04 Kritik der praktischen Vernunft Teil 2

Kritik der praktischen Vernunft TEIL 2

Immanuel Kant (1781)

Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft

Unter der Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft kann man nicht die Art (sowohl im Nachdenken als im Vortrag), mit reinen praktischen Grundsätzen in Absicht auf ein wissenschaftliches Erkenntnis derselben zu verfahren, verstehen, welches man sonst im theoretischen eigentlich allein Methode nennt (denn populäres Erkenntnis bedarf einer Manier, Wissenschaft aber einer Methode, d.h. eines Verfahrens nach Prinzipien der Vernunft, wodurch das Mannigfaltige einer Erkenntnis allein ein System werden kann). Vielmehr wird unter dieser Methodenlehre die Art verstanden, wie man den Gesetzen der reinen praktischen Vernunft Eingang in das menschliche Gemüt, Einfluss auf die Maximen desselben verschaffen, d.h. die objektiv-praktische Vernunft auch subjektiv praktisch machen könne.

Nun ist zwar klar, dass diejenigen Bestimmungsgründe des Willens, welche allein die Maximen eigentlich moralisch machen und ihnen einen sittlichen Wert geben, die unmittelbare Vorstellung des Gesetzes und die objektiv-notwendige Befolgung desselben als Pflicht, als die eigentlichen Triebfedern der Handlungen vorgestellt werden müssen; weil sonst zwar Legalität der Handlungen, aber nicht Moralität der Gesinnungen bewirkt werden würde. Allein nicht so klar, vielmehr beim ersten Anblick ganz unwahrscheinlich, muss es jedermann vorkommen, dass auch subjektiv jene Darstellung der reinen Tugend mehr Macht über das menschliche Gemüt haben und eine weit stärkere Triebfeder abgeben könne, selbst jene Legalität der Handlungen zu bewirken, und kräftigere Entschließungen hervorzubringen, das Gesetz, aus reiner Achtung für dasselbe, jeder anderer Rücksicht vorzuziehen, als alle Anlockungen, die aus Vorspiegelungen von Vergnügen und überhaupt allem dem, was man zur Glückseligkeit zählen mag, oder auch alle Androhungen von Schmerz und Übeln jemals wirken können. Gleichwohl ist es wirklich so bewandt, und wäre es nicht so mit der menschlichen Natur beschaffen, so würde auch keine Vorstellungsart des Gesetzes durch Umschweife und empfehlende Mittel jemals Moralität der Gesinnung hervorbringen. Alles wäre lauter Gleisnerei, das Gesetz würde gehasst, oder wohl gar verachtet, indessen doch um eigenen Vorteils willen befolgt werden.

Der Buchstabe des Gesetzes (Legalität) würde in unseren Handlungen anzutreffen sein, der Geist derselben aber in unseren Gesinnungen (Moralität) gar nicht, und da wir mit aller unserer Bemühung uns doch in unserem Urteil nicht ganz von der Vernunft los machen können, so würden wir unvermeidlich in unseren eigenen Augen als nichtswürdige, verworfene Menschen erscheinen müssen, wenn wir uns gleich für diese Kränkung vor dem inneren Richterstuhl dadurch schadlos zu halten versuchten, dass wir uns an den Vergnügen ergötzten, die ein von uns angenommenes natürliches oder göttliches Gesetz, unserem Wahn nach, mit dem Maschinenwesen ihrer Polizei, die sich bloß nach dem richtete, was man tut, ohne sich um die Bewegungsgründe, warum man es tut, zu bekümmern, verbunden hätte.
Zwar kann man nicht in Abrede sein, dass, um ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes Gemüt zuerst ins Gleis des moralisch-Guten zu bringen, es einiger vorbereitenden Anleitungen bedürfe, es durch seinen eigenen Vorteil zu locken, oder durch den Schaden zu schrecken; allein, sobald dieses Maschinenwerk, dieses Gängelband, nur einige Wirkung getan hat, so muss durchaus der reine moralische Bewegungsgrund an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch, dass er der einzige ist, welcher einen Charakter (praktische konsequente Denkungsart nach unveränderlichen Maximen) gründet, sondern auch darum, weil er den Menschen seine eigene Würde fühlen lehrt, dem Gemüt eine ihm selbst unerwartete Kraft gibt, sich von aller sinnlichen Anhänglichkeit, sofern sie herrschend werden will, loszureißen, und in der Unabhängigkeit seiner intelligiblen Natur und der Seelengröße, dazu er sich bestimmt sieht, für die Opfer, die er darbringt, reichliche Entschädigung zu finden.

Wir wollen also diese Eigenschaft unseres Gemüts, diese Empfänglichkeit eines reinen moralischen Interesses, und mithin die bewegende Kraft der reinen Vorstellung der Tugend, wenn sie gehörig ans menschliche Herz gebracht wird, als die mächtigste, und, wenn es auf die Dauer und Pünktlichkeit in Befolgung moralischer Maximen ankommt, einzige Triebfeder zum Guten, durch Beobachtungen, die ein jeder anstellen kann, beweisen; wobei doch zugleich erinnert werden muss, dass, wenn diese Beobachtungen nur die Wirklichkeit eines solchen Gefühls, nicht aber dadurch zu Stande gebrachte sittliche Besserung beweisen, dieses der einzigen Methode, die objektiv-praktischen Gesetze der reinen Vernunft durch bloße reine Vorstellung der Pflicht subjektiv-praktisch zu machen, keinen Abbruch tue, gleich als ob sie eine leere Phantasterei wäre. Denn, da diese Methode noch niemals in Gang gebracht wurde, so kann auch die Erfahrung noch nichts von ihrem Erfolg aufzeigen, sondern man kann nur Beweistümer der Empfänglichkeit solcher Triebfedern fordern, die ich jetzt kürzlich vorlegen und danach die Methode der Gründung und Kultur echter moralischer Gesinnungen, mit wenigem, entwerfen will.

Wenn man auf den Gang der Gespräche in gemischten Gesellschaften, die nicht bloß aus Gelehrten und Vernünftlern, sondern auch aus Leuten von Geschäften oder Frauenzimmern bestehen, Acht hat, so bemerkt man, dass, außer dem Erzählen und Scherzen, noch eine Unterhaltung, nämlich das Räsonieren, darin Platz findet; weil das Erstere, wenn es Neuigkeit, und, mit ihr, Interesse bei sich führen soll, bald erschöpft, das zweite aber leicht schal wird. Unter allem Räsonieren ist aber keines, was mehr den Beitritt der Personen, die sonst bei allem Vernünfteln bald lange Weile haben, erregt, und eine gewisse Lebhaftigkeit in die Gesellschaft bringt, als das über den sittlichen Wert dieser oder jener Handlung, dadurch der Charakter irgendeiner Person ausgemacht werden soll. Diejenigen, welchen sonst alles Subtile und Grüblerische in theoretischen Fragen trocken und verdrießlich ist, treten bald bei, wenn es darauf ankommt, den moralischen Gehalt einer erzählten guten oder bösen Handlung auszumachen, und sind so genau, so grüblerisch, so subtil, alles, was die Reinigkeit der Absicht, und mithin den Grad der Tugend in derselben vermindern, oder auch nur verdächtig machen könnte, auszusinnen, als man bei keinem Objekt der Spekulation sonst von ihnen erwartet. Man kann in diesen Beurteilungen oft den Charakter der über andere urteilenden Personen selbst hervorschimmern sehen, deren einige vorzüglich geneigt scheinen, indem sie ihr Richteramt, vornehmlich über Verstorbene, ausüben, das Gute, was von dieser oder jener Tat derselben erzählt wird, wider alle kränkenden inwürfe der Unlauterkeit und zuletzt den ganzen sittlichen Wert der Person wider den Vorwurf der Verstellung und geheimen Bösartigkeit zu verteidigen, andere dagegen mehr auf Anklagen und Beschuldigungen sinnen, diesen Wert anzufechten. Doch kann man den letzteren nicht immer die Absicht beimessen, Tugend aus allen Beispielen der Menschen gänzlich wegvernünfteln zu wollen, um sie dadurch zum leeren Namen zu machen, sondern es ist oft nur wohlgemeinte Strenge in Bestimmung des echten sittlichen Gehalts, nach einem unnachsichtlichen Gesetz, mit welchem und nicht mit Beispielen verglichen der Eigendünkel im Moralischen sehr sinkt, und Demut nicht etwa bloß gelehrt, sondern bei scharfer Selbstprüfung von jedem gefühlt wird. Dennoch kann man den Verteidigern der Reinigkeit der Absicht in gegebenen Beispielen es mehrenteils ansehen, dass sie ihr da, wo sie die Vermutung der Rechtschaffenheit für sich hat, auch den mindesten Fleck gerne abwischen möchten, aus dem Bewegungsgrund, damit nicht, wenn allen Beispielen ihre Wahrhaftigkeit gestritten und aller menschlichen Tugend die Lauterkeit weggeleugnet würde, diese nicht endlich gar für ein bloßes Hirngespinst gehalten, und so alle Bestrebung zu derselben als eitles Geziere und trüglicher Eigendünkel geringschätzig gemacht werde.

Ich weiß nicht, warum die Erzieher der Jugend von diesem Hang der Vernunft, in aufgeworfenen praktischen Fragen selbst die subtilste Prüfung mit Vergnügen einzuschlagen, nicht schon längst Gebrauch gemacht haben, und, nachdem sie einen bloß moralischen Katechismus zum Grunde legten, sie nicht die Biographien alter und neuer Zeiten in der Absicht durchsuchten, um Belege zu den vorgelegten Pflichten bei der Hand zu haben, an denen sie, vornehmlich durch die Vergleichung ähnlicher Handlungen unter verschiedenen Umständen, die Beurteilung ihrer Zöglinge in Tätigkeit setzten, um den minderen oder größeren moralischen Gehalt derselben zu bemerken, als worin sie selbst die frühe Jugend, die zu aller Spekulation sonst noch unreif ist, bald sehr scharfsichtig, und dabei, weil sie den Fortschritt ihrer Urteilskraft fühlt, nicht wenig interessiert finden werden, was aber das Vornehmste ist, mit Sicherheit hoffen können, dass die öftere Übung, das Wohlverhalten in seiner ganzen Reinigkeit zu kennen und ihm Beifall zu geben, dagegen selbst die kleinste Abweichung von ihr mit Bedauern oder Verachtung zu bemerken, ob es zwar bis dahin nur ein Spiel der Urteilskraft, in welchem Kinder miteinander wetteifern können, getrieben wird, dennoch einen dauerhaften Eindruck der Hochschätzung auf der einen und des Abscheues auf der andern Seite zurücklassen werde, welche, durch bloße Gewohnheit, solche Handlungen als beifalls- oder tadelswürdig öfters anzusehen, zur Rechtschaffenheit im künftigen Lebenswandel eine gute Grundlage ausmachen würden. Nur wünsche ich sie mit Beispielen sogenannter edler (überverdienstlicher) Handlungen, mit welchen unsere empfindsamen Schriften so viel um sich werfen, zu verschonen, und alles bloß auf Pflicht und den Wert, den ein Mensch sich in seinen eigenen Augen durch das Bewusstsein, sie nicht übertreten zu haben, geben kann und muss, auszusetzen, weil, was auf leere Wünsche und Sehnsüchte nach unersteiglicher Vollkommenheit hinausläuft, lauter Romanhelden hervorbringt, die, indem sie sich auf ihr Gefühl für das überschwenglich-Große viel zu Gute tun, sich dafür von der Beobachtung der gemeinen und gangbaren Schuldigkeit, die alsdann ihnen nur unbedeutend klein scheint, freisprechen.

Wenn man aber fragt, was denn eigentlich die reine Sittlichkeit ist, an der, als dem Probemetall, man jeder Handlung moralischen Gehalt prüfen müsse, so muss ich gestehen, dass nur Philosophen die Entscheidung dieser Frage zweifelhaft machen können; denn in der gemeinen Menschenvernunft ist sie, zwar nicht durch abgezogene allgemeine Formeln, aber doch durch den gewöhnlichen Gebrauch, gleichsam als der Unterschied zwischen der rechten und linken Hand, längst entschieden. Wir wollen also vorerst das Prüfungsmerkmal der reinen Tugend an einem Beispiel zeigen, und, indem wir uns vorstellen, dass es etwa einem zehnjährigen Knaben zur Beurteilung vorgelegt wurde, sehen, ob er auch von selber, ohne durch den Lehrer dazu angewiesen zu sein, notwendig so urteilen müsste. Man erzähle die Geschichte eines redlichen Mannes, den man bewegen will, den Verleumdern einer unschuldigen, übrigens nicht vermögenden Person (wie etwa Anna von Boleyn auf Anklage Heinrichs VIII. von England) beizutreten. Man bietet Gewinne, d.h. große Geschenke oder hohen Rang an, er schlägt sie aus. Dieses wird bloßen Beifall und Billigung in der Seele des Zuhörers wirken, weil es Gewinn ist. Nun fängt man es mit Androhung des Verlusts an. Es sind unter diesen Verleumdern seine besten Freunde, die ihm jetzt ihre Freundschaft aufsagen, nahe Verwandte, die ihn (der ohne Vermögen ist) zu enterben drohen, Mächtige, die ihn in jedem Ort und Zustand verfolgen und kränken können, ein Landesfürst, der ihn mit dem Verlust der Freiheit, ja des Lebens selbst bedroht. Um ihn aber, damit das Maß des Leidens voll sei, auch den Schmerz fühlen zu lassen, den nur das sittlich gute Herz recht inniglich fühlen kann, mag man seine mit äußerster Not und Dürftigkeit bedrohte Familie ihn um Nachgiebigkeit anflehend, ihn selbst, obzwar rechtschaffen, doch eben nicht von festen unempfindlichen Organen des Gefühls, für Mitleid sowohl als eigener Not, in einem Augenblick, darin er wünscht, den Tag nie erlebt zu haben, der ihn einem so unaussprechlichen Schmerz aussetzte, dennoch seinem Vorsatz der Redlichkeit, ohne zu wanken oder nur zu zweifeln, treu bleibend, vorstellen, so wird mein jugendlicher Zuhörer stufenweise, von der bloßen Billigung zur Bewunderung, von da zum Erstaunen, endlich bis zur größten Verehrung, und einem lebhaften Wunsch, selbst ein solcher Mann sein zu können (obzwar freilich nicht in seinem Zustand), erhoben werden; und gleichwohl ist hier die Tugend nur darum so viel wert, weil sie so viel kostet, nicht weil sie etwas einbringt.

Die ganze Bewunderung und selbst Bestrebung zur Ähnlichkeit mit diesem Charakter beruht hier gänzlich auf der Reinigkeit des sittlichen Grundsatzes, welche nur dadurch recht in die Augen fallend vorgestellt werden kann, dass man alles, was Menschen nur zur Glückseligkeit zählen mögen, von den Triebfedern der Handlung wegnimmt. Also muss die Sittlichkeit auf das menschliche Herz desto mehr Kraft haben, je reiner sie dargestellt wird. Woraus denn folgt, dass, wenn das Gesetz der Sitten und das Bild der Heiligkeit und Tugend auf unsere Seele überall einigen Einfluss ausüben soll, sie diesen nur so fern ausüben könne, als sie rein, unvermengt von Absichten auf sein Wohlbefinden, als Triebfeder ans Herz gelegt wird, darum weil sie sich im Leiden am herrlichsten zeigt. Dasjenige aber, dessen Wegräumung die Wirkung einer bewegenden Kraft verstärkt, muss ein Hindernis gewesen sein. Folglich ist alle Beimischung der Triebfedern, die von eigener Glückseligkeit hergenommen werden, ein Hindernis, dem moralischen Gesetz Einfluss aufs menschliche Herz zu verschaffen. Ich behaupte ferner, dass selbst in jener bewunderten Handlung, wenn der Bewegungsgrund, daraus sie geschah, die Hochschätzung seiner Pflicht war, alsdann eben diese Achtung für das Gesetz, nicht etwa ein Anspruch auf die innere Meinung von Großmut und edler verdienstlicher Denkungsart, gerade auf das Gemüt des Zuschauers die größte Kraft habe, folglich Pflicht, nicht Verdienst, den nicht allein bestimmtesten, sondern, wenn sie im rechten Licht ihrer Unverletzlichkeit vorgestellt wird, auch den eindringendsten Einfluss aufs Gemüt haben müsse.

In unseren Zeiten, wo man mehr mit schmelzenden weichherzigen Gefühlen oder hochfliegenden, aufblähenden und das Herz eher welk, als stark, machenden Anmaßungen über das Gemüt mehr auszurichten hofft, als durch die der menschlichen Unvollkommenheit und dem Fortschritt im Guten angemessenere trockene und ernsthafte Vorstellung der Pflicht, ist die Hinweisung auf diese Methode nötiger, als jemals Kindern Handlungen als edle, großmütige, verdienstliche zum Muster aufzustellen, in der Meinung, sie durch Einflößung eines Enthusiasmus für dieselbe einzunehmen, ist vollends zweckwidrig. Denn da sie noch in der Beobachtung der gemeinsten Pflicht und selbst in der richtigen Beurteilung derselben so weit zurück sind, so heißt das so viel, als sie beizeiten zu Phantasten zu machen. Aber auch bei dem belehrten und erfahrenen Teil der Menschen ist diese vermeinte Triebfeder, wo nicht von nachteiliger, wenigstens von keiner echten moralischen Wirkung aufs Herz, die man dadurch doch hat zuwege bringen wollen.

Alle Gefühle, vornehmlich die so ungewohnte Anstrengung bewirken sollen, müssen in dem Augenblick, da sie in ihrer Heftigkeit sind, und ehe sie verbrausen, ihre Wirkung tun, sonst tun sie nichts; indem das Herz natürlicherweise zu seiner natürlichen gemäßigten Lebensbewegung zurückkehrt, und sonach in die Mattigkeit verfällt, die ihm vorher eigen war; weil zwar etwas, was es reizte, nichts aber, das es stärkte, an dasselbe gebracht war. Grundsätze müssen auf Begriffen errichtet werden, auf alle andere Grundlagen können nur Anwandelungen zu Stande kommen, die der Person keinen moralischen Wert, ja nicht einmal eine Zuversicht auf sich selbst verschaffen können, ohne die das Bewusstsein seiner moralischen Gesinnung und eines solchen Charakters, das höchste Gut im Menschen, gar nicht stattfinden kann.
Diese Begriffe nun, wenn sie subjektiv praktisch werden sollen, müssen nicht bei den objektiven Gesetzen der Sittlichkeit stehen bleiben, um sie zu bewundern, und in Bezug auf die Menschheit hochzuschätzen, sondern ihre Vorstellung in Relation auf den Menschen und auf sein Individuum betrachten; da denn jenes Gesetz in einer zwar höchst achtungswürdigen, aber nicht so gefälligen Gestalt erscheint, als ob es zu dem Element gehöre, daran er natürlicherweise gewohnt ist, sondern wie es ihn nötigte, dieses oft, nicht ohne Selbstverleugnung, zu verlassen, und sich in ein Höheres zu begeben, darin er sich, mit unaufhörlicher Besorgnis des Rückfalls, nur mit Mühe erhalten kann. Mit einem Wort, das moralische Gesetz verlangt Befolgung aus Pflicht, nicht aus Vorliebe, die man gar nicht voraussetzen kann und soll.

Lasst uns nun im Beispiel sehen, ob in der Vorstellung einer Handlung als edler und großmütiger Handlung mehr subjektiv bewegende Kraft einer Triebfeder liege, als, wenn diese bloß als Pflicht in Verhältnis auf das ernste moralische Gesetz vorgestellt wird. Die Handlung, da jemand, mit der größten Gefahr des Lebens, Leute aus dem Schiffbruch zu retten sucht, wenn er zuletzt dabei selbst sein Leben einbüßt, wird zwar einerseits zur Pflicht, andererseits aber und größtenteils auch für verdienstliche Handlung angerechnet, aber unsere Hochschätzung derselben wird gar sehr durch den Begriff von Pflicht gegen sich selbst, welche hier etwas Abbruch zu leiden scheint, geschwächt. Entscheidender ist die großmütige Aufopferung seines Lebens zur Erhaltung des Vaterlandes, und doch, ob es auch so vollkommen Pflicht sei, sich von selbst und unbefohlen dieser Absicht zu weihen, darüber bleibt einiger Skrupel übrig, und die Handlung hat nicht die ganze Kraft eines Musters und Antriebes zur Nachahmung in sich. Ist es aber unerlässliche Pflicht, deren Übertretung das moralische Gesetz an sich und ohne Rücksicht auf Menschenwohl verletzt, und dessen Heiligkeit gleichsam mit Füßen tritt (dergleichen Pflichten man Pflichten gegen Gott zu nennen pflegt, weil wir uns in ihm das Ideal der Heiligkeit in Substanz denken), so widmen wir der Befolgung desselben, mit Aufopferung alles dessen, was für die innigste aller unserer Neigungen nur immer einen Wert haben mag, die allervollkommenste Hochachtung, und wir finden unsere Seele durch ein solches Beispiel gestärkt und erhoben, wenn wir an demselben uns überzeugen können, dass die menschliche Natur zu einer so großen Erhebung über alles, was Natur nur immer an Triebfedern zum Gegenteil aufbringen mag, fähig sei. Juvenal stellt ein solches Beispiel in einer Steigerung vor, die den Leser die Kraft der Triebfeder, die im reinen Gesetz der Pflicht, als Pflicht, steckt, lebhaft empfinden lässt: Esto bonus miles, tutor bonus, arbiter idem Integer; ambiguae si quando citabere testis Incertaeque rei, Phalaris licet imperet, ut sis Falsus, et admoto dictet periuria tauro: Summum crede nefas animam praeferre pudori, Et propter vitam vivendi perdere causas.

Wenn wir irgendetwas Schmeichelhaftes vom Verdienstlichen in unsere Handlung bringen können, denn ist die Triebfeder schon mit Eigenliebe etwas vermischt, hat also einige Beihilfe von der Seite der Sinnlichkeit. Aber der Heiligkeit der Pflicht allein alles nachsetzen, und sich bewusst werden, dass man es könne, weil unsere eigene Vernunft dieses als ihr Gebot anerkennt, und sagt, dass man es tun solle, das heißt sich gleichsam über die Sinnenwelt selbst gänzlich erheben, und ist in demselben Bewusstsein des Gesetzes auch als Triebfeder eines die Sinnlichkeit beherrschenden Vermögens unzertrennlich, wenn gleich nicht immer mit Effekt verbunden, der aber doch auch, durch die öftere Beschäftigung mit derselben, und die anfangs kleineren Versuche ihres Gebrauchs, Hoffnung zu seiner Bewirkung gibt, um in uns nach und nach das größte, aber reine moralische Interesse daran hervorzubringen.

Die Methode nimmt also folgenden Gang. Zuerst ist es nur darum zu tun, die Beurteilung nach moralischen Gesetzen zu einer natürlichen, alle unsere eigene sowohl als die Beobachtung fremder freier Handlungen begleitenden Beschäftigung und gleichsam zur Gewohnheit zu machen, und sie zu schärfen, indem man vorerst fragt, ob die Handlung objektiv dem moralischen Gesetz, und welchem, gemäß sei; wobei man denn die Aufmerksamkeit auf dasjenige Gesetz, welches bloß einen Grund zur Verbindlichkeit an die Hand gibt, von dem unterscheidet, welches in der Tat verbindend ist (leges obligandi a legibus obligantibus), (wie z.B. das Gesetz desjenigen, was das Bedürfnis der Menschen im Gegensatz dessen, was das Recht derselben von mir fordert, wovon das letztere wesentliche, das erstere aber nur außerwesentliche Pflichten vorschreibt) und so verschiedene Pflichten, die in einer Handlung zusammenkommen, unterscheiden lehrt. Der andere Punkt, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet werden muss, ist die Frage, ob die Handlung auch (subjektiv) um des moralischen Gesetzes willen geschehen, und also sie nicht allein sittliche Richtigkeit, als Tat, sondern auch sittlichen Wert, als Gesinnung, ihrer Maxime nach habe.

Nun ist kein Zweifel, dass diese Übung, und das Bewusstsein einer daraus entspringenden Kultur unserer bloß über das Praktische urteilenden Vernunft, ein gewisses Interesse, selbst am Gesetz derselben, mithin an sittlich guten Handlungen nach und nach hervorbringen müsse. Denn wir gewinnen endlich das lieb, dessen Betrachtung uns den erweiterten Gebrauch unserer Erkenntniskräfte empfinden lässt, welchen vornehmlich dasjenige befördert, worin wir moralische Richtigkeit antreffen; weil sich die Vernunft in einer solchen Ordnung der Dinge mit ihrem Vermögen, a priori nach Prinzipien zu bestimmen was geschehen soll, allein gut finden kann. Gewinnt doch ein Naturbeobachter Gegenstände, die seinen Sinnen anfangs anstößig sind, endlich lieb, wenn er die große Zweckmäßigkeit ihrer Organisation daran entdeckt, und so seine Vernunft an ihrer Betrachtung weidet, und Leibniz brachte ein Insekt, welches er durchs Mikroskop sorgfältig betrachtet hatte, schonend wiederum auf sein Blatt zurück, weil er sich durch seinen Anblick belehrt gefunden, und von ihm gleichsam eine Wohltat genossen hatte.

Aber diese Beschäftigung der Urteilskraft, welche uns unsere eigenen Erkenntniskräfte fühlen lässt, ist noch nicht das Interesse an den Handlungen und ihrer Moralität selbst. Sie macht bloß, dass man sich gerne mit einer solchen Beurteilung unterhält, und gibt der Tugend, oder der Denkungsart nach moralischen Gesetzen, eine Form der Schönheit, die bewundert, darum aber noch nicht gesucht wird (laudatur et alget), wie alles, dessen Betrachtung subjektiv ein Bewusstsein der Harmonie unserer Vorstellungskräfte bewirkt, und wobei wir unser ganzes Erkenntnisvermögen (Verstand und Einbildungskraft) gestärkt fühlen, ein Wohlgefallen hervorbringt, das sich auch andern mitteilen lässt, wobei gleichwohl die Existenz des Objekts uns gleichgültig bleibt, indem es nur als die Veranlassung angesehen wird, der über die Tierheit erhabenen Anlage der Talente in uns inne zu werden.

Nun tritt aber die zweite Übung ihr Geschäft an, nämlich, in der lebendigen Darstellung der moralischen Gesinnung an Beispielen, die Reinigkeit des Willens bemerklich zu machen, vorerst nur als negativer Vollkommenheit desselben, so fern in einer Handlung aus Pflicht gar keine Triebfedern der Neigungen als Bestimmungsgründe auf ihn einfließen; wodurch der Lehrling doch auf das Bewusstsein seiner Freiheit aufmerksam erhalten wird; und obgleich diese Entsagung eine anfängliche Empfindung von Schmerz erregt, dennoch dadurch, dass sie jenen Lehrling dem Zwang selbst wahrer Bedürfnisse entzieht, ihm zugleich eine Befreiung von der mannigfaltigen Unzufriedenheit, darin ihn alle diese Bedürfnisse verflechten, angekündigt, und das Gemüt für die Empfindung der Zufriedenheit aus anderen Quellen empfänglich gemacht wird. Das Herz wird doch von einer Last, die es jederzeit insgeheim drückt, befreit und erleichtert, wenn an reinen moralischen Entschließungen, davon Beispiele vorgelegt werden, dem Menschen ein inneres, ihm selbst sonst nicht einmal recht bekanntes Vermögen, die innere Freiheit, aufgedeckt wird, sich von der ungestümen Zudringlichkeit der Neigungen dermaßen loszumachen, dass gar keine, selbst die beliebteste nicht, auf eine Entschließung, zu der wir uns jetzt unserer Vernunft bedienen sollen, Einfluss habe. In einem Fall, wo ich nur allein weiß, dass das Unrecht auf meiner Seite sei, und, obgleich das freie Geständnis desselben, und die Anerbietung zur Genugtuung an der Eitelkeit, dem Eigennutz, selbst dem sonst nicht unrechtmäßigen Widerwillen gegen den, dessen Recht von mir geschmälert ist, so großen Widerspruch findet, dennoch mich über alle diese Bedenklichkeiten wegsetzen kann, ist doch ein Bewusstsein einer Unabhängigkeit von Neigungen und von Glücksumständen, und der Möglichkeit, sich selbst genug zu sein, enthalten, welche mir überall auch in anderer Absicht heilsam ist. Und nun findet das Gesetz der Pflicht, durch den positiven Wert, den uns die Befolgung desselben empfinden lässt, leichteren Eingang durch die Achtung für uns selbst im Bewusstsein unserer Freiheit. Auf diese, wenn sie wohl gegründet ist, wenn der Mensch nichts stärker scheu, als sich in der inneren Selbstprüfung in seinen eigenen Augen geringschätzig und verwerflich zu finden, kann nun jede gute sittliche Gesinnung gepfropft werden; weil dieses der beste, ja der einzige Wächter ist, das Eindringen unedler und verderbender Antriebe vom Gemüt abzuhalten.

Ich habe hiermit nur auf die allgemeinsten Maximen der Methodenlehre einer moralischen Bildung und Übung hinweisen wollen. Da die Mannigfaltigkeit der Pflichten für jede Art derselben noch besondere Bestimmungen erforderte, und so ein weitläuftiges Geschäft ausmachen würde, so wird man mich für entschuldigt halten, wenn ich, in einer Schrift, wie diese, die nur Vorübung ist, es bei diesen Grundzügen bewenden lasse.

Beschluss
Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt oder im Überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreis, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz. Das erste fängt von dem Platz an, den ich in der äußern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich-Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, an, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstand spürbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich nicht, wie dort, in bloß zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Verknüpfung erkenne.

Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muss, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweite erhebt dagegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmäßigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmen lässt.

Allein, Bewunderung und Achtung können zwar zur Nachforschung reizen, aber den Mangel derselben nicht ersetzen. Was ist nun zu tun, um diese, auf nutzbare und der Erhabenheit des Gegenstandes angemessene Art, anzustellen? Beispiele mögen hierbei zur Warnung, aber auch zur Nachahmung dienen. Die Weltbetrachtung fing von dem herrlichsten Anblick an, den menschliche Sinn nur immer vorlegen, und unser Verstand, in ihrem weiten Umfang zu verfolgen, nur immer vertragen kann, und endigte mit der Sterndeutung. Die Moral fing mit der edelsten Eigenschaft in der menschlichen Natur an, deren Entwicklung und Kultur auf unendlichen Nutzen hinaussieht, und endigte mit der Schwärmerei oder dem Aberglauben. So geht es allen noch rohen Versuchen, in denen der vornehmste Teil des Geschäftes auf den Gebrauch der Vernunft ankommt, der nicht, so wie der Gebrauch der Füße, sich von selbst, vermittelst der öfteren Ausübung, findet, vornehmlich wenn er Eigenschaften betrifft, die sich nicht so unmittelbar in der gemeinen Erfahrung darstellen lassen. Nachdem aber, wiewohl spät, die Maxime in Schwang gekommen war, alle Schritte vorher wohl zu überlegen, die die Vernunft zu tun vorhat, und sie nicht anders, als im Gleis einer vorher wohl überdachten Methode, ihren Gang machen zu lassen, so bekam die Beurteilung des Weltgebäudes eine ganz andere Richtung, und, mit dieser, zugleich einen, ohne Vergleichung, glücklicheren Ausgang.

Der Fall eines Steins, die Bewegung einer Schleuder, in ihre Elemente und dabei sich äußernde Kräfte aufgelöst, und mathematisch bearbeitet, brachte zuletzt diejenige klare und für alle Zukunft unveränderliche Einsicht in den Weltbau hervor, die, bei fortgehender Beobachtung, hoffen kann, sich immer nur zu erweitern, niemals aber, zurückgehen zu müssen, fürchten darf. Diesen Weg nun in Behandlung der moralischen Anlagen unserer Natur gleichfalls einzuschlagen, kann uns jenes Beispiel anrätig sein, und Hoffnung zu ähnlichem guten Erfolg geben. Wir haben doch die Beispiele der moralisch-urteilenden Vernunft bei Hand. Diese nun in ihre Elementarbegriffe zu zergliedern, in Ermangelung der Mathematik aber ein der Chemie ähnliches Verfahren, der Scheidung des Empirischen vom Rationalen, das sich in ihnen vorfinden möchte, in wiederholten Versuchen am gemeinen Menschenverstand vorzunehmen, kann uns beides rein, und, was jedes für sich allein leisten könne, mit Gewissheit kennbar machen, und so, teils der Verirrung einer noch rohen ungeübten Beurteilung, teils (welches weit nötiger ist) den Genieschwüngen vorbeugen, durch welche, wie es von Adepten des Steins der Weisen zu geschehen pflegt, ohne alle methodische Nachforschung und Kenntnis der Natur, geträumte Schätze versprochen und wahre verschleudert werden.

Mit einem Wort, Wissenschaft (kritisch gesucht und methodisch eingeleitet) ist die enge Pforte, die zur Weisheitslehre führt, wenn unter dieser nicht bloß verstanden wird, was man tun, sondern was Lehrern zur Richtschnur dienen soll, um den Weg zur Weisheit, den jedermann gehen soll, gut und kenntlich zu bahnen, und andere vor Irrwegen zu sichern; eine Wissenschaft, deren Aufbewahrerin jederzeit die Philosophie bleiben muss, an deren subtiler Untersuchung das Publikum keinen Anteil, wohl aber an den Lehren zu nehmen hat, die ihm, nach einer solchen Bearbeitung, allererst recht hell einleuchten können.