft er aus sich selbst, obgleich durch sie, die einzige Verherrlichung, die ihm zusteht. Wie viele anscheinend wahrhaft seraphische Menschen sind noch so fern dieser Stufe! Genau so wie in den früheren Ständen, so gibt es auch in diesen ein Mehr oder ein Weniger. Maria, o Begnadete, war vor vielen beschenkt.

Wenige nur erreichen solche Höhe schon in diesem Leben, und die dahin gelangen, erreichen sie gewöhnlich erst kurz vor ihrem Ende, es sei denn, dass Gott ihre Vollendung beschleunigt, um sie entweder zur Ausbreitung seines Reiches zu gebrauchen, oder sie zur Schau zu stellen als Wahr- und Wunderzeichen seiner Macht und Güte.

In der Regel aber verbirgt Gott diese Menschen in seinem Schoß und versteckt sie unter der Hülle der gewöhnlichsten Äußerlichkeit. Er will, dass sie keinem bekannt sein sollten, als ihm, der an ihnen seine Lust und Freude hat. Es sind Gottes Freunde.

Ihnen werden alle Geheimnisse Gottes geoffenbart, nicht durch den Weg des Wortes, des Gesichtes, der Lichter, sondern durch die Ansicht des in ihnen wohnenden Gottes, so, dass, wenn ein solcher Mensch angeregt wird zu reden, Wort und Bild und Gedanken und deren ganze Reihenfolge aus jenem göttlichen Grunde entspringen, ohne dass er sich jemals dessen bewusst gewesen war, dies alles zu besitzen. Er findet in seinem inneren tiefe, nie erschöpfte Einsichten, ohne dass er diese erlernt hätte oder sich später ihrer weiter erinnert. Es ist wie ein Schatz, den man nicht eher sieht, als bis man genötigt ist, ihn aufdecken zu sollen. Erst indem es anderen offenbar wird, wird er auch dem Menschen selbst offenbar.

Wenn ein solcher Mensch schreibt, so staunt er selber, dass ihm Dinge zufließen, die er nicht weiß und nie zu wissen geglaubt hat, obwohl er während des Schreibens nicht daran zweifeln kann, dass er ihrer mächtig sei. So verhält es sich nicht mit denen, die sich in den früheren Ständen befinden. Bei ihnen geht die Einsicht der Anwendung voraus. Sie beschreiben was sie erlernten, erkannten, erfuhren. Jene hingegen werden der in ihnen verborgenen Schätze nicht eher gewahr, als bis sie diese vor den Leuten ausbreiten.

Doch auch dies spricht noch nicht aus, was ich sagen möchte. Gott ist in dem Menschen, oder vielmehr: der Mensch ist nicht mehr, er wirkt nicht mehr, sondern Gott wirkt, und er ist nur das Werkzeug. In Gott hat er die ganze Fülle Gottes leibhaftig. Gott schließt in sich alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, er tut sie der Gemeinde durch diese Menschen kund. Der Mensch selbst wird ihrer erst inne in dem Augenblick, wo er aus seinem Urgrund, das heißt aus Gott, sie herauszieht, um sie mitzuteilen. Er ist sich weder vorher herrlicher Besitztümer bewusst gewesen, noch wird ihm gestattet, hinterher darüber nachzudenken. Ich bin überzeugt, dass wer auf dieser Stufe steht, mich schon verstehen und den Unterschied beider Stände sehr gut begreifen wird. In dem ersteren sieht man die Dinge und genießt sie, wie wir uns der Sonne freuen. In dem zweiten sind wir selbst Sonne geworden, die sich ihres Lichtes weder bewusst ist, noch es genießt.

Der Zustand ist bleibend. Es findet kein Wechsel in ihm statt, was den Grund anbelangt. Es gibt aber wohl ein unaufhörliches Weiterschreiten in Gott. Denn genau so wie Gott unendlich ist, so kann er auch den in sich aufgenommenen Menschen vergöttlichen. Und er tut es, indem er sein Empfangsvermögen erweitert. Maria war voll der Gnaden gleich im Anfang der Menschwerdung Jesu. Sie stand in der Fülle der Gottheit in dem Augenblick, worin das Wort Fleisch ward unter ihrem Herzen. Und trotzdem ist sie gewachsen in solcher Fülle bis zum Augenblick ihres Verscheidens. Wenn sie nun damals schon erfüllt gewesen ist, wie der Engelgruß uns nicht zweifeln lässt, wie konnte sie dann noch zu größerer Fülle gelangen in der Folgezeit? Nur so konnte sie es, dass Gott mit jedem Tag ihr Aufnahmevermögen erweiterte, sie ihrerseits aber mit jedem Tag sich immer tiefer in ihn verlor und immer weiter in ihm sich ausbreitete, ähnlich unserem Strom, der in ewigem Maße sich weiter ausbreitet, wie er immer weiter vordringt in das Meer und endlich ganz verlorengeht in dessen unergründliche Tiefen.

So ist es auch mit diesen Menschen. Alle, die auf dieser Stufe stehen, haben Gott. Die einen aber haben ihn mehr als die anderen. Sie sind in der Fülle. Aber nicht alle haben gleich viel von dieser Fülle. Ein kleines Gefäß kann so gut gefüllt sein wie ein größeres. Aber es kann nicht ebenso viel fassen. Also haben auch die Menschen zwar alle die göttliche Fülle, jedoch haben sie sie nur nach dem Maß ihres Fassungsvermögens. Und so gibt es welche, denen Gott das Fassungsvermögen mit jedem Tag erweitert.

Je länger sie in diesem göttlichen Stand leben, desto mehr werden sie ausgeweitet. Ihre Fähigkeit wird immer unermesslicher, ohne dass ihnen etwas zu tun oder zu verlangen bliebe. Obwohl sie nämlich diese stetige Erweiterung erfahren, bleibt doch nie eine Leere in ihnen, sondern wie ein Zimmer dessen Umfang man ausweitet, sofort von der eindringenden Luft erfüllt wird, ohne dass irgendein Punkt seines Inhalts luftleer bliebe, so wächst auch die Fülle des Menschen in dem Maße, wie seine Aufnahmefähigkeit zunimmt, ohne dass sein Stand und seine Stellung sich deshalb im Geringsten ändern.

Diese wachsende Erweiterung und Erfüllung des Menschen ist aber erst dann möglich, wenn zuvor seine Vernichtung vollendet worden ist. Bis dies geschehen ist, gibt es etwas in ihm, das solcher Ausweitung widersteht.

Es gibt nämlich eine doppelte Empfänglichkeit. Die eine ist diejenige der Kreatur, sie ist nur eng und beschränkt. Auch nachdem die Kreatur gereinigt worden ist, ist sie zwar fähig, die Gaben Gottes aufzunehmen, nicht aber Gott selbst, da das Aufzunehmende notwendigerweise von kleinerem Umfang sein muss, als das Aufnehmende, auch dann, wenn es seiner Natur nach viel köstlicher und edler ist. Diejenige Empfänglichkeit aber, von der wir reden, die Fähigkeit, sich immer weiter in Gott auszuweiten und in ihm sich zu verlieren, gewinnt der Mensch erst dann, nachdem er alle Eigenheiten verloren hat. Die Eigenheit hält er in sich selber fest. Nachdem ihm aber durch die Vernichtung alle Eigenheit und Besonderheit genommen worden ist, ist er fähig, sich in Gott auszugießen und in den zu zerfließen, welcher nie umschränkt und umschlossen werden kann. Je mehr er sich in Gottes Abgründen verliert, desto mehr weitet er sich aus. Er wird unermesslich, weil er die Vollkommenheit dessen teilt, der ihn aufnahm.

Diese letztere erhabene Empfänglichkeit hat der Mensch demnach nur insofern, als er vermöge seines höheren Ursprungs von Anfang an die Fähigkeit besaß, in seinen hohen Urgrund wieder umgestaltet und verwandelt zu werden, gleich wie das Wasser, auch nachdem es aus dem Quell ausgeflossen ist, allezeit die Fähigkeit behält, zu ihm zurückgeleitet zu werden, und sich mit ihm zu vermischen.

Gott, der uns nach seinem Bild erschaffen hat, hat uns mit einer Natur ausgestattet, die fähig ist, zu ihm zurückzukehren, in sein Bild umgewandelt zu werden, mit ihm eins zu sein. Gleichwie geschrieben steht: „Wer dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm.“

IV. Teilhaftig der göttlichen Natur

In diesem Stande hat der Mensch nichts anderes zu tun, als ruhig zu bleiben wie er ist, und ohne eigenen Widerstand den Antrieben dessen, der ihn besitzt und bewegt, zu folgen. Die jeweils ersten Anregungen und Bewegungen eines solchen Menschen sind immer von Gott, und er darf nicht fürchten zu fehlen, solange er ihnen folgt (Eph. 2, 10). So ist es nicht in den niederen Ständen, es sei denn, dass der Mensch schon angefangen hätte, vom Zentrum zu leben. Und auch dann darf er auf die Unfehlbarkeit noch nicht rechnen. Darum wird derjenige, der sich bewusst ist, noch nicht weit gekommen zu sein, wohl tun, jener Regel nicht zu folgen: „Ihr habt die Salbung. Und wie sie euch lehret, so ist es.“

Die Treue des vollendeten Menschen besteht aber darin, dass er der göttlichen Anregung folgt, blindlings und ohne Selbstbesinnung. Alle Selbstbesinnung ist aus diesem Stand verbannt. „Sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt“. Auch würde der Mensch Mühe haben, zur Selbstbesinnung zu gelangen, auch wenn er sich dazu geneigt empfände. Da es ihm am Ende mit Reflektionen gelingen könnte, so sei er vor allen ähnlichen Versuchen gewarnt. Nichts Schlimmeres könnte ihm begegnen, als ein solches Gelingen. Die Reflektion allein vermag den Menschen aus Gott herauszuziehen und ihn zurückzuwerfen in sich selbst. Solange der Mensch aus Gott nicht herausgeht, wird er nicht sündigen. Sündigt er, so geschah es, weil er aus Gott herausging, was ihm nur begegnen kann, vermittelst der Eigenheit. Nur durch die Selbstbesinnung kann der Mensch zurückfallen in sich selbst. Ein Fall, der dem Fall jenes Engelfürsten gleichen würde, der, da er mit Selbstgefälligkeit in seiner eigenen Schönheit sich bespiegelte, Gottes vergaß, sich selbst liebgewann und zum Satan wurde.

Man könnte einwenden, dass auf solche Weise der Mensch nicht leiden könnte in diesem Zustand. Das würde ich zugestehen, wenn auch nicht, was seinen Grund anbelangt, so doch, was seine Sinne anbelangt. Denn, möchte man sagen, um zu leiden, muss man sich auf sich selbst besinnen, und eben die Rückbesinnung ist es, die den hauptsächlichsten und schmerzlichsten Teil des Leidens ausmacht. All dieses ist in einem gewissen Sinn wahr. Aber so sicher es ist, dass die Menschen der unteren Ordnungen bald durch Rückbesinnung, bald durch den Eindruck leiden, ebenso sicher ist es, dass die Menschen dieses Standes nicht anders leiden können, als durch Eindruck. Das heißt nicht, dass die Schmerzen der letzteren Art nicht ungleich heftiger und durchdringender sein könnten, als die der ersten. Wer die Hand unmittelbar ins Feuer steckt, wird sich natürlich stärker verbrennen, als wer sie bloß dem Widerschein der Flammen hinhält.

Aber, wird man vielleicht sagen, Gott wird die Selbstbesinnung aufregen, um die Intensität des Leidens zu erhöhen. Ich meine, das wird Gott nicht tun. Er wird dem Menschen eine unmittelbare Anschauung der über ihn verhängten Leiden verschaffen können, ohne dass er deshalb sich auf sich selbst besinnt. Auf die gleiche Weise sehen die Seligen in Gott sowohl was in ihm selber ist, als auch was außer ihm in den Geschöpfen vorgeht, und in sich selbst. Sie sehen weder auf die Kreatur noch auf sich selbst zurück, sondern sie bleiben nach wie vor auf ihn hingerichtet, in ihm versunken und verloren.

Es ist ein sehr gewöhnlicher Irrtum gottseliger Menschen zu glauben, man könne weder erkennen noch anders leiden als durch Selbstbesinnung. Gerade im Gegenteil sind die Erkenntnisse und Leiden dieser Art wenig bedeutend im Vergleich zu den anderen.

Kein Leiden, das erkannt und unterschieden wird, mag verglichen werden mit dem Leiden dieser Menschen, die ihre Leiden nicht anerkennen und nicht zugestehen können, dass sie leiden, wegen der erfolgten Scheidung von Seele und Geist. Es ist wahr, dass sie das Alleräußerste leiden.

Es ist zugleich wahr, dass sie überall nicht leiden, sondern in vollkommener Ruhe und nie zu trübender Zufriedenheit stehen.
Selbst wenn sie in die Hölle geführt werden sollten, würden sie zwar die Martern der Hölle erleiden, aber jene Zufriedenheit würde ihnen bleiben. Diese würde nicht aus dem Anschauen des göttlichen Wohlgefallens entspringen, sondern es wäre jene wesentliche Allgenügsamkeit, die der Mensch geschenkt bekam, vermöge seines in Gott, den Allseligen, umgestalteten Grundes. Es mag weder das Übermaß der Marter der Überschwänglichkeit solcher Gottesgenüge einigen Eintrag tun, noch die Fülle der Seligkeit hindern oder das Übermaß der Marter schwächen.

Hier ist es nicht wie in dem leidenden Liebesstande, wo der Mensch überfließt von einer großen Sehnsucht, für den Geliebten auch das Härteste zu erleiden. Nein, es ist nicht dieses. Ihm ist aller Wille verloren in Gott. Der Mensch selbst ist wie untergegangen in Gott. Er ist zum Genuss des allerhöchsten Gutes gelangt. Er steht in der urgründlichen Seligkeitsfülle, die über alle Trübung und Klärung erhaben ist, sobald sie bleibender, stark geworden ist. Denn diese wird nicht gleich zu Anfang bleiben. Sie kommt und schwindet und kehrt wieder, häufiger bei den einen, weniger häufig bei den anderen. Bis sie endlich kommt, um nicht mehr wieder zu weichen. Zuerst werden die Lichter des Standes gegeben, danach der Geschmack des Standes, zunächst eine dunkle, gleichsam dämmernde Kunde desselben, weil dann bald selbst der Stand eintritt und der Mensch in ihm befestigt wird für immer.

Und ist denn hiermit alles für den Menschen am Ziel? Und gibt es denn von nun an für ihn kein Höheres? Es wird Höheres und Herrlicheres für ihn geben, unaufhörlich. Gott vergöttlicht den Menschen nicht auf einmal. Dieser muss Gott erst tragen lernen durch Äonen und unaufhörliches Wachstum. Fortwährend wird seine Fähigkeit gesteigert! Fortwährend sein Empfangsvermögen ausgeweitet. Sein Eingehen in Gott endet nie.

0 Gott! Der du dich zurückhältst zum Besten derer, die dir vertrauen und die dich lieben! Diese Menschen können nicht mehr beunruhigt werden: weder durch irgendeine Gnade, von der man ihnen erzählt, noch durch irgendeine Sünde, die man begehen kann, denn sie erkannten den Grund und die Güte Gottes, die die eine verursachte, und die Bosheit des Menschen, die die Quelle der anderen ist. Die ganze Erde vergeht, und sie können nicht in den Schmerz hineingezogen werden, wenn nicht Gott ihnen denselben Schmerz einprägt. Ist es so, dass sie deswegen so bekümmert um die Ehre Gottes sind, weil sie von den Sünden, die sie begehen, nicht mehr gequält werden? Nein! So ist es auf keinen Fall. Es ist, weil sie sich um Gottes Ehre ebenso kümmern wie Gott.

Gott kann nicht beleidigt sein über die Sünden der ganzen Welt (das wäre zum Verderben aller Menschen), weil er Mensch wurde, um sie alle zu erretten, und er einen leidensfähigen und sterblichen Leib annahm und sein Leben gab.

Auch die mit ihm auferstandenen Menschen würden tausend Leben zur Rettung der Welt geben, denn Gott, der sie verwandelt hat, lässt sie an seinen Qualitäten teilhaben, und dass sie das alles wollen wie Gott. Obwohl aber Gott das Heil aller Menschen will, weshalb er ihnen alle zum Heil notwendigen Gnaden gab, ist ihr Wirkungsgrad durch ihre Schuld nicht immer vorhanden. Er lässt sie seine Herrlichkeit nicht mit in ihr Verderben ziehen: denn es ist unmöglich, dass Gott auf der Welt Dinge zulässt, durch die er nicht notwendigerweise verherrlicht wird, entweder durch Gerechtigkeit oder durch Barmherzigkeit. Das ist aber nicht die Absicht dessen, der Gott verletzt und ihn absichtlich verunehrt. Von Seiten Gottes ist es jedoch keine passive Verunehrung: es ist notwendig, gegen den Willen dessen, der ihn beleidigt, dass seine Sünde sich zur Verherrlichung Gottes umkehrt.

Obgleich Gott von seiner Natur her nicht beleidigt sein kann, verdient derjenige, der ihn beleidigt unermessliche Strafen, wegen des bösen Willens, durch den er diese unendliche Güte zurückgewiesen hat und wegen der Verunehrung (Joh. 3, 18).

Auch wenn er dies von Gott aus gesehen nicht tat, so tat er es doch immer durch seine Aktion und durch seinen Willen. Und dieser Wille ist so böse, dass wenn er Gott seine Göttlichkeit nehmen könnte, so würde er sie ihm nehmen. Es ist aber dieser Wille böse von Seiten der Person, die die Sünde (Beleidigung) tut, und nicht die Aktion: denn wenn eine Person, deren Wille verloren ging in Gott, in seine Tiefe stürzte und in Gott umgewandelt wurde, durch absolute Notwendigkeit eingeschränkt wurde, wie gewisse Tyrannen es jungfräulichen Märtyrern antaten, so handelten diese ohne Sünde. Das ist klar.

Aber um zurückzukommen: ich sagte, dass diese Menschen den Schmerz der Sünde nicht mehr haben können, denn, obwohl sie sie unendlich hassen, leiden sie nicht mehr die Veränderung: sie sehen sie, wie Gott sie sieht. Auch wenn sie ihr Leben zur Versöhnung nur eines einzelnen geben müssten, wenn Gott es will, würden sie es geben; das geschähe ohne Aktionen, ohne Begierden, ohne Einwilligung, ohne Wahl, ohne Entgegenkommen ihrerseits: aber in einem vollkommenen Tod sehen sie die Dinge mehr wie Gott sie sieht, und beurteilen sie mehr, wie Gott sie beurteilt.

Jedoch gibt es eine Zeit zu reden, und es gibt auch eine Zeit zu schweigen. Ich habe die Feder ergriffen aus Gehorsam. Aus Gehorsam lege ich sie nieder. Fahrt nun fort, ihr Bäche und ihr Ströme! Lasst nicht ab zu rieseln und zu fließen! Hört nicht auf zu strudeln und zu stürzen! Säumt nicht! Zaudert nicht! Ermüdet nicht! Und mögt ihr alle miteinander einst euch selig ergießen in das große, endlose Meer, rein und klar und lauter wie der Kristallstrom, der von dem Thron Gottes und des Lammes niederfließt.