Mumonkan – Koansammlung vom torlosen Tor
Wumen Huikai (1229)
Vorwort
Zen hat keine Tore. Der Zweck von Buddhas Worten ist, andere zu erleuchten. Darum muss Zen torlos sein. Wie geht man aber durch dieses torlose Tor?
Manche sagen, dass alles, was durch ein Tor geht, nicht der wahre Schatz der Familie sei, und dass alles, was mit der Hilfe eines anderen gemacht ist, sich mit aller Wahrscheinlichkeit auflöse und vergehe. Selbst solche Worte sind wie Wellen auf einem windstillen See oder wie eine Operation an einem gesunden Körper. Wer an dem festhält, was andere gesagt haben, und versucht, Zen mit Hilfe von Erklärungen zu verstehen, ist wie ein Dummkopf, der meint, er könne den Mond mit einer Stange schlagen oder einen juckenden Fuß an der Außenseite des Schuhs kratzen. Es ist eben unmöglich.
Im Jahre 1228 unterrichtete ich Mönche im Ryusho-Tempel im östlichen China, und auf ihre Bitte hin erzählte ich alte Koans, um ihren Zen-Geist anzuregen. Ich benutzte die Koans in der Weise wie ein Mann einen Ziegelstein aufhebt und damit an ein Tor klopft. Nachdem das Tor offen ist, wird der Ziegelstein nicht mehr benötigt und kann weggeworfen werden.
Meine Aufzeichnungen wurden jedoch unerwarteterweise gesammelt, und es sind achtundvierzig Koans, jeweils versehen mit meinen Kommentaren in Prosa und Versen. Ich habe das Buch „Das torlose Tor“ genannt, mit dem Wunsch, die Schüler mögen es als einen Führer gebrauchen. Wenn ein Leser tapfer genug ist und in seiner Meditation unaufhaltsam vorwärts strebt, so kann ihn keine Täuschung beeinträchtigen. Aber wenn er nur einen Augenblick zögert, so ist er wie jemand, der durch ein kleines Fenster einem Reiter zuschaut, und im Nu hat er ihn aus seinem Blick verloren.
Der große Pfad hat keine Tore.
Tausende von Wegen führen zu ihm.
Wenn einer durch dieses torlose Tor geht,
so wandert er frei zwischen Himmel und Erde.
Ekai, genannt Mumon, 1183-1260
Koan Nr. 1 – Joshus Hund
Ein Mönch fragt Joshu, einen chinesischen Zen- Meister:
„Hat ein Hund Buddha-Natur oder nicht?“
Joshu antwortete:“Mu.“ (Mu bedeutet im Chinesischen soviel wie „nichts“ oder „nicht“).
Kommentar
Um Zen zu verwirklichen, muss man die Hindernisse der Patriarchen überwinden. Erleuchtung kommt immer erst, wenn der Weg des Denkens versperrt ist. Wenn du die Barriere der Patriarchen nicht überwindest oder wenn dein Denken nicht blockiert wird, so ist alles, was du denkst und tust, wie ein verirrtes Gespenst. Du fragst vielleicht: Was ist das, die Barriere eines Patriarchen? Diese eine Wort Mu ist es. Das ist die Barriere des Zen. Wenn du durch sie hindurchgehst, so siehst du Joshu von Angesicht zu Angesicht. Dann kannst du Hand in Hand arbeiten mit der ganzen Reihe der Patriarchen. Ist das nicht höchst erfreulich? Wenn du durch diese Barriere hindurch möchtest, so musst du mit jedem Knochen deines Körpers, mit jeder Pore deiner Haut arbeiten, immer erfüllt von dieser Frage: Was ist Mu? Und sie Tag und Nacht mit dir herumtragen. Glaube nicht, es sei dies das übliche negative Symbol, das einfach „nichts“ bedeutet. Es ist nicht das Nichts, das Gegenteil von Existenz. Wenn du wirklich diese Barriere überwinden willst, so musst du das Gefühl haben, als würdest du eine heiße Eisenkugel verschlucken, die du weder verdauen noch ausspucken kannst. Dann verschwindet dein früheres minderwertiges Wissen. Wie eine Frucht im Sommer reift, so werden deine Subjektivität und deine Objektivität auf natürliche Weise eins werden. Es ist so, wie wenn ein Stummer einen Traum hatte. Er weiss es, aber er kann ihn nicht erzählen. Wenn du in diesen Zustand eintrittst, so ist die Schale des Ego zerbrochen, und du kannst den Himmel erschüttern und die Erde bewegen. Du bist wie ein großer Krieger mit einem scharfen Schwert. Wenn ein Buddha in deinem Weg steht, so schlägst du ihn nieder; wenn ein Patriarch ein Hindernis aufrichtet, so tötest du ihn; und du bist frei auf deinem Weg des Lebens und des Todes. Du kannst jede Welt betreten, als sei sie dein eigener Spielplatz. Ich will dir erzählen, wie man das mit diesem Koan erreicht:
Konzentriere deine ganze Energie auf dieses Mu und lasse keine Unterbrechung zu. Wenn du in dieses Mu eintrittst, und es erfolgt keine Unterbrechung, so wird dein Erfolg wie eine brennende Kerze sein, die das ganze Universum erleuchtet.
Hat ein Hund Buddha-Natur? Dies ist die Ernsteste aller Fragen. Sagst du ja oder nein, so verlierst du deine eigene Buddha-Natur.
Koan Nr. 2 – Hyakujos Fuchs
Als Hyakujo einst Vorträge über Zen hielt, nahm ein alter Mann daran teil, ohne von den Mönchen gesehen zu werden. Am Ende jeder Ansprache, wenn die Mönche weggingen, ging auch er. Aber eines Tages blieb er, nachdem die Mönche gegangen waren, und Hyakujo fragte ihn: „Wer bist du?“ Der alte Mann antwortete: „Ich bin kein menschliches Wesen, aber ich war ein menschliches Wesen, als der Kashapa Buddha in dieser Welt predigte. Ich war ein Zen-Meister und lebte auf diesem Berg. Damals fragte mich einer meiner Schüler, ob der erleuchtete Mensch dem Gesetz der Kausalität unterworfen sei. Ich antwortete ihm: ‚Der erleuchtete Mensch ist dem Gesetz der Kausalität nicht unterworfen.‘ Wegen dieser Antwort, mit der ich eine Verhaftung an das Absolute bewies, wurde ich für fünfhundert Wiedergeburten zu einem Fuchs, und ich bin immer noch ein Fuchs. Willst du mich aus diesem Zustand mit deinen Zen-Worten befreien und mich aus dem Fuchskörper herauskommen lassen? Dann lass mich jetzt dich fragen: ‚Ist der erleuchtete Mensch dem Gesetz der Kausalität unterworfen?'“ Hyakujo sagte: „Der erleuchtete Mensch ist eins mit dem Gesetz der Kausalität.“ Bei diesen Worten des Hyakujo erfuhr der alte Mann die Erleuchtung. „Ich bin befreit“, sagte er und erwies seine Verehrung mit einer tiefen Verneigung. „Ich bin kein Fuchs mehr, aber ich muss meinen Körper in meiner Höhle hinter diesem Berg lassen. Bitte, lass mich wie ein Mönch bestattet werden.“ Am nächsten Tag gab Hyakujo durch den obersten der Mönche die Anweisung, es möge die Bestattung für einen Mönch vorbereitet werden. „Niemand war im Krankenzimmer gelegen“, wunderten sich die Mönche. „Was meint unser Lehrer?“ Nach dem Mittagessen führte Hyakujo die Mönche hinaus und um den Berg herum. Mit seinem Stock holte er aus einer Höhle den Körper eines alten Fuchses und vollzog die Zeremonie der Feuerbestattung. An diesem Abend hielt Hyakujo vor den Mönchen eine Ansprache und erzählte ihnen die Geschichte vom Gesetz der Kausalität. Als Obaku die Geschichte gehört hatte, fragte er Hyakujo: „Wenn ich recht verstehe, so ist vor langer Zeit jemand für fünfhundert Wiedergeburten zu einem Fuchs geworden, weil er eine falsche Zen-Antwort gegeben hat. Jetzt möchte ich fragen: Wenn einem modernen Meister viele Fragen gestellt werden und er immer die richtige Antwort gibt, was wird dann aus ihm?“ Hyakujo sagte: „Komm ganz nah her zu mir, dann will ich es dir sagen.“ Obaku ging nahe zu Hyakujo und schlug ihm mit der Hand ins Gesicht, da er wusste, dass dies die Antwort war, die sein Lehrer ihm geben wollte. Hyakujo klatschte in die Hände und lachte über diesen Scharblick. „Ich dachte, ein Perser müsse einen roten Bart haben“, sagte er, „und jetzt kenne ich einen Perser, der einen roten Bart hat.“
Unterworfen oder nicht unterworfen? Grad oder ungrad auf demselben Würfel. Unterworfen oder nicht unterworfen, beides ist ein schwerwiegender Irrtum.
Kommentar
„Der erleuchtete Mensch ist nicht unterworfen.“ Wie kann diese Antwort aus einem Mönch einen Fuchs machen? „Der erleuchtete Mensch ist eins mit dem Gesetz der Kausalität.“ Wie kann diese Antwort den Fuchs befreien? Um das klar zu verstehen, darf man nur ein Auge haben.
Koan Nr. 3 – Guteis Finger
Gutei erhob seinen Finger, wann immer man ihm eine Frage über Zen stellte. Ein junger Diener begann ihn darin nachzuahmen. Wenn jemand den Jungen fragte, worüber sein Meister gepredigt habe, so erhob er seinen Finger. Gutei hörte von dem Unfug des Jungen. Er packte ihn und schnitt ihm den Finger ab. Der Junge schrie und lief davon. Gutei rief ihm nach und hielt ihn zurück. Als der Junge seinen Kopf zu Gutei wandte, erhob Gutei seinen eigenen Finger. In diesem Augenblick wurde der Junge erleuchtet. Als Gutei dabei war, diese Welt zu verlassen, versammelte er seine Mönche um sich. „Ich erhielt mein Finger-Zen“, so sagte er, „von meinem Lehrer Tenryu, und in meinem ganzen Leben konnte ich es nicht ausschöpfen.“
Kommentar
Die Erleuchtung, die Gutei und der Junge erlangten, hat nichts mit einem Finger zu tun. Wenn irgendjemand sich an einen Finger klammert, so wird Tenryu so enttäuscht sein, dass er alle – Gutei, den Jungen und den Anklammerer- vernichten wird.
Gutei macht den alten Tenryu zum Narren, indem er den Jungen mit einem Messer befreit. Verglichen mit dem chinesischen Gott, der einen Berg mit einer Hand spaltete, ist der alte Gutei ein armseliger Imitator.
Koan Nr. 4 – Ein bartloser Fremder
Wakuan beschwerte sich, als er ein Bild des bärtigen Bodhidharma sah: „Warum hat der Kerl keinen Bart?“
Kommentar
Wenn du Zen lernen möchtest, so musst du es mit dem Herzen lernen. Wenn du die Verwirklichung erlangst, muss es wahre Verwirklichung sein. Du selbst musst das Gesicht des großen Bodhidharma haben, um ihn zu sehen. Ein einziger flüchtiger Blick genügt schon.
Aber wenn du sagst, du seiest ihm begegnet, so hast du ihn niemals gesehen.
Man soll über einen Traum nicht vor einem Einfaltspinsel sprechen. Bodhidharma hat keinen Bart: Das fügt Dummheit zu Klarheit.
Koan Nr. 5 – Kyogen besteigt den Baum
Kyogen sagte: „Zen ist, wie wenn ein Mann mit seinen Zähnen an einem Baum über einem Abgrund hängt. Seine Hände erfassen keinen Zweig, seine Füße ruhen auf keinem Ast, und unter dem Baum fragt ihn ein anderer: ‚Warum kam Bodhidharma von Indien nach China?‘ Wenn der Mann an dem Baum nicht antwortet, versagt er; und wenn er antwortet, fällt er und verliert sein Leben. Was soll er also tun?“
Kommentar
In solch einer misslichen Lage ist die größte Beredsamkeit nutzlos. Wenn du alle Sutras auswendig gelernt hast, kannst du sie nicht anwenden. Wenn du die richtige Antwort geben kannst, und möge auch dein vergangener Weg ein Weg des Todes gewesen sein, so eröffnest du nun einen anderem Weg des Lebens. Aber wenn du nicht antworten kannst, so sollst du noch viele Lebensalter leben und den zukünftigen Buddha Maitreya fragen.
Kyogen ist wahrhaftig ein Narr, dieses egotötende Gift auszustreuen, das die Münder seiner Schüler
verschließt und ihre Tränen strömen lässt aus ihren toten Augen.
Koan Nr. 6 – Buddha und die Blume
Als der Buddha sich in den Grdhrakuta-Bergen befand, drehte er eine Blume zwischen seinen Fingern und hielt sie seinen Zuhörern hin. Ein jeder war still. Nur Maha-Kashapa lächelte bei dieser Offenbarung, obwohl er versuchte, seine Miene zu beherrschen. Buddha sagte: „Ich habe das Auge der wahren Lehre, das Herz des Nirvana, den wahren Aspekt der Nicht-Form und den fehlerlosen Fluss des Dharma. Dies ist nicht in Worten auszudrücken, sondern wird jenseits des Lehrens auf besondere Weise vermittelt. Diese Lehre habe ich Maha-Kashapa gegeben.“
Kommentar
Der goldgesichtige Gautama dachte, er könne jeden betrügen. Er wollte seine klugen Zuhörer für dumm verkaufen und bot Hundefleisch als Hammel an. Und er selbst dachte, das sei wunderbar. Was wäre, wenn die ganze Zuhörerschaft gelacht hätte? Und wenn Maha- Kashapa nicht gelächelt hätte, wie hätte er dann die Lehre vermitteln können? Wenn er sagt, die Verwirklichung könne vermittelt werden, so ist er wie der Schlauberger aus der Stadt, der den Landtölpel betrügt, und wenn er sagt, sie könne nicht vermittelt werden, warum anerkennt er dann Maha-Kashapa?
Beim Drehen einer Blume wurde seine Maske abgenommen. Niemand im Himmel und auf Erden kann Maha-Kashapas Lächeln übertreffen.
Koan Nr. 7 – Joshu wäscht die Schale aus
Ein Mönch sagte zu Joshu: „Ich bin soeben im Kloster angekommen. Bitte, unterrichte mich.“ Joshu fragte: „Hast du deinen Reisbrei gegessen?“ Der Mönch antwortete: „Ich habe gegessen.“ Joshu sagte: „Dann wasche deine Schalen aus.“ In diesem Augenblick wurde der Mönch erleuchtet.
Kommentar
Joshu ist der Mensch, der seinen Mund öffnet und sein Herz zeigt. Ich bezweifle, dass dieser Mönch tatsächlich Joshus Herz gesehen hat. Ich hoffe, er verwechselte nicht die Glocke mit dem Krug.
Es ist zu offensichtlich, und somit ist es schwer zu sehen. Ein Dummkopf suchte einst ein Feuer mit einer entzündeten Lampe. Hätte er gewusst, dass die Flamme Feuer ist, so wäre der Reis längst fertig.
Koan Nr. 8 – Keichus Rad
Getsuan sagte zu seinen Schülern: „Keichu, der erste Wagner von China, machte zwei Räder mit jeweils fünfzig Speichen. Nun angenommen, ihr würdet die Nabe entfernen, welche die Speichen vereinigt: Was würde aus dem Rad werden? Und hätte Keichu dies getan, hätte man ihn dann noch einen Wagenmeister nennen können?“
Kommentar
Wenn jemand diese Frage sofort beantworten kann, so sind seine Augen wie ein Komet, und sein Geist ist wie eine explodierende Lichtflut.
Wenn sich das nabenlose Rad bewegt, Meister oder nicht Meister, sie können es aufhalten. Es dreht sich über dem Himmel und unter der Erde, im Süden, im Norden, im Osten und Westen.
Koan Nr. 9 – Ein Buddha aus vorgeschichtlicher Zeit
Ein Mönch fragte Seijo: „Wenn ich recht verstehe, so gab es einen Buddha, der vor der Zeit der überlieferten Geschichte lebte und über zehn Zyklen der Existenz hin in Meditation saß, aber die höchste Wahrheit nicht verwirklichen konnte und somit nicht vollkommen befreit wurde. Warum war das so?“ Seijo erwiderte: „Deine Frage erklärt sich selbst.“ Der Mönch fragte: „Da der Buddha doch meditierte, warum konnte er dann die Buddhaschaft nicht erfüllen?“ Seijo sagte: „Er war kein Buddha.“
Kommentar
Ich gestehe ihm seine Verwirklichung zu, aber sein Verstehen lasse ich nicht gelten. Wenn ein Unwissender die Verwirklichung erlangt, so ist er ein Heiliger. Wenn ein Heiliger zu verstehen beginnt, ist er ein Unwissender.
Es ist besser, den Geist zu verwirklichen als den Körper. Wenn der Geist verwirklicht ist, bedarf es keiner Sorgen mehr wegen des Körpers. Wenn Geist und Körper eins werden, ist der Mensch frei. Dann verlangt es ihn nicht nach Lob.
Koan Nr. 10 – Seizei allein und arm
Ein Mönch namens Seizei sagte zu Sozan: „Seizei ist allein und arm. Wollt ihr ihm Unterstützung geben?“ Sozan fragte: „Seizei?“ Seizei antwortete: „Ja, Herr.“ Sozan sagte: „Du hast Zen, den besten Wein in China, und du hast bereits drei Becher geleert, und immer noch sagst du, er habe nicht einmal deine Lippen benetzt:“
Kommentar
Seizei ging zu weit. Warum? Weil Sozan Augen hatte und wusste, mit wem er es zu tun hatte. Gerade so möchte ich fragen: Wo und wann trank Seizei Wein?
Der ärmste Mann in China, der tapferste Mann in China, er kann sich kaum ernähren und will doch mit den Reichsten sich messen.
Koan Nr. 11 – Joshu prüft einen Mönch in Meditation
Joshu begab sich an einen Ort, an den sich ein Mönch zur Meditation zurückgezogen hatte, und fragte ihn: „Was ist? Ist was?“ Der Mönch erhob seine Faust. Joshu erwiderte: „Schiffe können dort nicht bleiben, wo das Wasser zu seicht ist.“ Und er ging. Einige Tage danach ging Joshu den Mönch wieder besuchen und stellte dieselbe Frage. Der Mönch antwortete in derselben Weise. Joshu sagte: „Gut gegeben, gut genommen, gut getötet, gut gerettet.“ Und er verneigte sich vor dem Mönch.
Kommentar
Die erhobene Faust war beide Male dieselbe. Warum hat Joshu die erste Faust nicht anerkannt und die zweite gebilligt? Wo liegt der Fehler? Wer dies beantwortet, weiß, dass Joshus Zunge keine Knochen hat und er sie somit frei benützen kann. Doch vielleicht hat Joshu Unrecht. Oder vielleicht hat er durch diesen Mönch seinen Irrtum erkannt. Wenn jemand denkt, dass des Einen Einsicht die des Anderen übertreffe, so hat er keine Augen.
Das Licht der Augen ist wie ein Komet, und Zen wirkt wie ein Blitz. Das Schwert, das tötet, ist das Schwert, das rettet.
Koan Nr. 12 – Zuigan ruft seinen eigenen Meister
Zuigan rief sich selbst jeden Tag: „Meister!“ Dann antwortete er sich selbst: „Ja, Herr.“ Und danach fügte er hinzu: „Werde rein!“ Und wieder antwortete er: „Ja, Herr.“ „Und wenn das geschehen ist“, so fuhr er fort, „so lass dich nicht von anderen täuschen.“ „Ja, Herr; ja, Herr“, antwortete er.
Kommentar
Der alte Zuigan bietet an und kauft selbst ein. Er eröffnet ein Puppentheater. Er benützt eine Maske, um „Meister“ zu rufen, und eine andere, die dem Meister antwortet. Eine andere Maske sagt: „Reinige dich“, und eine andere: „Lass dich nicht von anderen betrügen.“ Wenn jemand sich an eine seiner Masken klammert, so ist er im Irrtum, und wenn er Zuigan dennoch nachahmt, so macht er sich zu einem Fuchs.
Manche Zen-Schüler erkennen nicht den wahren Menschen hinter einer Maske, weil sie das Ich bemerken. Das Ich ist der Keim von Leben und Tod, und dumme Leute nennen dieses den Wahren Menschen.
Koan Nr. 13 – Tokusan hält seine Schale in der Hand
Tokusan ging von der Meditationshalle zum Essraum und hielt dabei seine Schale in der Hand. Seppo hatte die Aufgabe zu kochen. Als er Tokusan begegnete, sagte er: „Der Gong zum Essen wurde noch nicht geschlagen. Wohin gehst du mit deiner Schale?“ Also begab sich Tokusan in sein Zimmer zurück. Seppo erzählte Ganto davon. Ganto sagte: „Der alte Tokusan hat die höchste Wahrheit nicht verstanden.“ Tokusan hörte von dieser Bemerkung und bat Ganto, zu ihm zu kommen. „Ich habe gehört, dass du mein Zen nicht anerkennst“, sagte er. Ganto gab es indirekt zu. Tokusan sagte nichts. Am nächsten Tag erteilte Tokusan den Mönchen eine völlig neue Art von Unterricht. Ganto lachte und klatschte ind die Hände und sagte: „Wie ich sehe, versteht unser alter Mann tatsächlich die höchste Wahrheit. Niemand in China vermag ihn zu übertreffen.
Kommentar
Sie reden von der höchsten Wahrheit, aber sie träumen beide nicht einmal davon, weder Ganto noch Tokusan. Letztlich sind sie nichts anderes als Strohpuppen.
Wer die erste Wahrheit versteht, sollte die letzte Wahrheit verstehen. Die erste und die letzte, sind sie nicht dasselbe?
Koan Nr. 14 – Nansen schneidet die Katze entzwei
Nansen sah, wie die Mönche der östlichen und der westlichen Halle wegen einer Katze miteinander stritten. Er packte die Katze und sagte zu den Mönchen: „Wenn einer von euch ein gutes Wort sagt, so könnt ihr die Katze retten.“ Niemand antwortete. So schnitt den Nansen die Katze kurzerhand entzwei. An diesem Abend kehrte Joshu zurück, und Nansen erzählte ihm die Begebenheit. Joshu zog seine Sandalen aus, legte sie auf seinen Kopf und ging hinaus. Nansen sagte: „Wärest du hier gewesen, so hättest du die Katze retten können.
Kommentar
Warum legte Joshu die Sandalen auf seinen Kopf? Wenn jemand dies beantwortet, so wird er ganz genau verstehen, wie Nansen seinen Schiedsspruch durchsetzte. Wenn nicht, so sollte er seinen eigenen Kopf anschauen.
Wäre Joshu da gewesen, so hätte er gehandelt. Joshu ergreift das Schwert und Nansen bittet um sein Leben.
Koan Nr. 15 – Tozans drei Hiebe
Tozan begab sich zu Ummon. Ummon fragte ihn, woher er gekommen sei. Tozan sagte: „Aus dem Dorfe Sato.“ Ummon fragte: „In welchem Tempel hieltest du dich den Sommer über auf?“ Tozan antwortete: „Im Tempel von Hogi, südlich des Sees.“ „Wann bist du von dort weggegangen?“ fragte Ummon und war neugierig, wie lange Tozan wohl damit fortfahren mochte, sachliche Antworten zu geben. „Am fünfundzwanzigsten August“, antwortete Tozan. Ummon sagte: „Ich sollte dir drei Hiebe mit dem Stock geben, aber heute verzeihe ich dir.“ Am nächsten Tag verneigte sich Tozan vor Ummon und fragte: „Gestern habt ihr mir drei Hiebe vergeben. Ich weiß nicht, warum ihr glaubtet, ich sei im Unrecht.“ Ummon sagte, indem er Tozans geistlose Antworten tadelte: „Du taugst zu garnichts. Du wanderst einfach von einem Kloster zum anderen:“ Bevor Ummon zu Ende gesprochen hatte, wurde Tozan erleuchtet.
Kommentar
Ummon fütterte Tozan mit guter Zen-Speise. Wenn Tozan sie verdauen kann, so darf Ummon ein weiteres Mitglied zu seiner Familie zählen. Am Abend schwamm Tozan in einem See von Gut und Böse herum, aber in der Morgendämmerung knackte Ummon seine Nuss. Doch letztlich war er nicht gar so gewitzt. Nun möchte ich fragen: Hat Tozan die drei Hiebe verdient? Wenn ihr ja sagt, so verdient sie nicht nur Tozan, sondern jeder von euch. Wenn ihr nein sagt, so ist Ummon ein Lügner. Wenn ihr diese Frage klar beantwortet, so könnt ihr dieselbe Speise essen wie Tozan.
Die Löwin belehrt ihre Jungen auf rauhe Weise, die Jungenspringen herum, und sie stösst sie nieder. Als Ummon Tozan sah, traf sein erster Pfeil nur leicht. Sein zweiter Pfeil schoss tief.
Koan Nr. 16 – Glocken und Gewänder
Ummon fragte: „Die Welt ist eine solch weite Welt, warum antwortet ihr einer Glocke und tragt zeremonielle Gewänder?“
Kommentar
Wenn man Zen lernt, so braucht man nicht dem Klang oder der Farbe oder der Form zu folgen. Selbst wenn manche beim Hören einer Stimme oder beim Sehen einer Farbe oder Form die Einsicht erlangt haben, so ist dies doch ein sehr gewöhnlicher Weg. Es ist nicht wahres Zen. Der echte Zen-Schüler beherrscht Klang, Farbe und Form und verwirklicht die Wahrheit in seinem täglichen Leben. Der Klang kommt zum Ohr, das Ohr geht zum Klang. Wenn ihr Klang und Sinn auslöscht, was versteht ihr dann? Durch das Hören mit den Ohren kann man nicht verstehen. Um zuinnerst zu verstehen, sollte man den Klang sehen.
Wenn du verstehst, sind alle Dinge eins, wenn du nicht verstehst, sind sie verschieden und getrennt. Wenn du nicht verstehst, sind alle Dinge eins, wenn du verstehst, sind sie verschieden und getrennt.
Koan Nr. 17 – Die drei Rufe des kaiserlichen Lehrers
Chu, genannt Kokushi, der Lehrer des Kaisers, rief seinen Diener: „Oshin!“ Oshin antwortete: „Ja.“ Chu wiederholte, um seinen Schüler zu prüfen: „Oshin!“ Oshin wiederholte: „Ja.“ Chu rief Oshin: „Oshin!“ Oshin antwortete: „Ja.“ Chu sagte: „Ich sollte mich bei dir für meine Ruferei entschuldigen, aber in Wirklichkeit bist du es, der sich bei mir entschuldigen sollte.“
Kommentar
Als der alte Chu Oshin dreimal rief, war seine Zunge verrottet, aber als Oshin dreimal antwortete, waren seine Worte genial. Chu wurde altersschwach und einsam, und seine Methode des Lehrens war so, als hielte man den Kopf einer Kuh, um sie mit Klee zu füttern. Oshin störte es auch nicht, sein Zen zu zeigen. Sein befriedigter Magen hatte kein Verlangen zu fasten. Wenn das Land gedeiht, so ist jeder träge; wenn das Elternhaus reich ist, so sind die Kinder verdorben. Nun möchte ich euch fragen: Welcher sollte sich entschuldigen?
Einen eisernen Kragen ohne Loch: den muss er tragen. Das ist nicht leicht. Noch seine Nachkommen plagen sich damit.
Koan Nr. 18 – Tozans drei Pfund
Ein Mönch fragte Tozan, als dieser Flachs abwog: „Was ist Buddha?“ Tozan sagte: „Dieser Flachs wiegt drei Pfund.“
Kommentar
Des alten Tozan Zen ist wie eine Muschel. In dem Augenblick, da sie sich öffnet, siehst du das ganze Innere. Dennoch frage ich euch: Seht ihr den echten Tozan?
Drei Pfund Flachs vor eurer Nase, nah genug, und der Geist ist noch näher. Wer über Ja und Nein redet, lebt im rechten und falschen Bereich.
Koan Nr. 19 – Das tägliche Leben ist der Pfad
Joshu fragte Nansen: „Was ist der Pfad?“ Nansen sagte: „Das tägliche Leben ist der Pfad.“ Joshu fragte: „Kann man das studieren?“ Nansen sagte: „Wenn du versuchst, es zu studieren, so bist du fern davon.“ Joshu fragte: „Wenn ich es nicht studiere, wie kann ich dann wissen, ob es der Pfad ist?“ Nansen sagte: „Der Pfad gehört nicht der Welt der Wahrnehmung an, noch gehört er der Welt der Nicht-Wahrnehmung an. Erkenntnis ist eine Täuschung, und Nicht- Erkenntnis ist sinnlos. Wenn du den wahren Pfad jenseits aller Zweifel erreichen willst, so versetze dich in dieselbe Freiheit, wie der Himmel sie hat. Du wirst sie weder gut, noch nicht-gut nennen.“ Bei diesen Worten wurde Joshu erleuchtet.
Kommentar
Nansen konnte Joshus erstarrte Zweifel augenblicklich auftauen, als Joshu seine Fragen stellte. Ich bezweifle trotzdem, dass Joshu denselben Punkt wie Nansen erreichte. Er brauchte dreißig weitere Jahre des Lernens.
Im Frühling Hunderte von Blumen; im Herbst ein Vollmond; im Sommer eine erfrischende Brise; im Winter der Schnee. Wenn in deinem Geist keine nutzlosen Dinge sind, ist jede Jahreszeit eine gute Jahreszeit.
Koan Nr. 20 – Der erleuchtete Mensch
Shogen fragte: „Warum stellt sich der erleuchtete Mensch nicht auf seine Füße und erklärt sich selbst?“ Und er sagte auch: „Reden muss nicht unbedingt von der Zunge kommen.“
Kommentar
Shogen sprach deutlich genug, aber wie viele werden ihn verstehen? Wenn irgendjemand begreift, so sollte re zu mir kommen und meinen großen Stock fühlen. Denn, seht her, um altes Gold zu prüfen, müsst ihr es durch das Feuer sehen.
Wenn die Füße der Erleuchtung sich bewegen, so fließt der große Ozean über. Wenn dieser Kopf sich neigt, so schaut er herab auf die Himmel. Solch ein Körper hat keinen Platz, um sich auszuruhen…Lasst einen anderen dies Gedicht fortsetzen.
Koan Nr. 21 – Getrockneter Mist
Ein Mönch fragte Ummon: „Was ist Buddha?“ Ummon antwortete ihm. „Getrockneter Mist.“
Kommentar
Es scheint mir, dass Ummon so arm ist, dass er den Geschmack einer Speise nicht von dem einer anderen unterscheiden kann, oder er ist zu beschäftigt, um lesbare Briefe zu schreiben. Nun gut, er versuchte seine Schule mit getrocknetem Mist zu halten. Und sein Lehren war so gut wie nutzlos.
Blitze zucken, Funken sprühen. Mit einem Blinzeln deiner Augen hast du das Sehen verpasst.
Koan Nr. 22 – Kashapas Predigerzeichen
Ananda fragte Kashapa: „Buddha gab dir das golddurchwirkte Gewand der Nachfolge. Was gab er dir sonst noch?“ Kashapa sagte: „Ananda.“ Ananda antwortete: „Ja, Bruder.“ Da sagte Kashapa: „Nun kannst du mein Predigerzeichen abnehmen und dein eigenes aufstellen.“
Kommentar
Wenn jemand dies versteht, so wird er die alte Bruderschaft noch beisammen sehen; aber wenn nicht, und möge er selbst die Wahrheit seit den Zeitaltern vor den Buddhas studiert haben, so wird er die Erleuchtung nicht erlangen.
Die Pointe der Frage ist dunkel, aber die Antwort nahe liegend. Wie viele Menschen, die das hören, werden ihre Augen öffnen? Ältere Brüder rufen und jüngere Brüder antworten, dieser Frühling gehört nicht zur gewöhnlichen Jahreszeit.
Koan Nr. 23 – Denke nicht gut, denke nicht nicht-gut
Als der sechste Patriarch befreit wurde, erhielt er vom fünften Patriarchen die Schale und das Gewand, die der Buddha seinen Nachfolgern überreicht hatte und die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Ein Mönch namens Emyo verfolgte den Patriarchen voller Neid, um ihm diesen großen Schatz wegzunehmen. Der sechste Patriarch legte Schale und Gewand auf einen Stein an der Straße und sagte zu Emyo: „Diese Dinge symbolisieren den Glauben. Es ist nicht nötig, ihretwegen zu kämpfen. Wenn du sie nehmen möchtest, so nimm sie jetzt.“ Als Emyo die Schale und die Robe aufheben wollte, waren sie schwer wie Berge. Er konnte sie nicht von der Stelle bewegen. Bebend vor Scham sagte er: „Ich bin gekommen, weil ich nach Belehrung verlangte, nicht wegen materieller Schätze. Bitte, belehrt mich.“ Der sechste Patriarch sagte: „Wenn du nicht gut denkst, und wenn du nicht nicht-gut denkst, was ist dann dein wahres Selbst?“ Bei diesen Worten wurde Emyo erleuchtet. Schweiß brach überall aus seinem Körper. Er weinte, verneigte sich und sagte: „Ihr habt mir die geheimen Worte und Bedeutungen gegeben. Gibt es noch einen tieferen Sinn der Lehre?“ Der sechste Patriarch erwiderte: „Was ich dir gesagt habe, ist ganz und gar nicht geheim. Wenn du dein eigenes wahres Selbst verwirklichst, so gehört das Geheimnis dir.“ Emyo sagte: „Ich war viele Jahre beim fünften Patriarchen, konnte aber mein wahres Selbst bis jetzt nicht verwirklichen. Durch eure Belehrung finde ich die Quelle. Wenn jemand Wasser trinkt, so weiß er selbst, ob es kalt ist oder warm. Darf ich euch meinen Lehrer nennen?“ Der sechste Patriarch antwortete: „Wir studierten beide unter dem fünften Patriarchen. Nenne ihn deinen Lehrer, aber bewahre, was du erlangt hast.“
Kommentar
Der sechste Patriarch war nicht wenig freundlich in solch einer Notlage. Es war, als würde er eine Frucht von Haut und Samenkörnern befreien, des Schülers Mund öffnen und ihn die Frucht essen lassen.
Du kannst es nicht beschreiben, du kannst es dir nicht vorstellen; du kannst es nicht bewundern, du kannst es nicht empfinden. Es ist dein wahres Selbst, es gibt keinen Ort, an dem es sich verstecken kann. Wenn die Welt zerstört wird, so wird es nicht zerstört.
Koan Nr. 24 – Ohne Worte, ohne Schweigen
Ein Mönch fragte Fuketsu: „Ohne zu sprechen, ohne zu schweigen, wie kann man da die Wahrheit ausdrücken?“ Fuketsu bemerkte: „Ich erinnere mich immer an den Frühling in Süd- China. Die Vögel singen inmitten unzähliger Arten duftender Blumen.“
Kommentar
Fuketsus Zen war wie ein Blitz. Wann immer sich die Gelegenheit bot, ließ er ihn aufleuchten. Aber dieses Mal tat er es nicht, sondern entlieh sich lediglich ein altes chinesisches Gedicht. Kümmert euch nicht um Fuketsus Zen. Wenn ihr die Wahrheit ausdrücken wollt, so werft eure Worte weg, werft euer Schweigen weg und erzählt mir von eurem eigenen Zen.
Er sprach keine hochtrabenden Worte; bevor der den Mund öffnete, wurde es offenbar. Wenn du weiterschwätzt, wirst du es nie erlangen.
Koan Nr. 25 – Predigen vom dritten Sitz
In einem Traum begab sich Kyozan in Maitreyas Reines Land. Er entdeckte sich selbst auf dem dritten Platz in Maitreyas Wohnstatt. Jemand kündigte an: „Heute wird der predigen, der den dritten Sitz innehat.“ Kyozan erhob sich und sagte, indem er mit dem Hammer klopfte: „Die Wahrheit der Mahayana-Lehre ist transzendent, sie ist jenseits von Worten und Gedanken. Versteht ihr?“
Kommentar
Ich möchte euch Mönche fragen: Predigte er oder nicht? Wenn er den Mund öffnet, ist er verloren. Wenn er ihn nicht öffnet, wenn er ihn nicht verschließt, ist er 108 000 Meilen von der Wahrheit entfernt.
Helles Licht des Tages! Im Traum spricht er von einem Traum. Humbug! Humbug! Er täuschte die ganze Gesellschaft.
Koan Nr. 26 – Zwei Mönche rollen den Vorhang hoch
Hogen vom Seiryo-Kloster war dabei, vor dem Essen einen Vortrag zu halten, als er feststellte, dass der Bambusvorhang, den man für die Meditation heruntergelassen hatte, nicht hoch gerollt worden war. Er wies darauf hin. Zwei Mönche aus der Zuhörerschaft erhoben sich und rollten ihn hoch. Hogen, der sie beide in ihrer körperlichen Bewegung beobachtete, sagte: „Der erste Mönch hat es, der zweite nicht.“
Kommentar
Ich möchte euch fragen: Welcher dieser zwei Mönche hat es und welcher nicht? Wenn einer von euch ein Zen-Auge hat, wird er den Fehler auf des Lehrers Seite sehen. Ich jedenfalls diskutiere nicht über „haben“ und „nicht haben“.
Wenn der Vorhang hoch gerollt ist, so öffnet sich der weite Himmel, doch ist der Himmel nicht auf Zen eingestellt. Das Beste ist, den weiten Himmel zu vergessen und sich vor jedem Wind zurückzuziehen.
Koan Nr. 27 – Es ist nicht Geist, es ist nicht Buddha, es ist nicht Dinge
Ein Mönch fragte Nansen: „Gibt es eine Lehre, die kein Meister jemals zuvor gepredigt hat?“ Nansen sagte: „Ja, die gibt es.“ „Was besagt sie?“ fragte der Mönch. Nansen antwortete: „Es ist nicht Geist, es ist nicht Buddha, es ist nicht Dinge.“
Kommentar
Der alte Nansen gab seinen Schatz an Worten weg. Er muss reichlich schlecht beisammen gewesen sein.
Nansen war zu freundlich und verlor seine Schätze. Wahrlich, Worte haben keine Macht. Selbst wenn der Berg zum Meere wird, können Worte eines anderen Geist nicht öffnen.
Koan Nr. 28 – Die Kerze ausblasen
Tokusan lernte Zen unter Ryutan. Eines Nachts kam er zu Ryutan und stellte viele Fragen. Der Lehrer sagte: „Die Nacht wird alt. Warum legst du dich nicht nieder?“ Also verneigte sich Tokusan und öffnete den Vorhang, um hinauszugehen, wobei er feststellte: „Es ist draußen sehr dunkel.“ Ryutan bot Tokusan eine brennende Kerze an, damit er seinen Weg finden könne. Gerade als Tokusan sie in Empfang nahm, blies Ryutan sie aus. In diesem Augenblick öffnete sich Tokusans Geist. „Was hast du gewonnen?“ fragte Ryutan. „Von jetzt an“, sagte Tokusan, „will ich nicht mehr an den Worten des Lehrers zweifeln.“ Am nächsten Tag sagte Ryutan in seinem Vortrag zu den Mönchen: „Ich sehe einen Mönch unter euch. Seine Zähne sind wie der Schwertbaum, sein Mund ist wie die Blutschale. Wenn ihr ihn mit einem harten Stock schlagt, so wird er sich kaum nach euch umschauen. Eines Tages wird er den höchsten Gipfel erreichen und meine Lehre dorthin tragen.“ An diesem Tag verbrannte Tokusan seine Kommentare zu den Sutras auf einem Platz vor der Unterrichtshalle zu Asche. Er sagte: „Wie geheimnisvoll die Lehren auch sein mögen, verglichen mit dieser Erleuchtung sind sie wie ein einziges Haar gegen den großen Himmel. Wie tiefgründig das komplizierte Wissen über diese Welt auch sein mag, verglichen mit dieser Erleuchtung ist es wie ein Tropfen Wasser gegen den großen Ozean.“ Dann verließ er das Kloster.
Kommentar
Als Tokusan sich noch in seinem eigenen Land befand, war er mit Zen nicht zufrieden, obwohl er davon gehört hatte. Er dachte. „Diese südlichen Mönche behaupten, dass sie den Dharma außerhalb der Sutras lehren können. Sie haben Unrecht. Ich muss sie belehren.“ So reiste er gen Süden. Zufällig machte er in der Nähe von Ryutans Kloster Rast, um sich zu erfrischen. Eine alte Frau, die dort vorbeikam, fragte ihn: „Was trägst du da Schweres?“ Tokusan antwortete: „Das ist ein Kommentar, den ich nach vielen Jahren des Studiums zum Diamant-Sutra geschrieben habe.“ Die alte Frau sagte: „Ich habe dieses Sutra gelesen, darin steht: ‚Der vergangene Geist kann nicht festgehalten werden, der gegenwärtige Geist kann nicht festgehalten werden, der zukünftige Geist kann nicht festgehalten werden.‘ Du möchtest Tee und Erfrischungen. Welchen Geist beabsichtigst du dafür zu gebrauchen?“ Tokusan war sprachlos. Schließlich fragte er die Frau: „Kennst du einen guten Lehrer hier in der Gegend?“ Die alte Frau verwies ihn an Ryutan, der nicht mehr als fünf Meilen entfernt lebte. Also ging er in aller Bescheidenheit zu Ryutan, ganz anders, als er seine Reise begonnen hatte. Ryutan seinerseits war so liebenswürdig, dass er seine eigene Würde vergaß. Es war so, als würde man schmutziges Wasser über einen Betrunkenen gießen, um ihn zu säubern. Genau genommen war es eine unnötige Komödie.
Viel besser, das Gesicht zu sehen, als den Namen zu hören; viel besser, den Namen zu hören, als das Gesicht zu sehen. Rettete er auch seine Nase, verlor er doch seine Augen.
Koan Nr. 29 – Nicht der Wind, nicht die Fahne
Zwei Mönche diskutierten über eine Fahne. Der eine sagte: „Die Fahne bewegt sich.“ Der andere sagte: „Der Wind bewegt sich.“ Der sechste Patriarch kam zufällig vorbei. Er sagte zu ihnen: „Nicht der Wind, nicht die Fahne; der Geist bewegt sich.“
Kommentar
Der sechste Patriarch sagte: „Der Wind bewegt sich nicht, die Fahne bewegt sich nicht. Der Geist bewegt sich.“ Was meinte er? Wenn du das zuinnerst verstehst, so wirst du zwei Mönche sehen, die versuchen, Eisen zu kaufen und Gold zu gewinnen. Der sechste Patriarch konnte es nicht ertragen, zwei solche Dummköpfe zu sehen, darum machte er solch einen Handel.
Wind, Fahne, Geist bewegen sich, das gleiche Verstehen. Wenn die Münder sich öffnen, haben alle Unrecht.
Koan Nr. 30 – Dieser Geist ist Buddha
Daibai fragte Baso: „Was ist Buddha?“ Baso sagte: „Dieser Geist ist Buddha.“
Kommentar
Wenn jemand dies ganz versteht, so trägt er Buddhas Kleider, isst Buddhas Essen, spricht Buddhas Worte, verhält sich wie Buddha – er ist Buddha. Diese Anekdote hat gleichwohl manchem Schüler die Krankheit der Formalität gebracht. Wenn jemand wahrhaft versteht, so wird er drei Tage lang seinen Mund auswaschen, nachdem er das Wort Buddha ausgesprochen hat, und er wird seine Ohren verschließen und fliehen, nachdem er gehört hat: „Dieser Geist ist Buddha.“
Unter blauem Himmel, im hellen Sonnenlicht, braucht man nicht herumzusuchen. Zu fragen, was Buddha ist, ist so, als verstecke man einen Raub in seiner Tasche und erkläre sich für unschuldig.
Koan Nr. 31 – Joshu stellt Nachforschungen an
Ein reisender Mönch fragte eine alte Frau nach der Straße nach Taizan, einem bekannten Tempel, der angeblich dem Weisheit verlieh, der darin betete. Die alte Frau sagte: „Geh geradeaus.“ Als der Mönch einige Schritte weitergegangen war, sagte sie zu sich selbst: „Der ist auch ein gewöhnlicher Kirchgänger.“ Jemand erzählte Joshu diese Begebenheit, und dieser sagte: „Warte, bis ich das untersucht habe.“ Am nächsten Tag machte er sich auf den Weg und stellte dieselbe Frage, und die alte Frau gab dieselbe Antwort. Joshu bemerkte: „Ich habe diese alte Frau geprüft.“
Kommentar
Die alte Frau verstand, wie ein Krieg geplant wird, aber sie wusste nicht, wie Spione sich von hinten in ihr Zelt schleichen. Der alte Joshu spielte Spion und drehte den Spieß um, aber er war kein fähiger General. Sie hatten beide ihre Schwächen. Nun möchte ich euch fragen: Was war der Zweck, weswegen Joshu die alte Frau prüfte?
Wenn die Frage gewöhnlich ist, so ist die Antwort gewöhnlich. Wenn die Frage Sand ist in einer Schale voll gekochtem Reis, so ist die Antwort ein Stock in weichem Schlamm.
Koan Nr. 32 – Ein Philosoph befragt Buddha
Ein Philosoph fragte Buddha: „Willst du mir die Wahrheit sagen, ohne Worte, ohne Wortlosigkeit?“ Der Buddha schwieg. Der Philosoph verneigte sich und dankte dem Buddha und sagte: „Durch deine Herzensgüte habe ich meine Täuschungen aufgeklärt und den wahren Pfad betreten.“ Nachdem der Philosoph gegangen war, fragte Ananda den Buddha, was dieser Mann erreicht habe. Der Buddha antwortete: „Ein gutes Pferd läuft schon angesichts des Schattens der Peitsche.“
Kommentar
Ananda war der Schüler des Buddha. Trotzdem übertraf seine Einsicht nicht die des Außenstehenden. Ich möchte euch Mönche fragen: Wie gross ist der Unterschied zwischen Schülern und Außenstehenden?
Um auf die scharfe Schneide eines Schwertes zu treten, um auf blank gefrorenem Eis zu laufen, braucht man keiner Spur zu folgen. Geh über die Klippen mit freien Händen.
Koan Nr. 33 – Kein Geist, kein Buddha
Ein Mönch fragte Baso: „Was ist Buddha?“ Baso sagte: „Kein Geist, kein Buddha.“
Kommentar
Wenn jemand dies versteht so hat er Zen bestanden.
Wenn du auf der Straße einen Fechtmeister triffst, so gib ihm dein Schwert, und gib nur einem Dichter ein Gedicht. Wenn du andere triffst, so sag nur einen Teil deiner Worte. Gib niemals das Ganze auf einmal.
Koan Nr. 34 – Lernen ist nicht der Weg
Nansen sagte: „Der Geist ist nicht Buddha. Lernen ist nicht der Weg.“
Kommentar
Nansen war alt geworden und hatte verlernt, sich zu schämen. Er sprach mit stinkendem Mund und gab den Skandal seines eigenen Hauses preis. Jedenfalls gibt es wenige, die seine Freundlichkeit zu schätzen wissen.
Wenn der Himmel klar ist, so scheint die Sonne. Wenn die Erde ausgedörrt ist, wird Regen fallen. Er öffnete ganz sein Herz und sprach, aber es war nutzlos, zu Schweinen und Fischen zu reden.
Koan Nr. 35 – Zwei Seelen
„Seijo, das chinesische Mädchen“, bemerkte Goso; „hatte zwei Seelen; die eine lag immer krank zuhause, die andere war in der Stadt, eine verheiratete Frau mit zwei Kindern. Welche war die wahre Seele?“
Kommentar
Wenn jemand das versteht, so wird er wissen, dass es möglich ist, aus einer Haut herauszutreten und in eine andere zu schlüpfen, als würde man vorübergehend in einem Hotel absteigen. So er es aber nicht verstehen kann, wenn seine Zeit kommt und seine vier Elemente sich trennen, so wird er sein wie ein Krebs, der im kochenden Wasser mit vielen Armen und Beinen zappelt. In solch beängstigender Lage mag er wohl sagen: „Mumon sagte mir nicht, wohin ich gehen soll!“ Aber dann wird es zu spät sein.
Der Mond über den Wolken ist derselbe Mond, die Berge und Flüsse darunter sind alle verschieden. Jeder ist glücklich in seiner Einheit und Vielheit. Dies ist eines, dies ist zwei.
Koan Nr. 36 – Einen Zen-Meister auf der Straße treffen
Goso sagte: „Wenn du einen Zen-Meister auf der Straße triffst, so kannst du nicht zu ihm sprechen, und du kannst ihm nicht mit Schweigen gegenübertreten. Was willst du also tun?“
Kommentar
In solch einem Fall wird deine Verwirklichung, wenn du ihm zuinnerst antworten kannst, sehr schön sein. Kannst du es nicht, solltest du dich umschauen, ohne etwas zu sehen.
Triffst du einen Zen-Meister auf der Straße, so grüsse ihn weder mit Worten noch mit Schweigen. Versetz ihm einen Kinnhaken, so wirst du einer genannt werden, der Zen versteht.
Koan Nr. 37 – Ein Büffel geht durch den Zaun
Goso sagte: „Wenn ein Büffel das Gehege verlässt und sich an den Rand des Abgrunds begibt, so bringt er seine Hörner und seinen Kopf und seine Hufe durch, warum jedoch nicht auch den Schwanz?“
Kommentar
Wenn jemand hierfür das rechte Auge hat und ein Zen-Wort sagt, so ist er reif, die vier Geschenke zurückzuerstatten; und nicht nur das, er kann auch alle Lebewesen, die unter ihm stehen, erretten. Wenn er aber solch ein wahres Zen-Wort nicht sagen kann, so sollte er zu seinem Schwanz zurückkehren.
Wenn ein Büffel davonläuft, wird er in den Graben fallen; wenn er zurückkehrt, wird er geschlachtet. Dieser kleine Schwanz ist ein sehr seltsames Ding.
Koan Nr. 38 – Eine Eiche im Garten
Ein Mönch fragte Joshu, warum Bodhidharma nach China gekommen war. Joshu sagte: „Eine Eiche im Garten.“
Kommentar
Wenn jemand Joshus Antwort eindeutig versteht, so gibt es keinen Buddha Shakyamuni vor ihm und keinen zukünftigen Buddha nach ihm.
Worte können nicht alles beschreiben. Die Botschaft des Herzens kann nicht mit Worten vermittelt werden. Wenn einer Worte wörtlich nimmt, ist er verloren. Wenn er mit Worten zu erklären versucht, wird er die Erleuchtung nicht in diesem Leben erlangen.
Koan Nr. 39 – Ummons Holzweg
Ein Zen-Schüler sagte zu Ummon: „Der Glanz des Buddha erleuchtet das ganze Universum.“ Bevor er noch die Phrase beendet hatte, fragte Ummon: „Du zitierst das Gedicht eines anderen, nicht wahr?“ „Ja“, antwortete der Schüler. „Du bist auf dem Holzweg“, sagte Ummon. Später fragte ein anderer Lehrer, Shishin, seine Schüler: „An welchem Punkt verließ dieser Schüler das rechte Geleise?“
Kommentar
Wenn jemand Ummons besondere Geschicklichkeit wahrnimmt, so wird er wissen, an welchem Punkt der Schüler das Geleise verließ, und er wird ein Lehrer der Menschen und Götter sein. Wenn nicht, so kann er sich nicht einmal selbst wahrnehmen.
Wenn ein Fisch dem Angelhaken begegnet und zu gierig ist, wird er gefangen. Wenn er sein Maul öffnet, ist sein Leben bereits verloren.
Koan Nr. 40 – Eine Wasserschale umwerfen
Hyakujo wollte einen Mönch ausschicken, um ein neues Kloster zu eröffnen. Er sagte zu seinen Schülern, dass er denjenigen, der eine Frage am besten beantworten würde, damit betrauen würde. Er stellte eine Wasserschale auf den Boden und fragte: „Wer kann sagen, was dies ist, ohne es beim Namen zu nennen?“ Der oberste Mönch sagte: „Niemand kann es einen Holzschuh nennen.“ Isan, der Mönchskoch, stieß die Schale mit seinem Fuß um und ging hinaus. Hyakujo lächelte und sagte: „Der oberste Mönch hat verloren.“ Und Isan wurde der Meister des neuen Klosters.
Kommentar
Isan war tüchtig genug, aber Hyakujo legte ihn doch herein. Schließlich hat er einen leichten Posten aufgegeben und einen schweren übernommen. Denn seht, er hat seinen bequemen Hut abgenommen und sich selbst eiserne Fesseln angelegt.
Er gab das Kochgeschirr auf, er besiegte das Plappermaul. Obwohl sein Lehrer ein Hindernis vor ihm aufbaute, stoßen seine Füße alles um, sogar den Buddha.
Koan Nr. 41 – Bodhidharma stillt den Geist
Bodhidharma sitzt mit dem Gesicht zur Wand. Sein zukünftiger Nachfolger steht im Schnee und hält Bodhidharma seinen abgetrennten Arm hin. Er weint: „Mein Geist hat keinen Frieden. Meister, stille meinen Geist.“ Bodhidharma sagt: „Wenn du mir diesen Geist bringst, so will ich ihn stillen.“ Der Nachfolger sagt: „Wenn ich meinen Geist suche, kann ich ihn nicht halten.“ Bodhidharma sagt: „Dann ist er bereits gestillt.“
Kommentar
Dieser zahnlose alte Hindu Bodhidharma kam Tausende von Meilen über das Meer von Indien nach China, als hätte er etwas Wunderbares zu bieten. Er ist wie Wellengang ohne Wind. Nachdem er Jahre in China verbracht hatte, gewann er nur einen Schüler, und dieser eine verlor seinen Arm und war entstellt. Leider hatte er seither hirnlose Schüler.
Warum kam Bodhidharma nach China? Vier Jahre lang haben Mönche darüber diskutiert. Alle Verwirrungen, die seitdem folgten, kamen von diesem Lehrer und seinem Schüler.
Koan Nr. 42 – Das Mädchen kommt aus der Meditation
Zur Zeit des Buddha Shakyamuni begab sich Manjusri zur Versammlung der Buddhas. Als er dort ankam, war die Konferenz vorbei, und jeder Buddha war in sein eigenes Buddha-Land zurückgekehrt. Nur ein Mädchen befand sich noch immer unbeweglich in tiefer Meditation. Manjusri fragte Buddha Shakyamuni, wie es diesem Mädchen möglich war, dieses Stadium zu erreichen, das selbst er nicht zu erlangen vermochte. „Hole sie aus ihrem Samadhi heraus und frag sie selbst“, sagte der Buddha. Manjusri ging dreimal um das Mädchen herum und schnalzte mit den Fingern. Sie verharrte immer noch in Meditation. Also versetzte er sie mit Hilfe seiner Wunderkräfte in einen hohen Himmel und versuchte, so gut er konnte, sie zu rufen, aber vergebens. Buddha Shakyamuni sagte: „Selbst hunderttausend Manjusris könnten sie nicht stören, aber unten auf der Erde, hinter zwölfhundert Millionen Ländern, gibt es einen Bodhisattva, Mo-myo, Same der Täuschung. Wenn er hierher kommt, so wird sie erwachen.“ Kaum hatte der Buddha zu Ende gesprochen, als schon dieser Bodhisattva von der Erde empor sprang, sich vor dem Buddha verneigte und ihm seine Verehrung darbrachte. Der Buddha gab ihm den Auftrag, das Mädchen aufzuwecken. Der Bodhisattva trat vor das Mädchen und schnalzte mit den Fingern, und in diesem Augenblick kam das Mädchen aus seiner tiefen Meditation.
Kommentar
Das war ein schlechtes Bühnenstück des alten Shakyamuni. Ich möchte euch Mönche fragen: Wenn Manjusri, der angeblich der Lehrer von sieben Buddhas war, dieses Mädchen nicht aus seiner Meditation bringen konnte, wie vermochte dies dann ein Bodhisattva, der lediglich ein Anfänger war? Wenn ihr dies zutiefst versteht, so könnt ihr in die große Meditation eingehen, während ihr zugleich in der Welt der Täuschung lebt.
Der eine konnte sie nicht aufwecken, der andere konnte es. Keiner von beiden war ein guter Schauspieler. Einer trägt die Maske eines Gottes, einer die Maske des Teufels. Hätten beide versagt, wäre das Drama noch immer eine Komödie.
Koan Nr. 43 – Shuzans kurzer Stock
Shuzan hielt seinen kurzen Stock hoch und sagte: „Wenn ihr das einen kurzen Stock nennt, so widersprecht ihr seiner Wirklichkeit; wenn ihr das nicht einen kurzen Stock nennt, so ignoriert ihr die Tatsache. Wie wollt ihr es also nennen?“
Kommentar
Wenn ihr das einen kurzen Stock nennt, so seid ihr im Widerspruch mit seiner Wirklichkeit. Wenn ihr das nicht einen kurzen Stock nennt, so ignoriert ihr die Tatsache. Es kann nicht mit Worten ausgedrückt werden, und es kann nicht ohne Worte ausgedrückt werden. Nun sagt schnell, was es ist.
Indem er den kurzen Stock hochhielt, gab er einen Befehl auf Leben oder Tod. Positiv und negativ ineinander verwoben, es geht um das Leben selbst der Buddhas und Patriarchen.
Koan Nr. 44 – Basos Stock
Baso sagte zu seinen Schülern: „Wenn ihr einen Stock habt, will ich ihn euch geben. Wenn ihr keinen Stock habt, will ich ihn euch nehmen.“
Kommentar
Wenn es keine Brücke gibt über den Fluss, so hilft mir der Stock. Wenn ich in einer mondlosen Nacht nach Hause gehe, so begleitet mich der Stock. Wenn ihr dies jedoch einen Stock nennt, so werde ich einem Pfeile gleich in die Hölle schießen.
Mit diesem Stock in meiner Hand messe ich Tiefen und Untiefen der Welt. Der Stock unterstützt die Himmel und festigt die Erde. Wohin er geht, dort wird die wahre Lehre verbreitet.
Koan Nr. 45 – Wer ist er?
Hoen sagte: „Der vergangene und der zukünftige Buddha, beide sind sie seine Diener. Wer ist er?“
Kommentar
Wenn ihr klar und deutlich erkennt, wer er ist, so ist es, als würdet ihr euren eigenen Vater auf einer belebten Straße treffen. Es bedarf dessen nicht, jemanden zu fragen, ob euer Erkennen echt ist oder nicht.
Kämpft nicht mit eines anderen Pfeil und Bogen. Reitet nicht auf eines Anderen Pferd. Redet nicht über eines Anderen Fehler. Mischt euch nicht in eines Anderen Arbeit ein.
Koan Nr. 46 – Vorwärts von der Spitze des Pfahls
Sekiso fragte: „Wie könnt ihr von der Spitze eines hundert Fuß hohen Pfahls aus vorwärts gehen?“ Ein anderer Zen-Meister sagte: „Einer, der auf der Spitze eines hundert Fuß hohen Pfahls sitzt, hat eine gewisse Höhe erreicht, aber noch immer geht er mit Zen nicht frei um. Er sollte von dort aus vorwärts gehen und mit seinem ganzen Körper in den zehn Teilen der Welt erscheinen.“
Kommentar
Es kann einer Schritt vor Schritt setzen oder sich frei auf der Spitze eines Pfahls herumdrehen. In jedem Falle sollte er anerkannt werden. Ich möchte jedoch euch Mönche fragen: Wie wollt ihr von der Spitze dieses Pfahls aus vorwärts gehen? Passt auf!
Der Mensch, dem das dritte Auge der Einsicht fehlt, klammert sich an das Maß von hundert Fuß. Solch ein Mensch wird dort herunter springen und sich töten, wie ein Blinder, der andere Blinde in die Irre führt.
Koan Nr. 47 – Die drei Tore des Tosotsu
Tosotsu setzte drei Hindernisse fest und ließ die Mönche hindurchgehen. Das erste Hindernis ist das Studium des Zen. Beim Studium des Zen besteht das Ziel darin, seine eigene wahre Natur zu erblicken. Nun, wo ist eure wahre Natur? Zweitens, wenn einer seine wahre Natur erkennt, so ist er frei von Geburt und Tod. Wenn ihr aber eure Augen vor dem Licht verschließt und eine Leiche werdet, wie könnt ihr euch dann befreien? Drittens, wenn ihr euch selbst von Geburt und Tod befreit, solltet ihr wissen, wo ihr seid. Euer Körper löst sich also jetzt in die vier Elemente auf. Wo seid ihr?
Kommentar
Wer diese drei Hindernisse überschreitet, wird ein Meister sein, wo immer er steht. Was ihm auch widerfahren mag, das wird er in Zen verwandeln. Im anderen Falle wird er von armseliger Nahrung leben und nicht einmal genug für sich selbst haben.
Ein augenblickliches Erkennen sieht endlose Zeit. Endlose Zeit ist wie ein Augenblick. Wenn einer den endlosen Augenblick begreift, so verwirklicht er die Person, die er sieht.
Koan Nr. 48 – Ein Weg von Kembo
Ein Zen-Schüler fragte Kembo: „Alle Buddhas der zehn Teile des Weltalls gehen den einen Weg des Nirvana. Wo beginnt dieser Weg?“ Kembo erhob seinen Spazierstock und malte das Zeichen Eins in die Luft und sagte: „Hier ist er.“ Dieser Schüler ging zu Ummon und stellte dieselbe Frage. Ummon, der zufällig einen Fächer in der Hand hielt, sagte: „Dieser Fächer reicht bis zum dreiunddreißigsten Himmel und stößt an die Nase der dort herrschenden Gottheit. Er ist wie der Drachenkarpfen des Östlichen Meeres, der die Regenwolke mit seinem Schwanz umstößt.“
Kommentar
Der eine Lehrer taucht in das tiefe Meer und gräbt die Erde um und wirbelt Staub auf. Der andere geht auf die Spitze des Berges und lässt Wellen entstehen, die fast den Himmel berühren. Der eine hält fest, der andere gibt weg. Jeder stützt die tiefe Lehre mit einer einzigen Hand. Kembo und Ummon sind wie zwei Reiter, von denen einer den anderen nicht zu übertreffen vermag. Es ist sehr schwer, den Vollkommenen zu finden. Offen gestanden, keiner von ihnen weiß, wo der Weg beginnt.
Bevor der erste Schritt getan ist, ist das Ziel erreicht. Bevor die Zunge sich bewegt, ist die Rede beendet. Mehr als leuchtende Intuition ist nötig, um den Anfang des rechten Weges zu finden.
Koan Nr. 49 – Ambans Nachtrag
Amban, ein Laienschüler des Zen, sagte: „Mumon hat soeben achtundvierzig Koans herausgegeben und nannte das Buch Torloses Tor. Er kritisiert die Worte und Handlungen der alten Patriarchen. Ich finde, er ist sehr boshaft. Er ist wie ein alter Krapfen-Verkäufer, der einen Passanten fangen und ihm seine Krapfen in den Hals stopfen will. Der Kunde kann die Pfannkuchen weder schlucken noch ausspucken, und dies verursacht Leiden. Mumon hat jeden genügend belästigt, also denke ich, ich sollte noch einen dazutun als Draufgabe. Ich frage mich, ob er dieses Zeug essen kann. Wenn er kann und es ordentlich verdaut, so ist es gut, aber wenn nicht, so muss er es samt seinen achtundvierzig in die Pfanne zurückgeben und alles noch einmal backen. Mumon, du isst zuerst, bevor ein anderer es tut: „Laut einer Sutra sagte der Buddha einst: ‚Halt, halt. Sprich nicht. Die höchste Wahrheit ist nicht einmal denkbar.'“
Kommentar
Woher kam dieser so genannte Lehrer? Wie ist es, wenn man es nicht einmal denken kann? Angenommen, jemand spräche davon, was würde dann daraus werden? Buddha war selber ein großer Schwätzer, und in diesem Sutra widerspricht er sich. Darum erschienen später Leute wie Mumon in China und machten nutzlose Krapfen und belästigten die anderen. Was sollen wir denn da tun? Ich will es euch zeigen. Dann faltete Amban seine Hände und sagte: „Halt, halt.
Sprecht nicht. Die höchste Wahrheit ist nicht einmal denkbar. Und nun will ich mit meinem Finger einen kleinen Kreis an das Sutra machen und die fünftausend anderen Sutras hinzufügen und Vimalakirtis Torloses Tor – alle sind sie in dem Kreis.“
Wenn euch jemand sagt, Feuer sei Licht, so achtet nicht darauf. Wenn sich zwei Diebe treffen, braucht es kein Vorstellen: Sie erkennen einander ohne jede Frage.