Buch 16

Das sechzehnte Buch – Hermetis Trsimegisti Rede an Ammon. Von der Seele.

Titelblatt der ersten Ausgabe in Deutsch, Hamburg 1706

1. Die Seele ist ein unleibliches Wesen und indem sie im Leibe ist, geht sie nicht aus ihrer eigenen Wesentlichkeit.

2. Denn nach ihrer Wesentlichkeit ist sie unbeweglich, doch (in Ansehung des Verstandes) von sich selbst beweglich, sie wird nicht in etwas, noch zu etwas, noch einiges Dinges wegen bewegt denn sie ist das erste in der Vermögenheit.

3. Welches nun das Erste ist, hat das Letztere nicht nötig, das nun in etwas ist, das ist der Ort, die Zeit, die Natur; was aber zu etwas oder zu einem Ende ist, das ist die Zusammenstimmung, das äußerliche Ansehen und die Gestalt, was aber um eines Dinges willen ist, ist der Leib, der Ort, die Zeit und die Natur.

4. Dieselben haben Gemeinschaft miteinander, durch eine angeborene Verwandtschaft, indem der Leib einen Ort nötig hat (denn es ist unmöglich, dass ein Leib bestehe ohne Ort) und von Natur veränderlich ist.

5. Nun kann da keine Veränderung sein ohne Zeit und natürliche Bewegung, noch keine Zusammensetzung des Leibes ohne Zusammensetzung, ist demnach der Ort um des Leibes willen, denn indem er die Veränderung des Leibes in sich empfängt, so lässt er nicht zu, dass das sollte zunichte gehen, welches verändert wird.

6. Was denn verändert wird, das geht von dem Einen in das Andere, und es wird wohl beraubt der äußerlichen Gestalt, aber es hört nicht auf, ein Leib zu sein; sondern in ein Anderes verändert seiend, hat es die Gestalt desselben; denn der Leib bleibt Leib, aber nicht dieselbe Gestalt.

7. Daher wird der Leib verändert nach seiner Geschicklichkeit, und der Ort, die Zeit, die natürliche Bewegung sind unleiblich: Ein jedes derselben aber hat seine eigene Eigenschaft, die Eigenschaft des Ortes ist die Befassung der Zeit, der Dauer, Begriff und Zahl der Natur, die Bewegung: der Zusammenstimmung, die Freundschaft, des Leibes, die Veränderung: die Eigenschaft der Seele ist die wesentliche Erkenntnis.

8. Was nun bewegt wird, wird bewegt nach der Kraft der Bewegung, die dies All bewegt, denn die Natur von diesem All gibt an dasselbe seine Bewegung an das Eine, nach ihrer Kraft, an das Andere nach ihrer Wirkung.

9. Und eines durchdringt die ganze Welt und begreift dieselbe inwendig, das Andere durchdringt und begreift sie auswendig, und sie gehen zusammen durch alles.

10. Und die Natur aller Dinge (aussprossend machend, das da wird) gibt den Ursprung an alles, was da aussprosst, diese sät wohl ihren Samen, welcher die Geburt in sich hat durch die bewegliche Materie, aber die Materie bewegt seiend, wird warm und wird zu Feuer und Wasser.

11. Das Eine ist stark und mächtig, das Andere leidend, doch das Feuer dem Wasser entgegen seiend, hat von dem Wasser etwas ausgetrocknet, und die Erde war treibend auf dem Wasser.

12. Aber da es rundum trocken ward, so ist aus diesen dreien ein Dampf ausgegangen, und ist also aus Wasser, Erde und Feuer die Luft geworden, so sind denn Hitze, Kälte, Trockenheit und Feuchte nach der Art der Übereinstimmung zusammen gekommen.

13. Und aus der Zusammenmischung oder Dünstung ist geboren der Geist und der Samen, welcher mit dem umfangenden Geist eine Gleichheit hat, der Geist aber, in die Mutter fallend, bleibt nicht müßig in dem Samen; indem er nun unmüßig ist, verändert er den Samen, welcher verändert seiend, sein Wachstum und Größe bekommt.

14. In die Größe zieht er zu sich das Bildnis der äußerlichen Gestalt, und wird gebildet über die äußerliche Gestalt, durch welche ein jedes Ding sein eigenes innerliches Wesen empfängt.

15. Angesehen denn, dass der Geist in der Mutter nicht hat eine lebendig machende, sondern viel zu heftige Bewegung, so hat die Zusammenstimmung dieselbe so gestaltet, dass sie das verständige Leben könnte empfangen, welches unteilbar und unveränderlich ist, das niemals außerhalb der Unveränderlichkeit tritt.

16. Weiteres was in der Mutter ist, wird nach der Zahl ernährt, geboren und an die äußere Luft gebracht, und als dann wird ihm eine Seele zugeeignet, nicht nach der angeborenen Eigenschaft, sondern nach dem Fato, denn sie hat keine Lust, bei dem Leibe zu sein.

17. Darum wird durch das Fatum die verständliche Bewegung, und das vernünftige Wesen des Lebens selbst an dasjenige, was geboren wird, gegeben, denn sie schleicht mit dem Geiste ein, und macht eine lebendige Bewegung.

An denselben Ammon.

18. Die Seele denn ist ein unleibliches Wesen; denn im Fall sie einen Leib hat, so unterhält sie sich selbst nicht mehr, denn ein jeder Leib hat etwas anderes nötig, dass er sei, er hat auch ein Leben nötig, welches in der Ordnung besteht.

19. Alles, was geboren wird, dasselbe ist auch veränderlich, denn alles, was geboren wird, wird in der Großheit geboren, und geboren seiend, hat es seine Anwachsung; alles, was nun Anwachsung hat, das nimmt auch ab, und nach der Abnahme folgt die Verderbnis.

20. Weiter des Lebens teilhaftig geworden seiend, lebt dasselbe, und teilt sein Wesen mit durch seine Seele, was nun Ursache ist, dass da etwas anders oder anderes ist, das muss selbst erst sein.

21. Durch das Sein verstehe ich hier mit Vernunft begabt, oder des verständigen Lebens teilhaftig sein; die Seele aber gibt das vernünftige Leben, und wird ein Tier genannt wegen des Lebens, vernünftig wegen des Verstandes, sterblich wegen des Leibes.

22. Die Seele denn ist unleiblich, habend eine unveränderliche Kraft, denn wie kann’s ein Tier genannt werden, da kein lebendiges Wesen ist; es kann auch nicht vernünftig gesagt werden, es sei denn, dass ein verständiges Leben da sei.

23. Es erreicht aber die verständliche Natur (wegen der Zusammensetzung des Leibes) nicht in allen die Zusammenstimmung oder Einteilung.

24. Denn indem er die Wärme in der Zusammensetzung überwindet, so wird der Leib leicht und hitzig, indem er die Kälte überwindet, so wird er schwer und träge, denn die Natur bildet die Gestalt des Leibes nach der Zusammenstimmung.

25. Diese ist dreierlei: Die Wärme, die Kälte und das Mittelbare. Die Natur aber bildet die Gestalt des Leibes nach dem herrschenden Stern, wie sie sind in ihrer Stellung.

26. Die Seele nun, den Leib annehmend, gleich wie es durch das Schicksal bestimmt ist, macht denselben lebendig, durch das Werk der Natur.

27. Die Natur aber macht die Zusammenstimmung mit der Stellung der Sterne eins, und vermengt die vielfältigen vermengenden Teile nach der Zusammenstimmung der Sterne, so dass sie miteinander eine Übereinstimmung und Schicksal haben.

28. Denn das Ende der Zusammenstimmung der Sterne ist eine Freundschaft nach ihrem Schicksal zu gebären: Daher, o Ammon, ist die Seele ein Wesen, welches in sich selbst vollkommen ist, und erwählt im Anfang ein Leben nach Ordnung des Schicksals, und zieht zu sich selbst eine Vernunft der Materie gleich, begabt mit Zorn und Begierlichkeit.

29. Der Zorn ist in der Materie, dieser, wenn er sich einwärts wendet zu dem Verstand der Seele, so wird er Tapferkeit, und wird durch die Furcht nicht verrückt, aber die Begierlichkeit wird verrückt.

30. Diese aber, indem sie sich gewendet zu der Vernunft der Seelen, wird die Mäßigkeit, und wird nicht bewegt von der Wollust, denn die Vernunft erfüllt, was der Begierlichkeit mangelt.

31. Wenn aber diese beiden miteinander vereinigt, und zu gleicher Einteilung gekommen sind, sich haltend an dem Verstand der Seele, als dann wird die Gerechtigkeit daraus, denn die Gleichheit desselben nimmt weg den Überfluss der zornigen Kraft, und vergleicht den Mangel der Begierlichkeit.

32. Der Anfang hiervon ist das verständige Wesen, so vor sich selbst besteht, und die im Gemüt wohl überlegende Vernunft, die gibt die Stärke und die Herrschaft. Es herrscht und regiert aber dasselbe Wesen als ein Fürst, die Vernunft aber ist dessen im Gemüt steter überlegender Rat.

33. Die Vernunft denn des Wesens ist eine Erkenntnis der Schlüsse, die uns als im Bilde und vernunftmäßig von dem unvernünftigen Wesen vorgelegt werden, und diese Vernunftschlüsse sind in den Bildern zwar finster, sie sind aber vernünftig gegen das Unvernünftige zu rechnen, gleich als der Widerhall mit der Stimme, und des Mondes Schein mit der Sonne.

34. Der Zorn und die Begierde werden auch zu dem Vernunftschluss bequem gemacht, indem sie sich untereinander umtreiben, und als im Zirkel die Gemütsüberlegung in sich selbst an sich ziehen.

35. Eine jede Seele ist allezeit beweglich; denn wir haben in den allgemeinen Reden gesagt, dass etliche Bewegungen entstehen von den wirkenden Kräften, die andern von den Leibern.

36. Nun sagen wir, dass die Seele nicht aus der Materie geboren sei, sondern aus einem unleiblichen Wesen, weil sie selbst ohne Leib ist.

37. Denn alles, was geboren wird, muss aus etwas geboren werden; auf alle Dinge denn, auf deren Geburt die Zerbrechung folgt, müssen notwendig zwei Bewegungen folgen, nämlich die Bewegung der Seele, dadurch sie bewegt werden, und der Leiber, dadurch sie zu- und abnehmen, und in ihre Entbindung entbunden werden.

38. Also beschreibe ich die Bewegung der sterblichen Leiber, die Seele aber wird allezeit bewegt, weil sie sich selbst bewegt und Ursache ist, dass andere Dinge bewegt werden.

39. Folgend diesem Satz, sind alle Seelen unsterblich, und werden immer bewegt, und die Bewegung ist ihre eigene Wirkung, die Bilder der Seele aber sind göttlich, menschlich und unvernünftig.

40. Das Göttliche ist das Bild des göttlichen Leibes, in welchem ihre Wirkung ist; denn darin wird sie bewegt, und bewegt dasselbe; denn wenn sie von den sterblichen Geschöpfen erloschen ist, wird sie (abgesondert von den unvernünftigen Teilen und in den göttlichen Leib eingehend) in sich selbst gleichfalls allezeit beweglich, bewegt und mit dem All umgetrieben.

41. Das Menschliche hat wohl etwas Göttliches, aber die unvernünftigen Dinge (nämlich die Begierlichkeit und der Zorn) sind auch mit ihm verknüpft, und diese sind auch unsterblich, insoweit sie wirkende Kräfte sind, sie sind aber Wirkungen der sterblichen Leiber, deshalb sind sie von dem göttlichen Teil der Seele, welches sein Wesen in dem göttlichen Leibe hat, weit abgeschieden.

42. Wenn nun selbiger Teil in einen sterblichen Leib geht, so kommen sie hinzu, und durch ihr Hinzukommen wird allezeit die menschliche Seele.

43. Die Seele der unvernünftigen Tiere besteht aus zorniger Kraft und Begierlichkeit, darum sie auch unvernünftig genannt werden, weil sie der Vernunft der Seele beraubt sind.

44. Zum Vierten bedenke das Bild der seelenlosen Dinge, welche außer dem Leibe sind, dieselben werden bewegt durch ihre Bewirkung. Diese, wenn sie in einem göttlichen Leibe wäre, und allda sich bewegte, würde auch dieselben Leiber als vorbeigehend bewegen.

45. Die Seele ist demnach ein ewig verständig Wesen, die einen Begriff seiner eigenen Vernunft hat; indem es nun versteht, so zieht es auch die Vernunftschlüsse der Zusammenstimmung an sich, wenn es aber von dem natürlichen Leibe entbunden ist, so bleibt sie in sich selbst, sich selbst seiend in der verständlichen Welt, und herrscht über seine eigene Vernunft, indem sie in ihrem Gemüt in ihr selbst eine gleiche Bewegung hervorbringt, die man Leben nennt, gleich seiend der Bewegung dessen, das in das Leben kommt.

46. Denn was der Seele eigen ist, ist dies: An andere ihresgleichen Eigenschaften zu geben; darum sind da zwei Leben und zwei Bewegungen, das Eine kommt überein mit ihrem Wesen, das Andere mit der Natur des Leibes, das Eine in Allen, das Andere nur in gewissen Stücken.

47. Die, welche mit dem Wesen übereinkommt, ist freiwillig, die Andere gezwungen; denn alles, was bewegt wird, ist dem Zwange des Bewegers unterworfen; es wird aber die bewegende Bewegung zugeeignet der Liebe des verständlichen Wesens.

48. Denn die Seele ist ohne Leib, und des Wesens des natürlichen Leibes nicht teilhaftig, denn wenn sie einen Leib hätte, so hätte sie weder Vernunft noch Verstand, denn alle Leiber sind unverständig, aber indem sie das Wesen empfangen, bekommen sie, dass sie lebendige Tiere sind, und der Geist ist in dem Leibe.

49. Die Vernunft aber ist eine Betrachterin des Wesens der Schönheit, aber der sinnliche Geist ist ein Urteiler des Sinnlichen, und wird verteilt in die Werkzeuge der Sinne, ein Teil desselben ist der Geist des Gesichtes, ein Geist des Gehöres, des Geruches, des Geschmackes, des Gefühles.

50. Dieser Geist, wenn er (sozusagen) zu der Vollkommenheit der Vernunft wird geführt, so urteilt er das Sinnliche, wenn aber nicht, so phantasiert er nur allein, denn er ist des Leibes, und kann alles empfangen, die Vernunft des Wesens aber ist das, welches versteht.

51. Die Erkenntnis der vernünftigen Dinge steht mit der Vernunft in gleicher Übereinstimmung, die Meinung aber mit dem Geiste; denn jene hat die Wirkung von der umfassenden Welt, diese von sich selbst.

52. So sind da Wesen, Vernunft, Begriff, und Vernunftschließung, die Meinung und die Sinne gehören oder gehen zu der Vernunftschließung, die Vernunft gehört oder geht zu dem Wesen, aber der Verstand geht durch dieselbe und wird mit der Vernunftschließung eingewickelt.

53. Wenn sie nun durcheinander gegangen sind, so werden sie ein Bild der Seelen: weiter strecken sich die Meinung und die Sinne zu der Vernunftschließung der Seelen. Die bleiben aber nicht in demselbigen Stand, sondern vermehren, vermindern und sind unterschieden voneinander minder sein sie, wenn sie von dem Gebrauch des Vernunftschlusses abgerissen sind, aber wenn sie derselben folgen und gehorsam sind, so haben sie Gemeinschaft mit der verständlichen Vernunft, durch die Wissenschaft oder Unterweisung.

54. Wir haben die Wahl, denn die Wahl des Besten ist in unsrer Macht, aber die Wahl des Schlechten ist gegen den Willen, denn die dem Bösen anhängt, vereinigt sich mit der leiblichen Natur, und herrscht über den Wähler das Schicksal.

55. Gleich wie das verständliche Wesen, das in uns ist, freiwillig ist, so ist auch die vorsichtige Vernunft freiwillig, diese stellt sich allezeit in derselben auf gleiche Weise, darum geht sie das Schicksal nicht an.

56. Aber die erste verständliche Vernunft der obersten Regenten und die ganze Vernunft (welche die Natur den Dingen, die geboren werden, hat vorgesetzt) geht, sich zusammenfügend, für sich; und wenn die Seele derselben teilhaftig ist, so ist sie auch derselben Notschickung teilhaftig, aber nicht der Natur der geborenen Dinge.

57. Das Notwendige ist nicht unterschieden von dem Naturzwang oder Schicksal, in Ansehung der zusammengehefteten Einflechtung der Teile.