Adam Weishaupt – Über die Schrecken des Todes – Eine philosophische Rede

Über die Schrecken des Todes – Eine philosophische Rede.

(in „Apologie der Illuminaten“)

Adam Weishaupt (1786)

 

 

In der Mitte von wohlgeratenen Kindern, an der Seite einer treuen geliebten Gattin, bei guten Kräften des Leibes, frei von körperlichen Übeln, versehen mit allen Notwendigkeiten des Lebens, oft sogar in häuslichem Überfluss, geehrt von seinen Freunden, weil er allen dient, gesichert gegen seine Feinde, weil er niemand beleidigt, im Wandel eines tugendhaften Lebens und ungekränkten Rufs, durchwandert der ehrliche Mann diese irdische Laufbahn sorgenfrei und heiter; findet auf allen seinen Wegen Blumen gestreut findet, dass die Natur mit diesem seligen Zustand keine so unmöglichen Bedingnisse verbunden, dass solcher nicht eben so gut von allen oder doch wenigstens von den meisten der Menschen könne erreicht werden, wenn sie der Stimme der Leidenschaft und Phantasie weniger, aber umso fleißiger und getreuer den Forderungen der Vernunft und einer kälteren Überlegung zu folgen geneigt sind. – Durch diese gelehrt, seine Begierden zu beschränken und nichts unmögliches zu begehren würde jeder andere auf diese Art die Tage seiner Wanderschaft ebenso sorgenfrei beschließen. Sein ganzes Leben hindurch würde das Vergnügen sich in überwiegender Menge bei ihm einfinden, und sein Zustand der Zustand einer beneidenswürdigen Glückseligkeit sein.

Aber unzufrieden mit den kleinen, stillen häuslichen Freuden, geblendet und getäuscht durch die Torheiten der Welt, durch das rauschende und lärmende Leben derer, die um uns sind, eifersüchtig über das Wohlergehen anderer, begierig jeden andern zu übertreffen, unersättlich in Erwerbung eines sehr entbehrlichen Eigentums, stolz und aufgeblasen über das Gefühl eigener Kraft, lüstern nach dem Zuwachs von Macht und Herrschaft empört sich unsre Einbildungskraft tritt an die Stelle der von ihr übertäubten und verdrängten Vernunft, schiebt uns falsche Bilder und Ideale unter, stellt uns unmögliche Dinge als sehr möglich und erreichbar vor, kehrt den Blick von dem ab, was wir wirklich genießen, wendet ihn und unsre Aufmerksamkeit dorthin wo uns noch so vieles mangelt und erweckt uns durch diesen Vergleich gegen unsre gegenwärtige, dauerhafte, minder blendende Güter unüberwindlichen Ekel und Abscheu. Auf diese Art wird die Ruhe unsrer Tage untergraben; Unzufriedenheit und marternde Unruhe treten an ihre Stelle; in uns selbst entstehen Entwürfe und Anstalten, die uns zu Taten und Handlungen reizen, ehe wir die Folgen, die gleichgegründeten Ansprüche anderer, den daher zu erfahrenden Widerstand, samt dem gehörigen Verhältnis der zum Hinwegschaffen nötiger Kräfte berechnet. Die dabei vorfallenden unübersteiglichen Hindernisse müssen so dann notwendig in uns das Gefühl von unsrer Schwäche erwecken; Neid und Schadenfreude müssen das natürliche Wohlwollen verdrängen; Gewalt und Arglistigkeit müssen gesucht werden; alles Gute außer uns muß seinen Reiz verlieren uns zur Qual und Peinigung dienen; unsre Feinde müssen sich in dem Maaß vermehren, als sich mit der Abnahme unsers Wohlwollens, mit dem Steigen und Zuwachs unserer Forderungen, unsre Freunde vermindern; Eigennutz allein muß unsre Handlungen bestimmen, Unwille über die Einrichtung der Welt entstehen, und am Ende muß uns bei so sehr geänderter Lage und Stimmung unsers Geistes die zu unsrer Seligkeit bestimmte Erde als ein Tal des Jammers erscheinen: denn wir selbst waren es, welche durch unser Betragen das reinste so allgemein verbreitete Vergnügen in seiner ersten Quelle vergiftet. – Und so wird jeder Mensch aus zu übermäßiger Liebe gegen sich selbst sein eigner Henker, Peiniger und Feind; so entzieht ihm eine zu unordentliche zu sehr überspannte, zu sehr überhandnehmende, zügellose Phantasie diese Ruhe seiner Tage, dieses selige Wonne volle und patriarchalische Leben, wozu er durch Leitung der Vernunft und durch zweckmäßige Beschränkung seiner Phantasie und Begierden unausbleiblich hätte gelangen sollen.

Es ist mehr als redender Beweis von unsrer Verkehrtheit und Geistesschwäche, dass wir bei solcher Beschaffenheit der Sachen den Feind unsrer Ruhe nur außer uns suchen; es ist offenbar, dass wir die Vorsicht mit Unrecht beschuldigen; es ist strafbarer Mangel einer Gottesverehrung, dass wir gleich bösen Kindern über die Einrichtung der Welt murren, dass wir, um uns zu entschuldigen, unsre Fehler zu decken und unsern Begierden umso ungehinderter nachzuhängen, alle Schuld von uns hinweg, hinüber auf ein allweises, allgütiges Wesen zu leiten bedacht sind. Wir, wir ganz allein sind es, welche die so häufig uns vorliegende Güter mutwillig hinwegstoßen und ungenossen vorbeilassen. Wir sind, wer sollte es glauben? unsre ärgsten und unversöhnlichsten Feinde; denn wir machen uns zum Mittelpunkt aller Wesen, zum Zweck der ganzen Natur; wir übertreiben unsre Forderungen; wir begehren zu viele und unmögliche Dinge; wir werden durch das Gegenwärtige zu sehr dahingerissen, schauen zu wenig auf die entfernteren Folgen, verachten die Stimme der Vernunft, und vernachlässigen zu sehr die Erhöhung unseres Geistes, die Einsicht und Überzeugung von dem Plane Gottes und einem allgemeinen wundervollen Zusammenhang der Dinge; betrachten dabei alle Weltbegebenheiten aus einem falschen Gesichtspunkt und Standort, alles bloß allein in Beziehung auf uns; finden daher in dieser falschen Rücksicht freilich alles mangelhaft, böse, zweckwidrig; müssen daher eben darum von dem Urheber des Ganzen die schwärzesten Vorstellungen erhalten, uns solchen als ein Wesen vorstellen, welches das Elend und den Untergang seiner Geschöpfe will, daran Freude hat, nicht geliebt sondern gefürchtet sein will? und der Tyrann aller Tyrannen ist, der vorsätzlich uns unmögliche Dinge gebaut, um Stoff und Gelegenheit zu unsrer Verwerfung und Peinigung auch für die Zukunft zu erhalten.

Bei solchen Begriffen von der Gottheit, von der Einrichtung der Welt, von der Zukunft, welche alle, notwendige Folgen unserer übertriebenen Eigenliebe sind, ist es freilich nicht zu verwundern, wenn Missvergnügen und Elend unter Menschen der herrschende Zustand sind. Nur von der Schwächung oder gänzlichen Vertilgung dieser unserm Vergnügen so machteiligen Vorstellungen hängt unsre ganze Ruhe und Zufriedenheit ab. Die Mittel sind vorhanden, sie liegen in der Abänderung unsrer Begriffe; und wenn sie erkannt aber nicht gebraucht werden: so ist unser Murren ohne Grund, so ist unser Leiden frei gewähltes und wohlverschuldetes Elend. Und insofern muss alle Bemühung der wenigen darüber aufgeklärten Weisen, muß die Weltweisheit selbst als die größte Wohltäterin der Menschen betrachtet werden. Sie ist es, welche den Menschen über seine wahren Vorteile aufklärt, und die Grenzen seiner Liebe vorzeichnet, über welche hinaus das Reich des Schmerzens beginnt. Sie lehrt uns, gegen diesen alten hinterlistigen Erbfeind unserer Ruhe auf der Hut zu stehen, sein tückisches Anerbieten zu verachten, und ihm weniger Macht auf Unkosten der Vernunft zu gestatten. Sie überzeugt uns von der Güte und Weisheit Gottes von der Ordnung und dem Zusammenhang und der wahren Beschaffenheit aller Dinge. Dadurch reißt sie jedem Übel seine Larve ab; und sie beweist uns, dass alles, was Wirkung der besten und allervollkommensten Ursache ist, nicht anders als gut und vollkommen sein könne; dass alles zu unserm Besten vorhanden sei; dass alles auf eine gewisse Stimmung des Geistes, auf gewisse herrschendgewordene Grundsätze ankomme, um in allen Übeln einen unerschöpflichen Vorrat von Gütern zu finden. Auf diese Art, indem sie jedem Hässlichen seine Hässlichkeit raubt, und uns auf den Standort stellt, woraus wir alle Wesen gehörig überschauen, vervielfältigt sie die Quellen des Vergnügens, verbannt die Unlust aus unserer Seele, und öffnet sie der Ruhe, Heiterkeit und Freude.

Unter diesen folternden Spielen der Einbildungskraft sind gewiss die allerentsetzlichsten, die Schrecken des Todes. Vor diesem Phantom unsers Gehirns beugt sich die Philosophie der meisten Menschen. Alle Hoheit der Erde fühlt sich klein, und der größte Monarch der Erde sieht mit schauervollen Blicken dem Augenblick entgegen, der ihn von seiner Größe trennen, seine ganze Hoheit wie eine Seifenblase hinweghauchen, und den nackten übriggebliebenen Menschen dort hinüber in das unbekannte Land versetzen soll, wo er sich unter dem ungeheuren Haufen vorausgegangener Menschen wie ein Tropfen Wasser im Weltmeer verlieren wird, wofern ihn nicht solche Handlungen begleiten, welche im Reich der Geister Platz und Stelle bestimmen; denn im Sterben gibt es keinen König. Dies weiß und fühlt er, und kehrt den Blick mit Abscheu von dem Gegenstand ab, dessen Erinnerung ihn aus dem Traume seiner irdischen Hoheit weckt. Ein Mensch, der mit diesem Jammer befallen ist, stirbt tausend – und tausendmal, in dem törichten Verlangen niemals zu sterben. Sein ganzes Leben ist ein unaufhörlicher Tod, alle Süßigkeiten des Lebens werden ihm zur bittersten Galle. Seine Furcht beschleunigt, was er fürchtet, statt zu entfernen. In einer solchen Seele kann kein heiterer Augenblick sein. Das schreckliche Bild dieses knochigen Ungeheuers begleitet ihn auf allen Wegen und drängt sich in jede seiner Freuden. Es säuselt in der Luft, es rauscht in dem Bach, er findet es bei seinen Schätzen, es springt hinter ihm in seinen Tänzen, und es hängt sogar an den Lippen seiner Geliebten. Seine Seele kann sich nie so rein zur Freude hinaufarbeiten, dass sie nicht sogleich wieder durch die Erinnerung des Todes verdrängt oder vergiftet würde. Ein solcher Mensch wird, solang er lebt, der feigste und abhängigste Knecht sein, unfähig zu jeder großen heroischen Handlung. Oder wer von allen, die den Tod gefürchtet, hat darum ein zufriedeneres Leben geführt, ruhiger geschlafen, sein Leben mehr und häufiger genossen? wer hat durch diese Furcht dieses unausbleibliche Übel entfernt? wer ist dadurch mutiger, entschlossener geworden? Im Gegenteil sind alle großen Handlungen aus der Verachtung des Todes hervorgegangen. Es ist sogar bei großen Seelen zum Grundsatz geworden, das Leben als ein geliehenes, vor übergehendes Gut, nicht als Zweck, sondern als Mittel zu betrachten, um das Leben recht und sorgenfreier zu genießen. Zu keiner Zeit hat ein zu übermäßiger Anhänger des Lebens der wütenden Flamme Einhalt getan, gedrückte Unschuld beschützt, für seinen Gott, sein Vaterland, seinen Freund gestritten, für höhere Pflichten gekämpft, Abgründe erforscht, die Eingeweide der Erde durchwühlt, Meere durch schifft, oder ganze Weltteile entdeckt. Nicht einmal zu ausgezeichneten Schandtaten, zum Straßenraub hat er Größe genug. Selbst unter die Tiere fällt seine Würde herab. Die liebevolle Natur hat diesen, ob sie gleich solche mit uns einem ähnlichen Schicksal unterworfen, wohltätig das Vermögen geraubt, ihre Zerstörung vorher zu sehen, weil sie ihnen nicht zugleich die Vernunft als Gegenmittel erteilen konnte, um diesen unangenehmen Eindruck zu schwächen. Sie würde uns Menschen stiefmütterlich unter die Tiere herabgesetzt haben, wenn sie uns mit der Notwendigkeit unsere Auflösung vorherzusehen, nicht zugleich an eben dieser Vernunft das Mittel dargeboten hätte, diesen widrigen Eindruck zu entfernen. Sie entschädigt uns dabei, dass sie uns zu gleich höhere Aussichten in die Zukunft, in ein höheres Leben gewährt, welche sie Wesen verbergen mußte, die in der Naturreihe eine Stufe unter uns stehen, und darum wollte sie den Tieren die Vorhersicht ihrer Auflösung lieber gänzlich entziehen, als sie Verdruss über das Vorhersehen eines Übels empfinden lassen, gegen welches sie in dieser Stufe kein Gegengewicht verleihen konnte, ohne sie durch Mitteilung der Vernunft zu uns zu erheben, und folglich in der großen Leiter der Dinge eine unnötige und eben darum unmögliche Lücke zu veranlassen.

So wenig befremdendes aber auch nach diesem Vortrag der Tod in den Augen des vernünftigen Mannes hat, so erwünscht und begehrt er ihm erscheinen muss: (denn welcher Sterbliche sollte sich nicht öfters nach Ruhe sehnen?) so sehr haben sich im Gegenteil seine Schrecken der meisten Menschen bemächtigt. Daher weil Philosophie die Lehre des Vergnügens und der Glückseligkeit ist, und ohne Verachtung des Todes zu dieser Glückseligkeit niemand gelangen kann: so haben alle Schüler der älteren und neueren Weisen das Leben zu einer langen, anhaltenden Betrachtung des Todes gemacht, uns gelehrt, ihm kühn unter die Augen zu treten, seinen Anblick nicht zu scheuen, sondern sich mit ihm durch näheren Umgang vertrauter zu machen. Ja sogar niemand kann auf diesen hohen Titel eines wahren Weisen gegründeten Anspruch machen, so lang er nicht von ganzer Seele geneigt ist, der Natur freudig und ohne Murren ihre Schuld zurückzuzahlen, und jede Minute fertig und bereit steht, diesen Aufenthalt hienieden zu verlassen und in seligere Gegenden hinüberzuschlummern. Aus der Seelenruhe, aus der Gleichheit des Geistes ganz allein kann der echte Schüler der Weisheit erkannt werden. Und du, der du auf diese hohe Namen eines Christen und Weisen so gerne Anspruch machest, lass es dir gesagt sein: so lang du noch unruhig bist, den Neid fühlest, vor den Schrecken des Todes erzitterst; so lang du dich noch ärgerst, und nicht die Kunst verstehest, aus allen Vorfallenheiten des Lebens Vergnügen zu ziehen: so lang ist deine Weisheit sowohl als Glückseligkeit schwach und unvollendet. Dieser so schwachen gibt es noch sehr viele, und zur Schande der Vernunft muß die Weltweisheit selbst ihre Bekenner erst verachten lehren, was schon so oft der ungeübteste Denker, der niedrigste Knecht und Sklave, mit solcher Gleichgültigkeit und Unerschrockenheit ertragen. Darum verdient aber auch kein Thema der Weltweisheit, von allen Rednern der Welt so häufig, mit mehrerer Stärke und Nachdruck behandelt zu werden, um uns aus feigen Memmen zu festen unerschütterlichen, Göttergleichen Männern umzuschaffen. Darin besteht die wahre Erleuchtung unsers Geistes. Aus dieser allein entstehen unsre Freuden und unser Wohlergehen; nach dieser werden sich unsre Begierden ordnen, und wir werden sodann nichts begehren, was nicht Wille Gottes und Wink der Natur ist; dann werden wir der unerfüllten Wünsche beständig weniger zählen, und keinen Schmerz in diesem Leben empfinden, der nicht von unsrer Natur unzertrennlich und darum vorhanden ist, weil er zur Vorübung, zur Abstufung, zur Erhöhung unsrer Vergnügungen dienen soll; weil ein durchaus schmerzenfreies Leben das unangenehmste, ekelhafteste Leben, folglich eine unmögliche Forderung wäre.

Warum fürchten denn also Menschen den Tod so sehr? Wo um aller Welt willen mag sich doch diese widersinnige Lust herschreiben, seine Ruhe zu töten, sein eigner lebenslänglicher Henker zu werden, nicht nur an Freuden keinen auch nur den geringsten Zuwachs zu erhalten, sondern sogar darüber den Genuß des Gegenwärtigen zu verlieren? ein unvermeidliches, augenblicklich vorübergehendes und eben darum gar nicht oder kaum fühlbares Übel so lang und anhaltend zu empfinden? – Nicht die Vernunft, Mangel von Vernunft, irrige Begriffe, Schattenbilder, eine zu geschäftige, lebhafte, überspannte Einbildungskraft machen uns zu Mördern unsrer Ruhe, zu Mördern unsrer Freuden. Wenn du ein Leben führst zur Schande der Menschheit, zum Schaden und zur Qual deiner Mitmenschen; wenn du Gewalt zur Unterdrückung missbrauchst, die dir zum Wohltun gegeben war: o! dann martre und peitsche dich immerhin, der Verlust von diesem Leben, und die Schrecken der Zukunft mögen mit zentnerschwerer Last auf deiner Seele liegen! Dann quäle und peinige dich immerhin das finstre Tal des Todes; rächende Furien, das Geschrei der Unterdrückten und das Blut der Getöteten mögen dich an jedem Ort verfolgen, und die Strafen der Ixion, Sisyphus und Tantalus, die Furcht vor Teufel und Hölle, oder was sonst immer das Heiden und Christentum schreckliches von Pein und Strafen erdacht, oder dem zur Menschenqual so erfinderischen Geist der Erdentyrannen abgeborgt, um den Ort der Rache für Verbrecher mit den entsetzlichsten Bildern auszumalen, sollen sich in jedem Augenblick deines Lebens deiner Phantasie darstellen, und den Genuss deiner Freuden vernichten. Keine Sophismen von erleichterter Aussöhnung mit Gott sollen dich beruhigen, und keine Schätze loskaufen von der Strafe, die deiner wartet. Ich selbst will deine Einbildungskraft noch mehr erhitzen und dir Bilder vorzeichnen, die aus allen Schrecken der Natur zusammengesetzt sind, vor welchen deine Seele zurückschaudern soll; ich selbst, wenn du das getan, will dir beweisen, dass keine augenblickliche, in deiner Lage abgedrungene Reue ein halbes Jahrhundert von Ungerechtigkeiten vernichten könne; ich selbst will deinen Irrtum erhalten und den Gegenstand deiner Qual mit aller Beredsamkeit verstärken. Du Bösewicht, Freund der Ungerechtigkeit, Unterdrücker der Unschuld, wenn du bei den Gedanken des Todes erzitterst; so finde ich diese Schrecken sehr natürlich, ich finde sie sogar notwendig. Aber du, edler Vater, treuer Ehegatte, treuer Bürger, Menschenfreund, Vater und Lehrer deines Volks, dessen ganzes Leben in Unschuld und Wohlwollen vorübergegangen, der du hienieden, unter allen Stürmen und Anfällen des Unglücks, voll Vertrauen auf deinen Gott und dein reines Gewissen aufrecht gestanden, gekämpft, ausgeharrt, der du hierunten so oft und so manches bitteres Unrecht erlitten, warum zagest du? warum scheuest du dich, und zauderst, die Fesseln dieses Lebens von dir zu werfen und in eine ewige Freiheit hinüber zu springen? Warum fürchtest du dich, deine Belohnung zu erhalten, schmerzenfreier zu werden, deinem Urheber näher zu kommen, in eine schon hier vorausgesehene bessere Welt hin über zu wandern, deinen Verfolgern zu entgehen, und dich da hinüber zu flüchten, wo dich dein Unterdrücker nicht erreichen kann, außer um seine längst verdiente Strafe zu finden? O! mache dich auf, sammle dich, sporne dich an! Diese Aussicht muß dich so sehr stärken, als sie jeden Bösewicht quälen und in dem Innersten seiner Seele kränken und ängstigen muß. Er allein ist es, der sich mit Sophismen einwiegen, die Vernichtung seiner Seele wünschen, und nichts hoffen muß, weil er alles zu fürchten hat. Ihm ist dieses Leben sein höchster und einziger Wunsch, darum zaudert er solches zu verlassen, weil er mit solchem alles verliert; darum kann und will er nichts weiter vermuten, will sich vergeblich bereden, als ob das hier unten alles wäre, die Natur erschöpft wäre, ihren ganzen Reichtum und Vorrat ihm zu Gefallen verschwendet hätte. Er will sich und andere überreden, als ob Gott Menschen geschaffen hätte, um sie hier unten zu quälen, als ob er ein Gott der Qual und Leiden, kein Geber und Verleiher der Freuden wäre; als ob Gerechte geboren würden, um das Glück andrer durch ihre Leiden zu erhöhen, um vom Unrecht nach Willkür misshandelt zu werden. Aber bei allem Zwang, den er sich antut, schreit aus dem innersten, tiefsten Hinterhalt seiner Seele eine unverkennbare, auf keine Art zu unter drückende, beunruhigende, marternde Stimme hervor, dass dies alles Lüge gegen sich selbst, und Wunsch der Torheit des Lasters und des glücklichen Übermuts sei, welcher der Tugend ihre Belohnung missgönnt, und eher gänzliches Vergehen und Vernichtung wünscht, als den Lohn und die Erhöhung der leidenden Tugend zu sehen.

Dies mag also er zweifeln, wünschen, der dein Unterdrücker war. Aber du, du hast hier unten Nachstellungen und bittere Verleumdung von deinen Feinden erfahren; üppige Schwelger haben dir den Lohn deiner Arbeit vorenthalten und unter dem Schein und dem erborgten Namen des Rechts dein rechtmäßiges Eigentum entzogen. Falsche Freunde haben dich auf allen Seiten hintergangen, und eitle Weltkinder haben die Unterscheidungen genossen, die allein dem so verkannten Verdienst gebühren. Oft ist die Sonne über deinem Haupt niedergegangen und die ersten Bedürfnisse des Lebens haben dir gemangelt, um deine Blöße zu decken, und deinen Hunger zu stillen. Das gegenwärtige und künftige Elend der kleinen Unmündigen, die aus deinen Lenden hervorgegangen, hat dir oft dein Herz durchschnitten, und manche mitleidige Träne hat in deinem Auge über die Hilflosen gezittert. Du hast die Hilfe vieler angefleht, die sich einst in deinem Sonnenschein gewärmt; und du hast verschlossene Türen und harte Herzen gefunden. Hohngelächter und Verachtung sind dir statt der Hilfe zu Teil geworden. Mit jedem Morgen bist du zu neuem Elend erwacht; der Schlaf ganz allein war der einzige, obgleich nicht allezeit geschäftige Teilnehmer deiner Sorgen. In einem siechen Körper hast du alle Foltern des Geistes und einer kranken Seele geduldig und standhaft ertragen. Aber Vertrauen auf den, der die Lilien kleidet und für die Vögel des Felds sorgt, festes Vertrauen auf deinen Herrn und Gott hat dich niemals verlassen; hat, wenn alles von dir gewichen, allein noch deine Seele beruhigt; dann hast du in vollem Drang deines Herzens dich zu. ihm gewandt und gerufen:

Gott! Mein Vater! du hast mich bitteren Unfällen ausgesetzt, und ich bin doch auf deinen Wegen nach deiner Vorschrift gewandelt. Ich habe Gutes getan, so viel ich konnte, und mich durchaus, so viel meine schwachen Kräfte litten, nach deinen Vorschriften betragen. Deine Güte berechtigt mich, von dir besseres Leben zu hoffen; denn du kannst es, willst es: oder du hörst auf Gott zu sein, und alle drückende Erdengewalt würde mit der deinigen nicht zu. vergleichen sein; denn du hättest sogar schuldlose Wesen geschaffen, um sie Lieblingen Preis zu geben, die zur Vergeltung dich und deine Gesetze verkennen.

Du also, der du dies alles erfahren, warum. stößt du deinen Wohltäter, deinen Erretter, den Tod von dir, der dich entweder in dein voriges schmerzenloses Nichts zurückbringt, oder dem Aufenthalt der Seligen einverleibt? Sollte es möglich sein, dass dir keines von beiden gefiele? Du magst aber das eine oder das andere wollen, so bleibt das finstere Tal des Todes der einzige Weg, um sicher dazu zu gelangen. Oder ängstigt dich vielleicht die Zukunft, weil du dich von einem oder mehreren Grundsätzen deiner angeborenen Religion, von dem Glauben deiner Voreltern nicht hinlänglich überzeugen konntest? weil du über Gegenstände einen Zweifel gewagt, über deren Wahrheit sich Menschen so wenig vereinigen können? Aber du hast dich doch von einem Urheber dieser Welt überzeugt: du warst bemüht, in allem wohl und recht zu handeln, weil dieses sein Wille, dein und aller, so um dich sind, dauerhaftester Vorteil ist! Dein ganzes Leben hast du in Tugend und Erforschung der Wahrheit dahin gelebt. Um zu dieser letztern zu gelangen, hast du kein Mittel unversucht gelassen; warst und bist dabei noch voll von Bereitwilligkeit, jeder besser erkannten Wahrheit willig anzuhangen. Du hast niemand darüber gescholten, belacht, dass seine Art zu sehen nicht die deinige ist, dass er näherer Verheißungen und sinnlicherer Vorschriften bedarf, um den Vorschriften der Vernunft zu folgen, und rechtschaffen zu handeln. Du hast sogar so viele verschiedene Anstalten gut und zweckmäßig gefunden, sie wenigstens als Vehikel der Vernunft, für Schwächere als Anstrich der nackten Wahrheit, für den nur durch andere und durch Bilder denkenden und folgsamen Haufen als einen Fingerzeig und Zurechtweisung gegen die Verirrungen einer übermütigen, sich selbst überlassenen Vernunft betrachtet; glaubst doch insofern, dass sie göttlichen Ursprungs sind, und als verschiedene Mittel zu einerlei Zweck nach der so verschiedenen Empfänglichkeit der Menschen in den Zusammenhang dieses Weltalls sehr weislich gelegt worden. – Und wenn du dies getan, warum zitterst -warum zagst du sodann? Was kann alle Welt- und Volksreligion mehr verlangen, um wahre Religion zu sein und zu heißen? Wozu soll aller Glaube sein, als um des Rechtverhaltens willen? wenn du das schon getan, was Folge und Zweck jedes Glaubens ist, wozu jeder Glaube und Offenbarung nur stärkere und nähere, mehr anziehende Bewegungsgründe sind, um den zu leiten, der einer näheren Führung bedarf? – Handle rechtschaffen. Bei dieser Verschiedenheit der Meinungen, deren jede von ihren Anhängern mit Anschein, mit gleicher Wärme und Überzeugung verteidigt wird, erlauben dir dein Amt, deine übrigen Pflichten, bei allem Mangel der dazu nötigen Hilfsmittel, auf keine Art den Richter zu machen, oder Widersprüche über Gegenstände zu vereinigen, welche sich zum Handeln und zur Glückseligkeit der Menschen gleichgültiger verhalten, die vielleicht solcher vollends entgegen und eben darum nicht göttlichen Ursprungs sind. Nach deinen, nicht nach dabei interessierter Menschen Grundsätzen, Meinungen und Überzeugung wird dich Gott richten und beurteilen; nach dem, was dir mit diesen von ihm dir verliehenen Kräften, mit diesem Hunger und Bestreben nach Wahrheit möglich war. Verwechsle also auf keine Art den Gott der Schulen mit dem Gott, mit dem Vater der Natur, der ganz Liebe ist, aber von Menschen mehr als ein Gott des Schreckens und der Rache vorgestellt wird, um sich sodann als Mittler zwischen ihm und seinen Kreaturen aufzuwerfen, schwache Seelen von sich abhängiger, und die Erde zu Erreichung ihrer oft sehr weltlichen Absichten sich unterwürfig zu machen. Wenn du noch vollends nähere und -positive Verheißungen glaubst, wenn anders dein Glaube, deine Begriffe von Gott rein und lauter sind, dein Vertrauen auf seine Güte unbegrenzt ist: so muß dir diese deine Auflösung so wenig schrecklich erscheinen, dass du sie vielmehr hoffen, wünschen, verlangen mußt. Jede Minute von Verzögerung, mit der Quelle alles Guten so spät näher vereinigt zu werden, muß dir Marter, Verlust sein. Deine Schrecken selbst, deine Furcht vor dem Tode sind dein größter und sträflichster Unglaube. Hier erscheint es, dass du noch sehr an der Erde hängst, dass dir Gott unwert und dein Glaube und Vertrauen an ihn nicht lebhaft sei, dass dir dein Leben nicht so schuld- und tadelfrei vorübergegangen, als dass du dir nicht selbst innerlich bewußt wärst, mehr ein Gegenstand der Strafe und Verwerfung als der Belohnung Gottes zu sein. Oder woher sollte sonst dieses Zaudern, Zagen und Fürchten entstehen, wo dich sonst alles zur Hoffnung eines bessern Lebens berechtigt? in einem Zustand hinüber zu gehen, wo nach Vernunft und Offenbarung Gerechte nur glücklich sein können? Warum soll der vernünftige, tugendhafte Mann sich bedenken, ein Leben zu verlassen, das voll von Trübsalen ist, weil es Vorhof, Vorgeschmack, Vorübung zu höheren Szenen, Prüfung der Geduld und Beharrlichkeit und Gelegenheit zu Verdiensten sein soll? Wäre das nicht, wem wäre dieses Leben, das du so sehr liebst und so ungern verlassen willst, nur in etwas erträglich? Oder sage mir, wer hat nicht mehrmals die Stunde seiner Geburt verabscheut? Wie viele haben nicht sogar gezweifelt, ob Leben ein Gut sei, ob gar nicht sein nicht besser wäre? Wie viele haben nicht bei vielen Vorfällen des Lebens den Tod als ihren Erretter herbeigerufen? Und doch finden wir Bedenken von hinnen zu scheiden? – Entweder unsre unaufhörlichen Klagen über dieses Leben sind ungerecht, oder eben dieses Leben verdient nicht, dass wir uns über seinen Verlust entsetzen, und die Träne, die auf den Grabhügel unsrer vorausgegangenen Freunde fällt, sollte keine Träne des Mitleides, sie sollte eine Träne der Freude, Glückwunsch zu ihrer Freiheit, zu ihrer Errettung zum ausgestrittenen Kampf sein.

Selig und dreimal selig derjenige, der dem Wechsel dieser Dinge, der Gefahr zu fehlen, ungerecht zu sein, lieblos zu handeln, zu zürnen, und andern menschlichen Gebrechen so frühzeitig entgangen! Alles ist hier unstet; der kommende Tag kann jahrelanges Glück und die größte Herrlichkeit mit einem Mal vernichten. Wie mancher hat einen Tag zu viel und eben darum sein Glück und seine Ehre überlebt? Welcher Mensch ist so sehr ein Liebling des Glücks, dass er im Mangel wirklicher Übel auch gegen alle Zukunft gesichert wäre? Das ist eben das höchste Unglück des größten Glücks, dass es so viel zu fürchten, so viel zu verlieren, und so wenig zu hoffen hat. Kronen helfen nicht vor Kopfweh, und die nagende Sorge geht die Paläste der Großen nicht vorüber. Hier sitzt sie mit ihnen auf dem Thron, begleitet sie zur Ruhe, und umflattert ihre Schlafstätte, und gaukelt in ihren Träumen. Sie erhebt sich mit ihnen, und weicht nie von ihrer Seite: denn ihr ganzes Leben ist unersättlich an Forderungen, deren die wenigsten befriediget werden, voll von ehrgeizigen Entwürfen, Absichten, und fruchtlosen, fehlgeschlagenen, zweifelhaften, gefährlichen Versuchen. Ihre Sinne sind stumpf und abgenützt, und ihre für uns so seltenen Freuden sind für sie zu oft wiederholt. Daher dieser Überdruss und Ekel; daher die Unvermögenheit sich immer höhere und lebhaftere Vergnügen zu verschaffen; daher die damit verbundene Leere des Herzens und des Kopfs und der marterndste aller Zustände, diese irdische Hölle der Großen und Reichen – die Langeweile. Missvergnügte Ehen, zerrüttete Familienumstände, Liebeshändel, Furcht vor Gift und Nachstellungen, Murren und Unzufriedenheit des Volks, samt der Unmöglichkeit dem abzuhelfen, sind nur einige der häufigen höchst unangenehmen Vorfälle, welche die hellen Tage unsrer Erdengötter verfinstern, sie durch innerlichen Gram verzehren, und statt unsern Neid zu erwecken, sie zum Gegenstand unsers Mitleidens herabsetzen. Alles erinnert sie, dass sie Menschen sind, von der Natur begünstigt und hoch erhoben, um vielleicht dereinst umso härter und empfindlicher zu fallen. Von keinem einzigen menschlichen Unglück hat sie die Natur freigesprochen. Was dem elendesten Bettler widerfahren kann, kann dem Größten der Erde ebenso gut widerfahren. Welcher Monarch hat noch dem Blitz geboten: Töte mich nicht!“, und dem Feuer gesagt: Brenne mich nicht!“ Es gibt sogar über diese allgemeine Übel noch Unfälle, die ihrem Stand allein eigen sind; und der höchste und empfindlichste Grad des menschlichen Elends scheint daher nur den höheren Menschenklassen vorbehalten, um uns zum Gehorsam und zur Dankbarkeit geneigter und ihren Stand minder begehrungswert zu machen. Es gibt Unfälle, die nur ein König empfinden kann; und auch um ein gewöhnliches, für uns in unsrer Lage weniger empfindliches Übel stärker, lebhafter und zweifach zu fühlen, alle Foltern der Einbildungskraft häufiger und anhaltender und nachdrücklicher zu fühlen, dazu wird ein höherer Stand, eine Krone erfordert. Niemand von uns kann so tief fallen, seinen Fall so sehr empfinden, mit solcher Wehmut sich seiner vorigen Größe erinnern, diesen Fall so oft fürchten, so oft und leicht vorhersehen, so sehr sich mit Verdacht und Misstrauen martern, so viele Unzufriedene und Missvergnügte machen, sich so sehr mit eigenen und fremden Sorgen beladen: so dass es wahrlich zur Glückseligkeit des Lebens gehört, kein Monarch, kein Großer der Erde zu sein, dass es mehr Bewunderung verdient, wenn es noch Menschen gibt, die sich dieser Bürde unterziehen, und um andrer Wohl ihre Ruhe dahingeben. Nur der Privatstand allein kann gegen solche Gefahren und Unfälle sichern. Wenn ein Nero und andere ihm ähnliche Ungeheuer den Nachstellungen der Missvergnügten unterliegen, und Pygmalion aus Furcht ermordet zu werden jede Nacht seine Schlafstätte verwechselt: so läßt sich das wohl noch begreifen, und zum Teil als wohlverdiente Züchtigung betrachten. Aber wenn gegen das Leben eines Titus, die Freude des menschlichen Geschlechts, Anschläge gemacht werden, wenn Heinrich der Vierte, Frankreichs Zierde und Stolz, davon ein Opfer wird, dann muß das Leben der besten Fürsten ein martervolles und unsicheres Leben sein. Priamos und Hekuba, Krösus und der makedonische Perseus, selbst der sonst so glückliche Cäsar, der Überwinder der Deutschen in den Sümpfen von Minturnum, und der Rumpf des Pompejus an den Küsten von Afrika, Mauritius und Conradin, Carl der Erste und Maria von Schottland, und wie sonst immer das unzählbare Heer von verunglückten älteren und neueren Monarchen heißen mag, waren alle aus der höheren Menschenklasse und haben das Schicksal des letzten aller Sterblichen erfahren. Solche schwere Unglücksfälle kommen nicht allein in der Geschichte von Asien und dem Byzantinischen Kaisertum, sondern auch in jeder Europäischen Ländergeschichte zu häufig vor, als dass sie nicht die besten Regenten auf ihr Schicksal aufmerksam machen und die Ruhe ihrer Tage untergraben sollten.

Zur Glückseligkeit gehört etwas mehr als hoher Stand und Überfluss an äußerlichen Gütern. Denn sie ist ein innerlicher Zustand. Fähigkeit zu genießen, ist eins ihrer Grunderfordernisse. Lass alle Güter und Macht der Erde um dich versammelt sein, aber Furcht und Unruhe sollen dich dabei verzehren, deine Projekte, wie die unüberwindliche Flotte Philipps scheitern, deine Frau und Kinder dahinsterben, Stein, Podagra, und andere stechende Schmerzen dich quälen, ein hektisches Fieber soll dich verzehren; alle diese Freuden sollen für dich den Reiz der Neuheit verlieren, du sollst dich nach neuen höheren Vergnügungen sehnen, und mit aller Macht und Geld nicht erhalten können; dein Gehör oder Gesicht sollen sich vermindern, ein Sturz vom Pferd eine Quetschung verursachen, ein Glied abgenommen, oder die Trepane angesetzt werden: was helfen dir sodann alle diese reichhaltigen Gegenstände der Freude? Wenn ein Sokrates den Giftbecher trinken muß, selbst ein Cato nach dem Dolch greift, und der jüngere Brutus, noch ehe er in das Schwert fällt, an der Tugend zweifelt, oh sie kein bloßer Name und eine Buhlerin des Glücks sei: dann muß wahrlich das Leben nicht so reizend sein, dann müssen der Ursachen genug vorhanden sein, welche den Tod auch in den besten äußerlichen Glücksumständen begehrungswert machen. Dann muß jeder Sterbende seinen am Ufer zurückbleibenden Fremden, noch ehe er den Fuß in Charons Nachen setzt, den Auftrag machen, dem Äskulap einen Hahn zu opfern, sich glücklich preisen, dass er dem allen entgangen ist, und beim letzten Händeschlag sie zur Nachreise auffordern und wünschen, dass sie bald ein gleiches erfahren. In einem Leben, dessen ungleich größerer Teil von den allermeisten Menschen zwischen den Beschwerden der Kindheit und des Alters, den gefährlichen Ausschweifungen der Jugend und den Kabalen des männlichen Alters zwischen Krankheit und Leidenschaften in ewiger Abwechslung von Neid, Zorn, Traurigkeit, Furcht und marternder Ungewissheit, zwischen Verleumdung und erlittenem Unrecht zwischen Langeweile und gefahrvoller Tätigkeit geteilt und dahingelebt wird; in einer Welt, wo der Großen selbst solche Schicksale warten, wo man täglich von dem pestilenzialischen Hauch der Luft, dem Toben der Meere, von Stürmen und Orkanen, dem Wüten der Flamme, dem Donner des Himmels, dem Krachen und Spalten der Erde und dem Toben aller Elemente zu fürchten hat, wo anbei der ärgste unversöhnlichste Feind des Menschen der Mensch selbst ist, alles voll von Nachstellungen, Freiheit so selten, und Druck und Knechtschaft der herrschende Zustand sind, wo Despotismus und Intoleranz, Religionskriege und bürgerliche Unruhen, Bartholomäusnächte und sizilianische Vespern hervorbringen, und des Säuglings an der Brust der Mutter nicht schonen, Meinungen mit Feuer und Schwert aufgedrungen, und Gedanken zum Verbrechen werden; in einer Welt, wo für die Bekenner der Wahrheit, für die Freunde der Tugend Ketten und Kerker, lebenslängliche Gefängnisse, Blutgerüste bereit stehen, Metallgruben, Galeeren, Latomien, Bastillen und Inquisitionstribunalien ihren allverschlingenden Rachen aufreißen: da in einem solchen Leben hat offenbar der Scheidende vor jedem Bleibenden den Vorzug. In einem solchen Leben ist es hohe Zeit, nicht zu zaudern, sich um offene Tore, um einen sicheren Hafen gegen die Stürme des Lebens umzuschauen, sich zu diesem Ende dem Tod, wenn er kommt, als seinem Erretter, mutig, getrost und unerschrocken in die Arme zu werfen, um dadurch den noch bevorstehenden weit größeren Übeln zu einer Zeit zu entgehen, wo die Natur uns von selbst ruft, und die Krone aus der Ferne zeigt, die sie nur dem mutigen Kämpfer zu gedacht, der unter so wiederholten Anfällen nicht von seiner ihm angewiesenen Stelle gewichen und gegen alle Gefahren standhaft aus gedauert.

Oder zu welchem Ende, unersättlicher Lebensgast, bettelst du um noch fernere Lebensjahre? Glaubst du denn, dass mit diesen täglich sich vermindernden Lebenskräften die so seltenen Freuden des Lebens noch das Anziehende für dich haben werden, das sie bisher gehabt? Schau doch einmal diesen unbeholfenen Greis, dieses Ideal deiner Wünsche und Begierden, diesen Spott der leichtsinnigen Jugend, diese Last seiner selbst und aller, die um ihn sind, dieses Altertum in einer verjüngten, ihm ganz heterogenen Welt, diesen traurigen Überrest eines feurigen Jünglings diesen Schatten eines Lebenden, diesen lebenden Toten. Schau seine triefenden Augen, in welchen alles Feuer des Lebens verloschen, die keinen Gegenstand unterscheiden diesen zahnlosen Mund, der nur mit Hilfe anderer genießt. Schau, wie sein gebeugter, siecher Körper der Grube zuwankt, in welcher er verwesen soll. Haben dieses verlorne Gedächtnis, diese Blödsinnigkeit des Verstands der Verlust aller Leibes- und Seelenkräfte diese zweite Kindheit denn sogar viel Reizendes Begehrungswertes für dich? Oder sei immerhin noch bei guten Kräften, willst du Einziger deiner vorigen Welt noch fernerhin die Leichen deiner neuen Freunde begleiten? Wende deine Augen wohin du willst: die vorigen Teilnehmer deiner Freuden sind nicht mehr; du allein bist noch; deine Welt ist nicht mehr; sie hat sich erneuert; vorausgegangen sind die Gefährten deiner Jugend, die Gehilfen deiner Anschläge; vorüber sind deine Freuden; vorüber ist deine Fähigkeit zu genießen, du Fremdling unter den Menschen. Gehe von hinnen, deine Rolle ist vollendet. Wozu willst du den Nachfolger in deiner Stelle erwarten, der dir kärglichen Unterhalt zuwirft und die Augenblicke berechnet, die ihn vollends von dir befreien? und ein Leben dieser Art ist das Ziel deiner Wünsche?

Wenn du nun, furchtsamer Sterblicher! an diesem Leben nichts verlierst; in der Zukunft nichts zu fürchten hast; hier dem Übel entgehst; das Deinige verlierst, um dort alles zu gewinnen; wenn der Tod selbst allgemeines, unveränderliches, wesentliches Gesetz der Natur ist; dieses Zagen nicht nur allein den Tod auf keine Art von dir entfernet, sondern wohl gar beschleunigt; der Genuß aller Lebensfreuden dir darüber unschmackhaft und bitter wird; zu heftige Liebe des Lebens dich von allem abhängig, ungeheuchelter Verzicht auf das Leben ganz allein dich frei und unabhängig und zum Herrn der Natur macht; wenn eben diese Furcht eines so schnell vorübergehenden, notwendigen, allgemeinen Übels von der Kleinheit deines Geistes, von deinem eingeschränkten Verstand, von deinem ungeordneten Willen und mutlosen Herzen zeigt; wenn mit dieser überwiegenden Liebe des Lebens keine reine, lautere Gottesverehrung bestehen kann, dabei Glaube und Vernunft zu schwach und ohnmächtig wirken, sich dadurch der Mensch seiner Verherrlichung und näheren Vereinigung mit Gott sträflich widersetzt, um hier unten zu bleiben, sogar auf alle Güter der Vernunft der Zukunft und einer bessern Weit töricht Verzicht tut, weil er entweder solche nicht glaubt, oder zu ungewiss darüber, zu sehr an den ihm bekannten gegenwärtigen Gütern der Erde hängt, oder sich wohl gar die Zukunft als eine Zeit und Ort der Qual, und Gott als einen Tyrannen und Peiniger der Gerechten vorstellt; wenn noch überdies diesen Tod, diesen bösen Augenblick so viele ungleich Schwächere mit solcher Heiterkeit und Gleichheit des Gemüts vorhergesehen, gewünscht, sogar herausgefordert und ertragen: warum zagt sodann der Mann von Einsicht, Vernunft, von geprüfter Rechtschaffenheit und Tugend? warum wirkt helle Menschenvernunft geringer und schwächer als Ehrgeiz, Melancholie, Vaterlandsliebe, Fanatismus, Verzweiflung? Warum bleibt die gegen alles Gute so empfängliche, reizbare Seele des Menschen gegen ein solches Verherrlichungsmittel nicht bloß kalt und gleichgültig, warum schaudert sie sogar vor dem Gedanken des Todes zurück?

Wir fürchten den Tod, nicht weil er in den Augen der Vernunft schrecklich und fürchterlich ist: wir fürchten ihn, weil er uns von unserer zartesten Jugend an von selbst furchtsamen, unerfahrenen oder dabei interessierten Erziehern und Lehrmeistern unter falschen schrecklichen Bildern vorgestellt worden. Diese Bilder haben sich unsrer ungebildeten und ungeübten Seele zu früh und zu tief eingeprägt, sie sind uns zur Fertigkeit, zum Bedürfnis geworden. Mit diesen Bildern hat nun unsre Vernunft zu kämpfen. Sie haben sich unsrer Seele durch öftere Wiederholung zu sehr bemächtigt, als dass sie den späteren Ankömmlingen, den Gründen der Vernunft, ein so lang und ruhig besessenes Eigentum so gutwillig abtretten sollten. Nur allein durch langes, anhaltendes, oft wiederholtes, Jahre lange wiederholtes Denken der Gegengründe gelangt unser Geist zu seiner Herrschaft und auf diese Art können diese ersten Eindrücke geschwächt werden. Unsre ersten Jahre, unsre ersten Erzieher sind die wahren Urheber einer so unvernünftigen Qual; mit andern, bessern, uns in unsrer Jugend beigebrachten Grundsätzen würden wir bei heranwachsenden Jahren dem Tod mit so großer Entschlossenheit entgegengehen, als wir derzeit vor dem bloßen Namen erblassen.

In der zartesten Jugend, wo das Herz und der Kopf noch unverdorben sind, und jedem guten sowohl, als bösen Eindruck offen stehen, sollte der mutige, standhafte Verächter des Todes gebildet werden. Von dieser zartesten Jugend an werden noch über das durch eigene Erfahrung und durch ansteckendes Beispiel mit dem bloßen Schall des Todes unangenehme Ideen verbunden, die nur Foltern der Lebenden sind, von welchen allen der Sterbende nichts fühlt, denen er eben durch den Tod selbst entgeht. Dieses Bild von diesem oder jenem Sterbenden, von der Freundin unsers Herzens; ihre Angst, ihr Bitten und Flehen und Händeringen; dieses Missvergnügen, das wir bei ihrem Hinscheiden empfunden, diese Leere der Seele, welche durch die so plötzlich unterbrochene Gewohnheit mit ihr zu leben, zu sprechen, aus ihrem Umgang Vergnügen zu schöpfen, in Uns entstanden; unser Bleiben, ihr Hinweggehen, die Einsamkeit der Orte, wo sie nun mangelt, und nicht wiederkommt, dieses Weinen und Jammern der Zurückgebliebenen; jener düstre Ton der Sterbeglocke, samt dem kalten, erstarrten Körper, der soeben seinen Bewohner verloren, und dem kläglichen Leichengesang und das Hinabsenken der Leiche in die Finsternis des Grabs, und der dumpfe widerhallende Schaufelwurf der ersten Erde die in dem Grab herrschende Einsamkeit und die dem Toten von unsrer Einbildungskraft geliehene Furcht vor dem hilflosen Wiedererwachen fährt in unsrer Seele mit einem mal zusammengenommen bei dem bloßen Namen des Todes auf. Mit diesem allen, was wir bei unserm Hinscheiden nie empfinden werden, verfinstern wir unsre heitersten Tage; aus diesen Bildern der Phantasie setzen wir jenes grässliche Unding zusammen, das wir uns in dem Tod vorstellen. Vor diesem Bild unsers Gehirns und unsrer Phantasie zittern und zagen wir.

Im Grund ist der Unwille und Abscheu, mit welchem wir dieses Leben verlassen, kein andrer, als mit welchem wir in ein fremdes Land ziehen, oder unsre ehemalige lang bewohnte, obgleich uns selbst unangenehme Heimat verlassen. Es ist der Unwille und Abscheu, mit welchem sich der Lappländer und Grönländer von seinen Renntieren von seinem trüben und kalten Himmel, und von seinen ewigen Nächten getrennt, und in schönere und wonnevollere Weltgegenden unter einen mildern Himmelsstrich versetzt sieht. Es ist der Abscheu, mit welchem wir alten, eingewurzelten Vorurteilen und Grundsätzen jeder auch noch so falsch erkannten angeborenen Religion unserer Voreltern entsagen und uns zu einer besseren bekennen. Wenn einmal der menschliche Geist einen gewissen Gang genommen, eine gewisse bestimmte Ideenreihe zu durchlaufen gewohnt ist: so entschließen wir uns selbst zum Bessern nicht ohne Widerwillen und Abscheu. So kann lange Gewohnheit mit dem Übel aussöhnen und vertraut machen, und das Angenehmste missfällt, wenn der Übergang zu auffallend ist. Nur der Lauf der Zeit und öftere Wiederholung samt einem vertrauteren Umgang mit dem neuen Gegenstand söhnen uns mit solchen aus, gründen eine neue Fähigkeit, machen uns den älteren vergessen, und wir können ohne Mühe vorhersehen, dass wir uns dereinst von diesem Gegenstand unsrer Abneigung mit gleichem Unwillen entfernen würden. Auf diese Art sind uns unsre Übel selbst zum Bedürfnis geworden, und ein besserer Zustand zur Qual. Gewohnheit zu leben bindet uns mit Sklavenketten an das unglücklichste Leben, und wir verlassen solches so ungern, als der Galeerensklave des Richelieu seine Ruderbank. Wir haben an das Leben beständig, beinahe gar nicht an den Tod gedacht. Wir haben vergessen, dass wir Wanderer auf Erden sind, dass unser Aufenthalt hier unten kurz und vorübergehend ist. Wir betrachten unsre äußerlichen Güter als Teile von uns selbst, die uns überall begleiten. Wir wissen, dass ohne sie der Genuß des Lebens kummervoll und elend ist, und vermuten, der Tod, der uns ewig davon trennt, werde ein gleiches Elend veranlassen. Aus dieser Vergessenheit unsrer Sterblichkeit schreiben sich unsre Entwürfe und Plane her; diese bleiben unvollendet, denn sie reichen über unsre Jahre hinaus, und erschweren den Übergang in ein Leben, wo höhere Gegenstände unsre Kräfte beschäftigen, und alle Geschäftigkeit der Erde bis zum Kinderspiel herabsetzen. Dazu kommt noch die Sorge für unsre zurückgelassenen Freunde und Kinder. Dieser Kummer, der zu nichts weiter nützt, als beiden Teilen die Trennung zu erschweren, nagt an unsrer Seele. Wir vergessen darüber, dass wir sie bald wieder finden; dass sie alle den Weg noch zu wandern haben, den wir so eben vorausgehen; dass Gott für sie sorgen wird; dass ihnen kein Übel widerfahren kann, das nicht Gott in dem Zusammenhang dieses Weltalls zu ihrem Besten geordnet.

Diese von uns selbst verkannten Ursachen sind es, welche uns das Scheiden von dieser Erde erschweren. Dies verabscheuen wir in dem Tod. Aber dieser Abscheu ist keine Wirkung der Vernunft, er ist das Kind des Vorurteils, der Leidenschaft, der Gewohnheit und der Unvernunft. Ja! lieber Freund, wenn du dereinst in die Gefilde eines ewigen Friedens hinüber schlummern wirst, dann wirst du ganz gewiss deine Frau, Kinder, Eltern, Freunde, auf eine Zeit; deine irdischen großen Titel, Rang, Vermögen, deine Paläste, Landgüter und Gärten, deine leckerhaften Mahlzeiten und weiche Ruhestätte samt deinen politischen Einfluss auf ewig verlieren. Deine Klienten und Anhänger werden noch bei deinen Lebzeiten, so bald aller Zweifel über dein Wiedergenesen verschwindet, deiner untergehenden Sonne den Rücken kehren, und sich um deinen Nachfolger versammeln, der aus deinen Ruinen emporsteigt. Die Täuschung wird verschwinden und der Taumel deines Glücks vorübergehen und du wirst fühlen, dass du ein hilfloser Einziger bist, verlassen von Kunst und Menschen. Von dem allen, was dich hier über andere erhoben, wird dir nichts folgen; von deinen weiten Länderbesitzungen wird dir nicht mehr zu Teil werben, als dein Körper nötig hat, um darin zu verwesen; und deine häufige Dienerschaft kann dir zu nichts weiter dienen, als deinen Leichenzug zu verherrlichen. – Eine Eitelkeit, die du nicht mehr empfinden wirst, die bald von einem größeren, freudigeren Auftritt übertroffen wird, die dich höchstens nur um einige Tage länger in dem Andenken der Menschen erhalten wird, wenn dir nicht deine guten Taten und wohltätigen fortdauernden Anstalten ein bleibenderes Denkmal in den Gemütern deiner Zeitgenossen und Nachkommen errichten; oder vollends gar mit jeder Erdenscholle zentnerschwere Flüche der durch dich verunglückten Menschen auf deinen Leichnam hinab fallen. – Ja, ganz gewiss, dies alles bleibt zurück; so wie du nackt und schwach aus dem Schoß deiner Mutter hervorgegangen, ebenso von allem verlassen, entkleidet und beraubt, was die Meinung der Menschen aus dir gemacht, wirst du in den Schoß der mütterlichen Erde zurückkehren. Aber sind denn endlich alle diese die letzten und höchsten Güter des Menschen? Wozu bedarfst du ihrer, wenn mit dir zugleich das Bedürfnis stirbt, wodurch sie dir wert und notwendig geworden? Wenn für dich der Vorhang fällt und deine Fabel hier unten vollendet ist, so lass immerhin diesen dir geliehenen szenischen Prunk dem neuen Schauspieler zurück, den das Schicksal nun statt deiner auf die Bühne ruft. Nimm stattdessen deine guten Handlungen und die Tränen der Edlen mit. Diese allein werden dir in deiner neuen Heimat die Aufnahme erleichtern, und einem solchen Gast, mit einem solchen Gefolge, werden sich die Tore einer glücklichen Ewigkeit von selbst eröffnen. Unternimm etwas, das ewig dein ist, was keine Zeit und Ewigkeit von dir trennen kann. Und was ist so sehr dein, als du selbst, als die Äußerungen und Entwicklungen deiner Kräfte, als die innre Vollkommenheit, die du hier unten erworben? Überlass diese deine hinfällige Hütte, samt dem Flitterstaat, der sie verstaltet, der mütterlichen Erde und dem Heer von Toren, die alles Bessere verkennen. Dafür schwinge sich dein ausgebildeter Geist im Engelkleid zu den Höhen empor, wo keine Tugend verkannt wird, und jeder Kämpfer seine Belohnung erhält. Um diesen Preis kannst und wirst du dort alles erhalten, was deine neuen Bedürfnisse fordern, was dir die Güter der Erde entbehrlich und ekelhaft macht. Wenn du aber ernsthaft glauben kannst, dass ohne diesen alles Hiersein samt der ganzen Zukunft elend sei; wenn du glauben kannst deine obgleich sehr beschränkte Herrlichkeit hier unten sei der Zweck, du aber der Schöpfung Mittelpunkt: o! dann bedaure ich dich sehr. Bleib immerhin dein eigner Peiniger; und es würde hohes Unrecht sein, wenn du nicht zur Strafe mit allen Foltern deiner von dir selbst zu deinem Schaden verderbten Einbildungskraft von hinnen gingst.

Aber sammle dich, kehre zu dir selbst: was hält dich zurück in den Fesseln des Lebens?

„Die Vorbereitung zum Tod ist die Vorbereitung zur Freiheit;
und wer sterben gelernt hat, hat ein Sklave zu sein verlernt.“

Was hindert dich also mit dem Tod dich näher bekannt zu machen? Warum bist du es noch nicht? Oder ist dir dieser jedem Menschen so unvermeidliche Vorfall unerwartet und neu? Was ist auf der ganzen weiten Erde, das dich nicht beständig daran erinnern sollte? Jeden Augenblick kann dir widerfahren, was dir einmal widerfahren muß. Keine Zeit, kein Ort, kein Stand und kein Alter versichern dich dagegen. Der Tod versteckt sich gern hinter Rosen und er lauert ohne Schonung aus jedem Winkel auf seine Beute. Die ganze Geschichte ist, so zu sagen, ein Wörterbuch von Namen der Menschen, die waren, und – nicht mehr sind. Wir selbst sterben täglich, stündlich sind das nicht mehr, was wir waren. Du stirbst für jeden Augenblick, der kommt, und der Tod vollendet nur das Werk deiner Geburt. Die Freuden unsrer Jugend sind von uns geschieden und wir von ihnen. Langes Leben ist langer Tod. Schau um dich herum! Wo sind nun die großen und weisen Männer der älteren Welt? Wo sind nun deine Eltern, Wohltäter und Freunde? wo deine Kinder? wo die Freundin deines Herzens? Vorausgegangen, da hinübergegangen, wo niemand zurückkommt, alles deiner wartet. Du allein fehlst ihnen noch, ihnen, um welche du trauerst. Dort wirst du dich auf einmal in der Gesellschaft aller großen, edlen Menschen, in der Mitte deiner vorausgegangenen Lieblinge finden. Diese werden sich über das Dasein ihres neuen Gastes freuen, dich mit den Herrlichkeiten und Freuden dieses neuen Lebens bekannt machen; sie werden mit dir die spätere Ankunft deiner zurückgelassenen Freunde erwarten, mit dir über sie wachen, wahrnehmen, wie ihr vermeintes Leiden Prüfung, Vorbereitung zur künftigen Herrlichkeit sei; sie werden sich mit dir freuen, dass ihnen sogenanntes Unglück zu Teil wird, um ihr Verlangen nach der Zukunft lebhafter zu machen, um sie zu belehren, dass für Wesen höheren Ursprungs hier unten keine bleibende Stätte sei, dass sie für höhere Szenen geschaffen sind, weil Gott nichts von Lieblingen weiß, er ungerecht, sein Werk mit aller Harmonie und Ordnung äußerst unvollkommen wäre, wenn ewiges Unglück eines einzigen Gerechten zu Erreichung des höchsten Zwecks notwendiges Mittel wäre, weil niemand Übel widerfahren kann, aus dem nicht Bessersein und höheres Glück für den Leidenden hervorkeimt; weil in Gottes Schöpfung niemand geschaffen ist, um der Schatten eines andern zu sein, und dann auf ewig zu vergehen.

Nicht Menschen allein, alles, was um dich ist, muß dich an deine Sterblichkeit erinnern. Alles ist mit dir und uns allen gleichem Schicksal unterworfen. Auch deine Güter sind mit dir alt geworden und näheren sich mit dir der Hinfälligkeit. Auch dieser schattenreiche Baum, den du als Knabe gepflanzt, unter dessen Schatten du als Jüngling geliebt, und als Mann geruht, ist nicht mehr, was er war. Noch einige wenige Jahre, und der ermüdete Wanderer hat dieses Obdach verloren, das ihn gegen die brennende Mittagshitze, und gegen den Ungestüm des Himmels so gutwillig geschützt. Du lebst in einer neuen Stadt, unter einem erneuten Menschengeschlecht: denn die Männer deiner Jugend sind dahin; an ihre Stelle sind neue Menschengestalten getreten, und die Gefährten deiner Jugend sind mit dir zu Männern herangewachsen. Die schönsten, blühendsten Städte der vorigen Zeiten sind verlassen oder zerstört, und der Landmann treibt den Pflug über die Ebnen, wo Troia gestanden. Kaum eine Spur ist davon übrig. Die Macht Assyriens und die Größe Alexanders sind dahin; alle Reiche der Vorwelt sind verschwunden; die ganze Oberfläche der Erde ist geändert; nichts von allem ist in seiner vorigen Lage. Und auch du, blasser Mond, samt deinem Sternenheer, und sogar du, Leben der Natur, allerquickende Sonne! ihr geht zwar unter und erscheint wieder in verjüngter Gestalt, und findet nie die selbigen Wesen wieder, und werdet auch mich einst nie wieder sehen: aber niemals kommet ihr ganz als die selbigen zurück! Man will sogar wissen, dass auch euch dereinst das Schicksal treffen soll, dass die allverzehrende Zeit euch aus euern Angeln reißt, dass eure leuchtende Scheibe verlöschen wird, wenn die ganze materielle Natur zu Trümmern geht. – Und du allein, elender Sterblicher! du allein wunderst dich, wenn der Herbst herbeikommt und deine Blätter herabstürmt? Du allein bist stolz genug, für dich, so wie du dermalen bist, eine Ausnahme von dem allgemeinen Schicksal aller Wesen zu fordern? Selbst dieser so hinfällige Bau deines Körpers, samt der alltäglichen Erfahrung, und dem aus ihr so allgemein und unveränderlich hervorleuchtenden Gesetz der Natur sollten dich im Mangel höherer Vernunftgründe an deine Sterblichkeit erinnern. Aber diese Gewohnheit zu leben, diese jedem Menschensohn so natürliche Eigenliebe samt den daraus entstehenden grenzenlosen widernatürlichen Forderungen, diese verführerischen Bilder einer durch das Totengepräng empörten Phantasie setzen uns mit uns selbst in Widerspruch, machen die so hell und laut rufende Stimme der Natur unhörbar und unvernehmlich, reißen unsre Vernunft mit sich fort und verengen uns die weite herrliche Aussicht. Wüssten die Menschen mit Zuversicht die Herrlichkeit, so ihrer nach diesem Leben wartet, die Erde sollte bald ohne Bewohner sein; und statt die Menschen mit diesem ihren unvermeidlichen Schicksal bekannter zu machen, müsste vielmehr die Beredsamkeit ihre Kunst und Stärke verwenden, der Ungeduld und dem zu raschen Eifer Einhalt zu tun, und sie von der Beschleunigung des ihnen dermalen so verhassten Todes zurück zu halten.

Hast du denn, zaghafter Sterblicher, ganz vergessen oder nie bedacht, wozu dieses Leben, wozu dieser Tod ist? – Hast du vergessen, dass dieses Leben hier unten Vorbereitung, Vorhof, Vorgeschmack der Zukunft sei? Hast du vergessen, dass es in jedem Menschenleben gewisse Lagen gibt – auch im größten Übermut des Glücks finden sie sich nicht selten ein, und jeder mag sein eignes Herz befragen, ob und wie oft er sie erfahren, und wie er sich dabei befunden– Lagen, wo sich alles zu unserm Missvergnügen vereinigt, wo alle Aussichten auf Wohlergehen verschwinden, wo wahres oder eingebildetes Unglück Schlag auf Schlag kommt, wo die ganze Tätigkeit unsrer Seele stockt, wo Freunde und Gegenstände vor uns fliehen, und wir selbst wie eine Insel in der ungeheuren Welt stehen, und nur durch Stürme, Unfälle, Verachtung und fehlgeschlagene Entwürfe, durch den bittersten lebhaftesten Kummer und Verdruss noch mit der übrigen Welt zusammenhängen, wo unsre tierische Natur mit einem so betäubenden Getöse ruft, dass Vernunft und Weltweisheit gänzlich verstummen? Dort, in diesen Situationen ist der Gedanke an einen Gott und Rächer des erlittenen Unrechts Balsam in die blutende Wunde; dort wird der Tod herbeigerufen und mit schmachtender Sehnsucht erwartet; dort erscheint er als Schlaf, als Ruhe für den durch die Qualen des Lebens ermüdeten Wandrer, als Freistätte gegen die Unterdrückung, Hoffnung für den Elenden, Genesung für den Kranken, Übergang in ein besseres Leben, Einleitung in höhere Weltkenntnisse, Annäherung zu seinem Urheber, Tribut der Menschheit, notwendiges, zweckmäßiges Fortrücken auf der großen Leiter aller Wesen, anscheinendes Stillestehen, Befreiung aus dem Gefängnis, Pforte der Freiheit, Rückkehr in seine Heimat, Siegel des Lebens und Triumph der Natur. Was er dir dort, in dieser Lage scheint, das ist er in der Tat auch außer derselben. Aber der Taumel deines Glücks verrückt dir den Sehepunkt, und wirkt in dir diese Vergessenheit und Geringschätzung der höheren Güter, die er gewährt; denn er gibt mehr, als er nimmt. – O Mensch! dir sind hohe Gaben zu Teil geworden! Aber unfähig, in Furcht oder Hoffnung das Mittel zu halten, und dich nach der allein sicher führenden Vernunft zu betragen, missbrauchst du sie schändlich. Du bist ganz zur Weisheit und Glückseligkeit geschaffen, und dein ganzes Leben ist Torheit, verkannter Vorteil, und selbst gemachte Qual. Wisse also, und erinnere dich oft, sehr oft daran: Sterben heißt das Gesetz erfüllen, zu dem wir alle geboren sind; sterben heißt die große, breite Straße wandern, auf welcher unaufhörlich in gedrängter Menge, seitdem es lebende Wesen und Unterschied der Stände gibt, der Hohe an der Seite des Niedrigen, der Reiche in Begleitung des Armen, und der Unterdrücker an der Seite des Unterdrückten ohne Stolz und Verachtung zu dem Ort ihrer Bestimmung gehen. Sterben heißt, eine schlechtere Natur gegen eine bessere verändern, seine irdische Hülle von sich werfen, sich verklären, in ein höheres Leben hervorgehen. Sterben heißt, die Gesellschaft von Toren Wohllüstlingen, Verleumdern, ungerechten Richtern, von hochmütigen, ehr geizigen, eigennützigen Menschen verlassen, um sich mit allen edlen Seelen und großen Geistern, mit den Würdigsten unsers Geschlechts in eine unzertrennbare Verbindung zu vereinigen. – Er, der Tod verursacht, dass uns das Leben nicht zur Qual und Strafe wird; er ist uns als die größte Wohltat gegen die Beschwerden des Lebens verliehen; er gibt dem Kranken Gesundheit und dem Leidenden Stärke. Er ist es, der den Gefangenen seine Ketten abnimmt, das aufgehobene Gleichgewicht wieder herstellt, und alle Hoheit und Unterschied der Stände hinwegschafft; er macht, dass wir als Kinder Eines Vaters uns auch als Untertanen eines einzigen Herrn fühlen. Er ist es, dem noch kein Sterblicher entgangen, welchen die größten Männer des Altertums so gleichgültig ertragen, so viele gewünscht, so manche beschleunigt, so viele auch schwache Menschen, noch erst gestern dein Knecht deine Magd, so majestätisch verachtet. Kein Auftritt der unermesslichen Natur ist mit ihm an Majestät und Größe zu vergleichen. Meine ganze Natur gerät in Gährung, Bewegung und Streit; alle Kräfte meines Körpers arbeiten an seiner Zerstörung. Nun zerreißen auf einmal alle Bande dieses Lebens; und – dieser Körper ist noch da, gefühllos und kalt; Ich aber – bin hinweg. Ich gehe fort, lass alles zurück, kann alles entbehren, worüber die Welt sich hasst, beneidet, verfolgt. Ich werde allenthalben gesucht und vermisst; werde durch meine Abwesenheit erst erkannt für den, der ich war; bin noch gegenwärtig durch meine Taten. Man wünscht mich zurück, und wünscht es umsonst. Welche Würde in diesem Austritt! – Und dann erst, wenn Gott auf dem Sturm herabfährt, oder dem Südwind befiehlt, böse Dünste zu sammeln und über ganze Erdstriche zu verbreiten! – Verwelken muß sogleich jede Blume des Lebens, sich beugen jeder Stolz, sich schwach fühlen jede Stärke, und herabsteigen jede Größe und wanken jede Krone! Dort brütet ein Monarch in schlaflosen Nächten über dem Schicksal ganzer Völker: und der Tod schleicht sich an seine Ruhestätte, ritzt eine kleine Ader im Gehirn, und – hin sind alle Entwürfe; ein ganzer Weltteil ist gerettet oder zerstört. Hier erweicht keine Schönheit; hier rettet kein Reichtum; hier schützt keine Macht; hier hilft kein Winseln und Flehen. Sei wer du willst, deine Zeit ist gekommen, und deine Rolle vollendet. Also – hinweg von dieser Erde, und hinüber in das Land, wo sich alle Lebende seit Jahrtausenden versammeln, wo nur ein Herr ist, und – dieser Herr ist Gott. Hier gibt’s keine Lieblinge, keine Ausnahme von den ewigen Gesetzen der Welt und Natur.

Gott ruft jedem der geboren werden soll, beim ersten Eintritt in das Leben zu:

Komm hervor zum Leben an die Stelle dessen, der soeben abgetreten ist, um dir Raum zu machen. Diese Teile, aus welchen ich deine irdische Hülle gestalte, waren schon vor dem Teile derer, die vor dir waren. Diese habe ich abgerufen, um dich auftreten zu lassen. Diese Teile, diese Hülle leihe ich dir um die Rolle zu spielen, welche der Zusammenhang des Ganzen, der letzte Zweck und das Wohl aller Wesen erfordern. Sei kein böser Schuldner, der seine Schuld verleugnet wenn die Zeit kommen wird, das Geliehene wieder zurück zu fordern. Betrachte dich nicht weiter als einen Teil eines ungeheuren Ganzen, nach dessen Ordnung und Gesetzen du dich zu fügen hast. Fordre daher keine Unmöglichkeiten von mir, nichts was ich andern Besseren und Edleren vor dir und nach dir, kraft meiner ewigen Gesetze mitteilen konnte. Mäßige daher deine Ansprüche, denn sie werden und können dir nicht befriediget werden. Wirst du diesen meinen Wink verachten, so schreibe es nicht auf meine Rechnung dass der Aufenthalt da unten nicht so angenehm vorübergehen wird, als er dir außerdem gewesen wäre. Verliebe dich nicht zu sehr in dieses Leben: denn es ist nur Vorhof. Glaube ja nicht, dass alle meine Reichthümer schon hier verschwendet seien. Länger hier zu bleiben zaudern, diese Erde, diese Gestalt zu verlassen und deine Hülle zurückzugeben, hieße die Gesetze der Natur aufhalten, und auf alle künftige höhere Seligkeit Verzicht tun. Es würde dabei die Schwäche und Niedrigkeit deines Geistes verraten, der sich in das Gegenwärtige so sehr verliebt, dass er nichts weiter vermutet, und mir sogar die Möglichkeit abspricht, dem Menschen eine höhere Seligkeit zu bereiten. Klage nicht über mich, dass ich ein harter, unerbittlicher Gläubiger bin; ich fordre nur diese Form zurück, die ich dir verliehen habe. Um deinem Geist in diesem Leben zu dienen. Dieses Leben deines Geistes lasse ich dir; werde es dir auch forterhalten indessen Königreiche zerfallen, Weltteile vergehen, die Erde selbst sich zerstören wird. Diese Königreiche zernichte ich, diese Weltteile zerstöre, und verwüste, und verändere ich, um dich so lang du hier unten bist, nicht zu ermüden, um deinem Erkenntnisvermögen Mannigfaltigkeit und Gegenstände unaufhörlich darzubieten, und wenn du einst diese Hülle abgelegt hast, in dieser Zerstörung selbst zu zeigen, dass ich kein Gott der Verwüstung, dass ich ein Gott der Ordnung und Harmonie bin; dass ich für Wesen deiner Art beständig arbeite und baue, und herrlicher baue indem ich zerstöre; dass, indem sich die Erde spaltet, die See tobt und ganze Erdstriche in sich verschlingt, dies alles um deinetwillen geschehe, um aller Wesen, und selbst um derer willen, welche am meisten dadurch leiden. Jede Geburt ist Tod, jeder Tod ist Geburt; so wie das eine sich endet, fängt das andere an– Ich kann nichts zerstören, ohne sogleich ein andres herzustellen. Du hast keine Wahl. Hier gibt es kein Mittel. Entweder du mußt dich entschließen, immer einerlei zu sehen, zu hören, zu empfinden, folglich ermüden, und Ekel und Überdruss erfahren; oder, wenn ich deinem Geist Stoff zur Erkenntnis, neue Gegenstände und dadurch Ideen über Ideen darbiete, und diesen Grundtrieb deiner Seele befriedigen soll: so muß ich das auf Unkosten der vorhandenen Formen tun. Dies fordert jedes Wesen deiner Art von mir; und damit könnte ich nicht zu Stande kommen, ich könnte selbst deine eigenen Wünsche nicht befriedigen, wenn ich eines jeden schonen wollte. Ich muß also auch deine Form dereinst angreifen, weil ich kein parteiischer Gott bin, und keine Lieblinge habe, weil ich alle liebe. Und weil ich noch dazu ein Gott der Güte und ohne Mangel bin: so kann ich nichts ins Schlechtere, ich muß alles ins Bessere verändern. Meine anscheinende Härte ist Güte und Gnade, und meine anscheinenden Fehler höchste Weisheit. Ich würde euch niemals durch diese niederen Grade, durch das Gebiet des Schmerzens geführt haben, euch den Tod bereitet haben; ich würde euch alle gleich beim ersten Entstehen zum höchsten Grad von Glückseligkeit geschaffen haben, wenn diese Art von Glückseligkeit möglich gewesen, und nicht vielmehr für euch alle Qual und empfindlichstes Elend wäre. Ich habe also getan, was noch allein möglich war: ich habe euch klein und schwach gemacht, damit ihr wachsen und stark werden sollt ich habe euch Unvollkommenheiten gegeben, aber auch Fähigkeit und Kräfte, um sie zu vermindern; ich habe euch Mängel gegeben, aber auch den Abscheu gegen jede, umso mehr gegen eigne, Unvollkommenheit eingepflanzt, um eure Kraft zu reizen und zur Verminderung dieser Mängel in Bewegung zu setzen. Vergleicht euch nicht mit falschen Idealen; vergleicht euch mit dem Zweck der Welt: und ihr werdet finden, dass euch nichts mangle, dass ihr alles seid, was dieser erfordert; und dieser erfordert euer stufenweises Bessersein. Und dieses stufenweise Besserwerden erfordert dass ihr nicht schon im Anfang seid, was ihr später werden sollt; und erst später werden sollt, weil es mir unmöglich ist, meines gleichen hervorzubringen; weil es also in der Natur eines endlichen Wesens liegt, dass es nicht auf einmal sei, was es sein kann; weil ihm allezeit etwas mangeln muß und dieser Mangel selbst zur Triebfeder wird, durch die es sich verbessert. Diesen führe ich durch Krankheit zur Mäßigkeit; einen andern durch Verachtung zur vernünftigen Selbstschätzung und Erwerbung größerer Verdienste; einen dritten durch Mangel zur Arbeitsamkeit, durch Unvorsichtigkeit zur Klugheit und durch anhaltende Übel zur Weisheit, zur Geduld, zur Ergebung in meinen Willen. Ich habe Menschen; diesen habe ich allen Überfluss und Macht zugeworfen. Andere, die ich in diesem Stück weniger bedacht, glauben, diese wären meine Lieblinge. Ich habe andere, die ich durch Unglück näher an mich ziehe. Alle Übel die ich euch zuschicke, sind Zurechtweisungen, Warnungen gegen ärgere Vergehen, Aufforderungen zur Selbstkenntnis, zur Entwicklung eurer Kräfte, zur Erinnerung an mich. Unter diesen Übeln habe ich euch sogar den Tod gegeben, um euch gewaltsam von einem Aufenthalt zu reißen, in welchen ich vorhersah, dass ihr euch aus Mangel besserer dort schon unmöglich mitzuteilender Einsicht, zu sehr verlieben würdet.

Wenn ich aber auch ein parteiischer Gott, ein Gott für dich allein sein wollte: so bedenk einmal, und sei billig: wie vieles hätte ich nicht zu ändern, weil in diesem meinen Werk keine Veränderung einseitig ist. Nimm ein einziges Sandkorn aus diesem Weltall, und du hast eine neue Welt, und die vorhergehende zernichtet. Und dann wie ungerecht würde ich handeln, wenn ich andern nicht ein gleiches gewähren würde? Oder soll ich dir nur allein tun, was ich ungleich besseren, verweigert? Ich? – der ich nicht allein dein, sondern aller, aller Vater bin? Wie wenig würdest du dich mit dieser meiner Willfährigkeit begnügen! Mit deinem Übermut würden deine Forderungen immer höher und höher steigen. Du wärst noch am Ende bösartig genug, mich zu schelten, dass ich dich nicht auch zugleich zum Herrn der Welt gemacht und alle übrige dir untergeordnet. Ewige Alleinherrschaft wäre das Ziel deiner Wünsche. Was hättest du wohl dadurch gewonnen? Glaubest du, dass sodann deine Untergebenen nicht suchen würden, sich deiner Herrschaft zu entledigen, und es wenigstens versuchen wollten, einen unsterblichen Despoten unwirksam zu machen? Oder sollen diese ohne alles Gefühl, in allem dir zu jedem Wink bereit stehen? Elender Tor! welchen Ekel würde dir am Ende diese puppenmäßige, mechanische Bereitwilligkeit dieser dir so unähnlichen Mitgeschöpfe verursachen! Wie sehr würde dieser Mangel von allem Widerstand deine Geisteskräfte und Tätigkeit beschränken! Dies alles, was du zu deiner Glückseligkeit verlangst, würde ich tun, wenn ich dein Feind wäre, dich strafen, einschläfern, zernichten wollte. Ein todähnlicher Schlaf wäre also das Ziel deiner Wünsche und Begierden? Also nicht ich, du selbst tötest dich, indem du von mir hier unten ewiges Leben verlangst.

Da du also, dir selbst überlassen, bei so törichten und widersprechenden Wünschen, nicht dein Glück, sondern dein Elend, nicht dein Leben, sondern deinen Tod würdest befördert haben: so konnte ich, der ich nicht dein Unglück, deinen Tod, sondern dein wahres Glück, dein Leben will, bei der Anordnung dieses Weltalls, deine Stimme und Forderungen unmöglich mit in Anschlag bringen. Ich habe daher nach weiseren Gesetzen dies angeordnet, dich dabei gewisslich nicht vergessen. Ich habe statt deiner gewollt und bin zum Voraus versichert, dass du mir dereinst danken wirst, dass ich dich klein, schwach, endlich veränderlich, sterblich gemacht. Ich habe dir zu diesem Ende selbst diese törichten Wünsche gelassen; habe dir erlaubt, dein Interesse zu verkennen; habe dich unzufrieden und murrend gegen mich geschaffen: damit du dereinst nach erhaltenen helleren Einsichten einsehen sollst, das ich dort am meisten um dich besorgt war, dich am zärtlichsten geliebt habe, wo ich hart und ungerecht geschienen; dass dein vermeintes Unglück dein größtes Glück, der einzige mögliche Weg gewesen sei, um dich zu dem zu machen, dessen du dich zu seiner Zeit so sehr erfreuen wirst; dass ich mit meinen Wohltaten sparsam gewesen, nicht alles auf einmal mitgeteilt, um dir mehr, und oft, und länger mitzuteilen, dass endlich die Weisheit der Menschen nicht die Weisheit Gottes sei.

Höre also auf, törichte Wünsche zu fassen; füge dich als ein Teil in die Ordnung und Gesetze des Ganzen; höre auf mich zu bitten, dass ich dich hassen, andre mehr lieben soll, als dich. Kein Insekt, noch weniger einen Menschen habe ich so empfindlich gestraft, als ich dich auf dein eignes Verlangen misshandeln soll. Du bist mir lieber, als dir selbst. Schließe vielmehr daraus, dass ich Vater, Vater aller Wesen bin, weil ich Stärke genug habe dir dieses abzuschlagen. Dort in jenem 2, Winkel dieser Erde habe ich dem Tod befohlen, den einzigen Erben dieses Reichs in seiner Blüte abzurufen. Mich hat keine Macht, kein Glanz geblendet; alle Schätze dieses Reichs sind mir zum Lösegeld angeboten worden, und sie haben mich wie ihre Richter bestechen wollen. Hunderttausende von Menschen sind auf ihre Knie gefallen und haben sich erinnert, dass ich ihr Herr bin, der das Leben gibt und nimmt. Das Leben von vielen Tausenden hat von diesem einzigen Leben abgehangen; Krieg und Vernichtung eines halben Weltteils waren die unvermeidliche Folge davon; und – Ich habe mich nicht erbitten lassen. Der Zusammenhang des Ganzen hat das Verblühen dieser Blume zu laut, zu Unwiderstehlich gefordert. Ich habe keinen andern Willen als diesen, und dieser Wille ist unabänderlich, ist ewig, denn bei mir hat keine Übereilung statt. Kein Bitten, kein Händeringen kann mich bewegen, willkürliche Ausnahmen vom Gang der Natur zu machen, und um eines einzelnen Wesens willen, zu dessen eigenem Schaden, den Gang der Welt ins Schlechtere zu verändern; oder ich müsste nicht Gott sein, wenn mich erst das Flehen der Menschen des Bessern belehren und an Mängel meiner Einrichtung erinnern sollte. Darum geschehe mein Wille! weil dadurch der Wille aller geschieht. Darum stirb, weil du geboren bist!

So lautet der Vertrag des Lebens; dieses sind die Aussichten, die sich uns eröffnen. Schön ist dieser Vertrag: trostreich sind diese Aussichten. Durch sie wird diese Welt ein Ganzes, der Mensch erhält eine Würde, alles eine Bestimmung, dass Übel hat seinen Zweck, und Gott erscheint als ein Gott, als Urheber der Natur. Ich weiß wozu ich da bin ich weiß warum ich leide. Alles hat seinen Zweck. Es soll immerhin unter Gottes Würde sein, sich Zwecke zu denken: so liegen doch diese Zwecke und Erwartungen in der Welt; sie lassen sich daraus erkennen, die Welt selbst erhält dadurch eine neue bessere Gestalt; sie gründen den Zusammenhang; sie verhalten sich als wirkende Ursachen, bestimmen die Handlungen denkender Wesen, werden die Quelle ihres Vergnügens, und ihre Glückseligkeit richtet sich darnach. Ohne Zweck ist diese Welt kein Ganzes; durch ihn ist jeder, was er ist.

Wenn einst die Stunde herbeikommt, wo auch mich die Reihe meiner Auflösung treffen wird, und der Tod auf mich, als seine Beute, hereinstürmen soll; wenn der Arzt die Achsel zuckt, und in den Augen meiner Freunde manche ängstliche verstohlene Träne sichtbar wird; wenn jeder von ihnen mit der Miene des Mitleidens und der Trauer auf mich herabschaut, und die Augenblicke berechnet, wo diese Gestalt, in welcher noch, obwohl schwacher Ausdruck des Lebens von der Gegenwart des in ihm wohnenden und zum Aufbruch fertigen Geistes zeigt, blass, kalt, starr und gefühllos da liegen wird, öd, wie eine Wohnung, die erst kurz ihren Bewohner verloren: dann, o Herr! lass mich diese Grundsätze nicht vergessen; dann lass mich nicht schwach erscheinen, an meiner Lehre zum Lügner, und meinem Leben ungetreu werden; dann gebiete dem Schmerzen, noch auf eine kleine Zeit zu schweigen, damit ich noch meine Kinder versammle, ihnen mein Leben als ein Beispiel, als ihr bestes Erbteil hinterlasse, sie zur Tugend auffordere, und ihnen sage: dass ich zwar von hinnen gehe, dass aber du, o Herr! für sie sorgen wirst. Dann lass mich noch zuvor der edlen, treuen Gefährtin meines Lebens für ihre Zärtlichkeit danken, Mut zusprechen, sie versichern, dass ich nicht ewig für sie verloren, bin; dann lass mich unter den Betrübten den Heitern sein; lass diesen Geist meiner Heiterkeit auch auf meine herumstehenden Freunde hinübergehen, sie dadurch einsehen und lernen, dass diese Heiterkeit und Gleichheit des Gemüts auf dem Sterbebette ganz allein Folge eines wohlverbrachten Lebens sei; dass die Tugend, wenigstens in diesem so entscheidenden Augenblick an der Gränze dieses Lebens niemals verlasse, obgleich ihre treuen Bekenner im Lauf des Lebens selbst mit sehr bitteren Unfällen zu kämpfen haben. Und weil ein Unterricht vom Sterbebette, unterstützt mit eigenem Beispiel, auf die Seelen der Umstehenden unverlöschlichen Eindruck macht: oh so lass um der Tugend willen mich diese wenigen Stunden, die mir noch gegeben sind, in lehrreichen Unterredungen über das Glück und die Macht der Tugend, über das Unglück des Lasters, über den Wert der Güter, über die Aussichten in eine sich mir bald näher öffnende Zukunft, dahinbringen. Und dann, dann, wenn ich dies alles mit Anstand und Erbauung vollendet habe: dann lass mich von der Erde weg, zu dir, dem ich bald eine Stufe näher rücken soll, hinwenden, die letzten Lebenskräfte sammeln, von der Fülle meines Herzens rufen, mit dem stärksten mir noch möglichen Ausdruck meines Vertrauens auf dich rufen:

Herr! die Tage meiner Wanderschaft auf Erden sind vollendet! Dein ist es nun, über mich zu richten, ob ich sie wohl oder übel vollbracht habe, ob ich deine Gnade oder Verwerfung verdiene. Ich habe die Wahrheit eifrig gesucht, weil sie dir, der du ganz Wahrheit bist unmöglich Missfallen kann. Ich habe allezeit nach meinen Grundsätzen und Überzeugung gehandelt, mit völliger Bereitwilligkeit jeder besser erkannten Wahrheit eifrig nachzuhängen. Ich habe getan, was an mir war. Habe ich geirrt, so war dieser Irrtum unfreiwillig. Meine um nichts bessere oder klügere Mitmenschen haben sich freilich meines Verstandes bemeistern Und mir manches als Wahrheit aufbringen wollen, was nur ihnen bewiesen schien. Sie haben mir daher aus Gründen, die nur für sie, nicht für mich überzeugend waren, meine Verwerfung angekündigt. Aber ich weiß es, Herr! dass die Urteile der Menschen nicht die deinigen sind. Schau also vielmehr auf meine Taten. Habe ich deine Vorschriften nicht befolgt: o! so denke, Unerfahrenheit, jugendliche Hitze und Leidenschaften haben sich meiner zu sehr, und so lang bemeistert, bis ich erst in späteren Jahren durch wiederholte Fehltritte und widrige Erfahrungen nachdrücklich belehrt worden, dass du, Herr! uns nichts gebietest, uns nichts verbietest, was nicht jeder Mensch sich selbst gebieten, selbst verbieten würde, wenn helle, reine Vernunft allzeit die einzige Führerin seiner Handlungen wäre. Aber dann, als meine Erfahrungen reifer geworden: hab ich auch dann noch deine Gaben missbraucht? meine Sinne, Wünsche und Meinungen dir nicht alle Zeit willig unterworfen? Habe ich jemals unter allen bitteren Schicksalen des Lebens über deine Vorsicht gemurrt? Ich war krank, denn du hast es gewollt; ich war arm, denn du hast es gewollt: und ich habe mich gefreut, krank und arm zu sein. Ich war, in Niedrigkeit und Verachtung: und sie waren mir willkommen, weil ich wusste, dass dieses dein Wille war. Ich habe bitteres Unrecht erlitten: aber ich habe auf dich vertraut, weil du weißt, warum du mir dies alles beschieden. Ich habe gewusst, dass mir hier weder Gutes noch Böses widerfahren kann, das nicht durch den Zusammenhang des Ganzen notwendig geworden. Ich habe aber auch gewusst, dass dieser Zusammenhang nicht allezeit und ewig mein Unglück erfordert. – Hast du mich, o Herr! mit meinem Stand unzufrieden gesehen? oder wann war ich kleinmütig, und habe nicht auf dich vertraut? Ich war allezeit bereit, alles zu leiden, was dir gefällig war, und bin es noch. Der geringste deiner Winke ist für mich heiliges, unverbrüchliches Gesetz. Du willst nun, dass ich, des Lebens müde oder nicht, von diesem so herrlichen Schauspiel abtrete, und ich komme sogleich, und danke dir tausendmal, dass mich deine Güte würdig gefunden, mich daran Anteilnehmen zu lassen, mir deine großen Werke zu zeigen, und vor meinen Augen diese erstaunliche Ordnung und Weisheit, nach dem Maß meiner schwachen Kräfte, zum Teil zu entwickeln, mit welcher du dieses Weltall beherrschest. – Und nun öffne sich immerhin der Schoß der Erde, empfange diese meine zurückbleibende Hülle, und vereinige mich näher mit dir, Wesen aller Wesen!