Buch 14

Das vierzehnte Buch – Hermetis Trismesgisti an seinen Sohn Tatium.

Titelblatt der ersten Ausgabe in Deutsch, Hamburg 1706

Die verborgene Rede auf dem Berge von der Wiedergeburt und Überlegung des Stillschweigens.

1. Vater! In der General-Rede hast du gleichnisweise und nicht klar und offenbar genug geredet, da du von der Gottheit gesprochen, und dieselbe nicht entdeckt hast, sagend, dass niemand vor der Wiedergeburt vermag selig zu werden.

2. Sondern da ich (nachdem du mir hattest zugesprochen) im Aufsteigen des Berges dich demütig bat, und die Rede von der Wiedergeburt begehrte zu lernen (weil ich unter allem dies allein nicht weiß so sagtest du, wenn ich von der Welt würde abgewendet sein, dann wolltest du mir dieselbe eröffnen.

3. Nun habe ich mich bereitet, und mein Gemüt frei gemacht von der betrüglichen Welt, darum wollest du dasjenige, was mir gebricht, damit erfüllen, was du mir versprochen hast, und mir die Wiedergeburt, es sei durch Stimme oder Geheimnisweise, zu verstehen geben.

4. Denn, Trismegiste, ich weiß nicht, aus was für einer Materie und Mutter der Mensch ist geboren oder aus was für einem Samen.

5. O Sohn, die verständliche Sophia (Weisheit) ist in der Stillheit, und der Same ist das wahre Gut.

6. Vater, wer säet denn denselben? Denn mir ist dasselbe allzusammen ganz unbekannt.

7. Der Wille Gottes, mein Sohn, sät denselben.

8. Von was Art oder Geschlecht ist doch derselbe, der geboren wird? Denn ich weiß nichts von dem Wesen und von dem verständlichen Wesen in mir.

9. Der geborene Gott ist ein anderer Gottes-Sohn, ist alles in allem, bestehend aus allen Kräften.

10. Vater, du sprichst zu mir auf bedeckte Weise, und nicht, wie ein Vater zu seinem Sohn spricht.

11. Diese Art, mein Sohn, wird ja nicht gelehrt, sondern Gott, wenn er will, bringt es in das Gedächtnis.

12. Vater, du sagst mir unmögliche und gewaltige Dinge, darum will ich denselben mit Recht widersprechen.

13. Bist du denn ein fremd Kind, und nicht gezeugt vom väterlichen Geschlecht?

14. Missgönne es mir nicht, Vater, ich bin dein rechter Sohn, du wolltest mir erklären die Weise der Wiedergeburt.

15. Mein Sohn, was soll ich sagen, ich habe nichts zu sagen, denn allein dies, dass ich in mir sehe ein ungebildetes Gesicht, welches aus der Barmherzigkeit Gottes ist geworden. Und ich bin von mir aufgegangen in einem unsterblichen Leibe, und ich bin nun nicht derjenige, der ich zuvor war, sondern geboren in dem Gemüte.

16. Dies Ding lässt sich nicht lernen, auch kann man mit diesem gebildeten elementischen Leibe nicht kommen zu der Beschaulichkeit, darum habe ich meine zusammengesetzte Gestalt verlassen.

17. Nicht dass ich war abgeschieden, denn man kann mich fühlen und messen, sondern ich bin nun desselben Freund.

18. Sohn, du siehst mich mit deinen Augen, aber wenn du meinen Leib mit den leiblichen Augen ansiehst, so werde ich jetzt mit diesen Augen nicht gesehen.

19. Vater, du hast mich in keine wenige Unsinnigkeit und Verlorenheit der Sinne geführt, und jetzt sehe ich mich selbst nicht.

20. Wollte Gott, Sohn, dass du von dir selbst ausgingest, gleich wie die Träumenden in dem Schlaf ohne Schlaf.

21. Sage mir auch das, wer ist es, der die Wiedergeburt wirkt?

22. Gottes Sohn, der einige Mensch, durch den Willen Gottes.

23. Jetzt machst du mich ganz stumm, meine vorigen Sinne und Gedanken habe ich ganz verloren, denn ich sehe so große Großheit der Dinge, die unten sind, Vater mit dem Zeichen (Charakter) und in demselben die Falschheit, denn die sterbliche Eigenschaft verändert sich von Tag zu Tag, denn dieselbe wird mit der Zeit in ein Zunehmen und in ein Abnehmen verändert, als ein falsches Wesen.

24. Was ist denn, Trismegiste, das Wah¬rhaftige?

25. Das, was nicht gestört wird, mein Sohn! Welches kein Ende hat, welches ohne Farbe ist, welches ohne Gestalt ist, welches unveränderlich ist, welches bloß ist, welches klar ist, welches in sich selbst begreiflich ist, welches sich nicht verändert, welches unleiblich ist.

26. Gewisslich, Vater, ich werde unsinnig, denn da ich vermeinte, durch dich klug zu werden, da sind meine Sinne durch diese Wissensc¬haft verstopft geworden.

27. So geht es, mein Sohn! Was da aufwärts fährt als das Feuer, und hinunter als die Erde, und feucht gleich als Wasser, und durchblasend als die Luft.

28. Wie wolltest du solches mit den Sinnen verstehen, das nicht hart ist, das nicht feucht ist, das man nicht fühlt, das nicht durchdringend ist, das allein durch Kraft und Wirkung wird verstanden? Das Gemüt ist mir nötig, welches die Geburt, die in Gott ist, kann verstehen.

29. So vermag ich das nicht, Vater?

30. Das sei ferne, mein Sohn! Kehre in dich selbst, so wird es kommen, wolle nur, so wird es geschehen, vernichte die Sinne des Leibes, reinige dich von den unvernünftigen Untugenden der Materien.

31. Habe ich Untugenden an mir, Vater?

32. Nicht wenig, mein Sohn!, sondern die erschrecklich und sehr viel sind.

33. Vater, ich kenne dieselben nicht.

34. Mein Sohn! Die Unwissenheit ist die erste Untugend;
Die andere ist die Traurigkeit;
Die dritte ist die Unmäßigkeit;
Die vierte ist die Begierlichkeit;
Die fünfte ist die Ungerechtigkeit;
Die sechste ist der Geiz;
Die siebente ist der Betrug und die Versuchung;
Die achte ist der Neid;
Die neunte ist die List;
Die zehnte ist der Zorn;
Die elfte ist die Verwegenheit ;
Die zwölfte ist die Bosheit.

35. Diese sind zwölf in der Zahl, unter welchen denn, mein Sohn, noch viele andere sind begriffen, welche den inwendigen Menschen, der im Leibe gefangen liegt, zu empfindlichen sinnlichen Leidenschaften zwingen, aber dieselben weichen nicht alsobald, Gott erbarme es, und also steht es mit der Wiedergeburt.

36. Aber schweige nun, Sohn, hoffe das Gute, so wird die Barmherzigkeit Gottes über uns nicht aufhören.

37. Erbebe dich in Freuden, mein Sohn, weil du durch Gottes Kräfte zu vollkommener Aussprache dieser Rede bist gereinigt worden.

38. Die Erkenntnis Gottes ist zu uns gekommen, mit deren Ankunft, o Sohn, ist die Unkenntnis ausgeworfen.

39. Zu uns ist gekommen die Erkenntnis der Freude, mit deren Ankunft wird die Traurigkeit fliehen zu denen, welche dieselbe empfangen können.

40. Die Mäßigkeit nenne ich die Kraft zur Freude, wessen Kraft sehr lieblich ist; lass uns, mein Sohn, dieselbe von Herzen gerne annehmen, siehe, wie sie die Unmäßigkeit mit ihrer Ankunft hat ausgetrieben!

41. Die vierte nenne ich nun Enthaltung, welches eine Kraft ist, streitend gegen die Begierlichkeit: dieser Grad, mein Sohn, ist ein Fundament der Gerechtigkeit.

42. Denn siehe, wie sie ohne Mühe die Ungerechtigkeit ausgetrieben; denn mit Abweichung, mein Sohn, von der Ungerechtigkeit, sind wir gerecht geworden.

43. Die sechste Kraft, die in uns kommt, nenne ich Freigebigkeit, welche steht gegen den Geiz, als der allerschändlichsten Begierde.

44. Wenn die gewichen ist, nenne ich die Kraft, die darauf folgt, die Wahrheit, vor welcher der Betrug oder Lügen flieht.

45. Siehe denn, Sohn, wie das Gute ganz und voll sei geworden, sobald die Wahrheit ist eingegangen, denn der Neid ist von uns entwichen.

46. Es ist aber mit der Wahrheit das Gute zugleich mit Leben und Licht erschienen.

47. Und nun kommt gar keine Untugend mehr von der Finsternis vor den Tag, sondern sie sind alle zusammen, mit Sturm überwunden, geflohen.

48. Also hast du nun erkannt, Sohn, die Art der Wiedergeburt; wenn die Zehne sind eingegangen, so ist die verständliche Geburt vollzogen, und treiben die Zwölfe aus, und dann sind wir gekommen zu der Beschauung von dieser Geburt.

49. Deshalb, wer nun durch Gottes Barmherzigkeit die Geburt aus Gott hat erreicht, derselbe verlässt den leiblichen Sinn, und erkennt sich, dass er aus dem Göttlichen besteht, und lebt in Freude und Fröhlichkeit, als seiend von Gott unbeweglich gemacht.

50. Vater, ich stehe gegenwärtig in der Beschauung, nicht mit dem Gesichte der Augen, sondern mit der verständlichen Wirkung der Kräfte. Ich bin in dem Himmel, aus der Erde, im Wasser, in der Luft, ich bin in den Tieren, in den Pflanzen, in der Mutter, vor der Mutter, überall.

51. Aber sage mir doch noch dieses, wie werden die Untugenden in der Finsternis (welche Zwölf an der Zahl sind) von zehn Kräften ausgetrieben, auf welche Weise geschieht es, Trismegiste?

52. Diese Hütte, welche wir haben ausgezogen, besteht aus dem Zirkel des Tierkreises, der aus zwölf Zahlen besteht, da ihrer Elf an der Zahl sind, und eine Natur, die abbildende Einbildung.

53. Dieselben, Sohn, hängen sich aneinander, den Menschen zu verführen, und werden in der Wirkung vereinigt (gleichwie die Kühnheit von dem Zorn ist unentschieden), sie sind auch unbegrenzt, deshalb weichen sie auch billig, gleich als von den zehn Kräften vertrieben seiend, das ist von der Zehnheit.

54. Denn diese Zehnheit, Sohn, ist der Seele Gebärerin, und das Leben und das Licht sind allda vereinigt, da wird die Zahl der Einheit aus dem Geiste geboren, also hat (nach rechtem Verstande) die Einheit die Zehnheit, die Zehnheit die Einheit aufgerichtet.

55. Vater, ich sehe in dem Gemüte alles Wesen, und mich selbst.

56. Solches ist die Wiedergeburt, mein Sohn, auf dass du nach dieser Rede von der Wiedergeburt nicht mehr solltest phantasieren von dem Leib, welcher aus Größe besteht; und dieses habe ich darum in eine schriftliche Erklärung verfasst, auf dass wir das allwesende Wesen nicht lästern vielen zugute, welchen Gott dasselbe vergönnt.

57. Vater, sage mir doch, wird dieser Leib, welcher aus den Kräften besteht, wieder aufgelöst?

58. Gedenke was besseres, und sprich nicht von unmöglichen Dingen, denn damit wirst du sündigen, und das Auge deines Gemütes entheiligen.

59. Der begreifliche auswendige Leib der Natur ist weit von der wesentlichen Geburt, denn derselbe ist sterblich, aber dieser unsterblich; weißt du nicht, dass du ein Gott geworden bist, und ein Kind von dem einen, gleich als ich?

60. Lieber Vater, ich wollte recht gerne den Lobgesang von den Kräften hören, von welchen du sprachst, als ich in der Achtheit der Kräfte war.

61. Sohn, du läufst ganz recht (gleich wie Pömander in der Achtheit hat bezeugt) um diese Hütte aufzulösen, denn du bist gereinigt.

62. Es hat aber Pömander (das Gemüt des vor sich selbst bestehenden Wesens) mir nicht mehr, als was ich geschrieben habe, offenbart, wohl sehend, dass ich hinfür alle Dinge könnte verstehen und hören, was ich wollte, und alles sehen; und hat mir befohlen, das Gute zu tun, und darum singen alle Kräfte, die in mir sind.

63. Vater, ich begehre solches zu hören, und mein Wille ist, solches zu verstehen.

64. Sei stille, mein Sohn, und höre nur an das übereinstimmende Lob, den Lobgesang von der Wiedergeburt, welchen ich nicht habe vor gut gehalten, so leicht offenbar zu machen, wenn du nicht wärst gewesen an dem Ende des allwesenden Wesens.

65. Daher kommt es, dass dieses sich nicht lernen lässt, sondern in der Stille wird verborgen. Deshalb, mein Sohn, bete an in der freien Luft, dich wendend gegen den Südwind, nach der Sonne Untergang, wie auch mit derselben Aufgang gegen den Ostwind. Stille Sohn. Der verborgene Lobgesang, das heilige Wort.

66. Die ganze Natur der Welt empfange dieses Lob; die Erde tue sich auf, es tun sich alle Wasser auf, ihr Bäume bewegt euch, ich will loben den Herrn der Schöpfung, das All und Eine.

67. Tut euch auf, ihr Himmel, steht still, ihr Winde, der Kreis des unsterblichen Gottes nehme auf mein Wort.

68. Denn ich will preisen denjenigen, der alles geschaffen, der die Erde befestigt hat, und den Himmel aufgespannt, und der an dem Meer in dem Kreis der bewohnten und unbewohnten Erde süß Wasser hat fließen lassen, und das Feuer hat lassen scheinen, zu allen Werken und Tun der Götter (Wandel-Sterne) und Menschen.

69. Lasst uns alle zusammen ihm Lob sagen, der über die Himmel erhöht ist, dem Schöpfer der ganzen Natur, er ist das Auge des Gemütes, derselbe wird das Lob von meinen Kräften aufnehmen.

70. O ihr Kräfte, die ihr in mir seid, lobet das Eine und das All, stimmt meinem Willen bei, alle ihr Kräfte in mir.

71. Die Erkenntnis ist heilig, von dir bin ich erleuchtet, und durch dich lobe ich das verständliche Licht, und erfreue mich in der Freude des Gemütes.

72. Lobsprechet mit mir, alle ihr Kräfte, lobe du, meine Mäßigkeit; meine Gerechtigkeit lobe das Gerechte durch mich; du Mildtätigkeit, die du in mir bist, lobe das All; du Wahrheit lobe durch mich die Wahrheit; du Gut lobe durch mich das Gute.

73. O Leben! O Licht! Von uns kommt Danksagung zu dir; ich danke dir, Vater, du Wirkung der Kräfte, ich danke dir Gott, du Kraft meiner Wirkung.

74. Dein Wort lobet dich durch mich; du All, nimm durch mich auf, durch das Wort, das Opfer des Wortes.

75. Also rufen die Kräfte in mir, sie loben das All, sie vollbringen deinen Willen, dein Wille ist von dir, zu dir selbst, darum nimm an von allen das Opfer des Wortes.

76. O du All, das in uns ist, du Leben erhalte uns, du Licht erleuchte uns, du Geist Gottes, dein Wort, du geistbringender Werkmeister, wird von dem Gemüte geweidet.

77. Du bist Gott, dein Mensch ruft solches durch Feuer, durch Luft, durch Erde, durch Wasser, durch Geist; durch deine Geschöpfe.

78. Dieses Lob habe ich von der Ewigkeit gefunden, und was ich suchte, darin ruhe ich in deinem Rat.

79. Vater, ich habe gesehen, wie durch deinen Willen dieser Lobspruch verrichtet ist, so habe ich auch denselben in meiner Welt vollbracht.

80. Sohn, sage in der verständlichen Welt.

81. Ja, in der verständlichen Welt, sage ich, Vater, bin ich mächtig aus deinem Lobspruch, und aus deiner Danksagung ist mein Gemüt erleuchtet worden, und ich will auch aus meinem Herzen Gott Lob sprechen.

82. Sohn, nicht unvorsichtig!

83. Vater, es geschieht im Gemüte.

84. Sage mir, Fürst der Wiedergeburt, was ich sehe.

85. Ich stürze zu Gott aus das Opfer des Wortes: Gott, der du bist der Vater, der du bist der Herr, du, der du bist das Gemüt, nimm auf das Wortopfer, das du von mir haben willst, denn durch deinen Willen werden alle Dinge vollendet.

86. Du Sohn, sende zu Gott, dem Vater aller Dinge, ein angenehm Opfer, ja vermehre dasselbe durch das Wort.

87. Ich danke dir, Vater, dass du mir das hast wollen kund tun.

88. Und ich erfreue mich, Sohn, dass du hast Früchte der Wahrheit bekommen, nämlich die Güter, welche unsterbliche Zweige sind.

89. Nachdem du nun solches von mir hast gelernt, so versiegle dessen Tugend mit Stillschweigen, und offenbare niemandem die Vorstellung der Wiedergeburt, auf dass wir nicht werden für Lästerer geachtet.

90. Denn wir haben beide jetzt genugsam unsern Fleiß getan, ich mit sprechen, du aber hast dich selbst und unsern Vater verständlicher Weise erkannt.“