03 Dritter Dialog

Dritter Dialog

Personen: GERVASIO, POLIINNIO, DICSON, TEOFILO

GERVASIO. Die Stunde ist doch schon da, und sie sind nicht gekommen! Weil ich eben nichts anderes vorhabe, was mich reizte, so möchte ich mir das Vergnügen gönnen, ihre Verhandlungen mit anzuhören. Dabei habe ich, ausser dass ich diesen oder jenen philosophischen Schachzug lernen kann, noch obendrein einen köstlichen Zeitvertreib an den Grillen, die in dein wunderlichen Gehirn jenes Pedanten, des Poliinnio, herumspuken. Erst erklärt er, er wolle darüber richten, wer gut redet, wer am besten disputiert, wer sich Widersprüche und Irrtümer im Philosophieren zu Schulden kommen lässt; und nachher, wenn die Reihe an ihm ist, seinen Part aufzusagen, weiss er nicht, was er vorbringen soll, und schüttelt in seiner windigen Schulfuchserei einen Salat von Sprichwörtlein, von Redensarten auf lateinisch oder griechisch aus dem Ärmel, die niemals zu dem was die andern sagen, die mindeste Beziehung haben. Jeder Blinde kann deshalb ohne allzu große Schwierigkeit sehen, was für ein großer Narr er ist bei aller seiner Gelehrsamkeit, während andere in ihrem schlichten Menschenverstand Weise sind. Doch, da, ist er ja bei meiner Treue! Wie er daher kommt, dass es scheint, als wisse er selbst die Bewegung seiner Schritte philosophisch zu regeln! Willkommen sei der dominus magister!

POLIINNIO. Aas diesem »Magister« mache ich mir sehr wenig; zumal in dieser abgeschmackten und verkehrten Zeit solcher Titel ebensowohl wie meines Gleichen auch jedem beliebigen Barbier, Professionisten und Sauschneider beigelegt wird; deswegen auch ergehet an uns der Rat: Nolite vocari Rabbi!

GERVASIO. Wie wollt ihr denn, dass ich euch anrede? Gefiele euch: »Hochehrwürdigster«?

POLIINNIO. Dieses passet den Presbytern und dem Klerus.

GERVASIO. So habt ihr vielleicht Sehnsucht nach dem Titel: »Erlauchtester«?

POLIINNIO. Cedant arma togae! Solcher Titel gebühret mehr Leuten von ritterlichem Stande, sowie solchen vom Hofe.

GERVASIO. »Kaiserliche Majestät«, – wie wär’s?

POLIINNIO. Quae Caesaris, Caesari!

GERVASIO. Ei, so nehmt denn für euch das »domine« schlechtweg, mein Lieber; lasst’ den Schwerdonnernden, den divûm pater aus dem Spiel! Kommen wir auf uns; warum stellt ihr euch alle so spät ein?

POLIINNIO. Ich vermeine, die andern werden in irgend ein anderes Geschäft kompliziert sein, gleich wie ich, um nicht diesen Tag ohne seine Linea vorüberzulassen, mich mit der Betrachtung des Abbildes der Erdkugel abgegeben habe, was man so vulgär einen Atlas nennt.

GERVASIO. Was habt ihr mit Atlanten zu schaffen?

POLIINNIO. Ich betrachte die Erdteile, die Klimate, Provinzen und Landschaften, die ich alle insgesamt  im Idealfall in der Vorstellung, viele auch mit meinen Schritten durchsucht habe.

GERVASIO. Besser wär’s, du hieltest ein wenig in dir selber Umschau; denn das, scheint mir, wäre dir viel wichtiger, und ich glaube, darum bemühst du dich allzu wenig.

POLIINNIO. Absit verbo invidia; ohne mich selber zu rühmen; denn auf jenem Wege gelange ich viel wirksamer dahin, mich selber zu erkennen.

GERVASIO. Wie möchtest du mir das beweisen?

POLIINNIO. Da man von der Betrachtung des Makrokosmos leicht – so man nämlich gebührendermaßen per analogiam weiter schließt – zu der Erkenntnis des Mikrokosmos gelangen kann, dessen Teilchen den Teilen von jenem korrespondieren.

GERVASIO. So fänden wir also in euch den Mond, den Merkur, und andre Sterne, Frankreich, Spanien, Italien, England, Calecut[Indien] und andere Länder wieder?

POLIINNIO. Quidni? Per quandam analogiam!

GERVASIO. Per quandam analogiam glaube ich, dass ihr ein großer Monarch seid: aber wenn ihr eine Dame wärt, so würde ich euch fragen, ob bei euch Platz ist, ein Büblein zu beherbergen, oder eines jener Pflänzchen aufzubewahren, von denen Diogenes sprach.

POLIINNIO. Ah, ah, quodammodo facete! Ein lustiger Spass! Aber solche Frage schickt sich nicht wohl für einen weisen und hochgelehrten Mann!

GERVASIO. Wenn ich ein Gelehrter wäre oder mich für weise hielte, würde ich nicht hierher kommen, um in Gemeinschaft mit euch zu lernen.

POLIINNIO. Mögt ihr doch! Ich komme nicht um zu lernen, denn nunmehr ist es meines Amtes zu lehren. Und deshalb fällt es mir auch zu, solche die da dozieren wollen, zu beurteilen. Ich komme daher in anderer Intention, als in der ihr kommen müsst, dieweil euch die Rolle des Anfängers, Neulings, Lehrlings so wohl gefällt.

GERVASIO. In welcher Intention denn?

POLIINNIO. Um zu beurteilen, sage ich.

GERVASIO. In Wahrheit, eures gleichen steht es besser an als anderen, über Wissenschaften und Theorien euer Urteil abzugeben, weil ihr die einzigen seid, denen die Freigiebigkeit der Gestirne und die Spendelaune des Geschickes das Vermögen zuerteilt hat, aus den Worten den süssen Saft heraus zu destillieren.

POLIINNIO. Und in Folge dessen auch aus den Gesinnungen, welche mit den Worten verbunden sind.

GERVASIO. Wie die Seele mit dem Leibe.

POLIINNIO. So man nur die Worte richtig verstehet, so kann man auch den Sensum wohl erfassen. Deswegen entspringet aus der Kenntnis der Sprachen – und in dieser bin ich mehr bewandert als irgend ein anderer in dieser Stadt, und ich schätze mich für just so gelehrt, als jeden anderen, der eine Stätte für den Dienst der Minerva offen hält, – also, was ich sagen wollte, aus der Kenntnis der Sprachen geht die Kenntnis jeder beliebigen Wissenschaft hervor.

GERVASIO. So werden also alle diejenigen, welche italienisch verstehen, die Philosophie des Mannes von Nola begreifen?

POLIINNIO. Jawohl, aber freilich gehört dazu auch noch sonst einige Fertigkeit und einiges Urteil.

GERVASIO. Mitunter ist mir der Gedanke gekommen, diese Fertigkeit wäre eigentlich die Hauptsache. Kann doch einer, der kein Griechisch versteht, die ganze Lehre des Aristoteles verstehen und viele Irrtümer in ihr erkennen. Der Götzendienst, der mit dem Ansehen diese Philosophen besonders in Bezug auf die Naturwissenschaft getrieben wird, ist ganz offenbar bei allen denen gänzlich beseitigt, welche die Lehren dieser andern Schule verstehen; und einer, der weder Griechisch noch Arabisch, vielleicht nicht einmal Lateinisch kennt, wie Paracelsus, kann die Natur der Heilmittel und der Heilkunst besser erkannt haben, als Galenus, Avicenna und alle, die sich in römischer Sprache vernehmen lassen. Die Philosophie und die Rechtswissenschaft gerät nicht in Verfall durch den Mangel an Worterklärern, wohl aber durch den Mangel an solchen, welche Gedanken gründlich zu erfassen mögen.

POLIINNIO. So zähltest du also einen Mann wie mich unter den ungebildeten Pöbel?

GERVASIO. Das wollen die Götter nicht! Weiss ich doch, dass vermöge der Kenntnis und des Studiums der Sprachen – und das ist gewiss etwas seltnes und ausgezeichnetes – nicht nur ihr, sondern alle euresgleichen sehr befähigt seid, über die Systeme ihr Urteil abzugeben, nachdem ihr die Ansichten derer, die dergleichen auf die Bahn bringen, gehörig durchgesiebt habt.

POLIINNIO. Ihr redet da so wahr, dass ich mich leicht überzeugen lasse, ihr sagt das nicht ohne guten Grund; diesen explizit zu machen möge euch, wie es euch nicht schwer sein wird, so auch nicht beschwerlich fallen.

GERVASIO. Ich will es tun; doch unterwerfe ich mich immer dem Richterstuhl eurer Einsicht und eurer Sprachkenntnis. Es ist ein vielgebrauchtes Sprichwort, dass diejenigen, die ausserhalb des Spieles sind, mehr davon verstehen als die, welche dabei beteiligt sind; diejenigen z.B., welche im Theater sind, urteilen besser über den Gang der Handlung, als die Personen auf der Bühne; und eine Musik kann der besser durchkosten, der nicht zum Orchester oder den Sängern gehört. Ähnliches beobachtet man im Karten-, im Schachspiel, im Fechten und dergl. Und so ist’s auch mit euch, ihr Herren Schulfüchse. Da ihr von jedem Eingreifen in die philosophische Forschung schlechtweg ausgeschlossen seid und niemals an Aristoteles oder Plato und ähnlichen irgend welchen  teilgehabt hattet, könnt ihr sie besser beurteilen und mit eurer silbenstechenden Selbstgenügsamkeit und dem Hochmut eures Naturells verurteilen, als der Nolaner, der sich auf dem Schauplatz selbst, in ihrem vertrauten Umgang und ihrer Freundschaft selber befindet, so dass er sie leicht bekämpft, nachdem er ihre innersten und tiefsten Meinungen erkannt hat. Ihr, sage ich, weil ihr ausserhalb jedes Umganges von Ehrenmännern und ernsthaften Geistern steht, könnt sie natürlich besser beurteilen.

POLIINNIO. Ich kann nicht so im Augenblick diesem unverschämten Menschen antworten. Vox faucibus haesit!

GERVASIO. Dennoch sind eures Gleichen so anspruchsvoll, wie die anderen, die mit beiden Füßen drinnen stehen, es nicht sind; und insofern versichere ich euch, dass ihr gebührendermaßen euch das Amt anmaßt, dies zu billigen, jenes zu missbilligen, zu diesem eine Glosse zu machen, hier einen locum parallelum und ein Zitat, dort einen Appendix zu geben.

POLIINNIO. Dieser ignoranteste aller Menschen will daraus, dass ich in den schönen humanen Wissenschaften erfahren bin, schließen, dass ich in der Philosophie ein Ignorant sei!

GERVASIO. Mein hochgelehrtester Herr Poliinnio, ich will sagen, dass wenn ihr alle Sprachen hättet, deren es, wie unsere Hauptredner angeben, zweiundsiebzig gibt, …

POLIINNIO. Cum dimidia: ist zu sagen, noch eine halbe mehr.

GERVASIO. … daraus nicht allein nicht folgt, dass ihr deshalb geschickter wäret, über Philosophen zu urteilen, sondern noch mehr: damit beseitigt ihr nicht einmal die Möglichkeit, dass ihr das ungeschliffenste Vieh seid, welches irgend menschliches Antlitz trägt. Andererseits aber hindert nichts, dass einer, der kaum eine der Sprachen und überdies eine Bastardsprache kennt, der weiseste und gelehrteste Mann der ganzen Welt sei. Bedenkt doch nur, welche Erfolge zwei solche Männer errungen haben, der eine ein Franzose, ein Erzpedant, der Scholien über die freien Künste und Bemerkungen gegen Aristoteles geschrieben hat, der andere ein Italiener, ein wahrer Unflat von Pedantentum, der so viel schönes Papier mit seinen Discussiones peripateticae besudelt hat. Jedermann sieht leicht, dass der erste mit großer Beredsamkeit nachweist, wie wenig Verstand er hat, der zweite in einfacher Sprache zeigt, wie viel er von einem Rindvieh und Esel hat. Vom ersten können wir doch wenigstens sagen, dass er Aristoteles verstanden, aber übel verstanden hat, und wenn er ihn gut verstanden hätte, vielleicht das Genie gehabt haben würde, ihm einen ehrenvollen Krieg zu machen, wie ihn etwa der höchst scharfsinnige Telesius von Consentia geführt hat. Vom zweiten könnten wir nicht sagen, dass er ihn weder gut noch schlecht verstanden habe, sondern dass er ihn gelesen und wieder gelesen, genäht, aufgetrennt und mit tausend anderen griechischen Schriftstellern, Freunden und Feinden von ihm, verglichen und endlich eine höchst gewaltige Mühe sich gegeben hat, nicht nur ohne irgend welchen Nutzen, sondern auch zu der allergrössten Enttäuschung. Wer daher sehen will, in welche Torheit und hochmütige Nichtigkeit pedantische Gewohnheit stürzen und versenken kann, der sehe jenes Buch an, bevor es mit Stumpf und Stiel verloren geht. Aber sieh, da ist ja Teofilo und Dicson!

POLIINNIO. Adeste felices, domini! Eure Anwesenheit ist Ursache, dass meine Zornesglut nicht blitzende Verdammungsurteile gegen die nichtigen Sätze sprüht, die dieser geschwätzige Tagedieb da vorbringt.

GERVASIO. Und mir hat sie den Genuss verkürzt, mich an der Majestät dieses hochwürdigsten Kauzes zu ergötzen.

DICSON. Das mag alles hingehen, nur geratet euch nicht in die Haare.

GERVASIO. Was ich sage, das sage ich im Scherz, denn eigentlich habe ich den Herrn Magister von Herzen lieb.

POLIINNIO. Ego quoque quod irascor non serio irascor, quia Gervasium non odi: ist zu sagen, ich mein’s nicht schlimm, ich hasse Herrn Gervasio nicht.

DICSON. Wohl denn. Lasst mich also mit Teofilo mich weiter unterreden!

TEOFILO. Democritus also und die Epikureer, welche überhaupt für nichts halten, was nicht körperlich ist, nehmen demzufolge an, dass die Materie allein die Substanz der Dinge und zugleich die göttliche Wesenheit sei; und ein Araber, Namens Avicebron, ist derselben Meinung, wie er in einem Buche, »Quelle des Lebens« betitelt, näher darlegt. Ebendieselben nehmen in Übereinstimmung mit den Kyrenaikern, Kynikern und Stoikern an, dass die Formell nichts anderes sind, als gewisse zufällige Beschaffenheiten an der Materie. Ich nun bin lange Zeit ein Anhänger dieser Meinung gewesen nur deshalb, weil sie der Wirklichkeit mehr entsprechende Grundlagen hat, als diejenige des Aristoteles. Aber nachdem ich reiflicher und mit Rücksicht auf eine grössere Anzahl von Erscheinungen der Sache nachgedacht habe, finde ich, dass man in der Natur zwei Arten von Substanzen anerkennen muss: Erstens die Form und zweitens die Materie. Denn es muss beides geben: ein höchstes durchaus substantielles Wirkendes, in welchem aller Dinge wirkendes Vermögen, und ein höchstes Vermögen, ein Substrat, in welchem grade ebenso aller Dinge leidendes Vermögen enthalten ist; in jenem die Anlage zu wirken, in diesem die Anlage gewirkt zu werden.

DICSON. Jedem Denkenden muss die Unmöglichkeit klar sein, dass jenes immer alles wirkte, ohne dass etwas vorhanden wäre, aus dem alles werden kann. Wie kann die Weltseele, – d.h. alle Form, – selber ein Unteilbares, Gestalten bilden ohne ein Substrat der Ausdehnungen und Quantitäten, d.h. ohne die Materie ? Und wie kann die Materie geformt werden? Etwa durch sich selbst? Offenbar werden wir sagen können, die Materie wird durch sich selber gestaltet, wenn wir das gestaltete Ganze Materie nennen wollen, in der Erwägung, dass es so Materie ist, wie wir etwa einen tierischen Organismus mit allen seinen Anlagen Materie nennen, nicht um den Unterschied von der Form, sondern allein den von der bewirkenden Ursache zu bezeichnen.

TEOFILO. Niemand kann euch hindern, euch des Ausdrucks Materie nach eurer Weise zu bedienen, wird er doch auch innerhalb der verschiedenen Schulen in vielen verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Aber die von euch angegebene Art die Sache zu fassen würde doch eigentlich nur einem Mann vom Handwerk, etwa einem Arzt, welcher in der Praxis steht, wohl anstehen; z.B. einem solchen, der den ganzen Leib in Merkur, Salz und Schwefel teilt. Eine solche Annahme beweist nicht gerade, dass der Arzt ein göttliches Genie ist, sondern möglicherweise dass er sehr wenig Verstand hat, aber sich gern einen Philosophen nennen möchte. Denn des Letzteren Absicht ist nicht, bloß zu derjenigen Unterscheidung der Prinzipien zu gelangen, welche physisch durch die Scheidung vermittelst der Kraft des Feuers vollzogen wird, sondern auch zu derjenigen Unterscheidung der Prinzipien, an welche nichts wirkendes von materieller Art heranreicht. Die Seele nämlich, die nicht weiter auflösbar ist, ist das formale Prinzip für Schwefel, Merkur und Salz; sie ist kein Substrat für materielle Eigenschaften, sondern sie ist durchaus die Herrscherin über die Materie; sie wird von dem Werk des Chemikers nicht berührt, dessen Scheidekunst bei den drei genannten Dingen endet, und der eine andre Art von Seele kennt, als die Weltseele, die wir näher erklären wollen.

DICSON. Ganz vortrefflich und mir ganz aus der Seele gesprochen. Es gibt wirklich Leute von so wenig Einsicht, dass sie den Unterschied nicht beachten, ob man die natürlichen Ursachen absolut nach dem ganzen Umfange ihres Wesens nimmt, wie sie von den Philosophen betrachtet werden, oder ob man sie in einem eingeschränkten und besonderen Sinne auffasst. Jene erste Art ist für den Arzt als solchen allerdings überflüssig und wertlos, die zweite dagegen für den Philosophen als solchen höchst mangelhaft und unzulänglich.

TEOFILO. Ihr habt da den Punkt berührt, in welchem Paracelsus zu loben ist, der eine auf Arzneikunde beruhende Philosophie getrieben hat, und in welchem Galenus zu tadeln ist, weil er eine auf Philosophie beruhende Arzneiwissenschaft aufgebracht hat, um eine widerliche Mischung und ein so verwickeltes Gewebe herzustellen, dass er schließlich einen ziemlich wertlosen Arzt und einen sehr verworrenen Philosophen abgibt. Doch sei das immerhin mit einiger Zurückhaltung gesagt, weil ich nicht Muße gehabt habe, alle Seiten, die dieser Mann bietet, gleichmässig ins Auge zu fassen.

GERVASIO. Um Verzeihung, Teofilo, erweist mir zuerst den Gefallen, – denn ich bin in der Philosophie nicht so geübt – erklärt mir, was ihr unter jenem Namen Materie versteht, und was dann eigentlich an den Naturerscheinungen Materie ist.

TEOFILO. Alle diejenigen, die die Materie abgetrennt fassen und sie rein an sich ohne die Form betrachten wollen, berufen sich auf die Analogie der Künste. So die Pythagoreer, so die Platoniker, so die Peripatetiker. Nehmt irgend eine Kunst, z.B. die des Zimmermanns. Sie hat für alle ihre Formen und bei allen ihren Arbeiten zum Substrat das Holz, wie der Hufschmied das Eisen, der Schneider das Tuch. Alle diese Künste bringen in der ihnen zugehörigen Materie verschiedene Bilder, Anordnungen und Gestalten hervor, von denen keine der Materie eigentümlich und natürlich ist. Gerade so muss die Natur, welcher die Kunst gleicht, zu ihren Wirksamkeiten eine Materie haben. Denn es ist nicht möglich, dass es ein Wirkendes gebe, welches, wenn es etwas machen will, nichts hätte, woraus es das machen könnte, oder wenn es wirken will, nichts hätte, um daran zu wirken. Es gibt also eine Art von Substrat, aus welchem, mit welchem und in welchem die Natur ihre Wirksamkeiten, ihre Arbeiten vollzieht, und welches durch diese in so viele Formen gebracht wird, wie sie sich in der großen Verschiedenheit der Arten den Blicken des Betrachters darbieten. Und wie das Holz an sich keinerlei künstliche Form hat, aber durch die Tätigkeit des Zimmermanns alle haben kann, so hat die Materie, von welcher wir sprechen, an sich und in ihrer Natur keine natürliche Form; aber durch die Tätigkeit des wirkenden Agens, des Prinzips der Natur, kann sie alle haben. Diese Materie in der Natur ist freilich nicht ebenso etwas wahrnehmbares, wie die Materie des Künstlers; denn die Materie in der Natur hat schlechtweg keinerlei Form, die Materie der Kunst dagegen ist etwas schon von der Natur geformtes, weil die Kunst nur an der Oberfläche der von der Natur geformten Dinge wirken kann, wie in Holz, Eisen, Stein, Wolle und dergl., die Natur hingegen so zu sagen aus dem Mittelpunkte ihres Substrats oder ihrer Materie heraus wirkt, welche durchaus formlos ist. Deshalb gibt es der Substrate der Künste viele, das Substrat der Natur dagegen ist nur eines; denn jene, weil sie schon von der Natur verschieden geformt sind, sind selber verschieden und vielfältig; dieses, weil es in keiner Weise geformt ist, ist durchaus unterschiedslos, da ja aller Unterschied und aller Gegensatz von der Form stammt.

GERVASIO. Es bilden also die von der Natur geformten Dinge die Materie der Kunst, und ein Einziges, schlechthin Formloses, die Materie der Natur.

TEOFILO. So ist’s.

GERVASIO. Ist es denn möglich, ebenso wie wir die Substrate der Künste deutlich sehen und erkennen, auch das Substrat der Natur zu erkennen?

TEOFILO. Sehr wohl, aber freilich vermittelst anderer Erkenntnisprinzipien. Denn wie wir nicht mit einem und demselben Sinn Farben und Töne erkennen, so sehen wir auch nicht mit einem und demselben Auge das Substrat der Künste und das Substrat der Natur.

GERVASIO. Ihr wollt sagen, dass wir mit den sinnlichen Augen jenes, und mit dem Auge der Vernunft dieses sehen.

TEOFILO. Ganz recht.

GERVASIO. So gefalle es euch denn, dieses Auge der Vernunft zu erleuchten.

TEOFILO. Sehr gern. Dasselbe Verhältnis und die selbe Beziehung, welche in der Kunst die Materie auf die Form derselben hat, hat auch, wenn man die Analogie nur nicht zu weit treiben will, die Form auf die Materie in der Natur. Wie also in der Kunst, während die Formen sich, wenn es möglich wäre, bis ins Unendliche vervielfältigen, unter allen immer eine und dieselbe Materie vorhanden bleibt, – z.B. nach der Form des Baumes gibt es eine Form des Stammes, sodann des Balkens, dann des Tisches, der Bank, des Schemels, des Rahmens, des Kammes und so weiter, und doch bleibt das Holzsein immer dasselbe: – gerade so ist es in der Natur. Wie auch die Formen sich ins unendliche vervielfältigen und eine auf die andre folgt, es bleibt doch immer eine und dieselbe Materie vorhanden.

GERVASIO. Und wie lässt sich dieses Gleichnis weiter durchführen?

TEOFILO. Seht ihr nicht, dass aus dem, was Same war, Kraut wird, aus dem, was Kraut war, Ähre, aus Ähren Brot, aus Brot Nahrungssaft, aus Nahrungssaft Blut, daraus Samen, Embryo, Mensch, Leichnam, Erde, Gestein oder etwas anderes, und dass es so immer weiter alle natürlichen formen annehmen kann?

GERVASIO. Das ist allerdings leicht einzusehen.

TEOFILO. Es muss also immer eins und dasselbe sein, was an sich nicht Stein, nicht Erde, Leichnam, Mensch, Embryo, Blut oder etwas anderes ist, was aber, nachdem es Blut war, Embryo wird, indem es das Embryo-sein annimmt; was nachdem es Embryo war, das Mensch-sein annimmt, indem es Mensch wird, wie der von der Natur schon geformte Stoff, der das Substrat für die Künste abgibt, nachdem er Baum war, eine Platte wird und das Platte-sein, nachdem er Platte war, das Tür-sein annimmt und eine Tür wird.

GERVASIO. Das habe ich recht wohl begriffen; aber es scheint mir, dass dieses Substrat der Natur kein Körper sein, noch bestimmte Eigenschaften haben könne: denn das, was sich bald unter einer natürlichen Form und Existenz, bald unter einer andern den Blicken entzieht, zeigt sich nicht auf körperliche Weise wie Holz und Stein, welche immer als das, was sie stofflich oder dem Substrat nach sind, auch erscheinen, mögen sie sich auch unter welcher Form sie wollen verstecken.

TEOFILO. Ganz richtig.

GERVASIO. Was soll ich also tun, wenn ich einmal über diesen Gedanken mit einem hartnäckigen Menschen verhandeln sollte, der nicht glauben will, dass allen Gebilden der Natur eine einzige Materie ebenso zu Grunde liegt, wie denen jeglicher Kunst? Denn jene, die man mit Augen sieht, lässt sich nicht ableugnen; aber wohl diese, die man nur mit der Vernunft sieht.

TEOFILO. Jagt ihn fort, oder antwortet ihm nicht!

GERVASIO. Aber gesetzt, er verlangte einen Beweis mit Ungestüm, und es wäre eine Respektsperson, die eher mich, als ich sie fortjagen könnte, und die es für eine Beleidigung ansähe, wenn ich ihr nicht antwortete?

TEOFILO. Was würdest du tun, wenn ein Halbgott, der jeder Ehrerbietung und jeder Rücksicht würdig, aber blind wäre, dreist, heftig und hartnäckig darauf bestände, von den Farben, von den äusseren Gestalten der Dinge in der Natur Kenntnis zu erlangen und einen Beweis zu fordern, wie z.B.: welches die Form des Baumes, der Berge, der Sterne, ferner welches die Form einer Statue, eines Gewandes oder anderer Kunsterzeugnisse sei, lauter Dinge, die für Sehende ganz klar und deutlich sind?

GERVASIO. Ich würde ihm antworten, dass er, wenn er Augen hätte, keinen Beweis dafür verlangen, sondern es schon selber sehen würde; dass aber, da er blind sei, es auch unmöglich ein anderer ihm beweisen könne.

TEOFILO. Grade so wirst du jenen antworten können, dass sie, wenn sie Verstand hätten, keinen andern Beweis verlangen würden, sondern es von selber sehen würden.

GERVASIO. Diese Antwort wird sie beschämen und andre werden dieselbe allzu grob schelten.

TEOFILO. Dann könnt ihr also in verhüllterer Weise ihm folgendes sagen: Mein erlauchtester Herr, oder auch: Eure geheiligte Majestät! Wie gewisse Dinge nicht anders zur Evidenz gebracht werden können als durch die Hände und das Betasten, andre nur durchs Gehör, andre durch den Geschmack, wieder andre durch die Augen, so kann man sich von diesem Stoff aller Dinge in der Natur nur durch den Verstand überzeugen.

GERVASIO. Dann wird er, wenn er den Hieb versteht, der gar nicht so dunkel oder so verhüllt ist, mir erwidern: Du selber hast keinen Verstand; ich habe mehr als alle deines Gleichen.

TEOFILO. Wirst du denn dem Blinden glauben, wenn er dir sagt, du seist blind und er sehe mehr als alle, die sich sehend dünken, wie du?

DICSON. Es ist genug vorgebracht worden, um augenscheinlich zu erweisen, dass jener Mann niemals vernommen hat, was der Name Materie bedeutet und was unter der Materie in den Dingen der Natur verstanden werden muss. So lehrt Timaeus der Pythagoreer in der Verwandlung eines Elementes in das andere die Materie wiederfinden, die an sich verborgen, nur vermittelst einer gewissen Analogie erkannt werden könne. Wo die Form der Erde war, sagt er, erscheint nachher die Form des Wassers. Hier lässt sich nicht sagen, dass eine Form die andre annehme, weil ein Entgegengesetztes nicht das andere annehmen kann; d.h. das Trockene nimmt nicht das Feuchte, oder vielmehr die Trockenheit nicht die Feuchtigkeit an; sondern die Trockenheit wird aus einem Dritten herausgetrieben und die Feuchtigkeit eingelassen, und dieses Dritte ist das Substrat beider entgegengesetzter Qualitäten, selbst aber keinem entgegengesetzt. Wenn man also nicht annehmen darf, dass die Erde zu nichts geworden, so muss man glauben, dass etwas, was in der Erde war, zurückgeblieben und im Wasser noch vorhanden ist; was aus demselben Gründe, wenn das Wasser durch die Kraft der Wärme zu Gas oder Dampf verdünnt sich in Luft verwandelt, ebenso in der Luft bleiben und vorhanden sein wird.

TEOFILO. Daraus darf man schließen, jenen Leuten zum Trotz, dass nichts zunichte wird und nichts das Sein, sondern nur die zufällige, äussere und materielle Form verliert. Deshalb kann weder die Materie, noch die substanzielle Form jedes Dinges in der Natur, die Seele, zerstört und vernichtet werden, so dass sie das Sein durchaus und in jedem Sinne verlören. Freilich kann das nicht auch gelten von alledem, was bei Peripatetikern und ähnlichen Leuten »substantielle Form« genannt wird und was in nichts anderem besteht, als in einer gewissen Zusammensetzung und Anordnung von Akzidentien. Bei ihnen ist alles, was sie angeben können ausser ihrer materia prima, nichts anderes als Akzidens, Verbindung, Habitus einer Eigenschaft, Prinzip der Definition, Quiddität [=Was-heit]. Daher haben einige unter ihnen, subtile Metaphysiker in der Kutte, um die Unzulänglichkeit ihres Götzen, des Aristoteles, leichter zu verdecken, die Erfindung gemacht, Mensch-heit, Rind-heit, Oliven-heit seien artbildende substanzielle Formen; dagegen diese bestimmte Menschheit, z.B. die Socrates-heit, diese Rind-heit, diese Pferd-heit sei die »numerale« Substanz. Alles dies haben sie getan, um uns eine substanzielle Form zu schenken, welche den Namen der Substanz verdiente, wie die Materie Namen und Wesen einer Substanz hat; aber sie haben gleichwohl damit durchaus nichts gewonnen. Denn fragt ihr sie folgerichtig, worin denn das substanzielle Sein des Sokrates besteht, so werden sie antworten: in der Sokrates-heit; fragt ihr weiter: was versteht ihr unter der Sokrates-heit? so werden sie antworten: die eigentümliche substanzielle Form und eigentümliche Materie des Sokrates. Lassen wir nun diese Substanz, soweit sie Materie ist, auf sich beruhen; sagt mir: was ist die Substanz als Form? Da antworten einige: seine Seele. Ihr fragt weiter: was für ein Ding ist denn diese Seele?

Wenn sie sagen: eine Entelechie und Vollendung eines Körpers, der zu leben vermag, so bedenkt, dass dies ein blosses Akzidens ist. Sagen sie: sie ist ein Prinzip des Lebens, Empfindens, Vegetierens und Denkens, so bedenkt, dass, wenngleich dieses Prinzip eine Art von Substanz ist, dennoch gründlich betrachtet, wie wir es betrachten, unser Gegner ihm immer noch keinen höheren Rang anweist, als den eines Akzidens. Denn Prinzip von dem oder jenem sein, heisst nicht substantieller und absoluter Grund sein, sondern ein akzidentieller und auf das durch das Prinzip Gesetze bezogener Grund sein, während mein Wesen und meine Substanz nicht das bedeutet, was sie hervorbringt, was ich tue oder tun kann, sondern vielmehr was ich bin als ich selber und absolut betrachtet. Ihr seht also, wie sie diese substantielle Form, nämlich die Seele, behandeln, dass sie sie wohl von ungefähr als Substanz erkannt, doch niemals Substanz genannt oder als solche betrachtet haben. Diese Konfusion könnt ihr noch viel augenscheinlicher sehen, wenn ihr sie fragt, worin denn nun die substantielle Form eines unbeseelten Dinges, z.B. des Holzes, besteht. Die feineren Köpfe unter ihnen werden den Ausweg er sinnen: in der »Holz-heit« Nun nehmet diese Materie fort, welche dem Eisen, dem Holz und dem Stein gemeinsam ist, und sagt nun, was als die substantielle Form des Eisens übrig bleibt. Sie werden euch niemals etwas anderes nennen als Akzidentien; diese aber gehören zu den Prinzipien der Individuation und bewirken die Besonderheit. Denn die Materie kann nicht anders zur Besonderheit eingeschränkt werden, als durch eine Form; und diese Form, weil sie das konstituierende Prinzip einer Substanz ist, soll nach ihnen substantiell sein. Aber nachher können sie sie doch in der Natur nur als etwas akzidentielles nachweisen; und endlich, wenn sie nun alles getan haben, was sie vermögen, so haben sie daran eine substantielle Form freilich, aber keine in der Natur vorhandene, sondern eine rein logische Form ; und so erweist es sich denn schließlich, dass ein rein logischer Gesichtspunkt als Prinzip für die Naturerscheinungen gesetzt worden ist.

DICSON. Hat denn Aristoteles das nicht gemerkt?

TEOFILO. Ich glaube, dass er es ganz sicher gemerkt hat, aber sich keine Hilfe wusste; deshalb erklärte er die letzten Unterschiede für unbezeichenbar und unbekannt.

DICSON. Damit, scheint mir, hat er seine Unwissenheit offen eingestanden; und doch würde ich auch urteilen, dass es besser ist, sich solchen philosophischen Grundsätzen zuzuwenden, die in dieser wichtigen Frage sich nicht hinter Unwissenheit verstecken; wie die des Pythagoras, Empedokles und deines Philosophen von Nola, deren Meinungen du gestern berührt hast.

TEOFILO. Des Nolaners Ansicht ist die, dass es eine Vernunft ist, welche jedem Dinge sein Wesen gibt, – die Pythagoreer und Timaeus nennen sie den Geber der Formen; – eine Seele als formales Prinzip, welche alle Dinge bildet und gestaltet, – eben dieselben nennen es die Quelle der Formen; – eine Materie, aus der jedes Ding gemacht und gebildet wird, – diese nennen alle das Gefäß der Formen.

DICSON. Eine Ansicht, die mir sehr zusagt, schon weil sie nirgends eine Lücke zeigt. In Wahrheit müssen wir notwendigerweise, da wir ein konstantes und ewiges Materialprinzip setzen können, auch ein Formalprinzip derselben Art setzen. Wir sehen alle Formen in der Natur aus der Materie schwinden und wieder in die Materie eingehen; daher scheint in Wirklichkeit nichts beständig, nichts fest oder ewig und wert der Geltung eines Prinzips, als die Materie. Überdies haben die Formen kein Sein ohne die Materie, an welcher sie entstehen und vergehen, aus deren Schoße sie entspringen und in deren Schoß sie zurückgenommen werden. Deshalb muss die Materie, die immer dieselbe und immer fruchtbar bleibt, das bedeutsame Vorrecht haben, als einziges substantielles Prinzip und als das was ist und immer bleibt anerkannt zu werden, während alle Formen zusammen nur als verschiedene Bestimmungen der Materie anzuerkennen sind, welche gehen und kommen, aufhören und sich erneuern und deshalb nicht alle das Ansehen eines Prinzips haben können. Darum haben auch einige unter jenen, da sie das Verhältnis der Formen in der Natur wohl erwogen hatten, so weit man es aus Aristoteles und anderen von ähnlicher Richtung erkennen konnte, zuletzt geschlossen, dass die Formen nur Akzidentien und Bestimmungen an der Materie seien, und dass deshalb das Vorrecht als Actus und Entelechie zu gelten der Materie angehören müsse, und nicht solchen Dingen, von denen wir in Wahrheit nur sagen können, dass sie nicht Substanz noch Natur, sondern Dinge an der Substanz und an der Natur sind. Diese aber, behaupten sie, ist die Materie, die nach ihnen ein notwendiges, ewiges und göttliches Prinzip ist, wie bei jenem Mauren, dem Avicebron, welcher sie den allgegenwärtigen Gott nennt.

TEOFILO. In diesen Irrtum haben sie sich dadurch verleiten lassen, dass sie keine andere Form als die akzidentielle kannten. So hatte jener Maure zwar aus der peripatetischen Lehre, in der er aufgewachsen war, die »substantielle Form« angenommen; aber indem er sie als etwas vergängliches, nicht bloß an der Materie veränderliches betrachtete, als ein solches, welches erzeugt wird und nicht erzeugt, begründet wird und nicht begründet, ausgeschlossen wird und nicht ausschließt, schätzte er sie gering und hielt sie für etwas Nichtiges im Vergleich zu der dauernden, ewigen, zeugenden, mütterlichen Materie und so ergeht es sicherlich allen, die nicht wissen, was wir wissen.

DICSON. Das hätten wir denn gründlich abgemacht. Aber es ist Zeit, dass wir von der Abschweifung zu unserer eigentlichen Aufgabe zurückkehren. Wir wissen jetzt die Materie von der Form zu unterscheiden, sowohl von der akzidentiellen Form, sei sie sonst wie sie wolle, als von der substantiellen Form. Was zu betrachten übrig bleibt, ist ihre Natur und ihre Realität. Aber zuvor möchte ich wissen, ob man nicht wegen der innigen Vereinigung, in welcher diese Weltseele und universale Form mit der Materie steht, die andere Auffassung derjenigen Philosophen zulassen kann, welche die Tätigkeit nicht von dem Wesen der Materie trennen wollen und diese als etwas göttliches und nicht so schlechtweg formloses betrachten, dass sie nicht ihre Form und Einkleidung sich selber gäbe.

TEOFILO. Nicht leicht; denn schlechthin nichts wirkt auf sich selbst, und immer ist das Wirkende von dem was gewirkt wird oder an dem die Wirkung und Tätigkeit geschieht verschieden. Darum ist es gut, an dem Organismus der Natur Materie und Seele, und an dieser das Allgemeine von den besonderen Arten zu unterscheiden. Deshalb zählen wir in diesem Organismus dreierlei Elemente: zuerst die in den Dingen waltende universelle Vernunft; zweitens die belebende Seele des Ganzen; drittens das Substrat. Aber damit wollen wir demjenigen den Namen eines Philosophen nicht gleich absprechen, welcher diesen geformten Körper, oder wie wir sagen wollen, diesen vernünftigen Organismus nach seiner Art zu philosophieren auffasst und damit beginnt, als erste Prinzipien etwa die Glieder dieses Körpers zu betrachten, wie Wasser, Luft, Erde, Feuer; oder ätherische Region und Gestirn, oder Geist und Leib, oder Leeres und Volles, jedoch das Leere nicht gefasst wie bei Aristoteles, oder auf eine andere angemessene Weise. Eine solche Philosophie wird mir deshalb nicht gleich verwerflich erscheinen, besonders wenn sie auf dem Fundamente, auf welchem sie baut, oder vermittelst der Form des Gebäudes, welche sie innehält, eine Förderung der spekulativen Wissenschaft und der Kenntnis der Naturerscheinungen erreicht, wie es doch wirklich durch viele ältere Philosophen geschehen ist. Denn das müsste ein ehrgeiziger und hochmütiger, eitler und neidischer Geselle sein, wer andere überreden wollte, es gebe nur einen einzigen Weg zu forschen und zu der Kenntnis der Natur zu gelangen; und nur ein Narr und ein Mensch ohne Urteil kann von sich selber zu verstehen geben, dass er ihn besitze. Obgleich also der sichrere und gebahntere, an Aussicht reichere und deutlichere Weg und der höhere Standpunkt der Betrachtung immer vorgezogen, höher geehrt und mehr gepflegt werden sollte, so ist doch jede andere Weise nicht zu tadeln, sofern sie nur nicht ohne gute Frucht bleibt, wenn diese auch nicht vom selben Baume stammt.

DICSON. Ihr billigt also das Studium verschiedener Philosophien?

TEOFILO. Höchlich, für den, der dazu Zeit und Geist genug hat; für andre billige ich das Studium der besten, wenn die Götter wollen, dass er sie herausfinde.

DICSON. Dennoch bin ich sicher, dass ihr nicht alle Philosophien billigt, sondern nur die guten und danach die nächst besten.

TEOFILO. So ist’s. So verwerfe ich auch unter den verschiedenen Arten zu heilen diejenige nicht, welche auf magische Weise durch Auflegung von Wurzeln, Anhängung von Steinen und Murmeln von Beschwörungsformeln geschieht, wenn die Strenge der Theologen mir erlaubt, wie ein blosser Naturkundiger zu sprechen. Ich billige das, was auf physischem Wege geschieht und durch Apothekerrezepte sich vollzieht, mit denen die Galle, das Blut, der Schleim, und die Stockung der Säfte bekämpft oder vertrieben wird; ich habe nichts gegen die andere, welche auf chemischem Wege verführt, welche die Fünftel-Essenzen auszieht und vermittelst des Feuers aus allen Zusammensetzungen den Merkur auffliegen, das Salz sich niederschlagen und den Schwefel aufleuchten oder schmelzen lässt. Aber darum will ich in Bezug auf die Heilkunst nicht entscheiden, welche unter so vielen guten Arten die beste sei; denn der Epileptische, an dem der Physiker und der Chemiker ihre Zeit verloren haben, wird, wenn er von dem Magier geheilt wird, nicht ohne Grund diesen Arzt höher stellen, als jenen oder einen dritten. Gleicherweise gehe die andern Arten durch; keine von ihnen wird weniger gut sein als die andere, wenn nur die eine sowohl wie die andere den Zweck, welchen sie sich vorsetzt, auch erreicht, im besonderen sodann ist der Arzt besser, der mich heilt, als die, die mich sterben lassen oder unnütz peinigen.

GERVASIO. Woher kommt es denn, das diese Schulen der Ärzte sich untereinander so anfeinden?

TEOFILO. Vom Geiz, vom Neid, vom Ehrgeiz und von der Unwissenheit. Gemeinhin verstehen sie kaum die eigne Heilmethode; weit gefehlt also, dass sie für diejenige andrer ein Verständnis haben könnten. Überdies bemüht sich der grössere Teil, da er sich nicht mit eigner Kraft zu Ehre und Gewinn erheben kann, sich durch die Herabsetzung anderer zu erheben, indem er vorgibt, das zu verachten, was er sich nicht in eigen machen kann. Aber der beste und rechte unter ihnen ist der, welcher nicht so sehr Physiker ist, dass er nicht auch Chemiker und Mathematiker wäre. – Um also auf unsern Gegenstand zurückzukommen: unter den Arten der Philosophie ist diejenige die bessere, welche die Verrichtung des menschlichen Verstandes förderlicher und erhabener vollbringt, der Wahrheit der Natur besser entspricht und so weit als möglich mit ihr Hand in Hand geht, entweder indem sie sie ahnend durchschaut, – ich meine auf dem geordneten natürlichen Wege und durch Erwägung der wechselnden Erscheinung, nicht durch tierischen Instinkt, wie die Bestien und diejenigen, welche ihnen ähnlich sind, nicht durch Eingebung guter oder böser Dämonen, wie die Propheten, auch nicht durch schwarzgallige Verzückungen, wie die Dichter und andere beschaulichen Geister verfahren, – oder indem sie Gesetze anordnet und die Sitten verbessert, oder heilt oder auch ein glückseligeres und göttlicheres Leben kennen und führen lehrt. Ihr seht also, wie es nicht eine von verständigem Sinne getragene Art von Philosophie gibt, welche nicht irgend etwas gutes eigentümlich für sich hätte, was in den andern nicht enthalten ist. Das Gleiche, meine ich, gilt von der Heilkunst, welche sich auf Prinzipien gründet, die gerade so einen einigermaßen fortgeschrittenen Zustand der Philosophie voraussetzen, wie die Tätigkeit des Fußes oder der Hand diejenige des Auges. Deshalb sagt man, dass niemand einen guten Anfang in der Heilkunst machen kann, der nicht einen guten Abschluss in der Philosophie gemacht hat.

DICSON. Es gefällt mir sehr an euch, und ich lobe es höchlich, dass ihr einerseits nicht so ungehobelt, andererseits nicht so schmähsüchtig und ehrgeizig seid wie Aristoteles, welcher die Meinungen aller andern Philosophen wie ihre Methoden durchaus verworfen wissen wollte.

TEOFILO. Und dabei kenne ich unter allen Philosophen, die es gibt, keinen, der sich mehr auf leere Einbildungen gründete, und sich weiter von der Natur entfernte als er. Und wenn er doch zuweilen vortreffliche Dinge sagt, so sind sie offenbar gar nicht aus seinen Prinzipien abgeleitet, vielmehr sind es immer von andern Philosophen entlehnte Sätze, und deren finden sich in der Tat viele herrliche in dem Buche von der Erzeugung, von Meteoren, von Tieren und Pflanzen.

DICSON. Um uns also zu unserm Thema zurückzuwenden : ist es denn eure Meinung, dass die Materie ohne Irrtum und ohne dass man sich in Widersprüche verwickelt, auf verschiedene Weise definiert werden könne?

TEOFILO. Grade so, wie über denselben Gegenstand verschiedene Sinne ihr Urteil abgeben und dasselbe Objekt sich auf verschiedene Weise darstellen kann. Ausserdem kann man, wie schon angedeutet, bei der Betrachtung eines Objekts von sehr verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen. Die Epikureer haben sehr viel Gutes gesagt, obgleich sie sich nicht über die materielle Qualität erhoben. Viel vortreffliches hat Heraklit ausgesprochen, obgleich er nicht über die Seele hinauskam. Anaxagoras verfehlt nicht, die Erkenntnis der Natur zu fördern, indem er nicht allein in dieselbe eindrang, sondern ausserhalb und vielleicht über derselben eine Vernunft erkennen wollte, dieselbige welche von Sokrates, Plato, Trismegistus und unsern Theologen Gott genannt wird. So hindert nichts, dass zur Aufdeckung der Geheimnisse der Natur ganz ebensogut ein solcher anleite, der in der Weise der von den anderen als einfältig Gescholtenen von der Erfahrung ausgeht, wie diejenigen, welche von einer begrifflichen Theorie ausgehen; und unter diesen nicht weniger wer von Komplexionen als wer von Humoren ausgeht; und ebensogut wie dieser auch derjenige, welcher von den sinnlich wahrnehmbaren Elementen aus, oder welcher von grösserer Höhe, von jenen absoluten Wesenheiten, oder von der Materie allein, dem höchsten und bestimmtesten Prinzip von allen, sich herabläßt. Denn zuweilen wird, wer den längeren Weg nimmt, deshalb keine so erfolgreiche Reise machen, besonders wenn sein Ziel nicht sowohl die Theorie als die Praxis ist. Was ferner das philosophische Verfahren anbetrifft, so wird der Erfolg so ziemlich der gleiche sein, ob man nun die Formen wie aus einem verwickelten Knäuel aufwickelt, oder sie gleichsam aus einem Chaos entwirrt, ob man sie aus einer Quelle der Ideen schöpft, aus Potentialität zur Aktualität befördert, sie aus einem Schoße heraufholt, oder sie aus einem blinden und düsteren Abgrund ans Licht hervorzieht. Denn jedes Fundament ist gut, wenn es sich durch das Tragen des Gebäudes bewährt; jeder Same ist willkommen, wenn die Bäume und Früchte begehrenswert sind.

DICSON. Um also zu unserm Ziele zu kommen, so gefalle es euch, uns die Lehre von jenem Prinzip in aller Bestimmtheit vorzutragen.

TEOFILO. Jedenfalls kann das Prinzip, welches man Materie nennt, auf zwei Weisen betrachtet werden: erstens als Vermögen, zweitens als Substrat. In der ersten Bedeutung, als Vermögen genommen, so gibt es keine Sache, in welcher man sie nicht in gewisser Weise und in eigentümlicher Beziehung wiederfinden könnte. Die Pythagoreer, Platoniker, Stoiker und andre haben sie ebensowohl in die intelligible als in die sinnliche Welt gesetzt; und wir, die wir sie nicht ganz so wie jene, sondern in einem noch höheren und umfassenderen Sinne nehmen, denken über das Vermögen oder vielmehr über die Möglichkeit folgendermaßen. Das Vermögen unterscheidet man gemeinhin in aktives, vermittelst dessen das Substrat desselben wirken kann, und in passives, vermöge dessen es sein oder empfangen oder haben oder in irgend einer Weise das Objekt eines Wirkenden sein kann. Von dem aktiven Vermögen für den Augenblick absehend, sage ich: das Vermögen, in passivem Sinne gefasst – wenn es auch nicht gerade allezeit passiv ist – kann entweder im relativen oder im absoluten Sinne betrachtet werden. So ist kein Ding, von dem man das Sein aussagt, wovon man nicht auch das Seinkönnen aussagte, und das passive Vermögen entspricht so gänzlich dem aktiven Vermögen, dass keines irgendwie ohne das andre ist. Wenn daher das Vermögen zu machen, hervorzubringen, zu schaffen immer gewesen ist, so ist auch das Vermögen, gemacht, hervorgebracht und geschaffen zu werden, immer vorhanden gewesen.

Denn das eine Vermögen impliziert das andere, ich will sagen, es setzt, selbst als seiend gesetzt, notwendig das andre mit. Weil nun dieses Vermögen an dem, von dem es ausgesagt wird, nicht einen Mangel bedeutet, sondern vielmehr die Kraft und Wirksamkeit desselben nur bestätigt, und weil es sich endlich sogar als durchaus eines und dasselbe mit dem aktiven Vermögen erweist, so trägt kein Philosoph noch Theologe Bedenken, es auch dem höchsten übernatürlichen Prinzip beizulegen. Denn die absolute Möglichkeit, vermöge deren das, was wirklich ist, sein kann, ist nicht früher als die Wirklichkeit und nicht im geringsten später als sie, und das Seinkönnen ist deshalb zusammen mit dem wirklichen Sein und geht ihm nicht voran. Denn wenn das Seinkönnende sich selber wirklich machte, so würde es sein, bevor es wirklich geworden wäre. Nun betrachte das oberste und vollkommenste Prinzip, welches alles das ist, was es sein kann. Es würde nicht alles sein, wenn es nicht alles sein könnte; in ihm sind also Wirklichkeit und Vermögen eins und dasselbe. Mit den andern Dingen verhält es sich nicht so. Mögen sie immerhin sein, was sie sein können, so können sie doch vielleicht auch nicht sein und sicher etwas anderes oder auf andre Weise sein, als sie sind. Denn kein anderes Ding ist alles das, was es sein kann. Der Mensch ist das was er sein kann; aber er ist nicht alles das was er sein kann. Der Stein ist nicht alles das was er sein kann; denn er ist kein Kalk, kein Gefäss, kein Staub, kein Kraut. Das was alles ist was es sein kann, ist ein Einiges, was in seinem Sein alles Sein enthält. Es ist alles was ist und kann jedes beliebige andere sein, was ist und sein kann. Jedes andere ist nicht so; deshalb ist hier das Vermögen nicht gleich der Wirklichkeit, weil es nicht absolute, sondern begrenzte Wirklichkeit ist. Und ebenso ist auch das Vermögen immer auf eine Wirklichkeit beschränkt, weil es immer nur ein spezifisches und besonderes Dasein hat; und wenn es dennoch auf jede Form und jede Wirklichkeit sich bezieht, so geschieht auch dies vermittelst bestimmter Anlagen und so dass ein Sein das andere nach einer bestimmten Ordnung und Reihenfolge ablöst.

Jedes Vermögen also und jede Wirklichkeit, welche im obersten Prinzip gleichsam zusammengewickelt, ein Vereinigtes und Einiges ist, ist in den andern Dingen aufgewickelt, zerstreut und vervielfacht. Das Universum, dieses erhabene Ebenbild und Abbild, diese eingeborene Natur, ist gleichfalls alles was es sein kann, sofern die Arten und die hauptsächlichsten Glieder dieselben bleiben und es der Inbegriff aller Materie ist, zu welchem nichts hinzukommt und dem nichts von aller und jeglicher Form fehlt. Aber es ist doch nicht alles, was es sein kann, weil auch die Unterschiede, Bestimmtheiten, Eigentümlichkeiten und Individuen bleiben. Deshalb ist das Universum nur ein Schatten der Ur-Wirklichkeit und des Ur-Vermögens; und insofern ist in ihm Vermögen und Wirklichkeit nicht absolut dasselbe, weil keiner seiner Teile alles das ist, was es sein kann. In dem besonderen oben bezeichneten Sinne ferner ist das Universum alles das, was es sein kann, auf eine explizierte, zerstreute, unterschiedene Weise; sein Prinzip dagegen ist eben dies in einheitlicher und unterschiedsloser Weise, weil es alles in allem und eins und dasselbe als das schlechthin Einfache ohne Unterschied und Bestimmtheit ist.

DICSON. Wie erklärst du aber den Tod, den Untergang das Böse, die physischen Übel, die Missgeburten? Bist du der Meinung, dass auch sie ihre Stelle in dem haben, was alles ist, was es sein kann, und was alles das in Wirklichkeit ist, was es dem Vermögen nach ist?

TEOFILO. Diese Dinge sind nicht Wirklichkeit und nicht Vermögen, sondern Mangel und Unvermögen. Sie finden sich in den explizierten Dingen, weil diese nicht alles sind, was sie sein können, und durch äusseren Zwang werden, was sie sein können. Da sie daher nicht zugleich und auf einmal so vieles sein können, so geben sie das eine Sein auf, um das andere zu erlangen; zuweilen vermischt sich in ihnen das eine Sein mit dem anderen, und zuweilen sind sie verkümmert, mangelhaft, verstümmelt, weil dieses Sein mit jenem sich nicht verträgt und weil die Materie durch dieses oder jenes schon in Anspruch genommen ist. Doch kehren wir nun zu unserer Aufgabe zurück. Das erste absolute Prinzip ist also Erhabenheit und Grösse, und zwar eine solche, dass es alles das ist, was es sein kann. Es ist nicht groß in dem Sinn, dass es auch wohl noch grösser oder kleiner sein oder dass es geteilt werden könnte, wie jede andere Größe, welche nicht alles ist, was sie sein kann; vielmehr ist es die allergrösste, allerkleinste, unendliche, unteilbare Größe und von jeglichem Masse. Sie ist nicht das Größte, weil sie das Kleinste ist; sie ist nicht das Kleinste, weil sie ebensowohl das Größte ist; sie ist über jede Gleichheit hinaus, weil sie alles ist, was sie sein kann.

Was ich von der Größe sage, das verstehe von allem dem, was man aussagen kann; denn es ist auf ähnliche Weise die Güte, welche alle Güte ist, die da sein kann; es ist die Schönheit, welche alles Schöne ist, was da sein kann, und es gibt nichts anderes Schönes, welches alles das wäre, was es sein kann, ausser diesem einen. Es ist nur ein Einziges, was auf absolute Weise alles ist und alles sein kann. In den Erscheinungen der Natur sehen wir ferner nichts, was etwas anderes wäre als das, was es in Wirklichkeit ist, vermöge deren es das ist, was es sein kann, um überhaupt eine bestimmte Art von Wirklichkeit zu haben; dennoch ist es auch in diesem seinem einzigen spezifischen Sein niemals alles das, was ein beliebiges besonders Ding sein kann. Da ist die Sonne. Sie ist nicht alles das was die Sonne sein kann; sie ist nicht überall, wo die Sonne sein kann. Denn wenn sie im Osten über der Erde steht, so steht sie nicht im Westen, nicht im Süden noch in einer andern Himmelsrichtung. Wenn wir also die Art zeigen wollen, auf welche Gott Sonne ist, so werden wir sagen, weil er alles ist, was er sein kann, dass er zugleich im Osten, im Westen, im Süden, im Norden und in jedem beliebigen Punkte des Erdenrundes ist. Wenn wir von dieser Sonne – sei es vermöge ihrer eigenen Umwälzung oder derjenigen der Erde – annehmen wollen, dass sie Bewegung und Ortsveränderung hat, so wird sie, weil sie nicht aktualiter in einem Punkte ist ohne das Vermögen in allen andern zu sein, und weil sie doch alles ist, was sie sein kann, und alles das besitzt was zu besitzen sie fähig ist: so wird sie also zugleich überall und in allem sein und dermassen das beweglichste und schnellste dass sie auch das stetigste und unbeweglichste ist. Deshalb finden wir in den göttlichen Aussprüchen, dass sie in Ewigkeit stetig und das schnellste genannt wird, dass sie von einem Ende zum andern läuft. Denn das wird als unbeweglich gedacht, was in einem und demselben Augenblick von dem Ostpunkte aufbricht und zu dem Ostpunkte zurückgekehrt ist.

Überdies wird sie nicht weniger im Osten als im Westen und in jedem andern Punkte ihres Umlaufs gesehen: deshalb ist nicht mehr Grund zu der Behauptung vorhanden, dass sie von diesem Punkte zu jenem, als dass sie von jedem beliebigen andern der unendlich vielen Punkte zu demselbigen gehe und zurückkehre, gegangen und zurückgekehrt sei. Daher wird sie ganz und immer in dem ganzen Umkreis und in jeglichem Teile desselben sein; und folglich enthält jeder unteilbare Punkt der Ekliptik den ganzen Durchmesser der Sonne. So enthält ein Unteilbares das Teilbare, nicht vermöge eines natürlichen, sondern eines übernatürlichen Vermögens, d.h. wenn vorausgesetzt würde, dass die Sonne das wäre, was in Wirklichkeit alles ist, was es sein kann. Das so absolute Vermögen ist nicht allein das, was die Sonne sein kann, sondern das was jedes Ding ist und was jedes Ding sein kann, aller Vermögen Vermögen, aller Wirklichkeiten Wirklichkeit, aller Leben Leben, aller Seelen Seele, alles Wesens Wesen. Daher der erhabene Ausspruch der Offenbarung: »Der welcher ist, schickt mich; der welcher ist, spricht also.« Deshalb ist das, was sonst widersprechend und entgegengesetzt ist, in ihm eines und dasselbe, und jedes Ding ist in ihm dasselbe. So gehe denn hinaus über die Unterschiede der Zeiten und Zeiträume, wie über die der Wirklichkeiten und Möglichkeiten; denn für ihn gibt es nichts altes und nichts neues, und treffend heisst er in der Offenbarung der Erste und der Letzte.

DICSON. Diese absoluteste Wirklichkeit, welche identisch ist mit dem absolutesten Vermögen, kann von dem Verstande nur auf dem Wege der Negationen begriffen werden: d.h. sie kann nicht erfasst werden, sofern sie alles sein kann, noch sofern sie alles ist. Denn die Vernunft, wenn sie verstehen will, muss sich eine verstandesmässige Vorstellung bilden, sich ihr anähnlichen, sie nach sich messen, mit sich ausgleichen. Alles das ist hier unmöglich. Denn der Verstand ist niemals so groß, dass er nicht noch größer sein könnte; jenes aber, indem es von allen Seiten und in jedem Sinne unermesslich ist, kann nicht noch grösser sein. Es gibt also kein Auge, welches sich diesem allererhabensten Licht und diesem allertiefsten Abgrund annähern könnte oder einen Zugang zu ihm hätte.

TEOFILO. Das Zusammenfallen dieser Wirklichkeit mit dem absoluten Vermögen ist von dem göttlichen Geiste sehr klar beschrieben worden, wo es heisst: »Die Finsternis wird nicht von dir verdunkelt werden. Die Nacht wird erhellt werden wie der Tag. Wie seine Finsternis, so ist auch sein Licht.« Zum Schlusse also: ihr seht, wie groß die Herrlichkeit des Vermögens ist. Wenn es euch nun gefällt, dies Vermögen das Wesen der Materie zu nennen, das die landläufigen Philosophen so wenig durchdrungen haben, so könnt ihr der Materie, ohne der Gottheit etwas zu vergeben, eine noch höhere Bedeutung anweisen, als selbst Plato in seiner Republik und als Timaeus. Diese haben manchen Gottesgelehrten ein Ärgernis verursacht, als hätten sie das Wesen der Materie all zu hoch gestellt. Das kam daher, entweder dass sie sich nicht gut ausgedrückt, oder dass jene sie nicht richtig verstanden haben. Denn in den Anschauungen des Aristoteles aufgewachsen, fassen jene die Bedeutung der Materie immer bloß in dem Sinne des Substrates der Naturerscheinungen, und bedenken nicht, dass die Materie bei den anderen etwas der intelligiblen und sinnlichen Welt gemeinsames ist, und dass das Wort hier durch eine auf der Analogie mit dem eigentlichen Gebrauche beruhende Erweiterung eine neue Bedeutung empfangen hat. Deshalb sollte man die Meinungen erst mit aller Sorgfalt prüfen, ehe man sie verdammt, und auf die Verschiedenheiten des Sprachgebrauchs ebenso sehr achten, wie auf die der Ansichten, zumal da sie zuweilen, auch wenn alle in einem gemeinsamen Begriff der Materie übereinstimmen, doch nachher in der eigentümlichen Anwendung auseinandergehen. Was nun unsern Gegenstand betrifft, so kann unmöglich, wenn man vom Namen »Materie« absieht, irgend ein Theologe, sei er von Gemüt auch noch so sophistisch und übelwollend, mich wegen dessen, was ich von dem Zusammenfallen von Vermögen und Wirklichkeit, beide Ausdrücke im absoluten Sinne nehmend, behaupte und meine, der Gottlosigkeit zeihen. Ich möchte nun, den Vergleich soweit festhaltend, als es erlaubt ist, folgenden Schluss ziehen. Jenes Ebenbild der Ur-Wirklichkeit und des Ur-Vermögens ist in spezifischer Wirklichkeit alles das, was es seinem spezifischen Vermögen nach ist. Sofern also das Universum in diesem Sinne alles das ist, was es sein kann, – sei es auch in Bezug auf die »numerale« Wirklichkeit und das »numerale« Vermögen, wie es wolle: – so hat es ein Vermögen, welches von der Wirklichkeit, eine Seele, welche vom Beseelten nicht gesondert ist; ich meine nicht das Zusammengesetzte, sondern das Einfache. Daher wird es ebenso ein erstes Prinzip des Universums geben, welches man gleichfalls eben so wenig mit dem Unterschiede der Form und Materie behaftet denken muss, und welches man aus der Analogie mit dem vorher Genannten als absolutes Vermögen und absolute Wirklichkeit erschließen kann. Deshalb wird es nicht schwierig und nicht bedenklich sein, schließlich anzunehmen, dass das Ganze der Substanz nach eines ist, und so verstand es vielleicht Parmenides, den Aristoteles unedel genug behandelt hat.

DICSON. Seid ihr also der Meinung, dass es zwar beim Herabsteigen auf jener Stufenleiter der Natur eine doppelte Substanz, eine geistige und eine körperliche gibt, aber schließlich beide auf ein Wesen und eine Wurzel zurückgehen?

TEOFILO. Wenn es euch scheint, dass es diejenigen, die nicht weiter als bis zu jenem Punkte vordringen, ertragen können.

DICSON. Mit grösster Leichtigkeit, wenn du dich nur nicht über die Schranken der Natur erhebst.

TEOFILO. So bin ich bereits verfahren. Wenn wir nicht dieselbe Auffassung und dieselbe Art haben von der Gottheit zu reden, wie der gemeine Mann, so ist unsere Auffassung wenn auch eigentümlich, doch keineswegs jener anderen entgegengesetzt oder fremdartig, nur vielleicht klarer und entwickelter, der Bestimmung gemäß, dass sie nicht über die Grenzen unseres Verstandes hinausgeht, von der ich euch versprochen habe, mich nicht zu entfernen.

DICSON. Vom Materialprinzip im Sinne der Möglichkeit oder des Vermögens ist nun genug gehandelt. Morgen gefalle es euch, die Betrachtung eben desselbigen unter dem Gesichtspunkte des Substrats vorzunehmen.

TEOFILO. So werde ich verfahren.

GERVASIO. Auf Wiedersehen also!

POLIINNIO. Seien uns die Omina günstig!

04. Vierter Dialog